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Das Frauenideal

Wieder einmal war Dichtungssamen auf Wirklichkeitsboden gefallen und aufgegangen. Werther hatte sich in den weiten Bezirken der schönen Geister und zarten Seelen Brüder und Schwestern geworben. In diesen Zeiten geheimnisumwobenen und geschäftigen Freimaurertums war die zärtliche Träne im Auge geheimes Erkennungszeichen der Empfindsamen geworden. Sie sah ihn an; die Träne stand ihr im Auge; er wußte sich von ihr verstanden.

Wilhelm und Caroline von Humboldt sind unter denen, die sich derart finden. Ein »Tugendbund«, dem beide angehören, in dem man einander mit dem brüderlichen »Du« begegnet und ein schwesterlicher Kuß das Geheimnis weiht, hat die seelische Sphäre um sie gewoben. Schwärmerei blüht zu Liebe auf. In solcher seelischen Hingabe empfindet sie ihr Glück als ein unverdientes; ihr eigenes Selbst scheint ihr nichtig, nun aber durch Liebe erhöht; sie betet ihn an als »den Schöpfer eines neuen Daseins, den huldreichen Geber eines unverdienten Glücks«. Er aber vermag es nicht zu begreifen, daß in ihr so gar keine Empfindung für ihren eigenen Wert sei. »Diese Stille, diese Bescheidenheit, diese Innigkeit in Dir reißt mich zu so entzückender Bewunderung hin.« Er grübelt nach und findet in einem ausgeprägten Schönheitssinn das Geheimnis ihrer weiblichen Eigenart.

Das eben darf man in Beurteilung dieser schwärmerischen Stimmungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts nicht übersehen: sie sind durchstrahlt von Geistigkeit. Wenn die Liebenden beim Heraufziehn des Gewitters an das Fenster treten, wenn sich ihnen in solchem Augenblick der Name »Klopstock!« auf die Lippen drängt und sich die Herzen derart vermählen, – ist es nicht auch Bekenntnis zu gemeinsamer Geistigkeit, was den schwärmerischen Bund besiegelt?

Es fällt auf: Schleiermacher, der denn freilich tief aus dem Erkenntnisschacht des 18.Jahrhunderts kam, rügte noch 1802 den Mangel an Geistigkeit im Frauenideal des Novalis und schloß daraus mit Recht, daß Novalis sich seine eigene Geliebte nicht richtig gewählt haben könne oder doch nicht in ihr gefunden habe, was sie ihm hätte sein müssen. Aus der leeren Unschuld bekannte er seinerseits sich nichts zu machen. In den Frauen meinte er die verständnisvollsten Leserinnen wertvoller Bücher ausspüren zu können, weil in ihnen noch Phantasie sei. Man erlerne nichts; man erraffe nichts mit dem Verstande; nur das Gemüterfaßte werde zu Eigentum.

Man vergegenwärtigt ein Frauenideal und sieht es im Verbleichen: Die empfindsame Gefährtin, die verstehend fördert.

Nach der Schlacht von Jena aber tritt eine ganz neue Forderung an das Ideal. Die »deutsche Frau« drängt sich dem Bewußtsein auf. Ohne den Begriff vorerst recht fassen zu können, wünscht man sich die Geliebte »deutsch«. Wilhelm von Humboldt, nunmehr seit 17 Jahren verheiratet und Vater einer kleinen Schar von Kindern, entdeckt an seiner Caroline plötzlich den neuen (nun eben vom Zeitbewußtsein diktierten) Zug. Am 7. November 1808 schreibt er ihr unvermittelt: »Ich kann gewiß mit Unparteilichkeit behaupten, daß sich nie vielleicht eine allgemeine Form in einem einzelnen so rein und vollkommen ausgesprochen hat als deutsche Weiblichkeit in Dir.« Etwa um die nämliche Zeit, und noch vor den Befreiungskriegen, lernt Alexander von der Marwitz irgendein junges Mädchen kennen, und er meint, eine Gestalt aus einem alten Holbeinschen Bild angetroffen zu haben: dieselbe Haltung, der vorwärtsgebeugte Kopf, die Hände, die sie beim Gehen unter der Brust übereinanderlegt. Fehlt nicht die seelische Deutung auf Treue und demütige Ruhe, wobei denn aber noch Geist und Stärke betont werden. Man sieht und erschrickt, wie »Zeit« die Zeitgenossen zu sehen zwingt.

