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16

Der Freihöfler arbeitete mit Wälti draußen im Acker, und Balz hatte wieder einen seiner kleinen Spaziergänge unternommen und mochte an irgendeinem Rasenbord in der Sonne ruhen.

Da kam jener Fürsprecher Eberli auf den Freihof gestiegen, der zuerst die Kunde von Röbis Mensur ins Dorf gebracht hatte, und der Alte im grauen Borstenhaar setzte sich für eine Weile zu Gertrud, die am Stickrahmen tätig war. Nachdem er mit ihr über den lachenden Maien gesprochen hatte, lenkte er das Gespräch, als ahne er ihren heimlichen Wunsch, auf Röbi über.

»Ja, um den steht es nicht gut,« versetzte er, die eiserne Spitze seines Stockes in die Erde bohrend. »Ich habe ihn zwar nicht selber gesehen, aber die Leute, bei denen er wohnt. Die Ostergeschichte ist ihm in die Knochen gefahren. Er kam schon am Abend elend in sein Quartier, schleppte sich ein paar Wochen mit Frösteln und Unwohlsein dahin, und daraus entwickelte sich ein Nervenfieber.«

Durch die Gestalt Gertruds ging ein Zittern.

»Recht krank ist er drei Wochen in einem Privatspital gelegen,« erzählte der Fürsprecher, »jetzt erholt er sich auf dem elterlichen Landgut eines Freundes. Sein Wesen soll aber ganz verändert sein –schwermütig und menschenscheu; er brauche noch Wochen, bis er wiederhergestellt sei.«

Gertrud fuhr unwillkürlich mit der Hand nach der Brust. So stark pochte im Herzen das Mitgefühl mit Röbi.

Da kam Balz des Weges daher. Die Teilnahme Eberlis, der unter einem halbderben äußeren Gehaben einen menschenfreundlichen Kern besaß, wandte sich ihm zu, und bald stapfte der Alte bergan, um wegen eines Amtsgeschäftes den Friedensrichter aufzusuchen. Die Gedanken Gertruds hafteten an der schweren Krankheit, die Röbi durchgemacht hatte, doch nicht bloß mit dem Gefühl des Mitleids, sondern auch mit einer stillen Genugtuung. Die ernste Nachricht war ihr lieber, als wenn ihr Eberli gemeldet hätte, er zeche im Kreis seiner Freunde hellauf und fröhlich. Die Erkrankung sprach für sein Gemüt, sein Herz, auch für die Stärke seiner Liebe zu ihr. Sie bezeugte, daß der schreckliche Ostermontag Spuren in seiner Seele gezogen hatte, die ihm vielleicht für seine Zukunft zum Segen gereichten.

Die schönen und traurigen Erinnerungen an ihn und die tapfere Fürsprache Balthasars vor ihrem Vater erregten in ihrem Herzen einen neuen Liebessturm, dazu ein Brief von Röbi, der ihr nun selber über die bangen Tage seiner Krankheit erzählte.

Der Freihöfler sprach nie, wie sie erwartet hatte, über die Unterredung mit Balz, dagegen hatte er den Brief Röbis bemerkt und war darüber schlechter Laune.

Man stand wenige Tage vor Pfingsten, und in ihr gärte der Gedanke, daß Röbi und sie sich nun auf das liebliche Fest die Ringe gekauft und sich vor aller Welt als Verlobte bekannt hatten, wenn nicht der Unfall Balthasars dazwischengekommen wäre. Sie rüstete sich noch einmal, für ihre Liebe zu kämpfen.

Nachdem sich Balz zur Ruhe begeben hatte, setzte sie sich dem Vater am Schiefertisch gegenüber und begann: »Mein Pfingstwunsch ist, daß auch ich ein Fest erleben darf: –ich möchte wieder die Braut Röbis werden. Es gibt sonst für mich kein Glück. Nachdem Balz ihm in seiner kindlichen Güte verziehen hat, wirst du, Vater, ihm nicht weiter zürnen wollen. Ich darf ihm doch auf Pfingsten einen freudigen Brief schreiben?«

Sie schaute ihm mit hoffnungsvoll strahlenden Augen ins Gesicht und ergriff bittend seine Hand.

Der Freihöfler aber schüttelte sie unwillig ab und blieb hart.

»Es geht nicht, Kind. Ich habe den Glauben, das Vertrauen in Röbi verloren –er ist ein Täuscher! –Was ist das für ein wundes Verhältnis zwischen ihm und Gritli Geißmann, was verrät seine Narbe für einen Leichtsinn, und in dem Augenblick, da ich die größte Freude an ihm hatte, auf der Wanderung im Runstal, und von Herzen mit ihm einig war, hatte er die gewissenlose Anbändelei mit Balz schon begonnen. Ihr beiden wart doch sicherlich im Glück mit eurer Liebe. Wer aber im Glück ist, soll sein Glück und das anderer schonen. –Er hat es nicht getan! –Sieh dir Balz an, wie steht er in seinen jetzigen guten Tagen vornehm über Röbi. Wie innig dankbar ist er für sein Wohlergehen! Und deshalb mag ich ihn, obgleich mir deine Freundschaft zu ihm fast zu viel ist. Von Röbi aber sprich mir nicht! Ich habe meine Gründe, ihn für immer als Schwiegersohn abzulehnen. Wohl dürfen wir annehmen, er sei am Bösesten glücklich vorbei, an einer gerichtlichen Untersuchung des Osterunfalles, und du selber der bitteren Not enthoben, gegen ihn Zeugnis ablegen zu müssen. Vieles ist in milderes Licht gerückt worden, namentlich auch dadurch, daß wir Balz auf dem Freihof pflegen. Man hat aber landauf, landab von dem Ereignis gesprochen, jedermann kennt jetzt die Vorspiegelungen, unter denen Balz zu dem Ritt veranlaßt worden ist, auch deine letzte verhängnisvolle Überredung des Widerstrebenden, –und wenn nun Röbi und du einander heiraten würdet, sei sicher, daß das Volk viele Jahre dahin über euch ein scharfes Gericht hielte, namentlich wenn Röbi, wie es ja doch sein Plan ist, in eine öffentliche Laufbahn tritt.«

