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11

Wunderschön war der Ostertag erwacht, erwacht mit sprießendem Leben, mit Tau auf den Wiesen, Vogelgezwitscher auf den Bäumen und dem Anhauch sich öffnender Kirschblüten.

Schon in der Morgenfrühe sang und jodelte die Wanderlust auf den Straßen, und bald nach sechs Uhr rollte auch das Reisewägelchen des Freihöflers, der selber kutschierte, vom Gehöft talwärts und hinaus gegen den schimmernden Streifen des Bodensees. Gertrud trug den großen Trachtenstaat, die schimmernden Kopfflügel.

Die beiden ahnten nichts von dem Geheimnis im Sternen und dem jämmerlichen Zustand des langen Balz.

In dessen Dachkammer wohnte an dem feierlichen Tag das graue Elend. Als die Glocken läuteten, dachte er an Kirchgang, aber er konnte sich vor Übelkeit auf dem Schrägen nicht rühren und winselte vor Kopfschmerzen und Leibweh.

Sein innerer Jammer war nicht kleiner.

Er hätte über sich selber weinen mögen. Wäre er doch schon gestorben und läge wie seine Mutter in irgend einem Winkel des Kirchhofes von Gerhardszell oder in einem Heidefeld Westfalens. Wenn er sich in einem tiefen Wasser ertränkte! Sein armes Leben hatte ja keinen Sinn. Als elternloser Bub war er ohne Liebe, ohne Güte unter die Menschen gestoßen worden, wie ein Fluch lag das Verbrechen, das der Teufelseher Guntli an ihm begangen hatte, auf seinem Schicksal, er war der lange Balz, über den alle lachten, der von einem unverständigen Meister zum anderen wandern mußte und nirgends Bleiben fand, weil er mit der Krankheit des Heißhungers geschlagen war. Auch von Haldenegg würde er nun weiterziehen!

So zusammenhängend aber konnte Balz in seinen Schmerzen gar nicht denken, nur in abgerissenen Stücken flatterte bald von da, bald von dort her eine Erinnerung durch seinen brennenden Kopf, und jede machte ihn elender.

Einmal sah er blaue Augen, blühend rote Lippen, eine schöne, von blonden Zöpfen umwundene Stirn, das warme Gesicht des Fräulein Gertrud Freihofer.

Nie, nie durfte er ihr wieder unter die Augen treten, und der Gedanke, daß sie ihn auf den Montag zu ein paar Tanzrunden eingeladen hatte, vermehrte nur seinen Lebensüberdruß. Wie schwarze Wolken wälzte es sich über ihn. So dunkel und gottverlassen hatte er noch nie Ostern gefeiert.

Und morgen sollte er reiten.

Nein! Er wollte nicht mehr. Er haßte die Haldenegger Burschen, die sich aus seinem Heißhungeranfall ein lustiges Schauspiel bereitet hatten.

Selbst Robert Heidegger, seinen Freund. Warum hatte der ihn nicht gerettet? Sie waren schlecht, samt und sonders!

Meister Hildebrand kümmerte sich nicht um ihn, ein paarmal aber kam die Meistersfrau, ein bleiches, unansehnliches Weib, in die Kammer und sah nach ihm, doch mehr mit wortreichen Klagen als mit Hilfe.

»Ihr werdet doch nicht von uns fortgehen, Balz,« klagte ihre hohe Stimme, »wir sind ja unschuldig an dem Vorfall!«

»Doch –doch, ich gehe,« stöhnte er, »sagt's nur dem Meister, daß ich ihm kündige.«

Da begann sie zu heulen.

Gegen elf Uhr kam sie in leidlichem Sonntagsstaat wieder.

»Ich muß im Pfarrhaus einspringen,« erzählte sie, »es ist Besuch aus der Stadt da, und die Tochter Gritli fehlt!«

Sie ging, erschien aber nach einiger Zeit wieder und brachte ihm ein Fläschchen. »Der Herr Pfarrer schickt Euch dieses Wurzelöl, es sei das beste Mittel gegen Euren Jammer. Nehmt jede Stunde einen Löffel voll.«

»Was, Ihr habt dem Pfarrer von mir gesprochen? Wie muß ich mich da schämen!« -

Nun lag er viele Stunden allein in seiner Trostlosigkeit. Das Pfeifen der Spatzen auf dem Dach war seine einzige Unterhaltung, hin und wieder hörte er auch Stimmen von Sonntagsgängern auf der Straße und einmal einen Wagen, auf dem junge Leute ein Frühlingslied sangen.

