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18

Der unglückliche Lebensausgang der sonst wohlangesehenen Frau Heidegger gab den Dörflern viel zu sprechen. Die einen waren der Ansicht, daß die Alte aus Gram über Röbi, an dem seit dem Osterspiel doch ein Makel klebte, ins Wasser gegangen sei, die anderen schoben die Schuld darauf, daß sie ihrem Enkel auf offener Straße das furchtbare Wort »Mörder« zugerufen hatte.

Jedenfalls hatte sich ihr Wesen seit dem Osterspiel verändert; schon früher gegen ihre Umgebung kurz und knapp, war sie gegen die Nachbarn hart und bissig geworden und hatte niemand mehr in ihr Inneres blicken lassen.

Einer aber vermutete mit Gewissensbeunruhigungen eine andere Ursache ihres freiwilligen Todes –Pfarrer Geißmann!

Nach dem Eierlesen war es zwischen ihm und Frau Heidegger zu einer klaren Aussprache über Gritli und Röbi gekommen. Dabei gestand er ihr, daß er Pläne für Gritli habe, die für sie ein viel größeres Glück bedeuteten als eine Verbindung mit Röbi. Sie –die Alte –möge aus Liebe zu Gritli nun doch endlich aufhören, ihr immer wieder von Röbi zu sprechen oder zu schreiben. Gritli bedürfe der Ruhe, um sich für denjenigen Liebesweg zu rüsten, der im herzlichen Wunsch der gesamten Pfarrersfamilie liege. Die notwendige Aussprache war Frau Heidegger so zu Herzen gegangen, daß sie seither nie wieder ins Pfarrhaus getreten war, und über dem Scheitern ihres Lieblingsgedankens, den sie mit dem hartnäckigen Eigensinn des Alters gehegt und gehätschelt hatte, war sie wohl in jenen Lebensüberdruß versunken, der sein Ende in den Wellen des Baches fand.

Wie aber Geißmann sein Gewissen durchforschte, –er hätte in Hinsicht auf Gritli und seinen lieben jungen Freund Burgener nicht anders zu ihr sprechen können.

Hatte sie vielleicht noch, kurz ehe sie freiwillig aus dem Leben ging, durch einen Zufall erfahren, daß Burgener seine Ferien im Berner Oberland verbrachte und jeder Tag die von der Pfarrersfamilie ersehnte Nachricht bringen konnte, Gritli habe sich mit ihm verlobt? –Vielleicht! -

Da klangen die Totenglocken über das Dorf Haldenegg.

Gertrud ging mit der halben Beruhigung und der ebenso großen Enttäuschung zu der Beerdigung, daß sie Röbi dabei nicht treffen werde. Er hatte dem Vater einen Brief geschrieben, daß er sich noch von seiner Krankheit zu erholen habe, auch nicht mit gutem Sinn an den Sarg der Großmutter hintreten könne, durch die er so tief beleidigt worden sei, überhaupt, daß er jetzt nicht gern in Haldenegg erscheine; er bitte ihn, den Nachlaß zu ordnen.

Aus der vertrauensvollen Bitte spürte Gertrud, wie Röbi den Frieden mit dem Vater suchte, und als sie ins Dorf hinunterstiegen, fragte sie den Schweigenden, ob er dem Wunsch zu willfahren gedenke. Er schüttelte lässig den Kopf und setzte hinzu: »Gelegentlich wird Röbi doch selber nach Haldenegg kommen müssen. Die wegen der Steuern notwendige Einschätzung des ererbten Besitzes erfordert seine Anwesenheit.« Mehr sprach der Vater nicht.

Im Dorf erlebte Gertrud eine große Überraschung.

Unter den Mädchen und Frauen, die sich vor dem Elternhaus Röbis zum Kirchgang sammelten, befand sich Gritli Geißmann. Nun, es war ja leicht zu verstehen, daß sie ihrer alten mütterlichen Freundin, der leidenschaftlichen Schützerin ihrer Liebe zu Röbi, das Geleite zum Grab geben wollte.

Wie von selber kam's: sie und Gertrud begrüßten sich so herzlich wie einst.

