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9

Der Karfreitag ging, wie es üblich ist, als hoher Festtag mit Kirchenbesuch und in strenger Stille vorüber, nur das erste warme Frühlingsgewitter machte am Himmel einigen Lärm, woraus ängstliche Gemüter schlössen, Ostern und das Eierspiel würden verregnen.

Der Samstag war aber schon wieder ein Tag mit reinem klaren Himmel und Sonne in den Lüften.

Der Freihöfler hatte die Genugtuung, daß die Hauserneuerung durch Hildebrand zu Ende gekommen war.

Ungewohntes Leben herrschte am Nachmittag auf dem Hof. Wahrend der Meister mit den Gesellen die Baugerüste abbrach, traf ein Halbdutzend junger Leute die Vorbereitungen für das Spiel. Sie mähten auf der Festwiese das noch ganz junge Gras, steckten die langgestreckte Bahn ab, auf welcher der Werfer und der Wannenhalter ihre Aufgabe zu erledigen hatten, umgaben sie mit Pflöcken und Seilen, schlugen einen erhöhten Bretterboden für die Musik auf, errichteten zu beiden Seiten der Bahn Reihen von Sitzbänken für die Eingeladenen, umrahmten den weitläufigen Platz, der hinter den Bänken noch für viele Hunderte von Zuschauern Stehraum bot, mit einem Viereck junger Tannen und rüsteten hinter der Scheune ein Lager für die Spielenden.

Da kam auch Röbi, um nach dem Stand der Arbeiten zu sehen. Er zog Balz auf die Seite und unterhielt sich mit ihm.

»Was habt Ihr denn für einen Handel mit Fräulein Freihofer gehabt?«

Die Frage brachte Balz in große Verlegenheit, die Schamröte stieg ihm ins Gesicht.

»Ich glaube nicht mehr an die Liebe des Fräulein Freihofer, von der Ihr mir gesprochen habt,« gestand er kleinlaut, »und mag deswegen auch nicht mehr reiten.«

Nun war Röbi der Betroffene.

Wenn sich doch nur Röthlisberger hätte finden lassen, so wäre er jetzt wunderbar aus der Klemme heraus!

Er besann sich –er mußte sich an Balz halten.

»Nein, zurücktreten dürft Ihr nicht. Denkt, in was für eine Verlegenheit Ihr mich stürztet! Wenn Ihr nicht aus Liebe zu Fräulein Freihofer reiten wollt, so tut es aus Freundschaft zu mir! –Ich bitte Euch, Balz!«

Ein warmer Herzenston ging aus seiner Stimme.

Die Züge Balthasars hellten sich auf. Das Wort »Freundschaft« aus dem Mund des Obmannes der Burschen von Haldenegg hatte für ihn einen verführerischen Klang, dem er nicht zu widerstehen vermochte.

»Gut, dann reite ich für Euch!«

Röbi reichte ihm die Hand und schüttelte sie kräftig. »Ich danke Euch –wir wollen gute Freunde sein. Und noch eine Berichtigung, Balz! –Wenn ich mich recht erinnere, so habe ich mich Euch als Neffe des Freihöflers vorgestellt. Das stimmt nun nicht ganz, obgleich es ungefähr die Gefühle eines Neffen find, die ich für den Friedensrichter hege. Er war aber bloß mein Vormund und ist kein Verwandter zu mir.«

Balz schaute ihn überrascht an.

»Und was nun Fräulein Freihofer betrifft,« wandte Röbi das Wort, »so will ich zu ihr recht viel Gutes über Euch sprechen, und Ihr könnt, ob Ihr im Spiel siegt oder unterliegt, sicher sein, daß sie Euch am Ostermontag abend ein paarmal zum Tanz auffordert, –im Herzen ist sie Euch doch wohlgesinnt.«

Das gefiel nun Balz wieder.

Aus den offenen Fenstern des Freihofes drang der Duft frischgebackener Kuchen, und auf der Galerie des Hauses, von der man wie von einem Aussichtsbalkon auf die Spielbahn und die Festwiese herniederblickte, hantierte Gertrud mit ihren Gespielinnen Liseli Suter und Röseli Zumsteg. Sie schmückten die Brustwehr mit grünen Reisern und steckten darein die ersten blühenden Narzissen, wachsweiße und goldgelbe.

Obgleich Balz noch als Reiter ausersehen war, hatte sich Gertrud nun doch in die Rolle der Eierkönigin gefügt, Röbi zulieb.

