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12

Der Tag des ländlichen Festes war da –ein Morgen wie ein Kinderlächeln.

Noch hatte sich Röbi nicht fertig in den Sonntagsstaat geworfen, da kam Balz auf das Haus zugegangen, hübsch gerüstet, doch so blaß, als wäre er von einer langen Krankheit auferstanden, die Lippen blutlos.

»Guten Tag, Balz, setzt Euch im Garten ein wenig, gleich komme ich!« rief Röbi aus dem Fenster.

Ein Viertelstündchen, und da war er. Seine Augen blitzten, und seine Glieder federten sich nach dem früh begonnenen und spät beendeten Schlaf: »Nun, Bläser!«

»Ich kann nicht reiten,« erklärte Balz kläglich, so kläglich, daß Röbi ein Lachen unterdrücken mußte.

»Nein, das könnt Ihr nicht! Ich sehe es ein und will auch gar nicht in Euch dringen. Wie tut es mir leid, daß der Samstagabend so übel verlaufen ist und daß ich Euren Anfall nicht verhüten konnte! Ihr habt es wohl selbst gesehen: ich war zum Umfallen müde und leider betrunken dazu. Sonst hätte ich's nicht so weit kommen lassen. Seid mir nicht böse, Balz!«

Röbi hatte einen herzenswarmen Ton und viele gute Worte für ihn.

»Nun bitte ich Euch bloß um einen Gefallen, begleitet mich zum Freihof hinauf! Ich denke doch, wenn Euch Röthlisberger in das bleiche Gesicht sieht, überzeugt er sich, daß es jetzt seine Pflicht ist, zu reiten. Sonst muß ich das Fest im letzten Augenblick fallen lassen!«

Seine bedauernden Worte hatten schon wieder jeden Groll in Balz versöhnt, aber gegen den Gang auf den Freihof sperrte er sich. »Ich schäme mich so furchtbar!«

»Wozu? –Das Schämen ist an mir, an uns allen. Wir sollten bei Euch Abbitte leisten!«

Balz ließ sich bereden.

Als sie auf den sonst so stillen Freihof kamen, bot er bereits ein buntes Bild.

Kleine Handelsleute errichteten am Rand der Straße oder im Hofgebiet ihre fliegenden Stande, einen Jahrmarkt im kleinen, auf dem mancherlei Eßwaren die Volkslust reizten, Johannisbrot und Feigen, griechische Weinbeeren und Orangen, Lebkuchenmänner mit eingesetzten Wacholderbeeren als Augen, Dirggel mit Figuren und Sprüchen und Berge von Zuckerwaren. Nahe der Spielbahn schlug der Steinenwirt ein großes Zelt als Wirtschaftsbude auf.

Die Burschen aber ließen, obgleich sie noch manches vorzubereiten hatten, auf sich warten, und Röbi ahnte, daß ihnen der Samstagabend auf dem Gewissen und in den Gliedern lag.

Auf der Galerie sah er Gertrud; sie deckte die Tische und stellte auf jeden einen Frühlingsstrauß.

Er ließ Balz, eilte zu ihr empor, scherzte, als ob er von keiner Verlegenheit wüßte, und sprach auch kurz mit dem Vater. »Mir wird des Treibens zu viel ums Haus,« sagte der Freihöfler, »ich gehe zur Kirche. Und vor dem Mittagessen bin ich nicht zurück. Lieber als durch diesen Immenschwarm von Leuten wandere ich ein wenig um die Gemarkung.«

Die Uhr ging schon auf zehn.

Da kamen endlich die Burschen, von Röbi sehnlich erwartet, auch Röthlisberger und Ruchegger.

Als Gertrud einen Blick von der Galerie in das wachsende Getriebe warf, sah sie, daß die jungen Leute untereinander in hellen Streit geraten waren.

