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Der Hofrat und die Tänzerin

Aus dem dunklen Gewirr der vielen lösen sich zwei Gestalten; – sie scheinen einander zu flüchtiger Begegnung zu nahen, bald aber haftet Blick in Blick, sie halten sich bei der Hand, sie schweben eng umschlungen dahin. Es ist, als ertönte Musik. Und wenn es noch eben schien, als sei es eine der fröhlichen und zarten Weisen der Zeit gewesen, nach der die beiden zum Reigen angetreten sind, so wandeln sich bald genug die Klänge – noch halten sie einander fest im Arm – aus der Tanzmelodie aber ist Grabgesang geworden.

Friedrich von Gentz und Fanny Elßler. Die etwas gebeugte Gestalt des nunmehr fünfundsechzigjährigen, verzärtelten Hofrats und die in schlanker Fülle aufblühende achtzehnjährige Tänzerin; verwöhnte Günstlinge des Glücks und des Tages beide; wie bewegter und hellschimmernder Hintergrund – das Wien der Feste.

Nichts scheinen die beiden mit den vielen ihrer Zeit gemein zu haben. Eine ungewöhnliche Begabung räumt ihm wie ihr eine Sonderstellung ein. Was andern Mühe ist, wird ihnen zu Spiel. Was andern verboten ist, scheint ihnen erlaubt. Indem sie aber einander nahen, ist es, als folgten sie einem Lockruf der Zeit; indem sie in Liebe aneinander festhalten, dünkt ihr Bund ein Symbol geheimer Zeitstimmung; indem er sich aus ihren Armen löst, um zu sterben, scheint er ein letztes Gebot der Epoche, und wie sie es verstanden haben wollte, zu erhorchen.

Friedrich von Gentz und Fanny Elßler. Man vergegenwärtigt ein Liebesspiel und vermag die Musikalität der Zeit in ihrem seelischen Tiefklang zu vernehmen; man sieht dem Sterben eines ans Leben Verstrickten zu und begreift, wie Tod ans Leben, in bestimmter Epoche in bestimmter Weise, gebunden ist.

Am 25. November des Jahres 1829 scheint der allezeit unruhige Blick von Gentz zum ersten Male auf Fanny Elßler haftengeblieben zu sein. Er schreibt bald darauf in sein Tagebuch: »Um 7 Uhr mit der Gräfin Gallenberg ins Theater: das Ballett ›Der Berggeist‹, wo mich Fanny Esler (noch weiß er ihren Namen nicht zu schreiben!) wahrhaft entzückte. Doch hielt ich es nur bis 9 Uhr aus und brachte dann noch zwei Stunden mit Lesen zu.« Ähnliche Eintragungen wiederholen sich, denn nun zieht es ihn zu ihr, oder doch zu ihrer Bühnenerscheinung. In der Loge sitzt fürderhin ein Gast, der das Spiel verachtet, von einer der Spielenden aber nicht mehr los kann.

Seltsamerweise folgt in dem Tagebuch nur wenige Seiten darauf, zum Monatsabschluß, eine Betrachtung, die mit Rampenlicht und Fanny Elßler, mit Puderquaste und Reifrock, nicht das mindeste zu tun zu haben scheint und dennoch das Leitmotiv der seelischen Ouvertüre anschlägt. Es heißt da: »Meine Gesundheit war unbezweifelt besser, als seit vielen Jahren. Aber mein gutes Aussehen und meine Verjüngung war nur eine Stimme; und wenn gleich in der Lebhaftigkeit, mit welcher ich mich ganz von neuem in gesellschaftliche Vergnügungen und Weiberumgang geworfen hatte, etwas von Betäubung lag und schwere Sorgen sich unter meine täglichen Genüsse mischten, so darf ich doch sagen, daß der Gedanke an die Kürze des Lebens unter allen diesen Sorgen die größte war.« Immer hatte der Hofrat mit dem Tode in denkbar schlechtesten Beziehungen gestanden.

