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13

Es war ein blauer, warmer Frühlingsnachmittag, und ein reges Leben wogte auf dem Festrasen.

Gertrud suchte Röbi, kam aber nicht recht vorwärts, denn überall gab es zu grüßen, Hände zu drücken, kleine Gespräche zu führen und Mädchen aus dem Dorf aufzufordern, daß sie sich auf die Galerie des Hauses begeben möchten, wo ihnen Liseli Suter die Stühle anweisen werde.

Sie selber erfuhr mannigfaltige Aufmerksamkeit.

»Was ist das für ein donnerschönes Mädchen?« hörte sie einen straffen Bauernburschen neben sich fragen.

»He, das ist die Eierkönigin, die Friedensrichterstochter von Haldenegg. Gelt, die gefällt dir! Gesicht und Gestalt hat sie nicht gestohlen. Ihre Mutter war auch eine schöne Frau!« erwiderte ein Bauer dem jungen Mann.

Nun strich ihr der bildhübsche Bursche mit suchenden Augen nach, und sie hatte Mühe, ihn wieder zu verlieren.

Sie fand Röbi auf dem ziemlich versteckt hinter der Scheune gelegenen Vorbereitungs- und Sammelplatz der Spielenden, der gegen die Festbahn mit einer großen Leinwand abgesperrt war. Der Raum glich einem Feldlager. Bürgerlich Gekleidete und Burschen in Tracht trieben sich darin umher, auch geschmücktes Vieh.

»Du, Hanstöni,« rief eine Stimme, »wenn Geißmann unter den Zuschauern sitzt, so mußt du ihm ein Ei ins Gesicht, unmittelbar auf die Nasenspitze, werfen und so stark, daß es zerplatzt!«

Gelächter erhob sich.

Die Augen Gertruds fragten brennend, was denn eigentlich geschehen sei, aber sie sah, daß Röbi jetzt keine Zeit für sie hatte.

Er zog die Uhr: »In fünf Minuten fangen wir an, genau um halb zwei. Wo bleibt Balz? –Er könnte mit dem Pferd längst da sein!«

»Hinten am Wald kommt er geritten!« rief Konrad Erb. »Der hat seinen eigenen Weg eingeschlagen.«

Ein paar Augenblicke später führte Balz den Fuchsen in das Lager hinein.

Nun war Röbi dieser Sorge ledig.

Balz hatte sich mit dem schwarzen Gewand, das er an hohen Feiertagen trug, und mit einem ungewöhnlich hohen Hut ausstaffiert, wie man ihn sonst hierzulande nicht sah, der also von seinem Aufenthalt in Westfalen stammen mochte. Der Hut ließ seine Gestalt noch dünner und länger, ja riesenlang erscheinen. Dazu trug er Spornstiefel, die ihm bis über die Knie reichten, und er wäre ein ganz stattlicher Osterreiter gewesen, wenn ihm die Kleider nur besser gesessen hätten. Es war aber sein Fluch, daß stets etwas Lächerliches an ihm haften blieb, und wie gern ihm Gertrud eine Artigkeit über seine Erscheinung gesagt hätte, –es ging nicht.

»Ich will Euch noch rasch die Bänder annähen!«

»Hier sind sie! –und Nähzeug!« Konrad Erb bot sie her.

Balz strahlte vor Glück, als ihm Gertrud den buntseidenen Flitter auf die Schultern, die Brust und die beängstigend hohe Hutröhre festheftete.

Geschmückt von den Händen des Fräulein Freihofer, die nun seine Freundin war! Was erlebte er an Seligkeit!

Sie aber versetzte: »Ihr seht blaß aus, Balz, und um die Augen angegriffen.«

»Es ist nichts –mir ist wohl,« erwiderte er und betrachtete ihre Arbeit mit lachendem Blick.

»Geh jetzt, Gertrud!« mahnte Röbi.

Sie verließ den Lagerplatz. Auf ihre brennende Neugier, was dem Pfarrer Anlaß zu seiner Strafpredigt gegeben habe, war sie ohne Antwort geblieben.

Bescheiden und stolz in einem Zug, erschien sie auf der Galerie, trug in der Hand den für den Sieger bestimmten, aus Tannreisig geflochtenen Kranz, trat würdevoll durch die Mädchenschar vor, die sich bereits versammelt hatte, und hängte ihn an die Brustwand der reichverzierten Laube.

Aus der Volksmenge erhob sich Beifallsklatschen und Rufe: »Die Eierkönigin!«

Sie errötete bis in die Stirne und verneigte sich in einer augenblicklichen Verwirrung unbewußt so lieblich, daß ein neuer Sturm des Beifalls losbrach.

Als hörte sie ihn nicht, setzte sie sich auf ihren hinter dem Kranz gelegenen Platz, schlug die Augen zu Boden und wagte es erst nach einem Weilchen, wieder in die Zuschauerschaft zu blicken.

Diese sah dem Anfang des Spieles mit um so größerer Spannung entgegen, als niemand recht wußte, was Röbi Heidegger neben dem Eierlesen noch für Dreingaben und Überraschungen bereithielt. Die Musik begann auf dem etwas erhöhten Bretterboden neben der Spielbahn ihre Weisen zu fiedeln. Die Gruppen des Volkes beruhigten und ordneten sich. Auf den Bänken zu beiden Seiten der Spielbahn nahmen die Eingeladenen der Jungmannschaft, ihre Familienangehörigen und die Behörden der Gemeinde Platz. Dahinter stand viel Volk aus dem Bergland, derbe Bauern mit sonngebräunten Gesichtern, Sennen in Lederkäppchen und roten Westen, Bauernmädchen und Frauen in lachender Tracht und mit sonntäglich frohen Blicken. Stickereifabrikanten waren mit ihren Familien in Wagen hergefahren und benutzten die Fuhrwerke als Schaustand. Stets noch stießen heranwandernde Haufen in die Menge. Der Sonnenschein lag so warm auf dem Gelände, daß die meisten Männer die Röcke auszogen, es schimmerte von hellen Frauentrachten und weißgestreiften Hemdärmeln. Das heitere Bild floß auf das innigste mit der hoffnungsreichen Stimmung in der Natur zusammen, mit der weiten Landschaft, dem blauen Himmel, ja sogar mit dem Geschmetter der Vögel auf den Bäumen, die bei den Klängen der Musik ihre Lieder noch stärker als sonst erschallen ließen.

