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3

Nicht nur Gritlis, sondern auch Balthasars wegen hatte Gertrud manche Sorgen. Obgleich sie sich stets wieder vornahm, gegen den Gesellen, der in seiner Jugend so viel Trauriges erlebt hatte, nachsichtig und geduldig zu sein und sein verliebtes Wesen schweigend zu übersehen, ging es nicht so leicht.

Als sie am Morgen vor dem Palmsonntag an das Fenster trat, an dem sie zu arbeiten pflegte, lag auf dem Sims ein kleines Paket mit ihrem Namen. Sie schöpfte gleich Verdacht auf Balz, daß er ihr das Geschenk zugetragen habe. Als sie es öffnete, kam daraus ein aus Lindenholz sauber und kunstvoll gearbeitetes Schatullchen hervor. Sein Deckel trug zwei nach der Natur geschnitzte Bergveilchen, eine offene Blume und eine Knospe, und die zierlich verschlungenen Anfangsbuchstaben ihres Namens. Sie drehte das reizende Kunstwerk um und um und untersuchte es, ob es nicht auch eine Namensspur seines Schöpfers trage. Umsonst! Doch kam es selbstverständlich von Balz.

Mit ihrem durch die Stickerei geweckten Sinn für das Künstlerische freute sie sich an dem Kästchen, und der Gedanke, daß er seit ihrem Gespräch gewiß die halben Nächte an die schöne Arbeit geopfert habe, rührte sie. Zugleich aber empfand sie die Verlegenheit, in die sie das Geschenk setzte. Durfte sie, die reiche Bauerntochter, es überhaupt von dem armen Gesellen annehmen? Nein! was bildete sich der wunderliche Mensch ein! Wie aber das Truhchen ihm zurückgeben, ohne daß sie ihn kränkte? Und kränken wollte sie ihn nicht. Das Geschenk kam aus einem guten Herzen, und wie lästig ihr die Verehrung Balthasars auf der Seele lag, wollte sie ihn doch mit Achtung behandeln.

Noch sann sie, da trat der Freihöfler, der schon ein Amtsgeschäft erledigt hatte, in die Stube.

Auch er äußerte sein Gefallen an dem Schnitzwerk, und als Gertrud über die Ablehnung mit ihm beraten wollte, sagte er kurz: »Mach ihn mir nicht kopfscheu, ich mag ihn.«

»Ein Geschenk verlangt ein gelegentliches Gegengeschenk,« warf sie ein. »Ich kann ihm aber doch nichts schenken. Sonst wachsen ihm die Mücken im Kopf erst recht groß. Doch halt, Vater, ich habe die Lösung. Balz hat mir den Wunsch geäußert, einmal auf unserem Braunen reiten zu dürfen. Überlassen wir ihm das Tier morgen Sonntag nachmittag, da hat er die Anerkennung für die kleine Truhe; auch sage ich ihm noch mündlich meinen Dank, das genügt!«

»Balz reiten?« Das war auch für den Freihöfler eine so wunderliche Vorstellung, daß er lachte wie selten; dann aber nickte er zu. »In die Sprünge kommt der Braune wohl nicht mehr. Es sind schon fünf Jahre, seit er bei der Kavallerie gedient hat. Dem Gesellen aber mag ich das Vergnügen wohl gönnen. Er soll reiten!«

Gertrud gefiel es, daß sie auf diese Art das Schnitzwerk ohne Bedenken behalten durfte.

In Hinsicht auf den morgigen Festtag war auf dem Hof früher als sonst Feierabend. Als Balz die Werkzeuge niederlegte und sich am Brunnen die Hände wusch, ging sie zu ihm hinaus und sagte ihm mit einem Klang schelmischer Bewunderung, der ihr fast unfreiwillig unterlief, den Dank für das Kästchen. »Da sieht man wieder, was Ihr für ein feiner Künstler seid!«

Sie reichte ihm freimütig die Hand. Seine langen, dünnen Finger zitterten darin, seine Augen brannten ihr wie aus tiefster Herzensnot entgegen. »Fräulein, was seid Ihr gütig!«

Sie erschrak über die Stärke seiner blinden Leidenschaft. Aus dem Gefühl halben Mutwillens und halber Angst heraus drängte es sie, ihm einen Kaltwassersturz zu bereiten.

»Wißt Ihr, wozu ich Eure schöne Truhe verwenden werde?« fragte sie, und als er nicht gleich antwortete, lachte sie: »Ich lege künftig meine Liebesbriefe darein.«

Die Blässe flog auf das Gesicht des Gesellen; er stammelte: »Seid Ihr denn verlobt, Fräulein Freihofer?«

»Bald,« lachte sie, »mit dem schönsten Burschen im Land.«

Balz nahm es gläubig hin.

»Wenn er Euch nur genug in Ehren hält,« stotterte er. »Der muß sich ja wie ein König fühlen. Wenn es mich anginge, zerspränge mir das Herz vor Glück. Ich bin aber schon froh, daß ich Euch ansehen darf, und werde mich vor Heimweh nach Euch nicht fassen können, wenn ich mit der Arbeit an Eurem Haus fertig bin. Ich hätte keinen Wunsch, als immer da zu leben, wo Ihr lebt –und wäre es nur als der geringste Knecht!«

»Was redet Ihr wieder töricht!« schalt sie ihn heftig. In ihren Ohren aber klang die verzichtende Wehmut, die Hoffnungslosigkeit, mit der er seine Worte vorgebracht hatte, und sie wurde das Feuer seiner Augen nicht los.

»Ihr glaubt es doch selber nicht, Balz, daß ich in Eure schöne Truhe einmal meine Liebesbriefe legen werde. Das war nur ein Scherz! Dagegen gefällt mir Euer Geschenk so gut, daß ich und mein Vater Euch dafür auch eine Freude bereiten wollen. Ihr mögt morgen nachmittag unseren Braunen reiten und damit Eure freundlichen Erinnerungen aus Westfalen auffrischen. Über das Reitzeug sprecht mit Wälti!«

Er stand wie ein selig überraschtes Kind. »Reitstiefel habe ich selber noch, ich habe sie einmal bei einem Trödler in Osnabrück gekauft!« rief er. »Fräulein –Fräulein!«

Sie aber grüßte ihn lächelnd und ging ins Haus.

Als er in sonniger Verträumtheit vom Hof schritt und mit dem Meister gegen Haldenegg hinunterstieg, blickte sie ihm voller Gedanken nach. Sie kam über die besondere Empfindung nicht hinweg, was für ein kindlich lauteres, inniges und bescheidenes Gemüt in dem armen, oft mißhandelten und mißbrauchten Gesellen wohne, und ihr Herz war selber voll Freude, daß sie dem von jeder Liebe Verlassenen ein kleines Palmsonntagsglück bereiten konnte.


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