Mit Geschenken nähert sich der Fünfundsechzigjährige der jungen Tänzerin, aber als er sie das erstemal außerhalb der Bühne sieht, überschauert's ihn doch: in der Nähe macht sie nur den Eindruck eines »gewöhnlichen hübschen Bürgermädchens«. Aber die Rampenbeleuchtung kommt auch wieder zu ihrem Recht. Den ersten Geschenken folgen kostbarere, ein Blick, den sie ihm von der Bühne herab zuwirft, wird zum Ereignis, er geht wieder ins Theater, ihn wieder aufzufangen. Seine »phantastische Geliebte« nennt er sie, nicht ohne bittere Selbsteinschätzung, aber es ist bereits wie ein Rufen, beinahe aus Herzensnot: »Sie blieb mir ein verschlossenes Buch; ob eine schöne Statue – oder eine Seele darin? – noch weiß ich es nicht.«

Er wird es wissen; denn am 10. April 1830 folgt das Gespräch mit Fanny, das »eine Epoche« ist. Zwei Tage später macht sie ihm ihr erstes Geschenk, eine Brieftasche. Etwas wie Ernüchterung überkommt ihn noch einmal, am 29. April ist's ihm, als hätte er Fanny nie geliebt. Ein Atemschöpfen. Unter dem 9. Mai wird notiert: »Vertrauliche Unterredung und Liebesdienst, der meine ganze Seele aufheitert.« Am 24.: »Von 9 bis 11 brachte ich zwei reizende, aber höchst gefährliche Stunden mit Fanny zu«; am 29. ist sie die seine.

Jubelnder ist Sinnenglück kaum je empfunden worden. Dieser Erlebende wurde sich selbst zum Wunder. Dieser Gealterte badete Jugend. Dieser Ernüchterte schwelgte Gefühl. Jeder dieser Tagebuchsätze läutet Stunden der Seligkeit: »Von halb 8 bis halb 11 war ich bei Fanny, schwelgte in ihren Reizen, kam todmüde von einem äußerst bewegten Tage nach Hause.« »Bei Fanny, mit der ich einen himmlischen Abend verlebt. Wenn solche Seligkeit von Dauer sein könnte! Das war der Gedanke, den dieser Abend, in verwegene Worte übersetzt, in mir hervorrief.« Es steht aber auch unmittelbar daneben das Bekenntnis der »Herbstgefühle« in seiner Brust.

Dennoch: Diesen Wonnen ist Dauer gegeben. Unter dem 13. August: »Einer der merkwürdigsten und seligsten Abende.« Weiterhin: »Einer der Abende, die ich mit nichts auf Erden mehr vergleichen kann.« »Einer der Abende, die ich mit goldenen Buchstaben in meine Lebensgeschichte schreiben möchte.« »Es war einer der Abende, deren himmlische Süßigkeit sich durch die trockenen Worte eines Tagebuchs nicht schildern läßt.« (Mit roter Tinte:) »Dieser Abend, der um halb zwölf Uhr endigte, kann nur mit rosenfarbenen Zügen bezeichnet werden.«

Es kam auch vor, daß der Vielbeschäftigte seine Arbeit mit zu Fanny hinübernahm und bei ihr schrieb. So bahnt sich ein anderes, ein »häusliches« Glück sehr frühe zwischen den beiden an.

Der Winter des Jahres 1830 wie der des folgenden sollte Trennung von etwa je zwei Monaten herbeiführen. Fanny Elßler hatte Gastspielverpflichtungen in Berlin nachzukommen, die Sehnsucht schürte die Liebe.

Unter dem 11. Januar 1831 aber steht bereits ein Satz in dem Tagebuch, der wie Vorverkündigung des einbrechenden Dunkels ist: »Den Abend brachte ich bei Fanny zu, an Geist und Körper so matt, daß selbst die Liebkosungen des herrlichen Mädchens mich nicht erwecken konnten. Dies war ein höchst trauriger Tag.« Ein andermal heißt es: »Begab mich zu Fanny, wo ich in bittersüßen Gefühlen einen der genußreichen Abende verlebt, den wir (in unserer Kunstsprache) ›Studierabend‹ nennen; es war der dritte dieser Art; aber im Becher der Liebe surgit amari aliquid quod in ipsis floribus angat (es steigt aus dem Quell des Vergnügens ein bitterer Geschmack herauf, der unter den Blumen uns ängstiget: so übersetzt Gentz selbst den Vers des Lukrez). Aus mir, aus mir allein erhebt sich dieser bittre Zusatz. Ihr, der Geliebten, gebührt unbeschränkter Dank und Ruhm; ein Engel könnte nicht mehr für mich tun.« Weiterhin hört man gelegentlich, daß »ihre bewundernswürdige Schönheit und Liebenswürdigkeit« ihn »ebenso sehr peinigte als entzückte«.