Gertrud erschien die Zuschauerschaft wie eine festliche Landsgemeinde.

Nein, es wäre bitter gewesen, den vielen Hunderten zu erklären, daß das Fest nicht abgehalten werden könne, und sie hatte wohlgetan, daß sie sich bei den Streitereien der Burschen ins Mittel gelegt und Balz zu dem Ritt bewogen hatte.

Röbi kam als Obmann der Jungmannschaft in die Mitte der Spielbahn gelaufen, am rechten Arm eine rote Binde, die Beine gestiefelt.

Er wandte sich mit gezogenem Hut gegen die Eierkönigin auf der Galerie und grüßte.

Sie nickte, lächelte und machte eine zustimmende Handbewegung. Das Spiel war eröffnet.

Mit federnder Kraft sprang er auf den Boden, auf dem die Musik saß, und rief mit weittragender Stimme: »Ich bitte um Ruhe! –Die Jungmannschaft von Haldenegg gestattet sich die Anzeige, daß sie ihr Hauptspiel, das Eierlesen, mit einigen Bildern aus dem Alplerleben umrahmt, die jenem vorangehen und folgen werden. Nachher findet ein Festzug ins Dorf Haldenegg hinunter statt!«

Unter lebhaften Beifallsbezeigungen verließen Röbi und die Musikanten die Bühne. Sie blieb einen Augenblick leer.

Ein Alter trat auf den Boden, eine ausgemergelte Gestalt mit silberweißem Haar, und fing an, das Alphorn zu blasen. Bei dem Auf- und Abschweben der einfachen, feierlichen Klänge, die an der Wand der Scheune und am Rand des Waldes widerhallten, wurde es in der Zuschauerschaft kirchenstill, und viele entblößten andächtig die Häupter.

Das Spiel schaffte für die kommenden Darbietungen eine starke Stimmung, für die lieblichen oder kräftigen, mitunter auch komischen Bilder aus dem Leben der Bergbewohner und ihren Überlieferungen.

Als die Musik wieder auf dem Boden Platz genommen hatte und die Instrumente strich, sprangen, in Baumrinde eingekleidet und mit fliegenden Haaren, der Wildmann und die Wildfrau, die ausgerissene grüne Waldbäumchen auf den Schultern trugen, in die Spielbahn und bewegten sich in einfachen Tänzen. Der junge, halbzerlumpte Geißhirt kam barfuß und barhaupt mit Stecken und Salztasche daher und lockte seine Herde, die mit Gemecker und dem Gebimmel kleiner Schellen, ein paar auch in hitzigem Hörnerkampf, daherrannte. Darauf folgte das schöne Bild des Auszuges einer Rinderherde auf die Alp, voran die mächtige Heerkuh mit der großen Trichelglocke am Hals, hinter ihr die Schar prächtiger Kühe mit blumenumwundenen Stirnen und Hörnern, dazu die Sennen, Sennknechte und Sennbuben, an deren Trachtengewändern die Messinggurten und Schnallen blitzten. Auf ihren Kraxen trugen sie die mancherlei Geräte für den Sommeraufenthalt in den Berghütten, und in ihren Kuhreigen, zu denen sie die Handglocken schüttelten, lobten sie die Vorzüge ihres Viehes und die Annehmlichkeit des Lebens auf den Alpweiden.

Das waren Bilder wie geschaffen für die vielen Bauers- und Bergleute, die sich unter den Zuschauern befanden; die festliche Verherrlichung ihres Alltags tat ihnen wohl, und jedes Bild erregte freudigen Jubel.

Das Spiel war aber nicht die einzige Sehenswürdigkeit, die Augen der jungen Burschen ruhten ebensogern auf dem Kranz von Mädchen, die von der Galerie auf die Veranstaltung herniederblickten.

Ihrer drei Dutzend mochten es sein, jede im Trachtenstaat des Berglandes, in hellblauer, schimmernder Seide, weiß gestreiftem und fein gefälteltem Mieder, glänzenden Silberketten und kostbarem Kollier, in zart durchbrochenen Handschuhen und mit dem zierlichen Haarpfeil. Da waren blonde und braune, kleine und großgewachsene, feine und dralle Mädchen, auf allen Gesichtern aber stand der Liebreiz und die Fröhlichkeit der Jugend, alle ließen die zarten, großen Flügel auf den Köpfen wiegen und grüßten lächelnd ihre Bekannten in der Menge des Volkes.

Auch Gertrud, die wußte, daß sie jetzt nicht sich selber, sondern dem Fest angehörte und daß Hunderte von Blicken jeder ihrer Bewegungen folgten. Dann und wann suchte sie mit den Augen verstohlen Röbi.

Etwas Würdiges, Bestimmtes lag in seiner Art, das Spiel zu leiten, manchmal sogar ein Anflug herrischen Wesens, doch gefiel er ihr, und sie dachte mit verhaltenem Stolz, er werde gewiß einmal Landammann.

Wer unter den Zuschauern ahnte, wie er am Morgen noch gekämpft hatte, der junge Mann mit der freien Stirne!

Jetzt ruhten ihre Blicke auf dem Gesicht des Vaters, der mitten unter anderen bestandenen und ehrenfesten Männern ihr quer gegenüber in den Bänken bei der Spielbahn saß.

Er hatte seine frohe Laune wiedergefunden, und wenn sich ein neuer Aufzug entfaltete, klopfte er unbewußt mit der Hand aufs Knie. Das war ein untrügliches Zeichen, wie gut ihm die Bilder gefielen.

Er mußte sich doch wohl gestehen, daß Röbi mit dem Entwurf der ländlichen Gruppen einen glücklichen Griff getan und in kurzen Tagen und mit bescheidenen Mitteln so viel Schönes für das Osterspiel zustande gebracht hatte wie keiner zuvor, und er mußte sich auch an dem großen Ordnertalent seines künftigen Schwiegersohnes erfreuen, der den Auf- und Abzug der Gruppen mit unauffälligen Winken leitete.

Nicht weit vom Vater, doch etwas zurück, saß Pfarrer Geißmann.

Als Gertrud den Geistlichen erblickte, der mit den dunklen Augen ernst, fast düster in das Spiel schaute und nur selten ein Lächeln über das Gesicht huschen ließ, stieg in ihrem Herzen ein Groll gegen ihn auf, daß er just am Ehrentag Röbis eine so häßliche Anklage gegen die Jungmannschaft erhoben hatte und ihr damit heimlich das Fest verdarb.