Röbi sprach eifrig und aufgeregt bald auf Röthlisberger, der wieder sein Zweiglein zwischen den Zähnen hielt, bald auf Ruchegger, den Trainfurier, ein und fuchtelte dabei mit den Armen. Etwas abseits aber sprachen Konrad Erb und Balz ruhig miteinander.

Was hatte denn Röbi Dringliches? –Hingehen und forschen mochte sie nicht. Auch zogen sich die Burschen etwas abseits, um keine unberufenen Zeugen ihres Handels zu haben.

Obgleich ihn Röthlisberger schon bei dem Gespräch in der Stalltüre hatte ablaufen lassen, entfaltete Röbi, sich auf die Not der Stunde berufend, eine heftige Beredsamkeit.

Doch der Fuhrhaltersohn blieb starrköpfig.

»Was hilft jetzt die Komödie, mit der wir den Gesellen in die Jungmannschaft aufgenommen haben?« schrie er Röbi zornig entgegen. »Was haben wir nun von dem Langbein und Fresser? –Die Schande! Du wirst doch nicht glauben, daß der Abend ein Geheimnis bleibe. Du kennst ja den Sternenwirt. Er ist ein glatter, jedem ins Gesicht freundlicher Herr, aber wenn er die Leute aufeinanderhetzen kann, so schenkt er's keinem. Auch uns nicht. Warte! Die Jungmannschaft wird bald genug einen Verweis vom Gemeinderat erhalten, dann wird jeder Alte seinen Sohn auffordern, aus der übelbeleumdeten Gesellschaft auszutreten. Sie fällt zusammen! –Das haben wir von deinem Schützling Bläser. Nun will er nicht einmal reiten. Wie ich dir schon gesagt habe, spiele ich nicht den Gutgenug und lasse mir von dir nicht befehlen, lieber trete ich sofort aus der Jungmannschaft aus!«

Röbi lief der Schweiß über die Stirne.

»Wir müssen aber doch die Ehre des Tages retten!«

»Rette sie, wer mag,« lachte Röthlisberger mit grausamer Kälte. »Es ist schon zu viel, daß ich Euch das Pferd überlasse.« Er steckte die Hände in die Hosentaschen und ging in den hohen Stiefeln, welche die Burschen zum Fest trugen, langsam davon.

Nun verlegte sich Röbi bei Ruchegger aufs Bitten, aber der junge Mann mit den Zwinkeraugen und dem großen Kinn hatte nur ein schadenfrohes Lächeln. »Wer mag noch etwas für die verunehrte Gesellschaft tun?« Er weidete sich an Röbis blutiger Verlegenheit.

»Die nennen sich meine Freunde!« schrie dieser schmerzlich auf. »Seid ihr denn alle gegen mich verschworen? –Ja, ich ziehe eine Lehre aus dem heutigen Tag.«

Er blickte auf die Uhr –schon über elf! Er bebte vor Erregung.

Da trat Uli Kübler zu ihm: »Es wäre doch wirklich ein Kalenderstück, wenn wir das Eierlesen im letzten Augenblick absagen müßten! Die Zeitungen im ganzen Land würden uns auslachen. Sprich doch noch einmal mit Bläser!«

»Nein! Man setzt doch nicht einen noch halb kranken Mann aufs Roß!«

In seiner Not ging er aber doch zu Balz, der selber neugierig war, wie nun der Handel auslief. Ein Haufe Burschen hatte sich um ihn geknäuelt. »Was kommt Ihr denn da herauf, wenn Ihr nicht reiten wollt?« spotteten sie. Als sei ihm die gesamte Jungmannschaft feind geworden, fielen böse Anspielungen auf seine Völlerei.

Balz merkte, daß er mit seinem Erscheinen eine Unvorsichtigkeit begangen hatte.

Da fühlte er Röbis Hand an seinem Arm.