»Ich gehe nicht mehr ins Berner Oberland zurück,« sagte die Heimgekehrte. »Ich sehe, daß ich zu Hause notwendig bin. Und ich komme bald einmal zu dir.«

Der Aufenthalt in den Bergen hatte ihr doch wohlgetan, und wie sie, den Gottesacker verlassend, die braunen Rehaugen in Heimatfreude glänzen ließ, da lag auf ihrem Gesicht wieder der Schein frischer Jugend, da war sie unter der Last ihrer dunkeln, in Zöpfen und Locken spielenden Haare und in ihrer anmutigen Schlankheit eine Gestalt, die jedem jungen Manne gefallen mußte. Warum war Röbi, der sie in seinen Knabenjahren geliebt hatte, später so kalt an ihr vorübergegangen? Wahrscheinlich trug diejenige, die nun unter Blumen in der Grube lag, durch ihr unvorsichtiges Drängen allein die Schuld, daß die beiden auseinander gekommen waren.

Wenn nun Röbi ––-

Gertrud dachte den Gedanken nicht aus. Sie spürte, daß ihr Herz ihn noch nicht losgesprochen hatte. Nein, er würde sich doch nie zu einer anderen als zu ihr wenden.

Daheim aber quälte sie sich mit der Frage, warum er nicht doch zur Beerdigung der Großmutter gekommen sei, wenn nicht der bösen Alten zu Ehren, so ihr selber zum Trost. Und warum schrieb er nie?

Aus ihrer wunden Seele heraus sah sie jedes Geschehnis schwarz.

In einer dieser dunkeln Stimmungen empfing sie den Besuch Gritlis.

Wie gut sah die Freundin in ihrem hellen Sommerkleid aus! Auf ihren Wangen lag ein zartes Rot, um den feingeschnittenen Mund spielte ein glückliches, ja schalkhaftes Lächeln, und ihre braunen Augen blickten kinderfrisch in den blauen Sommertag.

Sie fragte nach Balz.

»Er ist spazieren gegangen,« erwiderte Gertrud, die im Hausschatten vor dem Stickrahmen saß, »er wird wohl an einem Rasenbord in der Sonne liegen und bald wiederkommen. Es geht ihm befriedigend, mit allerlei kleinen Arbeiten macht er sich auf dem Hof nützlich, aber ein starker Mann wird er in seinem Leben nicht mehr.«

Ein Seufzer begleitete das Wort, und jetzt bemerkte Gritli auch die blauen Ringe um die Augen der Gespielin.

»Und du bist ja auch halb krank,« versetzte sie mit Teilnahme.

Da gab ihr Gertrud einen sonderbaren, langen Blick. Als ob etwas in ihr breche, erwiderte sie: »Du ahnst es, du weißt es: –ich war mit Röbi heimlich verlobt.«

Gritli aber ließ sie nicht aussprechen. Eine dunkelrote Flut stürzte ihr ins Gesicht, in unbewußter Abwehr hob sie die Hand. »Um Gottes willen, schweige von Röbi! Ich bin seit dem Abend unserer Heimkehr aus dem Berner Oberland mit Pfarrer Alois Burgener versprochen –unsere Ringe werden wir am Sonntag beim Verlobungsmahl wechseln, und die Karten sind im Druck.«

Gertrud war vor Überraschung keines Wortes fähig.

Gritli aber fuhr gelassener fort: »Ich habe um Röbi unendlich gelitten. Es ist schwer, den Liebestraum der Jugend begraben, namentlich, wenn eine Frau wie seine Großmutter ihn stets wieder emporwühlt. Neben ihr hätte ich meinen Weg nie gefunden. Gottlob ruht sie jetzt in Frieden. Und mir gab das Berner Oberland die Kraft, mich zu besinnen. Als mir der Vater von der scharfen Ostermontagspredigt schrieb, da wußte ich, daß ich auf meine Liebe verzichten müsse. Es wäre doch stets ein Stachel zwischen den beiden Männern gewesen. Auch sah ich ein, daß Röbi in seinem Leben keine andere nimmt als dich, Gertrud!«