Mehr fesselte sie sein junger, blonder Nachbar, der den Bildern mit frohgemuter Teilnahme folgte. Das war Pfarrer Alois Burgener aus Büchlisberg, der seine kinderguten, lachenden Augen auf Gritli geworfen hatte. Schier unbegreiflich, daß sie die Hand dieses Mannes ausgeschlagen hatte, dessen frische und geistig bedeutende Erscheinung jedermann gewinnen mußte. Die Törin! Nein, sie verstand Gritli nicht mehr. Warum stets noch der Liebe zu Röbi nachgrübeln? Mit dem jungen Geistlichen war doch gewiß auch ein Glück zu gründen!

Das feine Gritli aber fehlte ihr in der Gesellschaft der schäkernden Mädchen. Was sie heute in dem fernen Bergdorf denken mochte? Gewiß erlebte sie einen schweren Tag.

Der erste Teil der Aufzüge aus dem Alplerleben war vorüber, und von der Empore der Musiker kündigte Röbi eine viertelstündige Pause an.

Mächtiger Beifall umbrauste den Schöpfer und Leiter des Festes.

In das Volk kam strömendes Leben, um das Erfrischungszelt des Sternenwirtes drängte sich die Menge.

Viele Jungburschen aber grüßten forschend, prüfend, wählend zu den Mädchen auf der Galerie empor. Sie warfen ihnen eine Menge in bunte Papiere gewickelter Karamelsteine zu. Die Mädchen fingen die Plättchen geschickt auf, entledigten sie rasch ihrer Hüllen und lasen die den Zuckersteinen beigegebenen fröhlichen Spruchzettel, die allerlei mehr oder weniger witzige Anspielungen auf Liebe und Ehe enthielten. Lachen überall, auch Spottlachen, denn nicht alle Verse gefielen. Die, welche von den Empfängerinnen zu plump erfunden wurden, glitten wieder zu den Burschen hinunter; wenn den Mädchen aber ein Spruch gefiel, so warfen sie dafür dem Spender eine Blume zu oder winkten ihm, daß er ein Osterei als Gegengeschenk zu erwarten habe.

So war auch im kleinen mancherlei Spiel.

Nun aber kamen Vree und ein paar Gehilfinnen mit dem Abendbrot, und bald erquickten sich die Eingeladenen Gertruds an Kaffee und Kuchen, wovon Hügel aufgeschichtet lagen.

Sie jedoch verließ heimlich ihren Platz, stieg ins Freie hinunter und suchte Röbi.

Dabei sah sie, daß der Vater und Pfarrer Geißmann in lebhaftem, zugleich ernstem Gespräch beisammenstanden. Sie streifte so nahe an den Männern vorbei, daß sie gerade noch hörte, wie der Pfarrer sagte: »Herr Friedensrichter, ich übernehm's schon!«

Was? –Die erhitzten Köpfe der beiden gefielen ihr nicht.

Sie fand Röbi wieder im Lager, neben ihm Balz, der den Fuchsen liebkoste, Hanstöni, Uli Kübler und andere, die sich für die kommende Arbeit gerüstet hielten.

Röbi saß etwas erschöpft auf einem Schemel und ruhte sich mit langgestreckten Beinen aus.

Sie lachte ihn mit leuchtenden Augen an und sagte ihm aus vollem Drang der Seele ein paar Worte des Stolzes über das Spiel.

Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und versetzte mit mattem Lächeln: »Ich wollte, es wäre vorbei!«

Nun aber sprang er auf: »Die Viertelstunde ist um –vorwärts! Sind die Radfahrer, welche die Wachen an den Straßen zu halten haben, fort?«

»Fort!« erwiderte ihm Konrad Erb.

Sie sagte Balz noch ein Wort der Wegstärkung und ging, über die müde Bemerkung Röbis etwas in Sorgen, wieder auf die Galerie.

Auch die Zuschauer hatten ihre Plätze wieder aufgesucht.

Die Musik spielte ein fröhliches Volkslied.

Da ritt Balz neben der Scheune auf die mit Sägespänen bestreute Bahn vor. Ihm folgte zu Fuß der Werfer, der Wannenhalter, dann ein Paar als Halbnarren gekleidete Jungen, die in Körben die Eier für das Spiel trugen, und die Wachen, ein Halbdutzend Burschen, denen die Aufsicht darüber oblag, daß das Lesen nach alter, guter Regel vor sich gehe.

Nun war dem Volk eine große Frage gelöst –das Geheimnis, wer reiten werde!

Mächtiges Gelächter über den langen, dünnen Reitersmann entstand, Rufe erschollen: »Der sitzt ja wie der Schneider auf der Ziege!« Und das Gelächter pflanzte sich so weit hin, als es Zuschauer gab.

Gertrud erschrak. Wie mochte Balz unter dem Spott leiden!

Noch etwas spannte ihre Sinne.

Der Vater und der Pfarrer hatten die Plätze gewechselt, Geißmann saß vorn, und jetzt stand er auf, wie wenn er in die Spielbahn hineintreten wollte.

In diesem Augenblick hatte Balz, der den Pfarrer wohl gar nicht bemerkte, einen guten Einfall. Um sich dem Gelächter des Volkes zu entziehen, wandte er das Pferd mit raschem Ruck, sprengte die Spielbahn zurück, hinauf in die Wiese –fort –fort, und manche glaubten, daß er Reißaus nehme!

Verblüfft setzte sich der Pfarrer wieder.

In großem Bogen kehrte Balz wieder in die Nähe des Festrasens zurück, und diejenigen unter den Zuschauern, die etwas vom Reiten verstanden, merkten, daß das komische Langbein sein warmblütiges Tier mit großer Sicherheit beherrschte. Da die von Haldenegg manches Rühmenswerte von dem Gesellen zu erzählen wußten, gaben sich auch die Gäste von auswärts mit der Erscheinung des lächerlichen und doch so behenden Reitersmannes zufrieden.