»Ich frage Euch nur leise, Balz,« flüsterte der Obmann mit bittenden Augen. »Wenn Ihr doch reiten könntet!«

»Ich kann nicht, mir flattert's in Kopf und Gliedern, jede halbe Stunde wird mir schwindlig.«

»So geht doch heim ins Nest!« riefen ihm ein paar Burschen zu.

Röbi ließ ihn.

Alle waren in stürmischem Aufruhr, und schon sprach es sich unter der Menge herum, die den Festplatz mit ihrer Geschäftigkeit belebte, daß das Spiel ins Wasser falle.

»Also wir sagen ab!« erklärte Röbi bitter und trostlos. »Die Händler sollen den Kram wieder zusammen-, packen, und schickt Radfahrer auf die Straßen, damit sie die Leute zurückweisen, die zu dem Spiel unterwegs sind.«

Sein Blick traf Konrad Erb. Hätte er die Warnung des Buckligen beherzigt! Erb, den das Mitleid mit Röbi erfaßt hatte, rief: »Nein, nicht absagen! Schicke einen Radfahrer nach Buchen zum Löwenwirtsohn Dietrich. Er ist ein tüchtiger Reiter, Offizier bei der Kavallerie, ein Mann, der das Herz am rechten Fleck hat. Er wird uns gern aus der Verlegenheit helfen!«

Nun erhob sich der Widerspruch anderer: »Wir wollen dem Löwen in Buchen nicht verpflichtet sein. Wir wollen niemand von auswärts. Da werden wir erst recht ausgelacht, –lieber absagen!«

Röbi war des Hin- und Herredens und Streitens müde geworden.

Er erinnerte sich Gertruds, die mit den Vorbereitungen auf der Galerie längst zu Ende gekommen war. Vor innerer Bewegung zitternd ging er ins Haus und warf sich rittlings und verkehrt auf einen Stuhl, breitete die Arme über die Lehne und schnaubte wie ein heißgelaufenes Pferd.

»Gertrud –das Spiel geht fehl!«

Sie deckte eben den Tisch für das Mittagessen und ließ vor Schrecken über das Aussehen und die Meldung Röbis einen Teller auf den anderen fallen, daß sie klirrten.

»Um Gottes willen,« rief sie, »da würde ja gesamt Haldenegg lächerlich, und du, armer Junge, am meisten. –Das darf doch nicht sein!«

»Balz will nicht reiten –Röthlisberger weigert sich hartnäckig –von Ruchegger mag ich nicht sprechen –alle sind vernagelt! Ich fahre noch heute in die Stadt, ich kann die Schande nicht auf mich nehmen!«

Sein Sturm teilte sich ihr mit.

»Warum will denn Balz auf einmal nicht mehr?«

Röbi zuckte nur die Schultern. Unmöglich konnte er ihr den ganzen Grund angeben. »Es haben ihn am Samstag etliche beleidigt, und ich kam zu spät, um ihn zu schützen.«

»Da haben wir's! Das ist die seine Haldenegger Jugend!« rief sie.

Sie sann einen Augenblick angestrengt. »Röbi, ich kann dich nicht im Stich lassen –ich selber will mit Balz sprechen –hole ihn zu mir!«

Ihre Wangen glühten wie im Fieber. »Warum zögern? Wir müssen doch das Spiel retten!«

Da ging er. -

Balz wollte wegen des Grolles und Spottes, mit denen ihm manche Burschen begegneten, eben den Heimweg antreten.

Als Röbi ihn einholte und zu Fräulein Freihofer bat, lief eine große Freude über sein Gesicht und färbte es, daß man seine Blässe nicht mehr bemerkte.

Sie läßt mich rufen! Das Herz schlug ihm hoch vor Erwartung, was sie wohl für ihn wisse.

Röbi blieb an der Tür zurück.

Der Geselle drehte vor Gertrud verlegen den Hut, stand und wußte sich nicht zu benehmen.

Sie reichte ihm die Hand und richtete den vollen Strahl ihrer blauen Augen in seine braunen.