Der Tod wirft seine Schatten vorauf. Das Tagebuch weiß nichts mehr von Beglückungen zu melden. Mit dem Jahresabschluß 1831 bricht es ab. Am 9. Juni 1832 ist Gentz gestorben.

In seiner letzten langen Krankheit hat ihn Fanny Elßler mit Aufopferung und in Treue gepflegt. Sie war dem Sterbenden nahe. Sechs Wochen vor seinem Tode aber soll Gentz zu dem Grafen Münch gesagt haben: »Das gute Kind gibt sich alle Mühe; sie trachtet mich aufzuheitern, aber alles ist umsonst; hier (auf sein Herz deutend) ist ihr Bild erstorben.«

Ist das Wort wirklich und solcher Art gesprochen worden, so bedarf es der Deutung. Die aber weist ins Weite und hinauf.

 

Fanny Elßler, die Théophile Gautier eine nordische Spanierin genannt hat, war unter einem Stern am Erdenhorizont geboren, der Haydn hieß. Großvater Elßler war treuer Diener bei dem Komponisten gewesen, – das hatte sich bei Kind und Kindeskindern in ein seelisches Zugehörigkeitsgefühl umgesetzt. Die Neunzehnjährige, Wiener Kind und Tochter einer auffallend schönen Mutter, hatte Lehrjahre in Italien hinter sich, als sie Friedrich von Gentz begegnete.

Als sie ihn kennenlernte, nannte sie bereits ein Kind aus einem früheren Liebesverhältnis ihr eigen. Nicht allzu lange nach seinem Tode spannen sich Bande zwischen ihr und einem Tänzer an, die sie neuer Mutterschaft entgegenführten.

Briefe schrieb sie an Gentz folgender Art: »Das Küssen erspare ich mir bis heute abend. Da will ich Dich aber so küssen, daß ich Deine Seele mit hinabtrinke, bis dahin adieu«; oder: » Bon jour, cher Gentz, tu es bien étonner, que je t'écriez en français, n'est ce pas? tu voir comme je suive tes conseilles ... adieu, lieber Gentz, ich küsse Dich deutsch und bleibe Deine deutsche Fanny.«

Was will das alles besagen? Kaum mehr als nichts. Als sie einander begegneten, schlug ihr wie ihm die Schicksalsstunde.

Beseelte Schönheit war ihr, wie wenigen Auserkorenen, verliehen. Es scheint, sie war ihm treu. In ihrem Herzen – und das ist es doch wohl, was entscheidet – war sie's gewiß.

Das Rätsel dieser Liebe ist nicht in ihr, in ihm ist es zu suchen. Sie fand bei ihm, wessen sie bedurfte, die weichen Hände.

Friedrich von Gentz aber ist auch denen, die ihn nahe kannten, nicht eben durchsichtig erschienen. Ja, man kann sagen: er rätselte an sich selbst.

In der Geschichte lebt Friedrich von Gentz als das gefügige Werkzeug der Metternichschen Politik fort. Er war es. Dazu einer, dessen Alter politisch seine Mannesjahre Lügen strafte. Aber, fügen wir aus eigener Urteilsbildung hinzu: ein beflissener Helfer, der seinen Meister mehr als einmal meisterte; ein Sophist, der seine Trugschlüsse in wahrheitskühler, in kristallklarer Stilgebung niederschrieb.

Es ist nicht einmal aufgeklärt worden, ob und wieweit englischer Sold, in dem er heimlich stand, seine politische Stellungnahme beeinflußt habe. Sehr wahrscheinlich, daß er mit dem Grafen Mirabeau von sich hätte sagen können: » On m'achète, mais je ne me vends pas.« Den dazu erforderlichen Zynismus besaß er.

Vielleicht muß man das Geburtshaus von Gentz gesehen haben, um wenigstens einen Teil seiner Wesenheit zu verstehen. Das findet sich in der Breslauer Altstadt und düstert in enger Straße. Es ist ein alter Bau, der Eingang weist noch gotische Gewölbeformen auf. Es lastet. Halb scheint es Zwingburg, halb Karawanserei.

