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Das lebendige Kleid

Aus einer Sehnsucht nach der Antike war der Stil der Zeit, mag er nun Empire oder Biedermeier heißen, geboren worden, nur daß die Generationen, die die Fackel aneinander weitergaben, unter dem Begriff der Antike Verschiedenes verstanden, unter dem gleichen Losungswort sehr anders gearteten Zielen zustrebten –: jetzt war in dem Ruf die Begeisterung für Schönheit und Menschenwürde gewesen; später galt er der Tapferkeit; wieder später verbrüderte er zu Tugend; er war letzthin der Wille zur Freiheit geworden. Wichtiger beinahe als der Begriff, der wechselnde, scheint denn auch die gleichbleibende Sehnsucht, die ihn sich erkor. Sehnsucht bestimmt recht innerlich den Stil der Zeit.

Im Namen solcher Sehnsucht könnte man das Empire die haltunggewährleistende, das Biedermeier die verzärtlichte Antike nennen. Im Empire herrschte noch die alte Gesellschaft, im Biedermeier hat das Bürgertum Besitz ergriffen. Bleibt in aller Wandlung der Respekt vor der geraden Linie.

Entscheidend die Sehnsucht. So betrachtet, erscheint es selbstverständlich, daß sich die Baukunst in jenen Jahrzehnten, vor Aufgaben des öffentlichen, zumal des kultischen Lebens gestellt, neben den antikisierenden vielfach gotischer Ausdrucksformen bediente: die eine Sehnsucht war der andern wert und konnte sie nicht Lügen strafen. Es wird sich nur zu erweisen haben, ob die Baukunst der Zeit, gleichviel ob an antike oder gotische Formensprache gebunden, ihr eignes zeit- und sehnsuchtsbedingtes Empfinden derart zum Ausdruck zu bringen vermochte, daß sie, Überkommenes aussagend, sich selber sprach.

Gleichviel; im bürgerlichen Hausbau wird unmittelbar die Sehnsucht zur Erfüllung. Und es trifft sich seltsam, daß das stilgerechte Empirehaus doch ohne Stil im Lebenssinne bleibt, das stilfreiere Biedermeierhaus aber noch heut lebendiges Zeugnis für das, was man organischen Stil nennen möchte, ablegt.

Das mag einem nirgends so vor Augen treten, wie in dem kleinen Kurort Baden bei Wien. Dort wurden durch den Brand des Annentages 1812 nicht weniger als 137 Häuser eingeäschert, es entfaltete sich eingangs der zwanziger Jahre eine reiche Bautätigkeit, die nun ein nahezu einheitliches Stadtbild schuf.

Man geht durch die krummen und in Kreissegmenten geführten und ansteigenden Gassen mit den niederen gelben Häusern, auf denen das hohe dunkle Ziegeldach ruht. Die lebendige Linie der Gasse erzwingt sich den mitfließenden Grundriß der Häuser. Überall sind Schneidungen zwischen den Bauflächen. Dem Baum ist Raum gelassen, seinen organischen Wuchs zwischen dem Mauerwerk aus Menschenhänden zu vollenden.

Diese krummen und ansteigenden Gassen durchschreitend, weiß man aus unmittelbarem Empfinden heraus: die Generation, die sich hier die Wohnstätten bereitete, hatte über Zeit und Raum frei zu gebieten; sie liebte das erkorene Stück Erde und dachte nicht anders, als darauf seßhaft zu bleiben, solange ihr Erdendasein gegönnt war. Hier und nur hier sollte Wiege und Sarg ihrer Nachkommenschaft stehen. Und indem Zeit über diesen Raum strich, sollte sie weilen.

Man öffnet einen der schweren Torflügel mit dem Messinggriff und tritt in das Tonnengewölbe des Eingangs. Auch darin ganz willkürliche Schneidungen. Hier und dort ein Einbau, aber beileibe nicht in irgendwelcher Proportion eingesetzt; vielmehr nur dem Zweck dienend, dem Zweck gehorchend. Und vielfach beobachtet man, daß Eingangs- und Ausgangstor schräg zueinander gestellt sind, als hätte sich das Gewölbe selber organisch ausgewachsen. Man tritt in den Hof. Eine Freitreppe auf Balkenlagen führt in das erste Stockwerk, wo's eben bequem erschien. Sie trägt ihre eigne Überdachung. Hier ein Stück Galerie, das keine Fortsetzung findet. Dort ebenso willkürlich, ebenso notgeboten, Loggien. Überall Schneidungen. Nirgends nur steinerne Fläche, sondern überall Holz und Eisenwerk, das sie unterbricht, durch das sie atmet, kraft dessen sie zu Bewegung auffordert und am Leben teilnimmt.

Die Fenster laufen selten in gerader Linie, noch wahren sie den abgemessenen Abstand. Sie verschmähen es auch, sich durchgängig den gleichen Ausmaßen zu unterwerfen. Seltsamerweise aber ersteht so durchaus nicht ein unruhiger Eindruck, vielmehr wird die Ruhe gebieterischer. Denn beides ist in der Ansicht solcher Biedermeierhöfe: das Zweckbewußtsein und das sänftigende Gefühl, daß ein langer Tag die Gewohnheit des Vaters an die des Sohnes weitergab.

Die Höfe sind gepflastert, und zwischen den Steinen mag Gras aufschießen. Auch ist Platz für einen hochgewachsenen Baum, nur wird er selten in der Mitte stehen. Er schoß auf, wo Gott ihn ins Leben rief, oder Großvater ihn bei festlicher Gelegenheit pflanzte. Der Brunnen steht da, wo der Rutengänger den Quell erspürte. Für Stauden- und Farnengruppen ist in einem Winkel Platz. Je länger man weilt, desto mehr scheint es des Grüns zu werden, hinter jeder Ecke, und es sind deren sehr viele, entdeckt man neues. Auch freut man sich nun des Efeus, der den Baum umspinnt, und des Blumenkastens dort vor dem Fenster.

Aber vielleicht sind all diese Ecken und Winkel nur dazu da, damit die Hausfrau bequemer die Wäscheleine zu spannen vermöge und das Holz Platz finde, um, aufgeschichtet, im Winter zur Hand zu sein? Man weiß in diesen Häusern nie, ob das Naturgebot bestimmend war, oder die künstlerische Absicht, oder das dumme Verlangen des werktätigen Alltags.

Aber vielleicht ist dies das Letzte, daß all jenes Widersprechende sich in Selbstverständlichkeit zusammenfand und damit der Unterschied aufgehoben wurde zwischen Natur- und Kunst- und Alltagsforderung und sich das Leben dieser Generationen derart organisch in die Landschaft einbaute.