»Ich habe recht Wichtiges mit Euch zu besprechen, Balz, und ich tue es, weil ich jetzt weiß, daß Ihr auch vernünftig mit Euch reden laßt. Was habt Ihr scharfe Augen im Kopf! Darüber bin ich jetzt froh. Ich gestehe Euch im Vertrauen, daß Robert Heidegger und ich verlobt sind!«

»Herr Heidegger ist ja mein Freund, und es ist keiner im Land, dem ich Euch lieber gönnen möchte als ihm,« stotterte Balz.

So ernst die Viertelstunde war und zur Entscheidung drängte, spielte doch ein Lächeln um den Mund Gertruds.

»Für dieses Wort danke ich Euch. Und Ihr sollt nicht glauben, daß ich, weil ich Robert Heidegger liebe, nichts für Euch übrig habe. Während Eurer Arbeit auf dem Freihof seid auch Ihr mir lieb geworden, wenn auch nur in Freundschaft. Ich bewundere Euch, wie Ihr trotz Eurem schweren Lebenswege ein so geschickter Mann geworden seid, sogar ein Künstler, und daß Ihr auch sonst viel Schönes in Eurer Seele tragt. Darum habe ich ein warmes Verlangen, daß Ihr nicht nur der Freund meines künftigen Mannes seid, sondern auch mein Freund werdet!«

Sie ließ die Augen leuchten.

Balz brachte in seiner großen Verwirrung kein Wort hervor, als: »Wenn ich Eurer Freundschaft nur wert wäre!«

»Bloß nicht wieder überspannte Redensarten, Balz! Dazu ist jetzt keine Zeit. Was ich Euch sagen will: der Freihof bleibt für Euch ein offenes Haus, das werde ich, wenn auch nicht gerade heute, mit dem Vater bereden und ihn wieder zu einem herzlichen Einvernehmen mit Euch stimmen, wie es im Anfang Eurer Arbeit gewesen ist. Vielleicht werde ich den Vater bitten, daß er Euch im Freihof eine hübsche Kammer einräumt, damit ich etwas zu Euch sehen kann, auch zu Eurer Kost.«

»Fräulein Freihofer!« Erschüttert von so viel Güte war Balz dem Weinen nahe.

»Und nun, Balz, habe ich eine große Bitte an Euch. Tut mir und Röbi Eurerseits den ersten Freundschaftsdienst! Wenn ich auch selber früher Eure Anmeldung für den Ritt mißbilligt und Euch nun einige Burschen von Haldenegg beleidigt haben, –reitet und gönnt Euren und Röbis Widersachern den Sieg nicht, daß sie das Spiel vereiteln.«

»Nein, bei Gott nicht! –Ich reite –ich reite Euch zu Ehren, Fräulein Freihofer! –Was tät' ich für Euch nicht und für Herrn Heidegger!« Er sprang in seiner ganzen Lange empor.

»Ich danke Euch von Herzen, Balz! Auf treue Freundschaft! Und reitet mit Glück! Ich freue mich, am Abend ein paar Runden mit Euch zu tanzen!«

Errötend gab sie ihm beide Hände.

In einem Rausch der Freude schwankte Balz aus dem Haus, sein Gefühl der Schwäche hatte sich in das unendlicher Kraft verwandelt. Das kam aus seinem wunderbaren Glück! Er, der Freund von Fräulein Freihofer –und in ihrer Nähe leben!

Auf dem Festplatz verbreitete es sich wie ein Lauffeuer, daß das Spiel abgehalten werde, und einer, der sich am meisten darüber freute, war der Sternenwirt. Nach einer großen Enttäuschung rechnete er wieder auf ein gutes Geschäft und rief die Burschen zu einem Faß Freibier in sein Zelt.

Röbi stürmte zu Gertrud in die Stube.