Man steht vor der Geburt des neuen Frauenideals.

 

Das neue Ideal der Freiheitskriege gewinnt aus einer Wirklichkeitserscheinung Gestalt. Man darf es auf den Namen der Königin Luise taufen.

Dabei verschlägt es nichts, man muß sich sogar hüten, danach zu fragen, wer diese edle Frau im Alltag ihrer Lebensführung gewesen sei. Varnhagen, der Lästerer, glaubte in ihr Züge von Selbstsucht und Verschlagenheit entdecken zu müssen, Humboldt rühmte ihr wirkliche Größe und Sanftmut, dazu eine seltene Harmonie des ganzen Wesens nach. Auf die Zeitgenossen – und das ist es, was vergegenwärtigt werden muß, will man von den wenigen absehn, die ihr persönlich nahetreten durften – wirkte sie als Erscheinung: Hausfrau und Königin, Mutter und Diademträgerin; dazu eine, die um Deutschland litt. Das sind die Züge, die für die Idealbildung entscheidend werden.

Ein früher Tod ruft die Legende.

Aber schon lange, bevor sie starb, zum Aufgang ihres Königinnentums, im Jahre 1798, hatte Novalis in »Glauben und Liebe, oder der König und die Königin« der Legende das Wort gegeben. Hier nun ist es, und das ist sehr bezeichnend, nur eine Eigenschaft in ihr, die legendäre Kraft gewinnt und zur Idealisierung drängt: ihr Hausfrauentum. Nur als ein großer Haushalt erschien dem Romantiker der Staat: als Hausfrau waltete die Königin. Darum, und gleichsam als Urbild der Pflichterfüllung, sollte jede Hausfrau und jede sorgfältige Mutter das Bild der Königin in ihrem oder ihrer Töchter Wohnzimmer haben. Weibliche Lehrjahre, anknüpfend an die Jugendjahre der Königin, forderte Novalis und meinte, es würde das mit Nataliens Lehrjahren übereinkommen; denn in Goethes Natalie (»Wilhelm Meisters Lehrjahre«) glaubte er das »zufällige Porträt« der Königin entdeckt zu haben.

Soviel ist sicher: der Ausgleich des Gegensatzes zwischen treulicher Erfüllung niederer weiblicher Pflichten und Herrscherwürde ist es, der vorbildlich wirkt. Die »gnädige Frau von Paretz« krönt die Königin von Preußen mit dem Diadem des Frauenideals, und wenn später Brentano in seiner Kantate auf den Tod der Königin ihr Wesen in dem zärtlichen Verein von Unschuld und Hoheit begreift, so wählt er eben nur andere Worte für die gleiche seelische Einstellung.

Neben die Wirklichkeit tritt abermals, den Typus ergänzend und vertiefend, das Geschöpf eines Dichters: das Käthchen von Heilbronn Heinrich von Kleists. Dort wie hier, ganz wesenhaft, der gleiche Gegensatz: die Tochter des Kaisers ist dem Mann ihrer Bestimmung gegenüber niedere Magd.