Das Lied tat ihm in den Ohren und im Herzen weh, es war ihm ein Rätsel, daß es Menschen gab, die singen mochten.

Schon malte die sinkende Sonne zitternde Kringeln an die Wand. Das Licht schmerzte ihn wie der Gesang, er wandte den Blick davon.

Das Einsamkeitsgefühl stimmte ihn wehmutsvoll. »Ob ich lebe, ob ich sterbe, das kümmert niemand aus der Welt. Was bin ich für ein armseliger Wurm!«

Da hörte er im Hause zwei Stimmen, die kreischende der Meistersfrau und die tiefe, ruhige eines Mannes.

Des Pfarrers! –Und nun nahten Schritte.

Da war Geißmann und reichte ihm die Hand.

»Ich bin die Hand nicht wert,« seufzte Balz, war aber gerührt, daß ein Mensch, dazu der Pfarrer, nach ihm sah.

»Ich kann leider nur auf einen Sprung zu Euch kommen.« Geißmann ließ sich auf dem einzigen Stuhl der abgeschrägten Kammer nieder. »Wie dauert Ihr mich! –Sagt, wie seid Ihr so elend geworden?«

In den dunklen Augen, in dem düsteren, doch gütigen Gesicht stand ihm die Teilnahme, und er legte dem Kranken die kühle, weiche Hand auf die Stirne.

Da übermannte Balz die Dankbarkeit. Was er aus Scham über sich und die anderen hatte verschweigen wollen, wurde zu einem Geständnis aus tiefbetrübtem Herzen.

Der Pfarrer half ihm dann und wann mit einer Frage nach und wußte endlich die Geschichte vom Beginn der Arbeit auf dem Freihof bis zur gestrigen Mitternacht, auch um die törichte Liebe des Gesellen zu Gertrud und um die Aufstachelung Röbis, dem er schon wegen Gritli nicht gewogen war.

Erst erbleichte er, dann stieg ihm eine dunkle Röte ins Gesicht, und er schlug die Hände zusammen.

»Das ist entsetzlich –doch nein, ich will jetzt gar nicht darüber sprechen, ich muß es zuerst in mir selber fassen, daß ein so frevles Spiel in meiner Gemeinde möglich ist!«

Die Empörung ging wie ein Sturm durch seine Seele, und eine Weile bedeckte er sich das Gesicht mit den Händen.

Er hatte seine Gäste vergessen.

Da kam die Schreinersfrau und mahnte ihn daran.

Als er auf die Straße trat, fuhr eben der Freihöfler mit seiner Tochter, die auf der Heimkehr begriffen waren, des Weges daher. Man grüßte sich, und einen Augenblick war dem erschütterten Manne, als ob er den Friedensrichter anhalten und ihm Mitteilung über das Geschehene machen müsse. Doch das kam noch früh genug. Wozu ihm den Ostertag verderben.

Der Besuch des Freihöflers und seiner Tochter in Egelsdorf war verlaufen, wie solche Tage zu verlaufen pflegen: mit großer Gastfreundschaft und viel müßiger Nachfrage. Die Verwandten lobten Gertrud, wie schön sie sich ausgewachsen habe, wie sein sie sich zu benehmen wisse, und wunderten sich laut, daß für sie noch kein Freiersmann in Aussicht sein solle. Dafür aber hatten sowohl der Freihöfler wie die Tochter taube Ohren. Bald drängte er zur Heimkehr, und die Verwandten kannten die Gewohnheit des Freihöflers, von jedem Besuch am Abend früh wieder daheim zu sein. Noch stand die Sonne im Westen, als Vater und Tochter neben dem Wägelchen zu Fuß gegen die Höhe des Freihofs hinanschritten, damit der Braune keine zu schwere Arbeit habe.

»Vater, dort sitzt ja jemand auf der Bank vor dem Hause!« rief Gertrud.

Als sie näherkamen, erkannte sie Röbi, der, die Hände über die Knie geschlungen, den Blick zu Boden geheftet, tief einsam und versunken vor sich hinträumte.

Sie hatte den sonst so Beweglichen noch nie so still gesehen.

Erst als sie ganz nahe waren, erwachte er aus seinem brütenden Sinnen und kam ihnen etwas erschreckt und verlegen entgegen.