»Da muß er wohl ledig bleiben,« stieß Gertrud in stöhnender Bitterkeit hervor und verkrampfte die Hände. »Das ist, was ich dir sagen wollte. Nach dem Osterspiel hat der Vater die Verlobung aufgelöst. Röbi ist wieder frei, –und solange der Vater lebt, ist es unmöglich, daß wir uns wiederfinden. Er ist ganz sein Feind geworden!«

Sie blickte hoffnungslos zu Boden, plötzlich aber hob sie den Kopf und fragte mit hellerem Gesicht und aufquellender Wärme: »Sprich, Gritli, bist du nun über deine Verlobung mit Pfarrer Burgener glücklich?«

»Ich habe die selige Überzeugung, daß ich den besten Weg gegangen bin, den ich hätte gehen können,« versetzte die Freundin und ließ die rehbraunen Augen strahlen. »Wenn ich in das verklärte Gesicht Burgeners blicke, so wird auch mein Herz voll Sonne, und wenn einer auf Erden lebt, über den ich die Jugendliebe zu Röbi vergessen kann, so ist es mein gütiger, hochbegabter Pfarrer.«

Ihr zartes Gesicht leuchtete wie Frühling.

Als sie schwieg, faßte Gertrud ihre beiden Hände und wünschte ihr mit heißem Atem den Segen Gottes in die künftige Ehe.

Da schlenderte Balz des Weges daher, freute sich des Wiedersehens mit der früheren Nachbarin, die ihm immer gütig und achtungsvoll begegnet war, und bat sie, daß sie ihm von den Schneebergen des Berner Oberlandes erzähle, die er stets nur aus weiter Ferne gesehen habe. Mit strahlendem Blick lauschte er ihren Schilderungen aus Grindelwald, Lauterbrunnen, und wie man aus der Kleinen Scheidegg an einem fort Lawinen von den silberweißen Flanken der Jungfrau herniedergehen sehe. »Ja, einmal mit den ewigen Bergen Auge in Auge zu stehen, das wäre auch mein Wunsch,« versetzte er mit knabenhafter Schwärmerei.

In diesem Augenblick erschien er Gertrud beinahe schön.

Als Gritli gegen Abend gegangen war, machte Gertrud durch die Dämmerung den Spaziergang nach dem großen Stein unter der Buche, wo Röbi und sie sich zum erstenmal geküßt hatten. Ihre Sinne waren in gärendem Aufruhr: Gritli verlobt –jenes innere Hindernis zwischen ihr und Röbi aus dem Weg geräumt, das ihr früher am meisten Sorge bereitet hatte, –ihre Liebe zu Röbi kein Raub an der Freundin mehr. Gott, Gott! Sollte sie doch nicht still und stumm auf das höchste Glück warten, das ihrem Heizen beschieden sein konnte?

In ihren Traum hinein schauten aber die starken Augen des Vaters. Nicht einmal den kleinen Gefallen tat er ja Röbi, daß er als in amtlichen Dingen erfahrener Mann den Nachlaß der Frau Heidegger ordnete. Daraus merkte sie, wie tief sein Groll saß.

Wann kam wohl Röbi, um seine Erbschaft selber ins reine zu bringen? Darauf prüfte sie jede Äußerung des Vaters. Wenn er zu einer Gemeinderatssitzung ins Dorf hinunterstieg, so pochte ihr Herz. »Ist Röbi wohl da?« -und am anderen Tag: »Nun ist er fortgegangen, ohne nach mir zu schauen.«

Ihre Seele drängte nach Erlösung, dürstete nach Liebe.

Balz? -Sie hatte eine herzliche Empfindung für ihn, namentlich wenn er auf dem Hof oder sonst mit ihr allein war, trotz seiner schwachen Brust auf seine kunstreiche Art pfiff, an einer Hobelbank in der Scheune hantierte und Hinfälliges in Stall und Scheune erneuerte. Sie freute sich an seiner liebenswürdigen Schelmerei und Keckheit, die sich wie Frühling aus seinem schüchternen Wesen hervorwagte, an seiner dabei doch bescheidenen und sinnigen Art und an dem stillen Frieden, mit dem er sein jetziges Leben genoß. Und sie nahm's ihm nicht übel, daß er merkbar Augen für ihre wohlgebildete Gestalt besaß. Wenn sie aber etwa beim sonntäglichen Kirchgang mit ihm unter die Menschen treten mußte, bereitete er ihr manche stumme Not. Er schämte sich des Glückes, auf dem Freihof leben zu dürfen, er errötete darüber vor jedermann, und es half nichts, als sie ihm einmal sagte: »Stell dich doch wie ein junger Bauernprotz, der mit den Talern klappert!« Seine Versuche, einen ruhigen Stolz zu zeigen, mißlangen lächerlich. Sie gaben ihm einen Stich in die Eitelkeit, die schlimmer war als sein natürliches Wesen.