Während sich Balz auf den Wiesen tummelte, legten die beiden jungen Halbnarren die Eier, die der Werfer in sein Ziel schwingen sollte, aus den Körben auf die Bahn. Der eine reihte sie allzu nah aneinander, sein Gegner legte sie, ihn scheinbar verbessernd, zu weit voneinander weg, sie maßen sich gegenseitig die Entfernungen nach und gerieten darüber in eine lustige Balgerei, bis sie die Eier doch nach Vorschrift ordneten, das erste drei Klafter vom Ziel, jedes folgende einen Fuß vom vorhergehenden, das letzte ans Ende der weithinlaufenden Bahn.

Die Spaßmacher verschwanden, die Musik setzte zu klingendem Marsche ein, die Spieler traten näher, beide die Hemdärmel zurückgekrempelt, die Beine bis zu den Knien mit Lederhosen bedeckt und barfuß. An Größe der Gestalt erreichte nur Hanstöni das Mittelmaß, aber ihm wie Kübler gaben die stählernen Glieder etwas Reckenhaftes.

Sie schauten gleichmütig in die Zuschauerschaft und grüßten mit fröhlichem Ruf zu den Mädchen empor.

Von der Musikbühne winkte Röbi zu Balz in die Wiese hinaus.

Da ritt der Lange auf seinem Fuchs heran.

Weniger Gelächter als vorhin, dafür Beifall begrüßte ihn.

Die Spieler und der Reiter schüttelten sich die Hände, ein Versprechen, daß man, wem auch der Sieg zufalle, Freund bleiben wolle, und Hanstöni rief ihm noch einen seiner Scherze zu: »Wer hat schon ein solches Gestell auf einem Pferd gesehen? Erschreck mir die jungen und alten Weiber in Buchen und Buchlisberg nicht zu stark!«

»Wenn ich nur erst dort wäre!« dachte der Reiter.

Eben trat Röbi noch an Balz heran und bat ihn zum letztenmal um Vorsicht.

Auf der Galerie hatte sich Gertrud erhoben, sie wußte selber nicht um ihre grenzenlose Spannung.

Da eilte plötzlich Pfarrer Geißmann, das Feuer der Entrüstung in den Augen und vor Erregung zitternd, unter die Burschen auf der Bahn.

An Röbi vorüber wandte er sich zu Balz: »Leichtsinniger –ich verbiete Euch den Ritt –Ihr waret ja gestern noch schwer krank!«

Die Burschen waren über den kühnen Eingriff des Geistlichen sprachlos.

Hanstöni war der erste, der sich wieder fand. Auflachend gab er dem Fuchsen einen Klaps auf den Hinterschenkel und rief: »Vorwärts, Balz!«

Balz folgte dem Ruf, gab dem Pferd die Sporen, ritt durch die Bahn, schwenkte den Hut und grüßte zu Gertrud empor, die ihm mit Hunderten von Zuschauern nachwinkte. Lachen und Ermunterungsrufe folgten ihm, bis er in die Straße nach Haldenegg einlenkte.

Eine maßlose Überraschung stand auf dem Gesicht des Pfarrers wie der Burschen.

Hanstöni entschuldigte sich lachend: »In der Kirche seid Ihr der Herr –auf der Spielbahn aber sind wir es!« Mit scherzhafter Bewegung gegen den Pfarrer tat er, als ob er ihn mit seinen baumstarken Armen in den Zuschauerplatz zurückwerfen wolle. »Macht uns nicht noch wilder, als wir schon über Euch sind!« Und zu Kübler gewandt: »Anfangen, Uli!«

Dem Pfarrer blieb nichts als die Einsicht übrig, daß er den kürzeren gezogen habe; er winkte dem Freihöfler, der ihm zornig zu Hilfe kommen wollte, ab, und zurückweichend flüsterte er hochroten Gesichtes Röbi zu: »Wir sind alte Freunde, ich habe dich aus deiner Bubenzeit lieb! Darum hoffe ich, daß Balz nicht auf dein Gewissen komme!«

Röbi erwiderte kein Wort, er bebte aber vor Ärger oder Furcht.

Die Einmischung des Pfarrers Geißmann in die Angelegenheiten der Jungmannschaft und sein Widerspruch gegen den Ritt hatten sich so rasch zugetragen, daß die Zuschauer, durch den Abritt Balthasars gefesselt, nicht recht begriffen, was der Handel bedeuten solle. Viele glaubten, daß der Pfarrer Balz einen Glückwunsch auf den Weg habe mitgeben wollen; diejenigen aber, die gemerkt hatten, daß es sich um einen ernsten Zwischenfall handle, mißbilligten sein Auftreten und gönnten ihm den Mißerfolg mit verhaltenem Lachen.

Der Freihöfler schüttelte dem Empörten in warmer Zustimmung die Hand.

Gertrud hatte, ohne die Worte des Pfarrers und Hanstönis zu verstehen, den Vorgang begriffen; sie war erbleicht auf ihren Stuhl zurückgesunken, und der große Zorn, der im Gesicht ihres Vaters stand, ängstigte sie bis zum Herzpochen.

Hanstöni und Uli Kübler standen schon im Spiel.

Wie im Scherz nahm Hanstöni die ersten der schnurgerade am Boden hingelegten Eier, warf sie die kurze Strecke ins Ziel dahin, und Kübler beobachtete mit Luchsaugen die heranfliegenden, fing manche geschickt im Wurf mit der Hand auf, die meisten aber in dem flachen, weichgepolsterten Korb, der Wanne, die er mit stetem Schwung nach dem Lauf jedes Eies bald vor, bald über sich, tief und hoch und links und rechts hinaus schwenkte, und reichte die aufgefangenen den zudienenden Halbnarren, die sie in den Korb legten.

Stück um Stück, und keines ging verloren.

Die elegante Hantierung der beiden erregte das Wohlgefallen der Zuschauer.

»Die könnten sich ja als Jongleure in einem Variété anwerben lassen,« hörte man, und bei manchem schönen Wurf ertönten Beifallsrufe. Sie galten vorab Kübler, dem kleinen, dürren Männchen, das in ständiger Bewegung seine Rolle mit unbewußter Anmut spielte, während Hanstöni die scherzende Überkraft entfaltete.

Dann und wann spiegelte er den Zuschauern den Unbehilflichen vor und warf ein Ei, als sei es ihm zufällig entglitten, in weitem, flachem Bogen über das Volk, wobei Mädchen und Frauen aus Sorge für ihre Kleider aufkreischten; doch waren die Würfe so gut berechnet, daß die Eier ins Grün der Wiese fielen. Die Burschen der Gegenpartei ersetzten jedes, das nicht ins Ziel ging, durch ein anderes.