Es ist, als wären zwei einander widerstrebende Kräfte von diesem dunklen, altertümlichen und schweren Gebäude auf den Heranwachsenden und sehr begabten Knaben ausgegangen: die eine, die zum Festhalten am Altgewohnten und an Vätersitte zwang, die andre, die im Widerspruch zu solcher Düsternis und Strenge zu durstigen und hastigen Lebensgenüssen lockte. So wenigstens möchte man an dem Wesen dieses Friedrich von Gentz, den nicht liebzugewinnen, schwer fällt, deuteln. Dieser starr Rückwärtsgewandte, der ein Sinnenmensch und ein Zärtling war; der den Kriegen kühl entgegensah, und den die Todesfurcht hetzte.

Es war ein für die Gentzische Politik folgenschwerer Tag, dieser 3. August des Jahres 1830, an dem die Nachricht von der Julirevolution in Paris bei Metternich und Gentz, der bei ihm weilte, eintraf. Für Gentz dennoch ein glücklicher Tag; denn er hatte gute Nachricht von seiner Fanny, von der er eben getrennt war, erhalten! Am Abend noch schrieb er an die Geliebte und erzählte von dem Verlauf der Stunden: »Das Gespräch fiel auf menschliche Charaktere. Der Fürst (Metternich) neckte mich eine Zeitlang freundlich und zart und meinte endlich, es sei sehr schade, daß ich nicht eine Frau geworden wäre. Er zählte nun alle Eigenschaften auf, die mich, wie er sagte, zu einer Frau bestimmt hätten, nämlich – mein zartes Nervensystem – meine empfindliche Haut – mein weiches Gemüt – meine sanfte Stimme – und meine unbegrenzte Koketterie! Du kannst Dir leicht denken, daß ich mich unter vielem Spaß und Gelächter meiner Haut wehrte, so gut ich konnte. Er ließ mich aber nicht zu Worte kommen, indem er wiederholt versicherte, ich würde eins der liebenswürdigsten Weiber geworden sein.«

Setzte sich Gentz dagegen zur Wehr, so hatte er offenbar (was ja auch weiter nicht verwunderlich) vergessen, was er selbst siebenundzwanzig Jahre zuvor, also im Jahre 1803, an Rahel geschrieben hatte. Nämlich: – »Sie sind ein unendlich produzierendes, ich ein unendlich empfangendes Wesen; Sie sind ein großer Mann, ich bin das erste aller Weiber, die je gelebt haben. Das weiß ich: wäre ich ein physisches Weib geworden, ich hätte den Erdkreis unter meine Füße gebracht.«

Daran ist festzuhalten: es war ein ausgesprochen weiblicher Zug in Gentz. Und vielleicht errät man ein Wesentliches aus dieser Liebe des Fünfundsechzigjährigen zu dieser Frau von zwanzig Sommern, wenn man das Vorwiegen eines männlichen Elements in ihr wittert. Es sind immer und in jedem Menschen zugleich männliche und weibliche Eigenschaften; es soll aber, sagt man, Leidenschaft auflodern, wo in der Frau der Manneswille, im Mann ein weiblicher Instinkt vorwaltet.

»Weil – Sie wissen es ja – niemand so schmeichelbar ist, als ich«, schreibt er im Jahre 1803 an Rahel, die ihn liebte. »Teurer Schmeichelfähiger«, redet sie ihn siebenundzwanzig Jahre später an, da er sie zur Vermittlerin zwischen sich selbst und Fanny Elßler, die damals ein Gastspiel nach Berlin geführt hatte, machte. Es ist, als sähe man die sehr zarte Haut des Mannes. Sich über Gunstbezeigungen freuen, meinte Rahel, sei allgemein, dumm-menschliche Eigenschaft; es aber mit so offenherziger Koketterie tun, wie Gentz sie bei solchen Gelegenheiten zur Schau trage, sei seine höchst persönliche und sehr liebenswerte Eigenart gewesen.