Als die Vieruhrglocken der drei Dörfer im Tale ihre vollen Klänge entfalteten und Ostern ansagten, lag die Vorfreude des Festes auf allen Gesichtern, und weil der Freihöfler verfügt hatte, daß um fünf Uhr auf dem Hof Feierabend sein solle, werkten die Leute noch um so eifriger.

Schon war Hildebrand mit den Aufräumungsarbeiten zu Ende gekommen und verlud Stangen und Werkzeuge auf einen Wagen.

Der Freihöfler trat in die Tür und rief ihn zur Abrechnung in die Stube, und als er mit dem Meister fertig geworden war, winkte er auch Balz ins Haus.

Mit glühendem Kopf kam der Geselle.

Der Freihöfler sagte ihm ein paar freundliche Worte über seine Tüchtigkeit, bei der er das Gesamtwerk ansehen und vergessen wolle, daß sein Fleiß in den letzten Tagen unbegreiflich nachgelassen habe. Dabei reichte er ihm ein stattliches Trinkgeld und wünschte ihm Glück ins fernere Leben.

Balz, dem der Abschied vom Freihof den Kopf verwirrte, wollte das Geld nicht annehmen. »Ich habe ja bei Euch sonst so viel Güte genossen, daß ich immer daran denken muß.«

»Wir würden Euch auch in guter Erinnerung behalten, wenn Ihr nur nicht zuletzt noch die Torheit begangen hättet, Euch als Eierreiter anzumelden. Damit habt Ihr nur Verwirrung unter die Bauernburschen gebracht, und sie lachen doch heimlich über Euch.«

»Ich wollte ja auch nicht für die Burschen, sondern Eurer hochzuverehrenden Tochter zur Freude reiten,« stotterte Balz in großer Verlegenheit.

»Was sagt Ihr? –Meiner Tochter zur Freude?« Der Freihöfler wurde wild. »Es ist gut, daß ein solcher Narr vom Hof kommt! Da nehmt Euer Trinkgeld! Fünf Franken sind für die Schatulle, die Ihr der Tochter geschenkt habt. Nun aber laßt ihren Namen aus dem Mund!«

»Nein, für die Schatulle will ich kein Geld!« Balz schlenkerte abweisend die Anne.

»Nehmt –und geht!« befahl ihm der Freihöfler streng.

Zitternd nahm Balz das Geld und verließ die Stube.

So stand er in Gefahr, wegen seiner törichten Liebe recht übel vom Freihof zu kommen, der ihm vierzehn Tage lang eine schwärmerisch geliebte Welt gewesen war. Fräulein Freihofer hatte ihm eine Ohrfeige gegeben und ihr Vater ihn auch grob angefahren. Und die Schatulle hatte er sich müssen mit Geld entlohnen lassen. Nein, die Maililie war nicht für ihn. Die war, das hatte er jetzt gemerkt, für Herrn Robert Heidegger. Nun ja –er wäre auch schon unsagbar glücklich gewesen, wenn sie ihm zum Abschied einen ihrer sonnigen Blicke gegeben hätte. Er aber war wieder der Verstoßene, wie schon oft im Leben!

Das wühlte in seiner Seele, er ließ den Kopf hängen und nahm am Vesperbrot, das Vree für Meister und Gesellen herausgebracht hatte, nicht teil.

Von der geschmückten Galerie schaute Gertrud in den Abend.

Als sie Balz mit verschränkten Armen abseits der andern wie einen einsamen, gottverlassenen Menschen stehen sah, faßte sie das Mitleid mit ihm.

Sie lief hinunter und zu ihm hinaus.

»Guten Abend, Balz! Da Ihr nicht eßt und trinkt, könntet Ihr mit mir ein paar Schritte durch den Baumgarten gehen. Es ist ja der letzte Abend, an dem Ihr auf dem Freihof seid, und ich möchte noch einmal versuchen, ob es nicht möglich ist, mit Euch ein vernünftiges Wort zu sprechen. Mir tut die Ohrfeige, die ich Euch gegeben habe, herzlich leid. Sie kam mir wie von selber in die Hand gefahren, und zurücknehmen kann ich sie nicht, ich bitte Euch aber um Verzeihung!«

»O Fräulein Freihofer! Wenn Ihr so lieb zu mir redet, dürft Ihr mir noch eine geben!«

»Balz, jetzt schwatzt nicht wieder wie ein Hansnarr. Nehmt Euch zusammen!«

In ihrem Ton klang etwas mütterlich Sorgendes.