Schon hatte Hanstöni die ersten paar Dutzend Eier in die Wanne geworfen, und die Zuschauer schlossen Wetten um ein Abendbrot unter sich ab, wer gewinne, Werfer oder Reiter.

Wann erreicht der Reiter Buchen?

Mit freiem Auge und mit Feldstechern verfolgte das Volk von der Höhe des Freihofes den Ritt, wie Balz in Haldenegg verschwand und aus den Häusern hervor wieder auf dem weißen Band der Straße erschien, an der sich lose Gruppen von Neugierigen aufgestellt hatten, um ihn vorbeisprengen zu sehen. Bald darauf verlor er sich in die Tiefe des Buchener Tobels, einer jener drei Schluchten, welche die Dörfer trennen.

Auch Gertruds Augen folgten unablässig Balz. Seit sich der Pfarrer in die Veranstaltung der Burschen gemischt hatte, witterte sie irgend eine Gefahr für ihn. Wenn sie doch nur wüßte! Sie konnte ihre innere Unruhe und Angst kaum mehr bemeistern, namentlich nicht, als erst der Pfarrer, nachher der Vater wie zum Zeichen des Widerspruchs gegen das Spiel ihre Sitze im Zuschauerraum verließen und nicht wiederkamen. Die leeren Plätze muteten sie wie Rachen böser Tiere an, die für eine Beute geöffnet sind.

Wo steckte denn Röbi?

Sie hatte nur den Kopf zu wenden gebraucht, er stand dicht hinter ihr! Blaß und in halbem Fieber lehnte er an der Rückwand der Galerie und hielt den Feldstecher hinaus gegen Buchen gerichtet.

Gottlob, dort tauchte Balz aus der Schlucht auf.

Ein Weilchen später hörte man aus der Zuschauerschaft die keifende Stimme einer alten Frau, die mit ihrem Mann in Zank geraten war. Pfiffe in ihrer Umgebung mahnten sie zur Ruhe, aber jetzt kreischte das Weib gegen die Pfeifenden.

Da warf ihr Hanstöni aus der Bahn heraus ein Ei an den Kopf.

Helles Gelächter!

Die beschmutzte Alte drängte in Wut und Empörung gegen den Werfer heran. »Du Tölpel –du Rabenaas -du Unflat!« und fuchtelte mit den Armen.

»Nichts für ungut!« lachte Hanstöni. »Ich habe Euch bloß den Mund schließen wollen –Nun schreit Ihr ja noch mehr!«

Die Alte merkte, daß, wer den Schaden hat, für den Spott nicht zu sorgen braucht. Immer noch fuchtelnd, zog sie sich unter dem Gelächter des Volkes zurück.

»Nun aber keine Eier mehr verwerfen!« mahnte die eigene Partei, und in eiligem, doch sicherem Spiel rückte Hanstöni mit dem Auflesen und Werfen der Eier stets weiter von seinem Partner ab.

»Der Reiter ist in Buchen angekommen!« scholl es aus dem Volk.

Hanstöni hatte jetzt aber auch das erste Hundert Eier erledigt, und selbst die Kenner konnten nicht voraussagen, wem der Sieg zufallen werde.

In Buchen war für den Reiter ein durch die Spielregeln vorgeschriebener Halt, während dessen er vom Pferd zu steigen hatte und der Löwenwirt ihm einen Trunk zu reichen pflegte.

Röbi hielt die Uhr in der Hand.

Nein, Balz säumte keinen Augenblick zu lang –er ritt schon wieder –dem nächsten Halt entgegen, Büchlisberg!

Inzwischen kam für den Schwinger, der sich stets weiter vom Wannenhalter entfernte, der aufregendste Teil des Spiels.

Wie geschickt er auch die Eier in weitem, flachem Bogen ins Ziel warf und ihm der zähe Kübler mit schneller Berechnung des Fluges den Korb darhielt, fiel ein Ei vor der Wanne zu Boden, und als er die Schwungkraft der baumstarken Arme verdoppelte, flog ein anderes so hoch, daß es der Partner nur noch mit einem Luftsprung auffangen konnte.

Man spürte eine leise Unsicherheit an Hanstöni.

Der Reiter tauchte unterdessen in die Waldschlucht zwischen Buchen und Büchlisberg hinab, durch die der Brummibach fließt.

Das war nach Vorschrift das Zeichen für eine Pause auf der Spielbahn, die so lange dauert, bis der Reiter in Büchlisberg einritt, das hübsch auf der Höhe der Uferhalde liegt.

Kübler und Hanstöni erquickten sich an einem reichlichen Trunk Apfelsaft und unterhielten sich vor den Leuten, die in der Nähe saßen oder standen, lebhaft lachend und ohne die Anstrengungen merken zu lassen, die schon hinter ihnen lagen. Zwischenhinein aber führten sie ein Flüstergespräch, das nur sie unter sich hörten.

»Du, nimm dich zusammen, ich fürchte, wir verlieren!« mahnte Kübler.

»Ich auch!« gab Hanstöni zurück. »Ich habe ja sonst Nerven wie ein Stier, aber heute –ich merk's –ist mir die Wut auf den Pfarrer in die Arme gefahren!«

Auch droben auf der Galerie unterhielt sich ein Paar flüsternd über Geißmann: Röbi und Gertrud.

»Warum wollte er Balz zurückhalten? Es liegt etwas in der Luft, worüber mir niemand Auskunft gibt. Um Gottes willen, Röbi, so sprich! Warum haben der Vater und der Pfarrer das Spiel verlassen?«

Um den Mund Gertruds zuckte das Weinen.

»Ich weiß es nicht! Sei tapfer, Trudi, ich muß es auch sein!« bat er, stellte sich wieder an die Wand und hob den Feldstecher.

Jetzt ritt Balz in Büchlisberg ein, wohlbehalten, und Röbi atmete hoch.

Schon hatte der Reiter auch diesen Halt hinter sich, ritt auf der Straße gegen Haldenegg, deren Band durch das Runsbachtobel entzweigeschnitten wird. Er und sein Roß wuchsen vor den Blicken, und man konnte selbst die Gestalten der Burschen erkennen, von denen ihn die seiner Partei mit Ermunterungsrufen anfeuerten, während ihm die Gegner Verwirrendes zuriefen: »Du reitest ja auf drei Hufeisen! –Du hast am Knie die Hosen zerrissen.«

Er verschwand in der Schlucht.