Sie wußte wohl: wenn sie Balz die Hand gab, so war diese Liebe ein Bußgang, der still und tapfer zurückgelegt werden mußte.

Dennoch ließ sie die Augen manchmal fragend und forschend auf dem Gast des Hauses ruhen, wenn er in eine Arbeit oder in ein Buch vertieft war, und wog ihre Gedanken unruhvoll hin und her. Merkte er es?

Jedenfalls der argwöhnische Vater. Es war nun Zeit, daß Balz ging. Mit Gertrud sprach er nicht darüber, aber mit Pfarrer Geißmann, und zwar in dem Sinn, daß Röbi, wenn er nach Haldenegg komme, um sein Erbe anzutreten, einen größeren Geldbetrag für Balz herausgeben solle, damit der an Leib und Arbeitskraft doch ziemlich Geschädigte sich anständig durchzubringen vermöge –vielleicht mit einer Tischlerei oder Drechslerei und Schnitzerei, die man ihm aus dem Schmerzensgeld schuldenfrei einrichten wolle.

Das war nun vom Freihöfler gerecht und edel gedacht; aber als Balz vom Pfarrer erfuhr, was für ihn im Wurfe lag, schmerzte es ihn, von dem ihm unendlich lieben Freihof und seiner noch lieberen Freundin Gertrud zu gehen. Einsam und bleich suchte er seinen Weg.

Sie erriet seinen heimlichen Kummer, und eines Abends traf sie ihn, wie er auf seiner Hobelbank in der Scheune saß und ihm die Tränen über die Wangen herunterliefen.

Da beichtete er ihr: »Ich weiß ja schon, daß ich nicht immer auf dem Hof bleiben kann. Von seiner Güte habe ich ja mehr genossen, als ich armer Mensch je vergelten kann. Aber das Scheiden tut mir so weh –von dir –von Haldenegg.«

»Von Haldenegg!« rief sie.

»Dein Vater wünscht es,« erwiderte er. »Und ich besinne mich umsonst, wo ich einen guten Menschen habe. –Vielleicht reise ich zu Klaus Hannecke und bitte ihn, daß er mich aufnimmt. –Übermorgen! –Morgen nachmittag ist die Sitzung, zu der Röbi Heidegger erscheinen muß. Die Geldangelegenheit ist mir auch so schrecklich, –ich nehme das Geld nicht gern.«

Gertrud stand neben ihm an der Bank, plötzlich wandte sie sich, legte ihre Hände an seine Wangen und lachte ihn fast übermütig an: »Das Geld von Röbi nimmst du freilich. Das gehört von Gottes und Rechts wegen dir. Aber du gehst nicht vom Freihof fort –nie –nie, bis man dich einmal im Sarg hinausträgt.« Ihre blauen Augen blitzten ihn an.

»Wenn es aber dein Vater will,« warf er kleinlaut ein.

Schon bewegte sie die Lippen zum Sprechen, da erschrak sie in sich selbst, hielt inne und wurde purpurrot. Nein, es ging doch nicht, das große Lebenswort zu Balz so über den Zaun des Augenblicks zu sprechen.

Sie ließ ihn mit einem lieben, ermunternden Blick allein.