»Was soll man uns antun können?« zitterte die Stimme Gertruds.

»Keinen Schleier vor die Augen!« versetzte der Vater. »Balz ist ein vom Tod besiegelter Mann –er kann noch etliche Wochen leben, ein paar Monate, ein, zwei, oder drei Jahre, aber der Unglücksfall wird doch sein vorzeitiges Ende nach sich ziehen. Wenn du ihn ansiehst, so sagst du dir das selbst, Gertrud!«

»Ja, Vater,« flüsterte sie kaum hörbar.

»An seinem Todes- und Begräbnistag aber wird sein Unglück auferstehen,« fuhr der Freihöfler fort. »Röbi und du, ihr werdet wieder landauf, landab in jedem Munde sein. Und wäret ihr verheiratet, würde sich die öffentliche Nachsage erst recht scharf an euch heften, er sei durch eure Schuld umgekommen. Ihr würdet einen rächenden Feind spüren, den ihr nicht kenntet, und der doch stets um euch wäre, der euch das Leben vergällte und verbitterte. Denn wer wie du und Röbi in Elternhäusern aufgewachsen ist, die den Sonnenschein der öffentlichen Achtung genossen haben, der entbehrt furchtbar, wenn er sie nicht mehr besitzt.«

»Röbi wird sie sich wieder erkämpfen! –Ich glaube an ihn!«

»Ich nicht! –Nein, dein Glück ist nicht bei ihm!«

Gertrud weinte leise und heiß.

Er legte die schwere Hand auf ihre zitternden Finger.

»Kind! –Jeder Alternde wünscht sich spielende Enkel –doch ich mir lieber keine als aus dem unzuverlässigen Blut Röbis.«

»Ich sehe ein, daß ich Röbi fahren lassen muß!« bebte ihre Stimme. »Röbi –mein armer Röbi!«

Eine Stille entstand zwischen Vater und Tochter, als ob der Todesengel durch die Stube ginge.

Den Freihöfler übernahm die Bangigkeit, eine unbestimmte, große Angst. Er fuhr seiner Tochter lieblosend mit der Hand durch das Blondhaar. »Gertrud! Wie dir das Lossagen weh tut, das kann ich ermessen, weher als Sterben; aber ich hoffe zu Gott, daß er dir in der Zukunft doch noch ein Glück bescheide –ein reines Glück, wie du es mit Röbi nie erleben könntest.«

Da schaute sie mit brennendem, tränenlosem Gesicht auf und versetzte bitter: »Denkst du an den bildhübschen Burschen aus dem Thurgau, der mir am Ostermontag nachgestrichen ist, an seinen Vater, der dir vor ein paar Tagen zum Vorwand das junge Rind abgekauft hat und dem ich den Apfelsaft habe vorsetzen müssen? –Nein, von dem bildhübschen jungen Mann schenke ich dir keine Enkel –überhaupt keine, jetzt heißt es in meinem Herzen: Stirb, Lieb' und Freud'!«

Der Freihöfler erschrak über ihr verhärtetes Gesicht. Sein eigenes Kind war ihm fremd geworden.

»Nein, von dem jungen Thurgauer spreche ich gewiß nicht!« sagte er kleinlaut. »Der kam viel zu früh, das weiß ich. Doch eine Zeit ist nicht alle Zeit, du bist noch jung, und ein ganzes Leben ohne Liebe ist lang –furchtbar lang, das bedenke, Gertrud!« Sie starrte verstört vor sich hin.

Da versetzte er: »Wir wollen zur Ruhe gehen und wieder miteinander sprechen, wenn wir weniger heiße Köpfe haben –oder lieber über diese Dinge ein Jahr nicht mehr. Wunden wollen in Ruhe heilen.«

Sie schwankte mit todestraurigem Gutnachtgruß zur Tür.

Er zog noch die Uhr auf. Sie schlug im Freihof über Pfingsten schlechte Stunden, und noch lange –lange. ––-

Als für Gertrud ein Brief Röbis kam und durch den Postboten zuerst in des Freihöflers Hände gelangte, schickte er ihn, ohne davon mit seiner Tochter zu sprechen, mit dem Vermerk »Weitere Briefe verbeten« an den Absender zurück und setzte seine Unterschrift dazu. Er betrachtete das als ein Recht seiner Vatergewalt, die ihm sehr am Herzen lag, und als das wirksamste Mittel, Gertrud langsam von den Gedanken an Röbi abzulenken, bedachte aber nicht, wie viel neue Schmerzen er damit seinem Kinde zufügte.


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