»Hexenmeisterin!« jubelte er und umarmte sie. »Was wir Männer nicht zustande bringen, das erzwingst du!«

Ihm war, als sei ihm ein schmerzender Zahn gezogen worden, und in seinen Augen strahlte das Glück der Erlösung.

»Wie hast du ihn denn gewonnen?«

Sie erzählte. »Und diese Freundschaft habe ich mit Balz nicht bloß aus dem Vorteil des Augenblicks geschlossen, sondern weil ich ihn herzlich gern mag. Auch du solltest sein aufrichtiger Freund sein, Röbi! Wenn es ihm je einfallen sollte, überspanntes Zeug zu sprechen, bändige ich ihn schon.«

»Gewiß mein' ich's gut mit Balz,« rief er freudig, »namentlich seit ich weiß, wie viel Hinterhältiges in den Köpfen von Haldenegg steckt! Ihnen gegenüber ist er ein Edelmann.«

Seine frohe Glücksstimmung dauerte aber nicht lange.

Die Angst schlich ihm in die Seele, dem geschwächten Balz könne bei dem Ritt ein Unfall geschehen.

Er wischte sich mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Ich muß wieder ins Freie, Trudi! –Arbeit! Zum Mittagstisch könnt ihr mich nur auf einen Bissen erwarten.«

»O, gleich essen wir. Dort steht schon der Vater auf der Wiese und hält Umschau.«

Röbi aber lief hinaus.

Er suchte Balz.

»Um Gottes willen, reitet vorsichtig! Wenn Ihr eine Schwäche fühlt, steigt ab. Es handelt sich ja nicht darum, daß Ihr siegt, sondern bloß, daß das Fest stattfinden kann. –Seht jetzt zu, wie Ihr bei Röthlisberger den Fuchsen bekommt. Das ist mir auch noch eine Sorge.«

Er reichte Balz die Hand, und in ihrem Druck lag Dankbarkeit und Freundschaft.

Wie sonderbar! Aus übermütiger Schelmerei und um ihm einen Schabernack zu spielen, hatte er den Gesellen in die Rolle des Reiters hineingeredet, und jetzt war er voll warmherziger Zuneigung für ihn.

Als er in die Stube trat, spürte er, wie der schon am Tisch sitzende Freihöfler einen forschenden Blick über sein Gesicht laufen ließ, und daß er mit seiner Tochter etwas Schweres besprochen hatte.

Seine Augen fragten.

Da wandte sich Gertrud ernst an den Vater: »Wiederhole doch Röbi, was der Pfarrer heute morgen in der Predigt für eine Anklage vorgebracht hat. Er muß doch wissen, was dich so erregt hat.«

»War es wegen des Eierspieles?« fragte Röbi und konnte die in ihm aufsteigende Unruhe vor den prüfenden Blicken der beiden nicht verbergen.

»Nein,« erwiderte der Freihöfler mit Nachdruck. »Der Pfarrer hat sogar ausdrücklich gesagt, daß er sich nicht gegen eine Lustbarkeit in Ehren wende, die sich vor allem Volk zeigen dürfe, sondern gegen die Roheit am Wirtstisch einer Hinterstube. Er sprach vom trostlosen Ostertag eines Unglücklichen, der von schlechten Kameraden zur Völlerei verführt worden sei, und forderte alle, denen das Wohl der Gemeinde am Herzen liege, zum Zusammenstehen und Zusammenwirken auf, daß solche Schandtaten aus unserem Volksleben ausgemerzt werden. Der Pfarrer brauchte das Wort ›Schandtaten‹, und seine Anklage wird nun wohl auch im Gemeinderat ein Gegenstand der Untersuchung werden. Da werden wir sehen, gegen wen sie sich richtet, denn das ließ Geißmann im unklaren. Ich vermute: gegen die von dir geleitete Jungmannschaft –und dich! Der Pfarrer sagte ausdrücklich: ›Im Beisein eines Gebildeten.‹ Das geht doch auf dich!«

Gertrud blickte Röbi geängstigt an.