Nun war der Tag der Schlacht in ihrem Herzen da. Fast mehr aber als an die große Frage, ob sie der treuen Liebe des Gesellen entgegenkommen solle, dachte sie an Röbi. Ob sie ihn zu sehen bekäme? Nun waren er und der Vater ja unten im Dorf beisammen. Gott, wenn das Wunder geschehen würde, daß sich die beiden miteinander versöhnten, daß sie am Abend mitsammen auf den Hof gestiegen kämen! Ihre Einbildungskraft schlug Brücken, wo keine möglich waren. Sie dachte sich als das Weib Röbis und neben ihnen als den Dritten im Bunde Balz, für den sie nun einmal, solange er lebte, sorgen wollte. Als ein stiller, friedlicher Hausgeist sollte er neben ihnen dahingehen.

So träumte sie.

Gegen Abend hielt sie Ausschau auf die Straße. Früher, als sie gedacht hatte, kam der Vater bedächtig bergwärts gestiegen, aber allein! Da verlor sie jeden Mut, ein Gefühl trostloser Leere kam über sie. Ihr war, sie sollte ins Dorf hinuntergehen und Röbi suchen. Doch nein! Es war an ihm, die Gelegenheit zu schaffen, daß sie miteinander sprechen konnten.

Ehe der Vater auf dem Hof anlangte, schlug sie den Weg gegen die große Buche ein. Sie ging langsam, den Kopf tief gesenkt, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, und der goldene Abend hatte keine Sprache für sie. Sie fühlte nichts als die Schwere des Schicksals, und jetzt waren ihre Gedanken bei Balz. Nein, das ließ sie nicht zu, daß er schutz- und lieblos in die Welt hinausgestoßen wurde, er, der Schwache, der Pflegebedürftige, der Mann mit dem viel zu weichen, kindlichen Herzen. Im Sorgen für ihn bekam ihr Leben Sinn und Zweck. Also wollte sie –mußte sie sein Weib werden –entgegen dem Willen des Vaters –vielleicht sogar in der Fremde.

Sie hatte sich auf den bemoosten Findlingsstein gesetzt. Den Kopf auf die Brust gesenkt, die Hände im Schoß, war sie ganz den Bildern ihres inneren Schauens hingegeben und malte sich die Ehe mit Balz aus –nicht rosig, sondern unter Verzicht auf ihren süßesten Lebenstraum.

Sie merkte nicht, daß Röbi sie aus einiger Entfernung stumm und ernst betrachtete und jeder ihrer leisen, leidvollen Bewegungen folgte.

Da schlug sie plötzlich die Augen zu ihm empor -, wie im Banne einer Erscheinung begann sie zu zittern, regte sich aber nicht und sprach kein Wort.

Mit ein paar Schritten war er bei ihr. »Gertrud, warum so furchtbar traurig?« Er streichelte kummervoll ihr blondes Haar, setzte sich neben sie und nahm ihre Hand weich in die seine.

Da erwachte sie wie aus einem dunkeln Traum.

»Ich habe gefürchtet, du fändest den Weg nicht zu mir,« kam es leise von ihren Lippen, und dann ein schluchzender Laut: »Röbi!«

»Du bist ja krank, Trudi, du arme Trudi,« sagte er. »Obwohl mir dein Vater erst heute wieder den Freihof verboten hat, wäre ich nicht von Haldenegg fortgegangen, ohne dich zu sehen. Wenn ich dich diesen Abend nicht getroffen hätte, so hätte ich dir morgen eine Krämerin mit einem heimlichen Briefchen vorbeigeschickt, das dich hieher gebeten hätte. –Wir können ohne einander doch nicht leben!«

»Nein,« flüsterte sie und drückte seine Hand fester.

Wie Maienregen fielen seine Worte in ihre wunde Seele.

»Nun laß mich zu dir sprechen,« versetzte er lind. »Seit wir uns das letztemal sahen, Gertrud, es war im Morgenrot nach dem unglücklichen Abend, nein, schon in der Nacht, als ich durch Feld und Wald irrte, –da lernte ich das Grauen kennen, die finstere Grenze des Lebens. Ich fühlte beide. Noch erschütternder, als mir die Großmutter mitten unter den Menschen das Wort Mörder zuschrie, dein Vater unsere Verlobung löste und ich wie ein Verbrecher aus Haldenegg gehen mußte. Wie entsetzlich waren die Wochen nachher unter der Bangnis um Balz, unter der Furcht, wegen fahrlässigen Totschlages vor die Schranken des Gerichts gerufen zu werden! Da warf mich das Fieber nieder, und daraus bin ich als ein neuer Mensch auferstanden. Und mir scheint nichts mehr begehrenswert, als daß ich dir wieder in Ehren nahen darf, daß ich in Frieden mit deinem Vater komme und daß das durch meine Ostertorheit verletzte öffentliche Gewissen, auf das er sich gegen mich beruft, zur Ruhe gelangt. Ich bin mitten drin, mich aus meiner Schmach zu erheben, aber dazu bedarf ich deiner ausharrenden Treue.«