Während der Vater den Tag mit einem Gang über seine Felder und Wiesen beschloß, gab Gertrud dem Verlobten aus einem mit Grün ausgeschmückten Körbchen ein paar buntgefärbte Eier.

Damit spielten sie eine Weile, schlugen Spitze gegen Spitze, Rund gegen Rund, lachten, schälten die zerbrochenen und. verzehrten sie.

Dabei beobachtete sie Röbi zuweilen heimlich und fragend.

Er kam ihr verändert vor.

»Wie war's denn mit dem geplanten Gang durch die freie Natur? –Und worüber hast du bei unserer Ankunft so tief nachgedacht?«

»Was ich gedacht habe?« lächelte er versonnen. »Ich habe ausgerechnet, wie lange ich noch meinen Universitätsstudien obliegen muß, um für meine Prüfungen vorbereitet zu sein. Wenn ich sehr fleißig bin und keine Zeit verliere, anderthalb Jahre!«

»Das hast du mir doch neulich schon vorgerechnet, und dem Vater auch! Aber sag, was wurde aus deinem Spaziergang?« forschte sie. »Die Wege müssen ja merkwürdig trocken und schön gewesen sein. An deinen Schuhen ist weder ein Stäubchen noch eine Spur von Schmutz. Mir kommt der Verdacht, Röbi, daß ihr gestern zu lang im Sternen gesessen seid und du den herrlichen Ostermorgen ziemlich verschlafen hast.«

Er errötete tief: »Ja, Trudi –leider!«

Sollte er ihr ein offenes Geständnis über den gestrigen Abend ablegen? Wenn der Vater Freihöfler von dem unglücklichen Vorkommnis Wind erhielt, war ihr kluger Rat wertvoll!

Sie unterbrach aber seine Gedanken: »Röbi, ich bin doch manchmal etwas unglücklich über dein Wesen. Was soll der Ulk, daß du dich bei Balz eine Weile als meinen Vetter ausgegeben hast?«

»Aha -« er sah sie groß an.

»Du bist kein lauteres Wasser, Röbi! Wozu dieses bubenhafte Spielen mit der Wahrheit? –Wem nützt es? –Dir aber schadet es, es ist nicht ehrenhaft. Ich fürchte –nein, ich will keine Gespenster an die Wand malen.«

Er wurde nicht zornig, wie sie erwartet hatte, verteidigte sich nicht einmal, sondern drückte ihr die Hand. »Du hast Recht, Trudi! Ich wollte, ich wäre wie du!«

Eine ihr ungewohnte Weichheit lag in seiner Stimme, ja ein leis wehmütiger Klang.

Darüber halb erschrocken, versetzte sie mit bittendem Ernst: »Geh heute abend einmal nicht in den Sternen, der Vater sorgt sich, daß du so ein Hocker bist! Denke an den morgigen Spieltag!«

Er konnte ihren sorgenden Augen und bebenden Lippen nicht widerstehen. »Ich verspreche es dir!« Und er schmiegte sein Gesicht zärtlich an ihre Wange.

Da kam der Vater von seinem Gang zurück, setzte sich zu ihnen, erhob sich aber bald wieder und sagte: »Ich gehe zur Ruhe. Morgen gibt's ja hier viel Lärm und gewiß beizeiten.«

Nun sollte auch Röbi gehen.

In dem stillen, schönen Abend fiel ihm das Scheiden schwer, er küßte Gertrud wie ein schüchtern verliebter Junge zarter und feiner als je und ließ ihre Hand nicht los, bis der Freihöfler im oberen Stockwerk das Fenster öffnete und mahnte: »Gute Nacht, Röbi!«

Im Heimweg ging er bei Schreiner Hildebrand vorbei und erkundigte sich nach dem Befinden Balz Bläsers.

Die Frau gab ihm Auskunft: »Er hatte einen furchtbaren Tag, jetzt ist er aber von dem, was er zu viel gefressen hat, ziemlich losgekommen. Er schläft und schnarcht und ist morgen wohl wieder hell!«

Morgen! -Röbi mochte nicht an morgen denken, jede' Erinnerung an das Spiel war ihm eine Verdrießlichkeit, doch freute er sich, daß es Balz ordentlich erging. Wird er wohl reiten können? –Wenn nicht, wer ersetzte ihn? –Vielleicht fiel das gesamte Eierlesen ins Wasser! -

Da stand er vor dem hellerleuchteten Steinen.

Nein, nun einmal Gertrud die Ehre und heim!


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