Daß einen Gentz – »Haben Sie hübsche Kleider?« fragt ihn Rahel einmal mit lächelndem Verstehen – die Angst vor dem Alter nicht losließ, gehört so sehr zu seinem Bilde, wie diese überzärtliche Sorgfalt für seine eigene Person und seine nächste Umgebung. Weich mußte alles um ihn herum beschaffen sein, die Teppiche in seiner Wohnung ließ er wattieren. Aber das Alter kam – mit weitgeöffneten Augen sah er es auf sich zuschreiten. Das kehrt – in scheinbaren Widersprüchen – in seinen Briefen an Rahel immer wieder: »Aber alt werde ich ja, gottlob – wie Sie wissen – nie, zuweilen sogar jünger« (1803); »ich bin alt und schlecht geworden« (1813); »ich fühle, daß ich alt und älter werde. Das Leben hat fast allen Reiz für mich verloren, und sterben mag ich doch auch nicht, weil die Existenz nach dem Tode, wie es auch immer damit stehen mag, mich noch viel weniger reizt« (1827); »nur bei ihr (Fanny) vergesse ich Kummer, Alter und Tod« (1831).

Diese Furcht vor dem Tode, die bei Gentz hinter der Angst vor dem Alter stand, ist gewiß für alle gleich ihm zärtlichen und verzärtelten Naturen bezeichnend: er aber trug sie geflissentlich zur Schau, wie ein Kind am Erntedankfest, wenn es Abend geworden, mit seinem brennenden Lampion spazierengeht. Auf sein Lampion aber hatte sich dies alte und wunderliche Kind den Totenkopf über dem gekreuzten Totengebein tuschen lassen.

Er hatte den Zynismus, mit seinen Schwächen zu prahlen, tat's aber vielleicht nur deshalb, weil ihm ein inneres Gefühl sagte, daß er dadurch gefälliger wirke; und dies Gefühl log ihm nicht.

Der Zynismus ist bei Gentz im Grunde nichts anderes als stolzverschämte Bettelei.

»Ich beschäftige mich,« schrieb Gentz im Jahre 1814 – man denke der Zeit nach! – an Rahel, »sobald ich die Feder wegwerfen darf, mit nichts als der Einrichtung meiner Stuben und studiere ohne Unterlaß, wie ich mir nur immer mehr Geld zu Meubles, Parfüms und jedem Raffinement des sogenannten Luxus verschaffen kann. Mein Appetit zum Essen ist leider dahin; in diesem Zweige treibe ich bloß noch das Frühstück mit einigem Interesse.« Das ist, als gäbe der Verzärtelte als solcher seine Visitenkarte ab. Der Ästhet, der Genießer, der Lüstling, stellt sich in aller Form damit vor. Gentz war das alles. Aber er war es – mit seltsam protestantischem Einschlag.

Gentz wäre nicht der gewesen, der er war, hätte er nicht auch mit seinem Protestantismus Spott getrieben. In einem Brief an Rahel aus dem Jahre 1803 stehen die arg frivolen Worte: »Hätte ich das Glück, katholisch zu sein, so errichtete ich Ihnen einen kleinen Altar in meinem Zimmer, unter dem Vorwande, er sei einer Heiligen gewidmet, und triebe allen Frevel mit Ihrem Bilde.« Tatsache aber ist, daß Gentz an seinem protestantischen Bekenntnis festhielt, trotzdem es seiner Karriere am Wiener Hofe, wie er wohl wußte, in entscheidender Weise hindernd im Wege stand. Tatsache ist, daß er den wohlerwogenen Plan, Fanny Elßler zu heiraten, auch deshalb aufgab, weil sie Katholikin war. So steht der Wanderer, der seinen Pfad verlor, nach einer Zeit des Umherirrens wieder vor demselben Wegweiser ...

Man nehme das »Protestantische« in einem Mann wie Gentz nicht in der konfessionellen Bedeutung des Wortes; die kommt als solche kaum in Betracht. Man sehe darin einen Zug norddeutschen Wesens, ein bewußtes Festhalten an dem, was den Vorfahren heilig war, ein Wertlegen auf verstandesgemäßes und kühles Denken – und dieser protestantische Zug in der Physiognomie des verzärtelten Genießers wird für Friedrich von Gentz zu entscheidender Bedeutung. Es bestand gleichsam eine Barriere in seinem Innern. Er ließ die Dinge treiben nach Wohlgefallen (zumal seinem eigenen); irgendwo aber war dann plötzlich Halt geboten. Irgendwann tauchte das Geburtshaus mit seinem steinernen Ernst vor ihm auf.