Man hat den Hof verlassen, man durchschreitet das Tonnengewölbe wieder und steht in der Gasse. Die Fassade des Hauses weist die strenge Linienführung der Antike, Säulen grenzen symmetrisch ab, das Giebelfeld zeigt Medaillons mit antiken Figuren. Aber diese Fassade steht nicht für sich allein, sie ist Teil der Landschaft, und in die antike Formensprache reden die nahen Bäume, spricht das Grün – gleichsam nur in leicht abgewandelter Dialektfärbung – hinein.

 

Diese Generationen hatten Sinn für Häuslichkeit, und das in durchaus ungewöhnlicher Bedeutung des Wortes.

Es gibt einen Ausspruch Wilhelm von Humboldts, den man in dieser Beziehung als Motto über die seelische Kennzeichnung des Zeitempfindens setzen möchte und dem es nachzudenken verlohnt. Im Jahre 1814 schreibt er gelegentlich aus Dijon an Caroline: »Ich habe immer die Eigenheit, mir jeden Ort, durch den ich komme, als bleibenden Aufenthalt vorzustellen, und denke mir jeden Morgen, wie die kleinen Mädchen und Hermann (seine Kinder) im Garten herumlaufen würden.« Darin ist, auf die Fremde angewandt, dies tiefinnerliche Daheimsein. Es bleibt aber auch nicht ohne Eindruck, wenn Bettina schildert, daß sie ihr abendlicher Spaziergang an Armeleutewohnungen vorbeiführt, sie in die erleuchteten Fenster blickt und sich vorstellt, daß ihre Lieben in solcher Enge und Dürftigkeit miteinander hausen könnten, und ihr das ein Gefühl des Friedens gibt. Und wieder ein anderes, aber letzthin an das gleiche Ziel gebundenes Empfinden sucht sich Ausdruck, wenn Schwind einmal ganz dumm für seine Person feststellt: »Mir ist schon leicht, wenn ich in ein schönes Zimmer komme.«

Diesem Sinn für Häuslichkeit wohnte bei den Berufenen Stilgefühl inne. Wieder ist es Wilhelm v. Humboldt, der das feine Empfinden dafür hat, daß Silber als Hausgerät auf dem Lande »nicht einmal hübsch« sei, und der jugendliche Alexander v. d. Marwitz schildert in einem Brief die neue Wohnung, die er in Potsdam bezogen hat, und schließt daran die Worte: »Sehen Sie aus dieser Zimmerbeschreibung, wie ich leben muß. Ganz einförmig.« Die Umgebung diktiert also dem Menschen. Zu lebendigem Kleid wird die Häuslichkeit.

In Berlin scheint man das nicht nur willig hingenommen, sondern mit allerlei kleinen Ehrgeizregungen gesteigert zu haben. Ein Wort von Schadow wird dafür bezeichnend, der gelegentlich in einem kurzen Lebensabriß schreibt: »Sein Haus, seine Wohnung und Werkstatt, welche er der Gnade seines Königs verdankt, sind eigens für sein Kunstfach eingerichtet. Sein eigener Hang zum Splendiden hat ihn freilich in der Auszierung etwas über das Notwendige hinausgeführt. Dies aber ist im allgemeinen die Weise seiner Landsleute, der Berliner.« War das ihre Weise, so kam Zeit, sie eines anderen zu belehren; die »arme Zeit«. Gabriele von Humboldt, die doch Ansprüche zu erheben berechtigt war, bekam zu ihrer Ausstattung an Polstermöbeln ein einziges Sofa, und bald genug sollten die neu erfundenen, sehr billigen Steindrucke den gang und gäben Wandschmuck in der Wohnung des Bürgers bilden. Auch war das eine Sofa durchaus nichts Selbstverständliches. In Tübingen erzählte man noch nach Jahrzehnten von dem »reichen« Buchhändler Cotta, dessen Wohnung »sogar« ein Sofa aufgewiesen habe.

Sehr anders Friedrich von Gentz, Hofrat und Sybarit, der jederzeit seine Taschen für Nebeneinkünfte offenhielt, ohne dabei allzu ängstlich auf Art und Herkunft bedacht zu sein, und der trotzdem zeit seines Lebens in Schulden steckte. Über dessen Häuslichkeit lohnt es sich Grillparzer, den immer Verärgerten, zu vernehmen, und aus der Übersalzung die eigentliche Speise herauszuschmecken. Grillparzer erzählt: »Noch erinnere ich mich des widerlichen Eindrucks, den die Wohnung des Mannes auf mich machte. Der Fußboden des Wartesalons war mit gefütterten Teppichen belegt, so daß man bei jedem Schritt wie in einen Sumpf einsank und eine Art Seekrankheit bekam. Auf allen Tischen und Kommoden standen Glasglocken mit eingemachten Früchten, zum augenblicklichen Naschen für den sybaritischen Hausherrn, im Schlafzimmer endlich lag er selbst auf einem schneeweißen Bette in grauseidenem Schlafrocke. Ringsherum Inventionen und Bequemlichkeiten. Da waren bewegliche Arme, die Tinte und Feder beim Bedarf näher brachten, ein Schreibpult, das sich von selbst hin und her schob, ich glaube, daß selbst der Nachttopf ebenfalls durch den Druck einer Feder sich zum Gebrauch darreichte.« Ein Häuslichkeitsbild, bei dem man nun doch nachdenkend verweilt. Denn eben damals begann es; und der Reichtum der sehr wenigen machte die vielen ärmer.