Hier nun aber sind alle seelischen Möglichkeiten bis aufs Höchstmaß gesteigert. Das Kind wohlhabenden Bürgertums, einem gesitteten Jüngling anverlobt, setzt sich über alle Gebote der Sitte und des Anstands aus tiefem Naturtrieb hinweg, um dem einen, der ihrem Herzen gebietet, in niederstem Magdtum zu dienen. Jede seelische und körperliche Mißhandlung, die sie von ihm erfährt, nimmt sie als ein ihr Gebührendes, ja Willkommenes, hin: »Mein hoher Herr« ist der Gruß, mit dem sie ihm naht. So tief erniedrigt sie sich ihm gegenüber, daß sie ihrer nächsten Umgebung als ehrlose Dirne erscheint, und ist doch so schämig, daß sie es nicht über sich vermag, ihren Rock ein wenig zu schürzen, um das Wasser des Flusses zu durchschreiten. Es ist Geheimnis um sie; nicht nur das ihrer hohen Geburt, nein derart, daß keiner der ihr Nahestehenden sie begreift; daß ein Cherub ihr hilfreich zur Seite steht; – dem einen aber, dem sie sich zugehörig weiß, legt sie ihre Seele rückhaltlos dar, ihm erschließt sich sogar ihr Unbewußtes. Ihm gibt sich die Schämige hüllenlos; ihm die Kaisertochter als niedere Magd. Liebe hat sich nahezu in seelische Hörigkeit verwandelt.

Und ist damit zu letzter seelischer Wollust geworden! Der Graf vom Strahl spricht zu sich selber das verräterische Wort: »Du, deren junge Seele, als sie heut nackt vor mir stand, von wollüstiger Schönheit gänzlich triefte, wie die mit Ölen gesalbte Braut eines Perserkönigs, wenn sie auf alle Teppiche niederregnend, in sein Gemach geführt wird.« Der Vergleich mit der Braut des Perserkönigs ist, gerade weil er Kleist aus dem Unterbewußtsein aufsteigt, bezeichnend: das deutsche Empfinden ist hier ganz ersichtlich übersteigert. Aber so gewiß das der Fall ist, so gewiß war die Übersteigerung notwendig, dem neuen Ideal Gesicht zu geben. Denn das ist ja eben das Wesen des Ideals, daß es alle Möglichkeiten erschöpfen muß, um jeder Forderung gerecht zu scheinen. Dem Deutschen jener Jahresläufte, dem Geburts- und Standesunterschiede schon deshalb ungeheuer wichtig werden mußten, weil sie im Schwinden begriffen waren, bleibt das Käthchen von Heilbronn Inbegriff der Deutschheit.

Der Alltag hatte nur das Magdtum auf Gehorsam und Häuslichkeit, die Mystik deutscher Kaiserherrlichkeit auf tiefdeutsches Empfinden, die seelische Hörigkeit auf dienende und aufblickende Liebe hinabzusetzen, und das Idealbild des Käthchens von Heilbronn konnte mit dem der Königin Luise in eins verschweben: das neue deutsche Frauenideal.

Auch ließ der Dichter nicht auf sich warten, der diese Verbürgerlichung vollzog. 1830 und 31 gab Chamisso sein »Frauenliebe und -leben« und seine »Lebenslieder und -bilder« heraus, und nun war es aus der Empfindung des Alltags heraus gesprochen, und, ihrem Verlobten ins Auge blickend, empfand das blonde Mädchen, das in dem Geist der Erneuerung Preußens erzogen worden war: »Darfst mich niedere Magd nicht kennen, hoher Stern der Herrlichkeit.« »Laß mich in Andacht, laß mich in Demut, mich verneigen dem Herren mein;« »Mein güt'ger Herr, du willst herab dich lassen, beseligend zu deiner armen Magd.« Die Zeit der frommen Hingabe und der Hausfrauenwürde! Dienend stieg das Mädchen zur Hausfrau auf – wie ja auch Königin Luise Hausfrau gewesen war, derart, daß die Königin von der Hausfrau Vollkommenheit genommen hatte. Und etwas aus diesem Chamissoklang findet sich bei fast allen Dichtern der Epoche wieder. Etwa bei Eichendorff: »Gar oft schon fühlt' ich's tief, des Mädchens Seele wird nicht sich selbst, dem Liebsten nur geboren.« Oder in der Prosa des »Marmorbilds«, wo es nach der Liebeserklärung heißt: »Da ritt sie, ganz überrascht von dem unverhofften Glück, und in freudiger Demut, als verdiene sie solche Gnade nicht, mit niedergeschlagenen Augen schweigend neben ihm her.«