Das letzte, was über ihn zu sagen ist, hat Rahel kurz nach seinem Tode geschrieben: »Nun aber, beim Fazit, bleibt mir nur reine, lebendige Liebe. Dies sei sein Epitaph! Er reizte mich immer zur Liebe: er war immer zu dem aufgelegt, was er als wahr fassen konnte. Er ergriff das Unwahre mit Wahrheitsleidenschaft. Viele Menschen muß man Stück vor Stück loben: und sie gehn nicht in unser Herz mit Liebe ein; andre, wenige, kann man viel tadeln, aber sie öffnen immer unser Herz, bewegen es zur Liebe. Das tat Gentz für mich: und nie wird er bei mir sterben.«

Der Genießer mit dem Zuge protestantischer Strenge und Verstandeskühle – der Schriftsteller: das ist der letzte Widerspruch in dieser wie in tausend Falten und Fältchen aufgelösten Physiognomie. Denn dieser Schriftsteller Friedrich von Gentz hat, bei aller Eigenart, nichts von Ästhetentum und nichts von Verstandesmühsal. Er schreibt einen kristallklaren, leicht dahinfließenden, einen »selbstverständlichen« Stil. Einen Stil, an dem nichts gewollt und alles Naturgabe ist. Einen Stil, der den Leser keinen Augenblick an die Persönlichkeit des Schreibers denken läßt; eine völlig objektive, nur aus dem Sinn des Dargelegten abgeleitete Darstellung glaubt er vor sich zu haben. Eben darin besteht diese Kunst der Überredung: sie bietet keine Angriffsflächen. Sie scheint dem Leser in jedem Augenblick zu sagen: bitte! überzeuge dich selbst. Man lese eins der Kriegsmanifeste wieder, die Friedrich von Gentz für die österreichische Regierung verfaßt hat: Hier ist vollendete Kenntnis dessen, was die Welt hören will und hören darf; hier ist kein Pathos und kein aufreizender Klang; nur unwiderlegliche Darstellung der zwingenden Notwendigkeit scheint es zu sein. Diese Gentzschen Kriegsmanifeste sind auf der Friedensschalmei geblasen.

Friedrich von Gentz und Fanny Elßler: man glaubt ihre Porträts, nur wenig nachgedunkelt, in körperhafter Nähe und seelisch deutbar vor sich zu sehen. Die Stunden der Leidenschaft sind zu Ende gegangen, der Tod steht wartend vor der Tür. War dieser Liebe ein seelischer Auftrag gegeben –?

 

Es war bezeichnend gewesen, daß eine sehr merkliche Aufbesserung seiner Gesundheit, körperliche und geistige Frische, ein Wiederjungsein dem Aufflammen der Liebe in Friedrich von Gentz vorangegangen war. Zärtlicher Chronist seiner eigenen Tage, hatte Gentz das als wichtigen Umstand in sein Tagebuch eingetragen. Er hatte auch in dem Brief an Rahel, in dem er von dieser »stärksten Leidenschaft seines Lebens« Bericht erstattete, nicht verfehlt, das gleichsam als Urphänomen hinzustellen. Er fühlte sich jung, und alsbald ergriff Liebe Besitz von seinem Herzen. Er, dem »alt und schlecht« miteinander verwachsene Begriffe bedeutet hatten, fühlte sich nunmehr »jung und gut«? Soviel steht fest: in diesem mürbemachenden Gefühl des Alterns war Gentz die Liebe zur Literatur abhanden gekommen. Oder er hatte sie abgestreift wie einen Anzug, der zu seinen Jahren nicht mehr recht zu passen schien. Jetzt war sie plötzlich wieder da, diese Neigung. Zu seiner eigenen Überraschung, beinahe mißtrauisch, hatte er festzustellen: er begann wieder in und mit der Dichtung zu leben. Und zwar war es einer der damals Allerjüngsten, der es ihm antat: Heinrich Heine. Der reaktionäre Hofrat Friedrich von Gentz konnte nicht umhin, seine Vorliebe für den in seinen eigenen Augen verbrecherisch revolutionären Dichter einigermaßen erstaunlich, unstandesgemäß und unstatthaft zu finden; aber er war andererseits genügend überlegene Natur, um seine Schalksfreude an seiner eigenen unziemlichen Geschmacksrichtung zu haben. (Ganz so, wenn Metternich Gesänge Lord Byrons aus dem Gedächtnis vorzutragen liebte!) Er las und lernte Heinesche Verse, schrieb sie für Fanny ab, dichtete sie zu seinem Privatgebrauch um. Der Herr Hofrat beliebte wirklich jung zu werden.