Auf der Bahn hatte das Spiel wieder eingesetzt.

Hanstöni hatte die Weste abgeworfen; nur noch mit kurzer Hose und offenem Hemd bekleidet, raffte er in Händen und Armen so viel Eier zusammen, als sie fassen wollten, rannte damit in die Wurfweite des Ziels und wieder zurück.

»Ruhig Blut!« rief Uli Kübler dem Uebereifrigen ein paarmal zu.

Was half's? –Hanstöni verwarf etliche Eier, aber nicht aus Scherz, sondern aus einer Unsicherheit, als ob sich seine Kraft im Rennen, Bücken, Sammeln, Wenden, Zurückspringen, Zielen, Werfen erschöpft hätte. Und ein paar Eier glitten ihm aus der Hand.

»Der Reiter gewinnt!« flüsterte es schon unter den Zuschauern.

Nein! Seltsam lang tauchte Balz nicht aus der Schlucht hervor.

Alle Augen und Feldstecher waren auf die Stelle der Straße gerichtet, auf der er aus der Schlucht hätte ins freie Feld herausreiten sollen.

»Der Narr –jetzt, wo er gewinnen könnte!« hörte man Stimmen.

»Vielleicht ist ihm ein Unfall geschehen,« erwiderten andere.

Gertrud und viele ihrer Gespielinnen waren aufgestanden und spähten in wortloser Spannung.

In Röbis Händen zitterte der Feldstecher. »Gertrud!« rief er leise.

Als sie den Kopf wandte, ergriff er ihre Hand und führte sie stumm von der Galerie in den rückliegenden, mit alten Landschaftsbildern ausgeschmückten Hausflur.

Da waren sie für den Augenblick allein.

»Röbi –jetzt sprich!«

Er bedeckte ihr heißes Gesicht mit wilden, bebenden Küssen, umschlang sie und neigte den Kopf auf ihre Schulter.

»Gertrud, mich tötet's! Ich bin der schlechteste Mensch auf Gottes Welt. –Ich habe dir nicht gesagt, daß Balz einen Heißhungeranfall gehabt hat –er ist noch krank –eine halbe Stunde vor dem Ritt wurde ihm übel –mit Kaffee und Kirsch haben wir ihn wieder auf die Füße gebracht. –Jetzt –jetzt aber ist er gestürzt –wenn ihn doch nur der Pfarrer hätte zurückhalten können!«

Wie ein feuriger Strom, der an die Luft brechen muß, kam das Bekenntnis aus seiner Seele und erstickte in Schluchzern.

Als ob in ihrem Innern etwas breche, stieß sie einen leisen Schrei aus: »Röbi, was hast du getan? Unsere Liebe steht auf dem Spiel! –Wenn Balz verunglückt ist, –denke, was tut der Vater!«

Die Worte liefen ihr wirr durcheinander.

»Was kommt, sehe ich furchtbar deutlich!« stöhnte Röbi.

Sie umschlangen sich, eines spürte das schmerzhafte Herzpochen des anderen.

Standen sie kurz so, standen sie lange?

Sie hörten die erlösenden Rufe nicht: »Dort kommt er –dort kommt er!«

Erst Schritte im Gang schreckten sie auf.

»Ich suche dich überall, Gertrud!« Es war Liese Suter, und jetzt lachte sie: »Ich habe dir nur sagen wollen, Gertrud, daß Balz wieder munter zum Vorschein gekommen ist! –Laßt Euch durch mich nicht stören im Liebsein!«

Trällernd ging sie.

Das Paar fand sich nach und nach wieder zurecht und durfte sich wieder unter die Menschen wagen.

Wie war die Eierkönigin blaß!

Ja, dort ritt Balz gegen das Dorf Haldenegg heran, doch saß er schlechter zu Pferd als vorher.

Röbi bemerkte es sogleich. Und Balz trug beschmutzte Kleider –also war ihm in der Schlucht doch ein Unfall geschehen! Auch die Zuschauer sprachen darüber, nahmen aber an, der Sturz sei ungefährlich gewesen. »Wenn er etwas schärfer ritte, würde er noch Sieger!«

Hanstöni warf die Eier stets schlechter, und in den vorderen Reihen begann man zu spotten: »Wir müssen die Bänke räumen, sonst bekommen wir sie an die Köpfe.«

»Mir ist der Arger über den Pfarrer in die Arme gefahren. Der wäre gescheiter gar nicht gekommen, der Spielverderber, der nachher doch wieder weggelaufen ist,« grollte er im Lauf den Jungburschen zu.

Er wurde lässig, man spürte, daß er das Spiel heimlich verloren gab.

Doch auch Balz schien sich um den Sieg nicht sonderlich zu bemühen. Langsam und schlecht ritt er aus dem Dorf Haldenegg hervor, überhörte die Anstachlungen der an der Bergstraße stehenden Wachen und ließ sich, als er schon in die Nähe des Festplatzes gekommen war, weder durch das Tücher- und Hutschwenken des Volkes noch durch die Juchschreie der Burschen zu einem rascheren Ritt bewegen.

Umsonst die Zurufe: »Eilt –eilt! –Ihr könnt noch gewinnen –vorwärts doch –vorwärts!« Zwar hielt er krampfhaft die Zügel, aber sein Kopf erschien steif, die eingesunkenen Knie schlotterten ihm, und man sah wohl, daß mehr der Fuchs seinen Herrn als dieser sein Tier lenkte.

Gelächter und Rufe des Mitleids wurden laut.

Röbi stand bei der Musik, die zu einem schmetternden Empfang rüstete. Der große Silberbecher, aus dem er dem Sieger und dem Besiegten den Ehrentrunk reichen sollte, zitterte in seinen Händen, und auf die kurze Rede, die er für sie vorbereitet hatte, konnte er sich nicht mehr besinnen.

Neben ihm erwartete Gertrud mit dem grünen Siegeskranz den Ausgang des Spiels, aber nicht als strahlende Osterkönigin, sondern mit einer so blassen Würde, als käme sie vom Grab eines lieben Verstorbenen.

Hanstöni war bis auf sechs oder sieben Eier mit dem Schwingen fertig geworden, er konnte sie alle in die Pratzen fassen, nur die beiden letzten nicht.