Sie gab ihm statt einer Antwort einen zitternden Kuß und fragte leise: »Warum hast du mir so lange nicht mehr geschrieben, Röbi?«

»Dein Vater hat meine für dich bestimmten Briefe uneröffnet zurückgeschickt. –Da wagte ich es nicht mehr, –er ist hart, furchtbar hart. Er war es auch heute. –Ich habe als Entschädigung an Balz bezahlt, was er und der Pfarrer für recht und billig erachteten, und freiwillig ein Schönes dazugelegt. Das haben sie auch anerkannt; aber als ich hinterher unter vier Augen mit ihm von dir sprach und um die Erlaubnis eines Besuches bei dir bat, wies er mich ab. Nun gibt es nichts, Trudi, als daß wir still und treu ausharren, bis ich mich durch mein Wirken rechtfertigen kann. Fällt es dir schwer?«

»Nein –nein!« Sie ließ ihre Augen selig in die seinen leuchten. »Die Schatten werden alle zergehen wie der, den Gritli Geißmann in unsere Liebe warf. Ich glaube an dich, Röbi!«

»Ja, über ihre Verlobung bin ich auch froh!«

Erst die einbrechende Dunkelheit der Herbstnacht mahnte sie an den Heimweg. In wohliger Müdigkeit, die Hüfte in seinen Arm gestützt, ihre Wange an die seine gelehnt, schritt sie bis in die Nähe des Freihofs dahin.

Wo war nun der Gedanke geblieben, daß sie das Weib Balthasars werden wolle? Wie eine plötzlich weichende Krankheit war er von ihrer Seele gefallen, sie empfand ihn selber wie eine Verirrung und sprach aus Scham mit Röbi nicht darüber.

Als sie in die Stube trat, warf ihr der Freihöfler, der bei der Lampe saß, einen fragenden, argwöhnischen Blick zu.

Sie antwortete ihm frei: »Ja, ich war mit Röbi zusammen –wir trafen uns zufällig bei der großen Buche.«

»Zufällig,« knurrte er und zog die Brauen finster.

»Dafür gebe ich dir ein Versprechen, Vater. Ich habe mir die Heirat mit Balz völlig aus dem Kopf geschlagen. Auch eine Bitte habe ich an dich: daß er auf dem Hof bleiben kann. Ist hier nicht Raum genug für eine Tischlerei?«

Ein Herzenston, wie er ihn schon lange nicht mehr von seinem Kinde gehört hatte, traf ihn.

Er grollte ihr aber wegen des Zusammenseins mit Röbi und wollte sich nicht weich zeigen.

Erst beim Morgenessen wandte er sich an Balz, dessen Gesicht die Spur heimlicher Abschiedstränen trug. »Ich habe mich anders besonnen. Aus dem Geld Röbis könnt Ihr Euch auch hier eine Tischlerei einrichten. Wir werden uns schon vertragen, und für Euch hätte es den Vorteil, daß Gertrud stets etwas zu Eurem Befinden sehen könnte.«

Wie nun das Glück Balz in die Augen und Wangen schlug, das rührte den Freihöfler.

Im Grund hatte er nur so gesprochen, um mit seinem einzigen Kind wieder in ein besseres Einvernehmen zu kommen. Darnach sehnte er sich, obgleich er ihr grollte. Ihm schien es leichter, als Friedensrichter die wildesten Streithähne untereinander zu versöhnen, als mit dem stilltrotzigen Mädchenkopf fertig zu werden.

Ihre heimliche Hoffnung kannte er schon, aber was Balz betraf, traute er ihrem Wort völlig.


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