Das Möbel der Zeit ist aus Mahagoni gefertigt, diesem dunkel erglühenden, in der Maserung gleichsam ein befremdendes Lebensgeheimnis offenbarenden Holz. Mahagoni ist die Sehnsucht nach der Fremde im Heim, und als die ärmere Zeit es durch Birnbaum ersetzte, hieß das nichts weniger als Verzicht leisten auf eine Sehnsucht. Im Empire hatte das Mahagoni sich mit Bronze geschmückt, sich dadurch Haltung und Würde gegeben; auch die tat es im Biedermeier ab. Stolz in seiner Farbenscheu, hatte das Empire das Mahagonimöbel an die weiße Wand gerückt, deren architektonische Linien nur eben mit Gold abgesetzt sein durften; allenfalls mochte die sehr hell gehaltene Papiertapete eine schwache Musterung aufweisen; zu einer Art von Altar war der Ofen geworden, er mußte sich gelegentlich in einer Säule oder gar in einer Statue verstecken; eine besondere Mission erhielten die Gardinen. Befremdet, aber keineswegs unangenehm berührt, schreibt Humboldt im Jahre 1814 aus Arc: »Ich habe hier Bettgardinen, wie ich sie nie sah. Die Dame nennt sie Espagnolles, sie werden indes ganz zahmerweise in Langres gekauft. Es ist schwarz gedruckte Leinwand, und es sind lauter Ruinen Roms darauf, der Jupiter Stator, der Titus- und Konstantinsbogen, das Pantheon gar nicht übel, wenigstens sehr treu. Dabei fehlen die Leute mit dem Saltarello nicht. Es sind immer süße Erinnerungen ...« Die Drapierung der Fenstergardinen wurde dann im Biedermeier zu ganz eigener, sehr geschätzter Kunstfertigkeit; es mußten verschiedenfarbige Schals durcheinanderspielen; was der Tapezierer hier leistete, entschied für die Augen der Zeitgenossen über den Eindruck des gesamten Zimmers.

Sein eigentliches Möbel schuf sich das Biedermeier in der Servante, diesem Schrank mit den gläsernen Wänden und dem Spiegel in der Rückwand. Die Servante – was ist sie? Ängstlich gehütete Wohlhabenheit; oder treu bewahrtes Väterangedenken; oder nie benutzter Besitz; oder den Blicken, aber nicht den Händen preisgegebene Familienchronik. Im großen besagt die Servante dasselbe, was diese Statuetten oder Ähren oder Leuchter unter Glasglocken erzählen; sie wissen von einem Besitz, den man nicht gefährden, von einer Sehnsucht, an die man nicht rühren darf. Die verzärtlichte Antike, das war das Biedermeier.

Vor allem sind es Gläser und Tassen, die in der Servante Unterschlupf und Ausstellung finden, und diese Gläser und Tassen sind denn nun in der Tat beredte Illustrationen zur Herzenschronik der Zeit. Immer wird eine Sehnsucht durch ihr Gegenspiel geweckt und verhäuslicht, immer muß Ferne da sein, um die Nähe traulicher zu machen. Man liebt die farbige Darstellung von Reiterkämpfen auf dem Frühstücksservice; Jagdszenen auf dem Glas, das der Servante anvertraut wird; nackte mythologische Schönheiten auf der Kaffeetasse. Wieder auf einem Glas wird eine Sonnenuhr abgebildet; eine andere Tasse darf die gefährlichen Spielkarten zeigen; auf dem faltigen weißen Porzellantuch des Briefbeschwerers liegt die Hand der Fanny Elßler mit Armband; Alexander I. in grüner Jägeruniform erscheint in transparenter Schmelzmalerei auf dem Ranftbecher, es mögen ihn aber auch der heilige Antonius, das Kruzifix betrachtend, oder schnäbelnde Vögel zwischen Blattornamenten, oder Chinesen in antik stilisierter Gewandung ablösen. Aufs Wesen angesehen, bleiben solche scheinbaren Gegensätzlichkeiten das gleiche: eine für den Hausgebrauch abgerichtete Sehnsucht, ein Traulichermachen des Heims durch das Befremdende. Auch fehlt es nicht an gutem Zuspruch: »Jeder Tropfen verlängere dein Leben«; »Nie eine trübe Minute«; » Quand ce Coq chantera mon amitié finira«. Es darf aber auch der Vossische Hexameter versichern, daß nichts so wünschenswert und erfreuend, als wenn Mann und Weib in herzlicher Liebe vereinigt, ruhig ihr Haus verwalten. Was der Kaiser Alexander und die mythologischen Schönheiten und die Chinesen im Bilde waren, das ist hier der Hexameter als solcher in sich. Er heroisiert die Gemütlichkeit.

Wie kaum eine andere, kannte diese Zeit das zärtlich einspinnende Gefühl.

Sehr bezeichnend dafür, wie Schleiermachers Braut (die Ehe sollte nachher andere Weisen lehren) sich ihre künftige Häuslichkeit ausmalte. In einem Zimmer sollten möglichst viele Bücher stehen, denn es sei so behaglich, darin herumzustöbern. Würde dann in der Dunkelstunde die Lampe angezündet, so würden die Kleinen auf seinem Schoß sitzen und er sie »spielend unterrichten«. Und wieder später, wenn die Kinder zu Bett geschickt wären, würden sie zu zweit allein sein und lieb und traulich plaudern. Es ist in anderer Hinsicht ebenso echtes Biedermeier, wenn in der Schleiermacherschen Behausung die denkbar schlechteste Stube zum Schlafzimmer gewählt wird. »Die Sache ist nämlich die, daß die Breite der Kammer nur wenige Zoll größer ist als die Länge einer ordentlichen Bettstelle.«

Von Humboldt erfährt man, was er in seine Ehe mitbringt: ein Dutzend recht hübsch gearbeitete Rohrstühle, ein Sofa aus Birnbaumholz, zwei niedliche Kommoden mit Marmorplatten, einen Schreibtisch und Betten; das ist das Wesentliche, und so schaut's, abgesehen von ihrer Mitgift, im Jahre 1791 bei ihm aus. Bei der Übersiedlung nach Wien im Jahre 1810 aber sind auch aus diesem Jakobsstab zwei Heere geworden, denn das Umzugsgut umfaßt nunmehr 26 Kisten mit einem Gesamtgewicht von 69 Zentnern, davon zirka 20 Zentner Wäsche, 10 Zentner Betten, 15 Zentner Bücher.

Schleiermachers sind (1819) bei Schwager Arndt zu Besuch, und man blickt in das Zimmer. Die Wände hängen, Börne berichtet's, voll alter Kurfürsten mit langen Perücken und den dazugehörigen Prinzessinnen. Auf dem Tisch, der auch etwas »Lämmermayerisch« aussieht, steht eine silberne Dose mit zwei Kammern und zwei Deckeln darauf, »damit es nicht hineinregnet«, mit zwei verschiedenen Salzsorten gefüllt. Charakterisierend fügt Börne hinzu: »Altdeutsch, bürgerlich.«

Bei Marwitz in Potsdam gewinnt man den Eindruck eines vornehmen Junggesellenquartiers. Drei Zimmer, das eine mit großscheibigen Fenstern, Paneelen, einer roten Tapete, um die eine Weingirlande läuft, zwei Tische, schwarz überzogenes Sofa, Spiegel mit goldenem Rahmen, Bett; von den beiden anderen Zimmern hat das eine eine hübsche grüne Tapete, »an der meine Augen sich von Zeit zu Zeit erholen«. So also das Junggesellenheim; der es aber bewohnte, war doch von besonderer Art; denn wichtiger als die Zimmer wird ihm die Aussicht aus den Fenstern. Und eben dieses Heim ist es, an dessen Schilderung sich die bedeutsamen Worte knüpfen: »Sehen Sie aus dieser Zimmerbeschreibung, wie ich leben muß.«