»Und was ist das für eine überspannte Redensart, daß Ihr mir zu Ehren reiten wollt? Wenn es Euch bloß um ein Tänzlein im Sternen zu tun ist, so braucht Ihr nicht erst zu reiten, sondern Ihr bittet mich an diesem Abend recht hübsch, und ich tanze mit Euch! Ein-, zwei-, dreimal!«

»O Fräulein Freihofer!« Die Wonne übermannte ihn schier.

»Ich habe noch nie einem achtbaren Burschen einen Tanz abgeschlagen. –Es wäre mir für Euch selber jetzt noch lieber, Ihr rittet nicht, Balz.«

»Ich muß aber aus Freundschaft für Herrn Heidegger reiten,« stotterte er. »Ich habe für ihn eine große Hochachtung, wenn er mir schon den Bären aufgebunden hat, er sei Euer Vetter.«

»Hat er das getan?«

Gertrud stieg eine Zornflamme ins Gesicht.

Balz merkte, daß er etwas verraten hatte, was er gescheiter für sich behalten hätte, und bei der Glut auf ihren Wangen wurde ihm der Verdacht, der ihn seit einer Weile quälte, zur Gewißheit.

»Fräulein Freihofer, ich glaube, Ihr und Herr Heidegger seid verlobt!« stotterte er.

Da wurde sie noch röter und lachte hell auf: »Wir wollen wieder zurückgehen, Balz! Ich habe nicht gewußt, daß Ihr so scharfe Augen im Kopf habt!«

Sie reichte ihm freimütig die Hand: »Auf schöne Ostern! Und verlobt oder nicht verlobt, ich mache am Montag mit Euch ein paar Runden.«

So kam Balz doch gut vom Freihof, und als Meister Hildebrand mit den Seinen Abzug hielt, war er voll lächelnden Stolzes und hielt in Gedanken schon den Arm um die schwellende Hüfte des Fräulein Freihofer.

Nach einem Vespertrunk folgten die Burschen, welche die Vorkehrungen für das Eierfest getroffen hatten, dem Beispiel der Handwerksleute und zogen abwärts dem Dorfe zu.

Noch beim Sonnenschein lag der Hof in der Ruhe und dem Frieden des Ostervorabends, den sich der Freihöfler gewünscht hatte, und er machte einen Gang um das Haus, das in seiner Erneuerung wie ein Sinnbild des Wohlstandes und Glücks ins Tal schaute.

Drüben am plätschernden Brunnen vor der Scheune wusch, striegelte und kämmte Wälti den Braunen, und unter dem weit vorspringenden Dach stand das Bernerwägelchen bereit.

Der Freihöfler setzte sich auf die Bank vor dem Hause und dachte an den morgigen Verwandtenbesuch.

Da gesellten sich Röbi und Gertrud, welche die Arbeiten der Jungmannschaft besichtigt hatten, zu ihm.

»Ich muß schon wieder gehen,« versetzte Röbi, »wir haben heute die letzten Beratungen über das Spiel. –Ich bin von den Vorbereitungen ganz erschöpft.«

»Und was wirst du morgen treiben, wenn der« Vater und ich an den See hinabführen?« fragte Gertrud.

»Schlafen –nein, morgen werfe ich alle Sorgen um den Montag hinter mich und will einsam durch die freie Natur gehen. Da hat man stets die schönsten Gedanken. In den stillen Tagen der nächsten Woche möchte ich auch einmal mit dir, Trudi, in die Täler wandern und Frühling feiern.«

»Ja –da bin ich schon dabei!« Sie gab ihm, als er aufbrach, noch ein Stück Weges das Geleite und lachte: »Vetter, wenn du morgen abend zu mir kommst, so habe ich für dich etliche Ostereier bereit!«

»Vetter –was soll das, Trudi?«

»Das verrate ich dir heute nicht, –also gute Ostern, Röbi!«

Er küßte sie selig auf den mutwilligen Mund, und schon nahe am Dorf schickte er ihr mit Hutschwenken noch einmal seine Grüße zu.