Erstaunlicher aber war, daß er seine Arbeit – diese knifflichen Noten und Geheimpapiere der Metternichschen Diplomatie oft genug zu Fanny hinübernahm, um sie in ihrer Nähe zu erledigen. Und dies Äußerliche war wiederum nur Zeichen für ein Inneres, das ihm, dem Mann der Kerzen und des Spiegels, klar genug zum Bewußtsein kam. »Solange sie hier war,« schrieb er im Oktober 1830 während Fannys Berliner Aufenthalt an Rahel, »wurden alle, auch die unangenehmsten Geschäfte mir leicht.« Jugend und Liebe waren Hand in Hand, wie auf dem Bilderbogen, zu dem alten Herrn gekommen.

Wartend aber stand der Tod.

Zuerst verwunderte sich Friedrich Gentz. Er war wahrlich klug genug, um es mit einigem Erstaunen aufzunehmen, daß diese Neunzehnjährige, in berückender Schönheit prangend, viel umworben, eine Tänzerin, auf die sich die Blicke der Welt zu richten begannen, ihm, der nicht schön und nicht einmal reich war, ihre Gunst zuwandte. Ein Erfolg seiner Beredsamkeit? Er war sich ihrer bewußt, doch wies er das von sich. »Ich habe sie einzig und allein durch die Zauberkraft meiner Liebe gewonnen«, schrieb er im Oktober 1830 an Rahel. Ein gutes Wort für den Liebenden, und als solches, aber auch nur als solches, soll es aufgenommen werden. Denkt man selbständig dieser zweifellos wahrhaftigen, dadurch aber um so erstaunlicheren Neigung der gefeierten neunzehnjährigen Tänzerin nach, so möchte man ein anderes, bescheideneres Kennwort dafür setzen: sie fühlte sich geborgen in den sehr weichen Händen des gealterten Mannes, geborgen gegen alle Unbilden des Lebens, geborgen vielleicht auch dem Ungestüm des eigenen Herzens gegenüber. Wer Sehnsucht nach Frieden kennt, versteht sie. Und diese sehr weichen Hände wußten nicht nur zartest zu liebkosen, es waren zugleich vorsorgliche Hände, die alles Ungemach aus dem Wege räumten, zugleich volle Hände, die alles, was ein Verwöhnter und Geschmackvoller im Ablauf eines langen Lebens an geistigen und seelischen Gütern gesammelt hatte, verschwenderisch hinstreuten. Man langweilte sich nicht mit Friedrich Gentz: soviel Kultur, als not tat, um das zu empfinden, war Fanny Elßler, als Wiener Kind, wohl angeboren. Wie die Haydnschen Rhythmen sie ins Leben hineingetragen hatten, so trugen sie sie diesem Liebling der Wiener Gesellschaft zu.

Es ist etwas von der Musikalität der Zeit in dieser Liebe der sehr Jungen zu dem Gealterten. Und Friedrich von Gentz wußte festzuhalten. Mit Geistes Kraft. »... in deren Hände (sehen Sie sie nur an), in deren einzelne Reize ich mich stundenlang vertiefen kann, deren Stimme mich bezaubert, und mit der ich wie mit der gelehrigsten Schülerin (ich erziehe sie mit väterlicher Sorgfalt) – zugleich meiner Geliebten und meinem treuen Kinde – unerschöpfliche Gespräche führe, worüber Sie manchmal staunen würden.« Man liest diese Worte aus dem Brief an Rahel und – man weiß. Man spürt die Geisteskraft, die hinter dieser Leidenschaft wie in Reserve stand. Und hier auch hat die Reserve den Sieg entschieden.

Der Tod wartete. Ob nun unter seinem Schatten die Leidenschaft abloderte oder nicht, soviel steht fest, diese seelische und geistige Kraft nahm zu. Im Januar 1831 schreibt Gentz: »Ich unterrichte sie im Französischen und Deutschen und erziehe sie wie ein geliebtes Kind.« Im Juli desselben Jahres: »Fanny allein versöhnt mich mit dem Leben. Ich liebe sie mehr als jemals; und ohne daß meine Leidenschaft für sie das geringste von ihrer ursprünglichen Stärke verloren hätte, hat sie zugleich einen Charakter von Ruhe, von Sicherheit, von inniger, zärtlicher Freundschaft angenommen, mit welchem sich die eigentliche Liebe selten recht verträgt.«

Hier nun geschah es, wie oft unter solchen Begebenheiten: der Erzieher erzog sich selbst.