Die gute rote Stube bei Rahel hat »heut« besondres Aussehn, und das ist um so verwunderlicher, als man zunächst durchaus nicht ausmachen kann, warum dem »heut« irgendwelche auszeichnende Bedeutung zukommt. Aber ein zierlicher Tisch ist in die Mitte gerückt, zwei Sardellensalate, Schüsseln mit Pflaumen- und Artischockenkompott, alles in Symmetrie aufgestellt, deuten auf die kommenden Freuden, die dann in Suppe, »zitterndem« Rindfleisch mit Austernsauce, einem Hahn, einer Marktorte bestehen – und wenn auch sonst niemand daran gedacht hat, »Mama« hat eben nicht vergessen, daß just »heut« vor einem Jahr ihre Tochter Rose Hochzeit hielt, und das wird nun solcherart gefeiert. Es geschieht das in Rahels guter Stube, und weil es die ihre ist, fallen in die Schilderung der kleinen Festlichkeit bereits neckische Streiflichter der »neuen« in die »gute, alte« Zeit.

 

Wie immer man die Eingangs- und Ausgangsdaten einer Periode festlegen mag, Zeit bleibt stets: Übergang. Hier aber, in dieser Epoche der großen Umwälzungen und der zärtlichen Stille, macht sich das doppelt fühlbar – wie weite Empfindungsperspektiven öffnen sich, wenn man dem schlichten Briefsatz aus dem Jahre 1821 nachdenkt, den Gabriele von Bülow niederschreibt: »Sie wird von ihren Kindern ›du‹ genannt, den Vater nennen sie ›Sie‹«: also selbst zwischen dem Elternpaar etwas wie Scheidewand der Zeiten.

Es war aber die Epoche, die dem Menschen sein Staatskleid auszog und ihn höflich auf die Möglichkeit aufmerksam machte, daß es angängig sei, seinen Körper sauber zu halten. Bisher war es darum kläglich bestellt gewesen. Caroline v. Humboldt war damals die erste, die sich ein Badezimmer einrichtete; – kein Zweifel, daß sehr viele ihrer Zeitgenossinnen das als höchst überflüssig, als frivol und unkeusch empfanden. Es war aber der englische Einfluß, der sich in dieser Hinsicht damals bereits in Deutschland durchzusetzen begann.

Es war die Zeit, in der die Standesvorrechte abbröckelten, und es ist wie Symbol ihres revolutionären Aufbegehrens, daß sie den Mann seiner würdevollsten Zier, des Zopfes, beraubte. Friedrich v. Raumer und Kriegsrat von Schütz waren die ersten, die 1801 in Berlin solchen Kopfschmuck abtaten, und sie wurden für nicht wenig aufrührerisch deshalb verschrien; 1806/07 fiel dann die Mehrzahl der Zöpfe in Hof- und Bürgerkreisen, 1808 wurde der Zopf bei der preußischen Armee abgeschafft. Aber Wilhelm v. Humboldt, der seiner tief inneren Natur nach ein Zeitloser war, wehrte sich noch 1809 dagegen, und noch im Jahre 1823 bedeutete es ihm besondere Feier und ein liebes Auftauchen von Kindheitserinnerungen, sich in Weimar wieder einmal »mit dem großen Quast« pudern zu lassen, wie einst in Tegel, da man zu solcher Prozedur auf den Boden ging. Bettina aber hatte eines Tages, und schrieb darüber der Günderode, ihren ganz besonderen »Haarbeutel«-Traum.

Die Reaktion klammerte sich an den Zopf, und der Kurfürst von Hessen – Humboldt nennt ihn deshalb »göttlich« – sah bei seinem Wiedereinzug in Kassel einen Wachtmeister seiner Garde mit einem langen Zopf vorbeireiten und rief in tiefer Rührung aus: »Was für ein rechtschaffen attachierter Mensch, er hat seinen Zopf behalten!« Er führte denn auch den Zopf wieder ein und erteilte den Offizieren, die im Besitz echter Zöpfe waren, Zopfgratifikationen. Als er im Jahre 1821 starb, war das Zopfabschneiden erste befreiende Tat der neuen Regierung.

An Sonderlingen, die am Zopf festhielten, nicht weil sie Zeitlose, sondern gar so Zeitgebundene waren, fehlte es nicht. So der übelberüchtigte bayrische Minister Montgelas, den man neben dem jovial schlichten König im roten Galakleid mit langen seidenen Strümpfen und mit gepudertem Haare sah; so der König von Sachsen, der noch 1819 in seiner altväterischen Tracht mit Zopf und gepudert, die Hände in einem großen Muff vergraben, sich vom Schloß zur Messe zu begeben pflegte, Anführer eines gleichgespenstischen Zuges. Aber selbst auf einem Diner des Fürsten Hardenberg in Wien im Jahre 1814 waren noch neun gepuderte neben vier ungepuderten Zöpfen zu zählen, und als sich Grillparzer sehr gegen seinen Willen in Rom im Jahr 1819 einen italienischen Arzt ins Haus kommen ließ, erschien der in Perücke, Staatskleid und ellenlangen Manschetten, nicht anders, als ihn E. T. A. Hoffmann in der Figur seines Doktor Accoramboni ins Maskendasein scheuchte.

War aber der Zopf Symbol der zu Grabe getragenen Zeit gewesen, so kürte sich die aufbegehrende zu ihrem Wahrzeichen den Schnurrbart.

Es ist wirklich etwas daran, und politischer Umschwung sucht gern in der Kleidung Ausdruck. Rahel sah 1786 Mirabeau in Berlin, und er fiel ihr auf. Zwar trug er noch Hofkleidung, leicht gekraust gepudertes Toupet, Haarbeutel, Schuhe und Strümpfe, aber sein vornehmer Gesellschaftsrock neigte doch schon sehr »nach dem nachherigen englischen Anzug«.

Wie konnte es anders sein? Eine Zeit, die Mann gegen Mann als nahezu Gleichberechtigte stellte, ganz neue Verkehrsmöglichkeiten schuf, mußte ihm auch das Kleid geben, das ihn beweglicher machte und ihm für jede Lebenslage Ellbogenfreiheit sicherte.