Sie ging zum Vater zurück. »Nun können wir uns doch an der Vollendung der Hausausbesserung freuen und Ostern in Frieden antreten!«

»Die Osterfreude finde ich aber doch nicht recht. Wie ist die Welt unvollkommen! Ich habe mich in Balz getäuscht. Im Anfang habe ich so viel Gutes an dem Menschen entdeckt, daß ich an ihm einen Gotteslohn hätte verdienen mögen. Wenn er nicht so närrisch in dich verliebt wäre, hätte ich ihm vielleicht eine Kammer im Haus und die Mittel angeboten, mit denen er sich eine eigene kleine Werkstätte hätte einrichten können. –Nun ist er aber im Grund nichts weiter als ein eitler und unverschämter Kauz!«

»Er ist ein großes Kind,« begütigte ihn Gertrud. »Ich mag ihn mit all seinen Fehlern und glaube, ich käme jetzt erst recht gut mit ihm aus, denn er hat gemerkt, daß ich meine Seide mit Röbi spinne. –Wie müd' sah Röbi aus!«

»Wegen des bißchens Osterspiel? Nein, er hockt stets zu lang im Sternen! Hoffentlich kommt es nach dem Eierlesen wieder besser!« brummte der Freihofer.

Gertrud suchte eine Ablenkung. »Ich muß so viel an Gritli Geißmann denken. Wie sie wohl die Ostern in ihrem Bergdorf verbringt?«

Der Freihöfler nahm den Gedanken auf: »Ja, ihr Vater hat auch schwer eine freudige Osterpredigt schreiben! –Die Pfarrersfamilie hoffte so herzlich, daß sich Gritli auf diesen Tag verloben werde. –Nun ist diese Hoffnung zerronnen!«

»Vater –das ist mir eine Überraschung! –Gritli Geißmann sich verloben?« Die Neugier brannte auf den Wangen Gertruds. »Mit wem?«

Der Freihöfler wurde etwas verlegen. »Eigentlich ist's ein Geheimnis! Der Pfarrer hat es mir bei meinem letzten Besuch verraten, am Mittwoch abend, wie er aus dem Berner Oberland kam, und wohl nur, weil er mit seinen Vaterschmerzen nicht wußte, wo ein und aus. Du kennst wenigstens vom Sehen den jungen Pfarrer Alois Burgener von Büchlisberg.«

»Den Blondling mit dem frischen Gesicht –ja!«

»Er kam vor zwei Jahren in die damals verfahrene und streitende Gemeinde, er hat ihr den Frieden gebracht, jedermann drüben spricht mit Hochschätzung von ihm, ebenso tun es seine Amtsbrüder in der Gegend, die seine lebensvolle geistige Kraft aus den Kapitelversammlungen kennen. Pfarrer Geißmann hat in ihm einen jungen Freund gefunden. Nun hat Burgener schon eine Weile still um Gritli geworben, endlich vorige Woche offen und klar um ihre Hand angehalten. Sie bat um eine Bedenkzeit. Schon schien es, daß sie seinem Antrag entgegenkommen wolle, man war im Haldenegger Pfarrhaus in freudiger Erwartung und Spannung. Da sah sie am Palmsonntag vor der Kirche Röbi –nun, du warst ja dabei. Und was hat die Törin getan? In einem Brief schlug sie die Hand Burgeners aus, sie trage einen anderen im Herzen! Denke dir das Leid Geißmanns! So das Glück mit Füßen treten! Und wer hat dabei wieder die böse Rolle gespielt? Röbis Großmutter, die Alte, die dem Mädchen unerschütterlich den Wahn einimpft, er finde den Weg zu ihr zurück. Um Gritli aus dem Bann des unglückseligen Weibes zu ziehen, beschloß Geißmann ihre Unterbringung im Berner Oberland und verbindet wohl damit die Hoffnung, daß Burgener dort seine Sommerferien verlebe und die beiden doch noch ein Paar werden!«

»Geb's Gott!« versetzte Gertrud nach einer Weile aus tiefer Träumerei. Da winkte ja die Erlösung aus einem großen Schmerz! »Ich freue mich nun doch auf Ostern!«

Die Nachricht wälzte einen Alp von ihrer Seele. Es war also doch nicht richtig, daß Gritli bloß Röbis und ihretwegen aus der Heimat gegangen war, wie die Alte behauptet hatte.

»Und ich habe auch meine Beruhigung,« sagte der Freihöfler. »Unsere Brunnenwasserleitung ist wieder in Ordnung gebracht. Das ist kein Kleines, Gertrud. Denke dir, wir hätten im Dorf einen Brandausbruch gehabt! Die Furcht vor unserem Wassermangel hat mich manchmal in der Nacht geweckt. Jetzt will ich die Stunden Schlaf nachholen.«

Er erhob sich und machte wie jeden Abend noch einen Gang durch Scheune und Stall.

Aus den Gründen stieg die Osternacht und versprach mit ihren Sternen einen hellen Tag.


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