Dieselbe Stimmung ist in den Briefwechseln der Zeit. An Schleiermacher schreibt seine Braut: »Ich habe eine innige Sehnsucht, es immer wieder von Dir zu hören, daß Du mich liebst – liebst im ganzen Umfang des Wortes – denn ich kann es immer noch nicht fassen, Du Herrlicher und ich Armselige.« Sie bekennt, sich immer mehr für Ehen interessiert zu haben, in denen die Frau durchaus unter dem Manne stehe und nur durch Liebe und Mutterwürde zu ihm hinaufgehoben werde. Sie kennt diese eigene seelische Scham und erschauert in dem Gedanken, daß sie einmal, wähnend, er habe sie gefragt, ob sie ihm gut sei, geantwortet habe, ja, sehr, sehr gut. Ein inniger Kuß wird ihr zu hohem Ernst und einem Gefühl der Heiligkeit. Dem entspricht es, daß er in ihr das Kind sucht. Gelegentlich träumt er sie sich schlafend, und im Schlaf ihr Kindtum offenbarend.

Brentano übersetzt das in die katholische Empfindungssphäre, und nun heißt es in dem Gedicht an Luise Hensel: »Kind, du hast mich erst gelehret, wie ein Leib so heilig ist, daß ihn selbst für uns begehret unser lieber, heil'ger Christ.«

War das neue Frauenideal durchaus romantischen Stimmungen entwachsen, so führte nunmehr der Rationalismus von seinen ganz anders gearteten Voraussetzungen aus, aber auch seinerseits der Zeitstimmung Rechnung tragend, zu überaus ähnlichen Vorstellungen hin. Ums Jahr 1820 schrieb Abraham Mendelssohn an seine Tochter Fanny: »Du mußt Dich ernster und emsiger zu Deinem eigentlichen Beruf, zum einzigen Beruf eines Mädchens, zur Hausfrau bilden ... Der Frauen Beruf ist der schwerste; die unausgesetzte Beschäftigung mit dem Kleinsten, das Aufsaugen eines jeden Regentropfens, damit er nicht in dem Sande verdunste, sondern zum Bache geleitet, Wohlstand und Segen verbreite, die stets unausgesetzte Beobachtung des einzelnen, die Wohltat jedes Augenblicks und die Benutzung jedes Augenblicks zur Wohltat, das, und alles, was Du Dir dazu denken wirst, sind die Pflichten, die schweren Pflichten der Frauen.« Das ist in rationalistischer Tonart, anders und doch einklingend, das romantische Frauenideal der Zeit, und auch zu diesem Katechismus der Hausfrauenpflichten eignet sich als Vorsatzbild das Porträt der Königin Luise, so etwa, wie es Grassi malte.

Wie sehr hatten sich die Zeiten und mit ihnen die Wünsche der Menschen geändert! Noch Schleiermacher hatte in den Frauen die idealen Leserinnen gesucht. Jetzt schreibt Börne an Jeannette Wohl: »Es ist dasselbe unbehagliche Gefühl, mit welchem ich ein Frauenzimmer essen und lesen sehe.« Die Frau sei Bürgerin im Reich der Liebe. Sie dürfe das Schöne und Gute nicht außerhalb ihrer selbst suchen. Fühle sie in sich Leere, so könne sie mit aller Wissenschaft der Welt diese Empfindung nicht übertäuben. – Fromme Demut bedeutet jetzt alles; Geistigkeit scheidet aus. Das Magdtum der Seele, die Hausfrauenwürde bedürfen der gelehrten Kenntnisse nicht. Auf die Stirn des gläubig aufblickenden Kindes senkt sich der Myrtenkranz. Bräutlich bleiben heißt die Ehelosung.

Anmutige Schwäche wird geradezu Modeforderung für die Frau. Das aber leitet zur Betrachtung der Dame über.

Königin Luise hatte dem neuen Frauenideal ganz wesenhafte Züge verliehen: im Jugendglanz dahingerafft, die Wiederaufrichtung des Landes ersehnend, nicht mehr erschauend, sollte sie dieser Generation, nachdem sie von der Kunst die letzte Verklärung erfahren hatte, auch zu einer Führerin in die Gefilde der Abgeschiedenen werden.


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