In dieser Epoche erhält der Mann den Anzug (und zwar aus England), den er, aufs Wesentliche hin angesehn, noch heute trägt. Seide und Samt wichen Tuch und Leder. Die lange Hose kam auf, der Bürger trat sein Pflaster mit Stiefeln.

Aus dem Riding-coat der Engländer wird der lang- und breitschößige Überrock, zunächst mit rotem Kragen, zu Blau, er gewinnt um 1815 seinen endgültigen Schnitt. Das enge Trikotbeinkleid wird in den dreißiger und vierziger Jahren weit, zeigt nun Musterung und Streifen und ist jetzt aus Tuch gefertigt. Für Straße und Gesellschaft empfiehlt sich der Frack; die Weste, das einzige Kleidungsstück, in dessen Wahl noch individueller Geschmack zur Geltung kommen kann und in deren Ausschnitt sich das Jabot zeigt, wahrt seit den zwanziger Jahren die Giletform. So angezogen, ist auch der Adelige und Hofmann Bürger geworden.

Aber will der Bürger unter allen Umständen nur Bürger sein? Es gibt zu denken, daß die Röcke derart auf Taille geschnitten werden, daß, wer auf guten Sitz hält, wohl oder übel gezwungen ist, sich einzuschnüren. Die Zeit zwischen den Revolutionen – und das Korsett für Herren kommt auf.

Noch trägt die Jugend keine Mäntel, für den Mann aber werden sie zu einem Kleidungsstück, bei dessen Wahl man einige Wohlhabenheit bekunden kann. Zeitweise zeigte der blaue Mantel fünf Kragen übereinander, auch durfte er mit weißer Taftseide gefüttert sein.

Seit 1815 etwa bedeutet Nachlässigkeit in Kleidung und Haltung: Eleganz. Alexander von Sternberg erzählt mit Ingrimm, daß er einen Minister selbst gesehen habe, der Herrenbesuch, auf der Bergère liegend, die Beine in der Luft, eine Flasche Selterwasser zwischen den Knien, die Zigarre im Munde, zu empfangen pflegte. »Wenn Damen erschienen, war die Sache nicht viel besser.« Der absichtlichen Nachlässigkeit in der Kleidung entsprach die Wahl dunkler Töne. Durch Brummel, den berühmten Dandy, wurde Schwarz die bevorzugte Farbe. Und setzte sich durch. Seltsam aber und bezeichnend dafür, wie selbst Moderichtungen der Vorbereitung, man möchte sagen, einer Art Präludium bedürfen: als Ernst Moritz Arndt im Jahre 1798 in Wien weilte, fiel es ihm auf, daß die Stutzer alle, »dieses zahllose Schöpfenheer«, schwarz angetan dahintänzelten. Nicht minder charakteristisch auch, daß es später an Rückfällen ins Farbenfreudige nicht ganz gefehlt hat. Im Jahre 1829 gibt Felix Mendelssohn ein Konzert in London: »weiße, sehr lange Beinkleider, braune seidene Weste, schwarze Binde und blauer Frack.«

Ehrgeiz der Künstler wird es in dieser Zeit – Mendelssohn bildet darin klüglich eine Ausnahme – sich bereits durch den Anzug als Künstler zu dokumentieren, und wenn das wie Narretei anmutet, so ist es doch Narrentum aus einem ganz innerlichen, durchaus neuartigen, nur eben mißverstandenen Gebot heraus; denn eben jetzt begriff der Künstler seine unbürgerliche Sendung. In dem Paris der Künstlerquartiere führte das zu exzentrischen, den Bürger herausfordernden Kostümierungen, in Deutschland empfahl es die »teutsche Tracht«.

Man sieht Arnim und Brentano auf der Rheinfahrt: Arnim im weiten schlampigen Überrock, die Naht im Ärmel aufgetrennt, Ziegenhainer in der Hand, Mütze mit halbabgerissenem Futter; Brentano fein und elegant, rotes Mützchen auf den schwarzen Locken, dünnes Röhrchen, Tabaksbeutel. – Tiedge sitzt neben seiner Ladypatroneß auf dem Sofa, schmaucht aus einer sehr langen Pfeife und hat einen Schlafrock von wundersamem gelben Stoff mit großen roten Tulpen verziert an. (Seit 1830 wird das Rauchen »Mode«.)

Die eigentliche »teutsche« Tracht, halbweite Beinkleider und verschnürte Litewka, war aus dem Geist der Freiheitskriege heraus wiedergeboren worden, hatte in keinem Geringeren als Ernst Moritz Arndt ihren Fürsprecher gefunden, und war abermals Ausdruck politischen Wollens: vaterländisch und freiheitlich, hieß die Devise; man war in dem Maße rückwärtsgewandt, in dem man vorwärtsblickend zu sein wünschte, und kennzeichnete sich solcherart übermütig-freiwillig der Polizei. Spielerei gewiß, und dennoch war die »teutsche« Tracht auch Zeitsymptom. »Früh um 10 Uhr den 23. März kam in Mannheim ein Jüngling in altdeutscher Tracht an, der im Gasthofe zum Weinberg, wo er abtrat, sich den Namen Heinrichs beilegte und Mitau als seine Heimat angab. Er fragte sogleich mit Eifer nach der Wohnung des Predigers Karbach, mit dem er bekannt zu sein vorgab, und hinterher scheinbarlich gleichgültig nach der des Staatsrats von Kotzebue.« Dieser Jüngling in altdeutscher Tracht hieß: Sand.

Letztes Kennzeichen der Mode dieser Zeit ist vielleicht die Modelosigkeit der vielen. Theoretisch hatte der Nivellierungsprozeß eingesetzt, fehlte nur noch die praktische Nivellierung durch die Großbetriebe der Konfektion, obgleich auch deren erste Anfänge (wenigstens für Frauenkleidung) auf die große Revolution zurückreichen. Man sehe sich doch die Kostümbildchen von Görres und Schleiermacher an, die Börne zeichnet: Görres im bestaubten, altdeutschen Rock ohne Weste, die nackte Brust durchs offene Hemd zeigend, dazu zerrissene Stiefel; Schleiermacher mit schwarzen, langen Hosen, ein altes tuchenes Mützchen auf dem Kopfe, – auch sie Wanderer in die Zeitlosigkeit hinein.

Schwerer deutbar erscheint das Modegebot für die Frau. Und das versteht man. Denn diese Zeit, die den Mann ins Leben hinaussandte, fesselte die Frau enger an ihre Häuslichkeit und suchte in solchem Gegensatz ihren eigenen, seelischen Ausdruck.

