Georg Heim
Heitere Geschichten
Georg Heim

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73 »Der Extra«Diese Erzählung schrieb ich vor 20 Jahren nieder (Erzählung eines altbayerischen Gebirgskooperators). Jetzt finde ich – 20 Jahre später – eine ganz ähnliche in dem Bande »Tiroler Schwänke« von Schönherr (Sammlung Ullstein).

Es liegt hoch droben in den Bergen, weltabgeschieden, friedlich, jenes Dörfchen, in dem unser Pfarrer schon achtzehn Jahre in Frieden und Eintracht seines Amtes gewaltet hatte, bis auch ihm eines Tages ein Schatten über den Weg fiel. Wäre es nicht eine Bauerngeschichte, so würde ich sagen, daß sich auch an ihm das Wort des Dichters erfüllte: Des Lebens ungemischte Freude ward keinem Irdischen zuteil.

Achtzehn Jahre lang hatte er auf die Frage, wie es ihm in seiner Gemeinde gefalle, stets nur die Antwort: Ich bin zufrieden, ich habe keine Klage. – Es war eine Mettnacht, im neunzehnten Jahre seiner Tätigkeit in der Gemeinde, da hörte er um die zwölfte Stunde vor seinem Fenster einen Schuß fallen. Er fuhr in seinem Bette in die Höhe, die Störung war ihm nicht angenehm; denn wenn auch die Mette nicht um 12 Uhr nachts stattfand, so war doch der erste Gottesdienst morgens um 4 Uhr.

74 Er war kaum aus den Federn, so fiel Schuß auf Schuß. Haberfeldtreiben gab's in seiner Gegend nicht, also mußte etwas anderes los sein. Er war sich bald klar, es war die Jugend des Dorfes. Ein neuer Brauch: die Metten anschießen!

Er wollte den Feiertag nicht entheiligen und deshalb in der Predigt nichts sagen. Er wartete ein ganzes Jahr. Eindringlich schilderte er am letzten Adventsonntag das Unwürdige der Handlung, er drohte mit seinem Groll, er gab gute Worte. Die zwanzigste Mettnacht, seitdem er in dieser Gemeinde war, brach an. Mit dem ersten Schlag der zwölften Stunde ging ein Feuern an, daß es nur so eine Freude war . . . und so ging's wieder im nächsten Jahr trotz aller Ermahnungen; alles Zureden war umsonst . . . Jetzt erst extra!

So kam es, daß der so beliebte Pfarrer, erzürnt über die Bockbeinigkeit seiner störrischen Jugend, den Entschluß faßte, seinen Wirkungskreis aufzugeben. Als der neue Pfarrherr kam, um die Pfarrei einzusehen, erzählte er ihm seine Leidensgeschichte: wie zufrieden er erst gewesen sei, wie schließlich die Schießerei begann und wie alles Zureden umsonst gewesen sei. »Jetzt erst extra!« hätten die jungen Leute in ihrer Bösartigkeit als 75 Parole ausgegeben. »Ja, den kenne ich,« meinte der künftige Pfarrherr, »das ist der Extra!«

Am vierten Adventsonntage warteten bereits die jungen Burschen darauf, daß der neue Pfarrherr auch eine »Schießpredigt« halte. Sie waren enttäuscht, kein Wort von dem! Schlag 12 Uhr in der Mettnacht ging ein Schießen los, daß es in den Bergen widerhallte und man meinen konnte, es wäre die Kanonade einer Schlacht. Wie alles ein Ende nimmt, so hat auch das Schießen ein Ende genommen. Noch gespannter war die junge Mannschaft des Ortes, ob der neue Hochwürdige anderen Tages beim Gottesdienste nicht etwas für sie übrig habe wie sein Vorgänger. Kein Wort kam über seine Lippen, er predigte angemessen dem hohen Feste. Als er die Kirche verließ, standen vor derselben alle die jungen Burschen des Ortes auf einem Haufen beisammen. Sie hatten offenbar den Pfarrherrn abgewartet. Zwar schauten sie etwas verdutzt darein, und sie wurden noch verblüffter, als der Pfarrer, freundlich lächelnd, auf sie zukam, ihre Schießkunst lobte und die Mitteilung machte, daß beim Bärenwirt um 4 Uhr nachmittags nach dem Abendgottesdienste ein Faßl Bier auf seine Rechnung aufgelegt werde. Welcher 76 Jubel! Welche Lobreden auf den neuen Herrn! Welche guten Vorsätze für die nächste Christnacht: ein Schießen auf dem Lechfelde sollte ein wahrer Zungenschnalzer dagegen sein!

Wieder verging ein Jahr, die »Mandln« standen auf dem Felde, die Tage wurden kürzer, der erste Schnee fiel, man sang: Tauet Himmel, den Gerechten, und der Mettenabend kam heran. Wiederum schossen die Burschen wie »narret« Löcher in die Luft, sie ließen sich's etwas kosten, um dem Pfarrer eine Freude zu machen. Und wiederum am ersten Feiertag nach dem dritten Amt standen die Burschen vor der Kirchentüre versammelt und warteten auf den Herrn Pfarrer, der nicht so extra lang auf sich warten ließ. Endlich kam er. Selbstverständlich warteten die jungen Leute auf die Ankündigung von Freibier beim Bärenwirt. Aber der Herr Pfarrer grüßte sie freundlich, vom Extrabier hat er jedoch kein Sterbenswörtl gesagt.

Und wiederum verging ein Jahr. Die Saatzeit mit ihrer Arbeit, die Erntezeit mit ihren Tausenden von Schweißtropfen, der Herbst mit seiner Arbeit auf dem Stoppelfelde und auf den Wiesen ging vorüber, es fiel wieder der erste Schnee, und 77 wieder war eine Mettennacht da, die dritte, welche der Pfarrer in der Pfarrei verlebte.

Wunderbarerweise fiel in dieser dritten Christnacht kein Schuß, und als am ersten Weihnachtsfeiertag der Pfarrer nach dem dritten Gottesdienst aus der Kirche ging, da sagten die Burschen laut, daß er es hören konnte: Fällt uns gar nicht ein, daß wir schießen und unser Geld ausgeben, wenn uns der Pfarrer kein Faßl Bier zahlt, grad extra net! Meinst du nicht auch, daß der Pfarrer seine Leute gut gekannt hat?


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