Sie dachte an den gestrigen Abend, wie er versunken und verloren auf der Bank vor dem Hause gesessen hatte, und die Erinnerung an seine weiche Stimmung ließ sie nichts Gutes ahnen. Er wechselte die Farbe, die Frage durchzuckte ihn: »Woher hat der Pfarrer Wind von der unglücklichen Sitzung?«

»Ich weiß freilich um die Geschichte,« sagte er erschreckt, »und daß sich dabei einige Mitglieder der Jungmannschaft gemein benommen haben. Doch jetzt ist nicht Zeit, darüber Aussprache zu halten, ich bin aber bereit, Euch morgen Red' und Antwort zu stehen. Wozu blaß werden, Gertrud? Mich selber trifft bloß die kleine Schuld, daß ich als Obmann nicht frühzeitig genug einzugreifen verstand.«

»Ein sauberer Obmann!« spottete der Freihöfler.

Gertrud aber hob den Kopf: »Horch!«

Helle Ländlermusik, von einer vortrefflichen Kapelle gespielt, drang in die Stube herein und wandte die Gedanken der drei Menschen, die sich wegen der Predigt des Pfarrers das Mittagessen verdorben hatten, dem bevorstehenden Volksfest zu.

»Das ist das Zipfelmützendoppelquartett von Büchlisberg!« rief Röbi, wie aus einem Bann erlöst, eilte mit Gertrud ans Fenster und öffnete beide Flügel.

Auch der Freihöfler war aufgestanden und grüßte und nickte den Musikanten zu, von denen er die beiden ältesten kannte.

Die acht Mann, die sich mit ihrem Spiel anmeldeten, waren eine auserlesene Gesellschaft von alt und jung, jeder ein vorzüglicher Musiker und ein Charakterkopf aus dem Bergland: der älteste, der den Baß strich, ein Siebziger in weißem Haar, der jüngste, der den Bogen über die Violine laufen ließ, ein rotwangiger Jüngling von noch nicht zwanzig, und dazwischen Männer der verschiedenen Altersstufen, die einen bartlos, die anderen mit roten, braunen oder grauen Bärten. Alle trugen die Tracht, die vor fünfzig oder mehr Jahren im Lande heimisch gewesen war, die schwarze Zipfelmütze, die mit ihrer Troddel auf die Schulter niederhing, den linnenen Schoßrock, der offen bis auf die Waden reichte, bunte Samtweste und Kniehosen. Unter den braunen, starkgeprägten Gesichtern fiel dasjenige des Hackbrettschlägers mit der schiefen Hakennase auf. Es war Heinrich Amstutz, der Gems- und Adlerjäger.

So bildete die Musik ein vielversprechendes Vorspiel des Festes.

»Ich muß sie begrüßen und ihnen den Platz anweisen.«

Damit lief Röbi hinaus.

»Was ist das für ein Verdruß, ein Schwiegersohn, der noch nicht die Bubenschuhe ausgezogen hat!« grollte der Freihöfler hinter ihm.

Gertrud schwieg sich aus.

Röbi tat ihr leid. Er hatte sich so warm um das Zustandekommen des Spieles gemüht und so viel schlechten Willen und heimlichen Widerstand besiegt. Nun konnte er es nicht einmal ohne Verdruß erleben!

Wozu aber traurig sein? Es erfüllte sie doch mit einem sonnigen Glück, daß es ihr gelungen war, Balz für den Ritt zu gewinnen und Röbi den Schmerz und die Lächerlichkeit einer Absage des Festes zu ersparen.

Sie setzte die Flügelhaube auf und warf einen Blick in den Spiegel. »Vater, ich gehe jetzt die Kameradinnen in Empfang nehmen. Du kommst doch auch bald!«

»Wenn man schon seinen Ärger hat, –ich glaube nämlich nicht an die Unschuld Röbis,« knurrte er der Hinaustretenden nach.


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