Bevor er sie geworfen hatte, ritt Balz in die Bahn, vorwärts bis vor den Wannenhalter, und hielt dort das Pferd an.

Die Zuschauer ergingen sich in Freudenrufen.

Das Langbein Sieger, Hanstöni der Besiegte! Mit ingrimmigem Lachen verwarf er ein paar der Eier in die Wiese hinaus, die anderen schenkte er den nächststehenden Kindern und reichte Kübler die Hand: »Wir haben heute wohl zum letztenmal Eierlesen gespielt –alle Achtung vor dir, Uli –mich hat der Pfarrer um jedes Glück gebracht.« Voll Galgenhumor über den Ausgang des Spiels schlangen sie die Arme ineinander, jodelten und riefen den Mädchen auf der Galerie zu: »Tanzen müßt ihr ja doch mit uns!«

Nun aber wandten sie sich zum Sieger, um ihm nach altem Brauch die Hand zu drücken.

Da verging ihnen das Lachen.

Mit verglasten Augen saß Balz auf dem ruhig stehenden Tier, bewegungslos und wie entseelt, den hohen Hut zerbeult, die Kleider beschmutzt.

Röbi wollte ihm den Becher reichen, Balz rührte sich nicht. Als ihm aber die blasse Eierkönigin mit einem leisen Lächeln den Kranz entgegenstreckte und mahnte: »Nehmt ihn doch, Balz!«, da kam etwas Leben in seine Züge. Die Hand klammerte sich schwach um das Gewinde, und er versuchte ihr zu danken.

Nur ein Gurgellaut kam aus seinem Mund –der Kranz entfiel ihm –auf seine bleichen Lippen quoll ein großer Tropfen frischen, roten Blutes.

Da hob Hanstöni den Schwankenden vorsichtig vom Pferd.

»Balz –Balz!« stöhnte Gertrud.

Da wandte er ihr den Blick zu.

Man legte den halb Ohnmächtigen auf ein vom Lagerplatz herbeigeschafftes Tuch, und bald bildete sich ein Ring von Neugierigen um ihn her.

Mit schweren Atemzügen stieß er Blut auf die Lippen.

Röthlisberger drängte durch den Kreis zu seinem Fuchsen und untersuchte ihn. »Gottlob, der hat keinen Schaden genommen –das hätte mir noch gefehlt!« Und mit einem Blick auf Balz: »Nun, Röbi, da hast du die Quittung für deine Zwängerei!«

Ruchegger stand giftig lächelnd dabei: »Es bleibt eine ewige Schande für Haldenegg, daß der Geselle hat reiten müssen. Und wer ist schuld?«

Röthlisberger stieg auf sein Tier und ritt dorfwärts; mit ihm verschwand auch Ruchegger.

Röbi, um Balz beschäftigt, würdigte sie keiner Erwiderung, sondern trat dem Doktor Heuscher von Buchen entgegen, der sich unter der Zuschauerschaft befunden hatte und jetzt mit Konrad Erb herankam.

»Irgend eine innere Verletzung ist wahrscheinlich,« erklärte der gemütsruhige Fünfziger, »vielleicht ein Lungenriß. Er kann in der Nacht sterben, er kann aber auch am Leben bleiben. Legt ihn auf ein Wägelchen und führt ihn heim, ich kann hier keine genauere Untersuchung vornehmen. Wo ist er zu Hause?«

»Hier –hier!« zitterte die Stimme Gertruds, und sie deutete auf den Freihof.

Röbi und Hanstöni trugen Balz so, wie er auf dem Tuch lag, ins Haus, und hinter ihnen schwankte wie eine im Dunkeln Tastende Gertrud.

Die Volksmenge, die dem anreitenden Balz zugejauchzt hatte, erfuhr nun auch rasch von dem Unglücksfall.

Bald kamen, ihre Räder vor sich herstoßend, die Burschen, die dem Reiter die Wacht gehalten hatten, auf den Platz herauf. Sie brachten den Harrenden den näheren Bericht über das Geschehnis. Schon beim Einritt in Büchlisberg habe Balz geklagt, ihm sei ein Wegstück so schwarz vor den Augen geworden, daß er kaum die Straße habe erkennen können. Nach der Rast habe er sich erfrischt gefühlt, in der Schlucht sei aber wohl wieder eine Schwäche über ihn gekommen. An einer Stelle, die als ungefährlich gelten müsse, sei er, statt dem Bogen der Straße zu folgen, wie blind, geradeaus geritten und kopfüber, seitlich vom Pferd, das sich von selber wieder aufrappelte, die Böschung hinunter auf einen feuchten Wiesenfleck gestürzt. Scheinbar hatte er sich nicht viel Leides getan. Als Hilfe kam, war er schon wieder aufgestanden, und außer ein paar Kritzen von Brombeerstauden habe sich keine Verletzung finden lassen. Sie hätten ihm das Gesicht mit Wasser und Branntwein gewaschen, worauf er wieder auf das Pferd zu steigen und den Ritt zu beendigen verlangte. Da hätten sie allerdings bemerkt, daß ihm der Sturz etwas den Atem verschlagen habe, aber an einen ernsten innerlichen Schaden habe keiner von ihnen gedacht.

Die erschrockenen Burschen berieten, ob man das Fest, für das noch etliche Bilder aus dem Alpenleben vorgesehen waren, aufheben oder zu Ende führen wolle. Sie beschlossen, am ursprünglichen Plan festzuhalten; man vermeide damit ein zu großes Aufsehen über das Unglück.

Sie holten Röbi, der hinter dem Haus umherirrte, damit er das dritte Spiel ankündige, aber die Stimme versagte ihm bei den wenigen Worten, und als er von der Bühne wieder zur Erde stieg, strauchelte er.

»Der arme Student,« flüsterten die Leute da und dort, »ihm ist das Unglück zu Herzen gegangen, als habe es ihn selber betroffen!«

Die Eierkönigin war überhaupt nicht mehr zu sehen. Die Mädchenschar auf der Galerie lichtete sich. Die Musik spielte, der angemeldete dritte Teil war im Gang, trotzdem aber begann das Volk vom Festplatz abzuströmen. Der jähe Wechsel frühlingshafter Festfreude und blutigen Unglücks hatte jedermann erschüttert, und als sich das Gerücht verbreitete, Balz sei drinnen im Freihof bei der Untersuchung durch den Arzt gestorben, brachen die meisten Zuschauer fluchtartig auf.