Immerhin ist es charakteristisch, daß mit Eingang des 19. Jahrhunderts der hohe Haaraufbau lang niederfallenden Locken weicht, als hätte die gesellschaftliche Stellung von nun an wenig, der Wunsch, Geliebte und Mutter zu sein, alles zu bedeuten. Seit dem Jahre 1806 werden dann die Haare eng um den Kopf gelegt, das Netz und die Stirnlöckchen kommen auf. Auch die Perücken, sogar im betonten Farbenwechsel, setzen sich wieder durch, nur sind das Modekeckheiten, von denen das deutsche Bürgertum kaum berührt wurde. Die deutsche Frau trug glatten Scheitel, die Haare im Nacken hoch oder niedrig aufgesteckt; die halblangen Locken zu beiden Seiten des Gesichts, die viele Bildnisse zeigen, kommen etwa 1834 auf. Einigermaßen spielt auch die Politik in die Haartracht der Frauen hinein; Treitschke weiß von einer Pariser Haartour, die den Namen » Chemin de Mayence« führte.

Die Schute ist die ganze Epoche hindurch der eigentliche Hut der Frau; sie kommt etwa um 1797 zur Geltung und behauptet sich bis in die vierziger Jahre. Neben ihr tauchen Barett- und Zylinderformen auf, kehren wieder, um sich seltener zu zeigen und wieder unterzutauchen. Eine Zeitlang war der Turban sehr beliebt, und Alexander von Sternberg weiß von einem gealterten Hoffräulein zu erzählen, die im violett-samtenen Turban prangte, ein Gnadengeschenk Seiner Hoheit des Herzogs August von Gotha, das er – aus seinen abgelegten Hosen hatte fertigen lassen, ohne daß die Beschenkte je etwas von der Herkunft ihres Kopfschmucks erfahren hätte.

Nur eben die Angehörigen der führenden Stände trugen Hüte, die Dienenden begnügten sich mit der Haube; das blieb auch zwischen den Revolutionen strenge Scheidungslinie; inmitten der Frauenwelt wahrte Autorität überhaupt noch lange ihre Geltung. Häubchen und Haube waren aber auch seit Jahrhundertbeginn Haustracht der Frauen und jungen Mädchen, und es ist, als wäre auch darin dieser Zug der Zeit, den mütterlichen und hausmütterlichen Charakter der Frau zu betonen, zum Ausdruck gelangt.

Das Tragen von Schmuck, Armbändern, langen Ohrringen, Ringen, auch über den Handschuhen, kam auf. Ein kleines Juwel, an dünnem Goldkettchen über der Stirn getragen, gibt dem Damenbildnis der Zeit etwas von priesterlicher Weihe.

Rahel hat das Kostümbild einer Kriegsratswitwe aus dem Jahre 1794 gezeichnet: sie trägt weißatlaßnen Rock, der ein Florfalbala hat, das den Rock nahezu deckt, und eine karmoisintuchene Levite; »ein schwarzer Florhut von agreabler Fasson, worauf eine weiße Astergirlande residiert, bemüht sich umsonst, eine großquastige Frisur zu bedecken.« Die ehrbaren Wienerinnen des Jahres 1798 erblickt Arndt in Rock und Schürze, mit einem feinen Kamisölchen und einer Mütze auf dem Kopf, deren Spiegel fast aus purem Golde besteht. Die Kleider aus Seide oder feinsten baumwollenen Stoffen, auch die Schuhe reich mit Gold und Silber gestickt. Eine Tracht, vielfach kleidsamer nach Arndts Sinn, als die antikisierende Gewandung der Damen.

In die Frauenmode trug die Revolution den Kattun und die gemusterte Baumwolle hinein.

Kennzeichnend für die gesamte Zeit bleibt in Frauenhaltung und Frauentracht das Vordrängen des Busens, ganz so, wie die Renaissance den Leib betont hatte, wie die Jetztzeit einen knabenhaften Charakter hervorzukehren liebt. Die sehr weibliche Frau, das Mutterschaft vorahnende Mädchen, die dienende Geliebte –: an einem Frauenideal entschwundener Jahrhunderte und annoch festgewurzelter Autorität sucht man inmitten der Erschütterungen einer unverstandenen Gegenwart den letzten Halt. Die Zeit der Großväter ist recht eigentlich die Zeit der zu Idolen erhobenen Großmütter.

Die kurze Taille, in der man vollbusig die Königin Luise abgebildet sieht, war etwa um 1794 aus England herübergekommen, und englisch war auch in seinen Ursprüngen das tiefdekolletierte und ärmellose Hemdenkleid. Bis zum Jahre 1804 etwa wies es die lange Schleppe auf. Um 1800 wird der Rock geteilt, es kommt auch die Tunika auf. Zu gleicher Zeit gibt Rahel einen Modebericht, der die schwarzen Krepproben mit ungeheuren Schleppen, dazu viel schwarzem Krepp auf dem Kopf, schwarze Strümpfe und Schuhe ohne Spitzen empfiehlt. 1805 tritt die neue Taille mit Puffärmeln – in der sich die Romantik auf sich selbst besinnt – zutage, der Rock wird kürzer, nach 1810 sogar knöchelfrei. Um diese Zeit beobachtet Rahel, die, selber schlecht angezogen, leidenschaftliche Vorliebe für kleidsame Trachten hegte, daß die gleichmachende Mode bis in die verstecktesten Örter vorgedrungen sei und die Kleinstädter und Kleinstädterinnen in den großen Reigen mit einbezogen habe. Das Jahr 1820 endlich notiert die Verlängerung der Taille, das Jahr 1822 das Weitwerden der Ärmel. Eine modische Farbenzusammenstellung verrät abermals Rahel, und zwar diesmal (1817) für ihre eigene Person: strohgelber Überrock mit blauen Bändchen, blauem Hut mit strohgelbem Band drunter gebunden, Stehkragen von Blonden-Tüll, dazu den neu erstandenen weißen, langen, englischen Schal. Der Schal war es, der recht eigentlich die Dame ausmachte; er ersetzte den Mantel. Man berechnete den Kaschmirschal, den eine gutbürgerliche französische Braut zur Aussteuer mitbekam, auf 875 Thlr. – der der Rahel hatte aber »nur« 57 Gulden gekostet, der Gulden zu 14 Gr.

