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Als die Eisenbahn fertig war

Wie eine schlummernde Märchenprinzessin, die der Kuß des Königssohnes noch nicht erweckt hat, lag das kleine, steinichte, nur zur Hälfte angebaute Land zwischen Wäldern, Seen und Bergen da, ohne sich im Laufe der Jahrhunderte irgendwie verändert zu haben, mit kleinen Ackerstücken auf der Stirn und Millionen zwerghafter Wachholderbüsche auf dem mageren Busen, der fleißigen Händen nur mit Not erlaubt, dem hungrigen Munde knappe Nahrung zuzuführen.

Die Kinder dieses Landes hatten die Woge der steigenden Kultur nur aus der Entfernung in den Spuren der Dampfpfeife dahinbrausen hören. Der eine hatte einen Sohn, der mehrere Jahre oben in Norrland beim Eisenbahnbau gearbeitet hatte, der andere eine Tochter, die zu dem hohen Range eines Stubenmädchens in einem Eisenbahnhotel befördert worden war, und Kirchenvorstehers hatten sogar einmal Putte vor die Karre gespannt und waren fünf Meilen bis zur nächsten Bahnstation gefahren, wo sie »auf dem Zuge eingekehrt« und nach Schonen gereist waren, um dort eine Schwester, die sie in 30 Jahren nicht gesehen hatten, zu besuchen. – Ja, Sissa, in der Gatehäuslerei hatte einen Vetter in Westgothland, dessen Schwein von einer Lokomotive übergefahren worden war. – Bekannt war das neue Verbindungsmittel unseres Jahrhunderts also auch hier schon.

Doch man hätte es sich nicht einfallen lassen, daß das Dampfroß mit dem rußigen Atem auch einst die Birken des eigenen Heims tief im Innern des Landes zwischen Föhren und Lichtungen berühren würde.

Da hatten die Behörden in der Kreisstadt und die Besitzer der Gegend, unterstützt vom Gerichtsbauern in Stenberga, der ein Fortschrittsmann war, eine neumodische Egge angeschafft hatte und auf das »Schwedische Wochenblatt« abonnierte, angefangen, daran zu denken, daß das arme Land ja Wälder besaß, die Goldes Wert sein würden, wenn die teuren Frachten nicht den Verdienst verschlängen. Und daß es Moore hatte, die sich schon lange nach dem Trockenlegen gesehnt hatten, während ihr Besitzer nach Korn und Weide seufzte, obgleich bisher keiner die Wünsche des andern hatte verstehen wollen.

Und dann folgte der gewöhnliche Kampf der Klugheit und Unternehmungslust mit der Unwissenheit und den Vorurteilen, der Kampf des Neuen mit dem Alten, und als schließlich beinahe jeder überzeugt war, daß das Füllen mit den starken Lungen und dem glänzenden Messinggeschirr weder Beelzebub, noch der Antichrist war, sie weder verbrennen, noch ruinieren würde, entstand dennoch viel Zank und Streit um den Betrag der verschiedenen Kommunalverschreibungen und den Gang der neuen Linie. Man hatte gegenwärtig allerdings fünf Meilen bis zur nächsten Bahnstation, nun aber wollte man höchstens eine halbe Meile haben, und durchaus nichts von einer Entfernung von anderthalb Meilen hören. Doch liberal war man, das versteht sich: Die Bewohner von Stenberga wollten ganze 5000 Kronen zeichnen, – wenn die Bahnlinie ihretwegen einen kleinen Umweg von 12,5 Kilometer machen könnte, und der Freibauer in Käcklinge unterschrieb für 300 Kronen – unter der Bedingung, daß er eine Haltestelle auf seinem Grund und Boden und Platzmiete erhielte.

Die Bahnlinie sollte 40 Kilometer lang werden, doch der Ingenieur hatte ausgerechnet, daß sie 180 Kilometer betragen würde, wenn alle die verschiedenen Gemeinden (von den verschiedenen Besitzern in jeder Gemeinde gar nicht zu sprechen) ihren Willen bekämen, und er sagte ärgerlich, es wäre besser, sie ließen einen von Jagdhunden verfolgten Hasen die Linie vermessen, dann würden die echten Krummsprünge wohl herauskommen.