Der Menschentypus, dem Friedrich von Gentz angehört, pflegt nicht eben an Selbstlosigkeit zu kranken, es muß darüber hinaus gesagt werden, daß Gentz zu den denkbar Selbstsüchtigsten gehörte. Jedes Kapitel aus seiner Lebensführung, jeder Zug in seiner Physiognomie spricht das aus. Bedürfte es darüber hinaus noch eines Zeugnisses, so findet man das in dem Brief, den Rahel kurz nach seinem Tode über ihn an Ranke schrieb, und in dem alles erdenkbare Gute und Liebe über den verstorbenen Freund gesagt ist. Trotzdem auch hier: er lebte nur sich selber. Und nun – es mutet wie ein Wunder an – diese Liebe des alten und vom Tode gezeichneten Mannes zu Fanny Elßler war stark genug, seine eigenen begehrlichen Wünsche hinter die Erfordernisse ihres Wohls zurücktreten zu lassen. Unsagbar litt er unter diesen Trennungen, obwohl, er sah es ein, diese Gastspielreisen für ihre künstlerische Entwicklung notwendig waren, und legte ihr nichts in den Weg. Das noble Gefühl, ihrer Karriere nicht hinderlich sein zu dürfen, bestimmte jeden seiner Schritte. Wenn er davon abstand, sich mit ihr ehelich zu verbinden, so war unter den leitenden Gründen auch der, ihr Fortkommen nicht erschweren zu wollen.

Und als wäre mit Entriegelung dieses letzten Sperrschlosses in seinem Innern ein Verborgenes in seiner Seele aufgetan worden, so öffnete sich das Herz des alten Mannes, und es war, als schmölze das Eis von einem verschlackerten Ackerboden, um irgendwelchem Fruchttreiben Raum zu geben.

Der Tod wartete.

Rein äußerlich betrachtet, ist Friedrich Gentz nicht unfromm gewesen. Schon aus seinen politischen Anschauungen heraus mußte er eine gewisse »Anerkennung« für das Christentum haben, und im Jahre 1810 hat er sogar einmal geschrieben: »Ich hingegen bin in den letzten Jahren durchaus christlich geworden und betrachte das Christentum als den eigentlichen Mittelpunkt der Welt. Alles, was in mir noch jugendlich ist, habe ich dieser wohltätigen Revolution zu danken.« Daß von alledem nichts in sein Herz eingegangen war, ist nicht minder selbstverständlich. Er lebte nur sich selber und seinen Lüsten. Und nun dies späte Wunder! Die Liebe zu dieser Tänzerin ließ ihn aufblicken. Im Juli 1831 schrieb er an Rahel: »Dies unaussprechliche Glück, das einzige, was ich aus dem großen Schiffbruch gerettet habe, verdanke ich nicht mir, sondern ihr, oder vielmehr dem Himmel, der sie so geschaffen hat, wie sie ist, und der mich sie finden ließ.« Und am 31. August desselben Jahres an Fanny: »Gott hat uns zueinander geführt, nur Er kann uns trennen.«

Ich wage es, die Vermutung auszusprechen: wenn es wahr ist, daß Gentz kurz vor seinem Sterben gesagt hat, Fannys Bild sei in seinem Herzen erstorben, – so vielleicht deshalb, weil ein anderes Bild, das nicht mehr von dieser Welt war, es nun erfüllte.

Der Tod hatte gewartet.

Es ist das Wesen aller Totentänze, daß der Tod jeden in der Vermummung antritt, unter der eben dieser Betrogene sich und seinen Sehnsüchten das Leben gesucht hatte. Aber vielleicht ist es voreilig, den Tod darum Betrüger zu schelten? Vielleicht vermag er nur so seiner Sendung gerecht zu werden und jedem die Erfüllung zu bringen, die ihm sein Leben gebend versagte?

Dies ist auch ein Bild aus der Holzschnittfolge des Totentanzes: dem gealterten Hofrat führt der Tod die jugendliche Tänzerin zu.

Es ist etwas von Musikalität in dem Sterben des Friedrich von Gentz.

Und schon gewinnt es den Anschein, als trüge zeitlich auch der Tod entscheidende Züge aus der Physiognomie der Zeit.


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