Im Jahre 1822 blickt E. T. A. Hoffmann, in den Krankenstuhl gebannt und schmerzgekrümmt, aus »Vetters Eckfenster« auf den Gendarmenmarkt. Die »rabiate Berliner Hausfrau« trägt einen formverschmähenden Hut mit bunten Federn, gelbkattunenes Kleid mit Florbesatz und kurzem seidenen Überwurf und ziemlich honettem Schal, Schnürstiefel und blaugraue Strümpfe. Nicht weit von ihr das »leichtsinnige Kind der Verderbnis«, funkelnagelneuen Überrock von rosarotem Seidenzeug, der Schleier um den modischen Hut mit Spitzen besetzt, die nicht eben zarten Hände sind in weiße Glacéhandschuhe gepreßt.

Etwa um die nämliche Zeit macht Börne eine charakteristische Beobachtung. Er kommt nach Stuttgart, und es fällt ihm auf, daß das zehnte Frauenzimmer wenigstens in Trauer geht. Er rät auf Pest, doch ist's nur Modeeitelkeit. Weil schwarz sie kleidet, trauern die jungen Damen um entfernteste Verwandte.

Aus ebendemselben Jahrzehnt stammen wohl auch die » Toilettes parlantes«, von denen Alexander v. Sternberg erzählt. Er lernt sie am Weimarer Hofe kennen, und Ottilie v. Goethe soll ihre Erfinderin gewesen sein. Die Farbe des Kleides hat für den Eingeweihten Bedeutung, die Blumen, die man anlegt, bergen für den Tänzer ein Versprechen oder Versagen; in den Haaren der Geliebten ist die Antwort auf ein noch unerwidertes Billetdoux.

Wie das Schwarz in Stuttgart um 1820, so wird Weiß zehn Jahre später für die gesamte modische Welt die herrschende Farbe. Das Weiß der Unschuld? Wohl mag man es so nennen. Denn man spürt den Zusammenhang heraus, wenn es um dieselbe Zeit für Damen, zumal für junge Mädchen, schicklich wird, möglichst wenig zu essen. Börne prägt dazu den ironischen kategorischen Imperativ: »Esse nicht zu viel, liebe Tochter. Ein gesittetes Frauenzimmer soll nie Hunger zeigen. Dem Manne ist Essen ein sinnliches, dem Weibe darf es nur ein ästhetisches Vergnügen sein. Lache nicht, lächle; esse nicht, essele!«

Wieder zehn Jahre später (um 1840), und die Dame hat den Reifrock an.

Wie aber immer die Gegensätze hart aufeinanderdrängen: eben jene Jahre, die die Frau weiß anzogen, sie von den Speisen nur nippen ließen, brachten die Mode des Damenreitens auf.

Nicht ohne Einfluß war die »arme Zeit« auf die Frauenmoden geblieben. Prinzessinnen und Hofdamen trugen Sommer und Winter Kleider aus Perkal. Das Staatskleid der Mutter der Fürstin Bismarck war aus rotem Kattun, mit gelbseidener Litze besetzt, gewesen. »Für Kattun gab ich Seide.«

Wesentlich erscheint: in dieser Zeit erwacht das, was man das Stilgefühl in der Mode nennen möchte. Börne schreibt: »Jede Versammlung von Frauenzimmern hat ihre Tonleiter, man kann nach Gefallen hoch oder niedrig auf derselben stehen, man kann einfach oder glänzend gekleidet sein, man kann aber, ohne Mißklang zu erregen, nicht in einer anderen Tonart auftreten: man darf kein Mollkleid anhaben, wenn die übrigen in Dur dasitzen.« Und Dorothea Schlegel bekundet das feine Empfinden, daß es für eine Frau über vierzig gleichgültig sei, was sie anlege, nur müsse sie sich vor allem Jugendlichen hüten, ihr Tun und Lassen müsse Ruhe atmen; jedes Gefallenwollen wirke lächerlich.

Bemerkenswert wird ein Unterschied zwischen Berlin und Wien zugunsten der Donaustadt. Zelter fallen bei seiner Wiener Reise 1819 die vielen schönen Frauen auf. »Höchster Anstand, auch bei Verdächtigen.« Und Glaßbrenner notiert, durch die Wiener Gassen schlendernd, die Damen in den Wagen seien wie zum Ball geschmückt; Blumen und Federn wiegen sich auf ihren Köpfen, Brillanten funkeln an den weißen Nacken, und um die losen leichten Kleider schlingt sich ein kostbarer Schal.

Es sind aber nunmehr nicht die Frauen in den Wagen, die für die Zeitstimmung entscheiden, sondern jene anderen an Wäscheschrank und Kochherd und – in den Sternen.

 

Lebendiges Kleid der Zeit ist recht eigentlich der Ausdruck im Antlitz des Menschen. Philipp Otto Runge gibt das Bildnis seiner Eltern: Wie sehr hat das Leben die beiden, den Mann und die Frau, hart gemacht! Das ist der Bürgerstand, der sich in Sorgen durchkämpft, dem Ehrbarkeit höchste Pflicht bedeutet und die eigentümlich protestantische Würde verleiht. Hände, die nicht greifen, sondern halten; Augen, für die es keine Ferne, sondern nur eben die Frage gilt, ob du rechtschaffen bist. Und wenn Julius Oldach seine Eltern malt, blickt der Vater ganz so drein, und nur auf den Augenlidern der Mutter ruht etwas von der Sehnsucht nach vergangener Jugend. Aber auch die »Bildnisgruppe« von Peter Schwingen wahrt die gleiche protestantische Würde, und es darf einem bange sein um den Knaben zwischen diesem Mann und dieser Frau, und wenn das deutsche Bürgertum, wie es sich auf diesen Bildern gibt, nach Freiheit fragen sollte, – gewähren wird es sie sicher nicht.

Man findet Männerbildnisse, auf denen diese bürgerliche Rechtschaffenheit bis ins Mönchische gesteigert ist, zugleich aber bedeutet die Steigerung eine Milderung; denn nun ist den Augen Fernblick gegeben und wahre Religiosität vermittelt: so malt J. A. Ramboux die Gebrüder Eberhard, so etwa, nur zärtlicher, nur echter Ferne zugekehrt, das Bildnis des Dr. C. Groß, das Franz Eybl auf der Leinwand festhält; wenn Philipp Veit im Doppelbildnis von Joh. Veit und Overbeck den ausgesprochen katholischen Seelenausdruck sucht, so scheint der, zum mindesten hier, dem Luthertum an innerer Freiheit überlegen zu sein.