Selbst die Spielenden versagten, und rasch kam der stimmungsvoll erdachte Schluß der Veranstaltung: eine Gruppe von Sennen rief durch die großen hölzernen Milchtrichter den Alpsegen feierlich über die vom Abend verklärten Lande.

»Wozu der Segen auf das mißratene Fest?« spottete Hanstöni.

Umsonst versuchte er den Zug ins Dorf hinunter zu ordnen. Viele, die teilnehmen sollten, hatten sich schon aus dem Staube gemacht, und bei dem Rest begegnete er völliger Unlust.

»Ich fürchte, der Sternenwirt hat für heute abend zu viel gekocht!« rief er Konrad Erb zu.

»Wer mag noch an Essen, Trinken und Tanzen denken!« erwiderte der Bucklige.

»Ich! Meine Runden will ich haben –leb wohl, Konrad!« lachte der Senne.

Einer nach dem anderen ging.

Im Sonnenuntergang lag der Freihof so still, daß man nichts als das Plätschern des Brunnens hörte.

Den Kopf tiefnachdenklich gesenkt, die Hände auf dem Rücken, kam der Freihöfler vom Walde her. Von heimkehrenden Festbesuchern wußte er, was geschehen war, sogar mehr: –daß Balz gestorben sei.

Die verwüstete Wiese würdigte er keines Blickes.

Als er in die Stube trat, saß Röbi am Tisch, den zerzausten Kopf auf die Arme gebeugt, und schluchzte leise in sich hinein.

Am Fenster stand Gertrud, die ihre stolze Tracht bereits mit einem einfachen Kleide vertauscht hatte und in sorgender Trauer nicht achtete, wie der letzte Abendstrahl um ihre Schläfe spielte und ihr die Zöpfe vergoldete.

»Ist es wahr, haben wir einen Toten im Haus?« fragte der Freihöfler dumpf, warf sich in einen Stuhl und faltete die Hände über den Knien.

Gertrud fuhr wie aus einem dunklen Traum empor. »Nein, Vater, aber man weiß nicht, was geschieht. Gegenwärtig sitzen zwei Ärzte bei Balz und eine Wärterin für die Nacht. Ich durfte ihn doch ins Haus nehmen?«

Der Freihöfler brummte etwas zwischen den Zähnen, was eine halbe Zustimmung war.

Auf einmal hob auch Röbi den Kopf.

»Vater!«

Da schüttelte der Freihöfler das starke Haupt.

»Ich mag dieses Wort aus deinem Munde nicht mehr hören. Die beiden goldenen Ringe, von denen ich gesprochen habe, sind zersprungen. Ich glaube, Röbi, es ist am besten, du gehest heim. Bevor wir Aussprache halten, wollen wir alle drei zuerst einmal still über den traurigen Tag nachdenken!«

Langsam und schwer fielen die Worte.

Gertrud schluchzte laut auf.

Schwankend erhob sich Röbi und verließ das Haus.

Er ging nicht heim, im Mondlicht irrte er durch die Frühlingsnacht, durch Feld und Wald, dann trieb es ihn wieder gegen den Freihof hinauf und wieder hinweg, irgendwohin, zweimal auch gegen das Dorf hinunter. Als er das erstemal die Klänge der Tanzmusik aus dem Sternen hörte, rüttelte ihn das Weh; keine Gewalt der Erde hätte ihn jetzt in fröhliche Gesellschaft bewegen können, ein Haß auf das Gasthaus sprühte in ihm auf. Das andere Mal war die Musik verklungen, lag das Haus schon im Dunkeln, obgleich es erst zehn Uhr war. Begreiflich! –Er irrte wieder hinaus in die Felder und Wälder. In einer Wiese stolperte er, blieb liegen im taunassen Gras und betete zu den Frühlingssternen: »Herrgott, laß den langen Balz leben –laß mir meine Gertrud! –Wenn aber einer sterben muß, nimm mich hinweg –mich –mich!«

Stets wieder mußten seine brennenden Augen den Freihof suchen, der sich dunkel vom leislichten Nachthimmel abhob. Aus einem Fenster schimmerte Licht. Galt der friedliche Schein einem Lebendigen oder einem Toten?

Als das Morgenrot den Osten erhellte, wuchs und aufflammte, stand er in der Nähe des Gehöftes und schaute mit verstörten Augen über den Festplatz von gestern, auf die zerbrochenen Eier und die Reste eines schmausenden Volkes.

»Pfui Teufel!« stieß er hervor, lief zum Haus hin und bettelte mit leiser Stimme: »Gertrud –Gertrud!«

Sie hatte ihn auf den ersten Anruf gehört und schloß vorsichtig die Türe auf. An ihrer Übernächtigkeit und an dem Kleid, das sie trug, merkte er, daß auch sie den Schlaf nicht gesucht hatte.

»Ist er gestorben?« fragte er im Flüsterton.

»Nein, aber er hat hohes Fieber und redet irre.

Ich habe mit der Wärterin gewacht. Wenn ich bei ihm sitze und ihm die Hand halte, wird er ruhiger.«

»Ich wollte, ich wäre Balz!« stöhnte Röbi.

»Geh jetzt heim, du Armer du!« bat sie. »Du siehst schrecklich verwahrlost aus von deiner Nachtwanderung –geh, Röbi!«

Ihre zitternde Hand streichelte seine Wange.

»Und wie steht es zwischen uns, Trudi?«

»Geh, Röbi, geh –der Vater will heute mit dir sprechen!« –-

Sie barg das Gesicht weinend in beide Hände, und ihre Schluchzer waren die stärkste Antwort auf seine Frage.

Elend, wie er gekommen war, wandte er sich.

Erst gegen neun Uhr morgens lief er ins Dorf hinein. Wie ein Wahnsinniger. Seine Großmutter, die nach ihm ausspähte, stellte ihn auf der Straße. Er weigerte sich aber, ihr ins Haus zu folgen.

Da schrie die wilde Alte: »Das kommt von deinem schlechten Gewissen –du Mörder du! Ich weiß ja wohl, wie ihr mit Balz umgegangen seid!«

Um den Zank war ein kleiner Auflauf von Leuten entstanden, darunter Konrad Erb mit etlichen Burschen.

Auf den schrecklichen Zuruf der Greisin stürzte Röbi zusammen, und die Burschen trugen ihn ins Haus.


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