Mitglieder des Hamburger Künstlervereins malt G. Gensler, und indem nur ein flüchtiger Blick diese Gruppe streift, sagt man sich, wie sehr deutsch alle diese Männer sind. Sie brauchen es nicht in der Tracht zu betonen, sie sind's als Mutterkinder deutscher Frauen. Man könnte sie sich auch schwerlich unverheiratet denken, sie werden allesamt gute Familienväter sein. Ist hier Auflehnung gegen das Bürgertum – was man durchaus nicht behaupten möchte –, so wäre es nur die Auflehnung in ein zärtlicheres Bürgertum hinein.

Die Wirkung der Musik auf den Menschen der Zeit malt J. Danhauser in seinem bekannten Bild »Liszt am Klavier«. Liszt spielt, und sein Spiel ist Aufblick. Es fällt aber auf, wie unter den Zuhörenden der gemeinsame Kunstgenuß zu Freundschaft drängt. Der im Vordergrund streckt den Arm nach dem neben ihm Sitzenden aus, die im Hintergrund lehnen sich aneinander. Und während es nun den Anschein gewinnt, als ob die Frau durch die einströmende Musik fromm-nachdenklich, in sich gekehrter würde, macht sie den Mann im Lehnsessel vorn weiblich, löst sie ihm die Glieder. Moritz von Schwind gibt sein Bild »Auf der Brücke«. Vielfältige Gestalten, im Verweilen, im Hin- und Herüber, und doch aufs Seelische angesehen nur eine: die Tugend. Zu Tugendfreudigen sind hier die noch eben starr Ehrbaren geworden, und damit tritt das Ideal neben die Wirklichkeit des Tages. Die Tugend zieht es ins wärmende Heim, oder die Tugend treibt es in die romantische Ferne, gleichviel, sie wird sich und ihrem guten Deutschtum allerorten Ehre machen.

J. Danhauser malt in Karl und Auguste von Littrow ein junges Ehepaar, und indem man das betrachtet, sagt man sich: es gibt keine Leidenschaft! Die beiden gehören sehr eng zueinander, aber es ist eine gemeinsame Ferne, die sie vermählt. Das Bild scheint über das Wesen der Zeit viel mehr auszusagen, als in dem Schicksal zweier Einzelwesen beschlossen sein könnte. Es gibt keine Leidenschaft! Was durchaus nicht ausschließt, vielmehr dazu beiträgt, daß es reichen Kindersegen gibt. In ganz eigener Weise heiligt diese Zeit zwischen den Revolutionen die Ehe.

In der Königin Luise malt sie sich ihr Frauenideal. Bei Tischbein mutet Luise noch kindhaft an; aber man beachte auf dem bekannten Gemälde von Jos. Grassi den Gegensatz des voll und versprechend entwickelten Busens zu dem ganz unschuldigen Mund, während es sich auf dem Bild von G. v. Kügelgen bewußt aufdrängt, wie bürgerlich diese mit der Krone Geschmückte doch ist. Und damit ist wirklich Wesentliches des »lebendigen Kleides« erschlossen. – Philipp Veit gibt das Bildnis der Freifrau von Bernus. Blieb sie, die ebendiesen kindhaften Mund aufweist wie die Königin Luise, in der Ehe Mädchen? Es gibt keine Leidenschaft, es gibt nunmehr für Frauen auch kein Hochgestelltsein. Man möchte schreiben, Freifrau von Bernus oder das Veilchen.

Zeigt Karl Begas der Ältere im »Familienbild« die Mutter zwischen Töchtern, sind die Augen der jungen Mädchen fromm aufgeschlagen, die der Mutter auf das Buch gesenkt, so weiß man, ohne das Buch zu kennen, welcher Art es ist: erbaulichen Inhalts. Aber darüber hinaus: Franz Krüger malt die Fürstin von Liegnitz auf dem Pferde, und selbst dies Pferd ist »fromm«. Es könnte sich dem Löwen in Dürers Hieronymus im Gehäuse gesellen; nur daß es adlig geblieben, die Fürstin von Liegnitz aber, trotz Reitkleides und Reitzylinders, aufs Seelische hin angesehn, verbürgerlicht ist.

Franz Krüger gibt ein Mädchenbildnis im Schmuck der zu Ohrenschnecken geflochtenen Zöpfe, und sie ist kindhaft, und in ihren Augen ist wache Frömmigkeit und klaräugige Unschuld. Schwind zeichnet das junge Mädchen in »Morgenstunde« nur vom Rücken aus, aber es ist ein Duft von frischer Wäsche und nicht nur ein Hauch, nein, ein erfrischender Luftzug von Unschuld um sie; auch etwas von der Unschuld, die in der Ehe bleibt. Von den beiden jungen Mädchen, die Bernhard Rausch malt, hat wieder die eine den Blick in die Ferne; aber diese Ferne ist doch nur wieder bürgerliche, gottwohlgefällige Häuslichkeit, in der es denn freilich nicht an Musik fehlen darf. Und damit steht man unmittelbar vor Jul. Louis Ashers Bildnis von Jenny Lind: Hausmütterlichkeit und Musik sind eins geworden.

E. Engert malt den Wiener Vorstadtgarten, und die anmutige Frau, die da zwischen Rabatten und Stauden in ihrem Häubchen sitzt, hat den Strickstrumpf in Händen, die aufgeschlagene Bibel auf dem Schoß. Das bürgerliche Ideal ist damit gleichsam in seinen äußeren Attributen festgehalten. Es gibt keine Leidenschaft, aber es gibt den Strickstrumpf. Der Strickstrumpf wird, Tiecks bösem Spottvers gemäß, sogar während der ehelichen Umarmung in Tätigkeit gesetzt. Der Strickstrumpf beeinträchtigt die Versenkung in die Bibel nicht. In Waldmüllers »Tante« erkennt man, wie es um solche Frau in späteren Lebensjahren bestellt ist. Die Pflicht hat ihr den Nacken gesteift. Wenn diese bürgerlichen und gealterten Frauen, was selten geschieht, einmal lächeln, so ist das kein Zeichen für Fröhlichkeit, vielmehr halten sie es alsdann für ihre Pflicht, zu bekunden, daß sie gütig sind.

Es gibt keine Leidenschaft, es gibt nur Pflicht. Das ist das letzte, was all diese Menschenantlitze auszusagen haben. In dieser Pflicht werden die Hochgestellten bürgerlich, die Bürgerlichen gewinnen an ihr den steifen Nacken. Aber indem diese Zeit den Frauen die Leidenschaft nimmt, macht sie ihre Hingabe (versteht sich, in der Ehe) zu einem unnennbar süßen Versprechen. Diese Zeit zwischen den Revolutionen verbürgerlicht die Pflicht und romantisiert die Unschuld.


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