Es erforderte viel Geduld, Eifer für die Sache und Liebe zu dem Heimatsort, um alle diese einander widerstreitenden Interessen zu vereinigen und die Leute zur Vernunft zu bringen, aber schließlich glückte es doch.

Und dann kamen die Ingenieure und stellten ihre Instrumente auf den Waldhügeln auf, und die Handlanger setzten Stangen in den Boden und machten weiße Striche auf den Baumstämmen, und die alte Stjerna hinten bei der Häuslerei erhob verwundert das weißstirnige Haupt unter einer großen Fichte und besah sich das Diopter und meinte, daß sie seit ihren Kälberjahren noch nie dergleichen gesehen habe.

Und bald darauf sagten die Piekhacken »knack, knack, knack!« und die Sprengschüsse »bumm, bumm, bumm!«, und mancher Viertelbauer, der sich über die wenigen Kronen jährlicher Zinsen von den gemeinschaftlichen Kommunalschulden recht trübe Gedanken gemacht hatte, sah die Sache nun, da seine Buben auf der Eisenbahnlinie beim Erdekarren täglich 2 Kronen 50 oere verdienen konnten, in viel hellerem Lichte.

Vielleicht würde es auch besser werden, wenn man erst seinen Verkaufsvorrat an Holz und Mehl in wenigen Tagen nach der Bahn bringen könnte, anstatt es wie jetzt den ganzen Winter über in die Stadt fahren oder es zu Hause an Aufkäufer für jeden Preis verschleudern zu müssen.

Vielleicht käme die hierdurch ersparte Arbeit dem Moore am Waldesrande zu Gute und einige Quadratmeter des großen, stickstoffhaltigen, von den vermoderten Pflanzen vieler Jahrhunderte gedüngten Feldes könnten die Zinsen der Eisenbahnschuld des ganzen Hofes bezahlen; vielleicht käme ein anderer Unternehmungsgeist über ganz Stenberga, wenn die kleinen Gnomen des Dampfes und der Elektricität sich ans Haus zu gewöhnen anfingen.

Ja, das wäre wohl nicht so unmöglich.

Und nun war der letzte Kieszug abgegangen, die Stationen mit Fahnen geschmückt, und die beiden Zwillingsschlangen von schwedischem Eisen, das in England (!) geschmiedet worden war, schlängelten mit ihren schimmernden Rücken geschmeidig und wollüstig nebeneinander über die kiesgewalzte Linie, eine Meile nach der andern, durch den Schooß des Waldes und durch den gesprengten Granit, über die öden Heiden und die glitzernden Gewässer.

Und im ersten, fahnenbelasteten Wagen des Festzuges stand der König selbst mit der blaugelben Generalsfeder auf dem Hute. Hier handelte es sich nicht darum, die Landesfarben im blutigen Kampfe auf Leben und Tod zum Siege zu führen; man vergaß, daß sie das Symbol des Krieges waren, man sah nur das Blau der Treue, umwunden mit dem goldenen Gelb der im Schoße der Zukunft ruhenden Ernten.

Und in dem festlich dekorierten Güterschuppen der Endstation aßen diejenigen, welche in den Verhältnissen lebten, daß sie den Magen an den Freuden des Herzens teilnehmen lassen konnten, zu 30 Kronen à Couvert Mittag. Und viele Reden wurden da gehalten, lange und feierliche, witzige und dumme, und in dem Innern der guten Landjunker schwammen frischgeschossene Haselhühner in einer solchen Flut frappierten Champagners, daß sie hätten glauben können, plötzlich Enten geworden zu sein, wenn sie nicht so mau – – setot gewesen wären. Neben der Wage an der Güterbodenrampe war ein Tau gezogen worden, hinter dem diejenigen standen, die kein Geld zu so luxuriösen Festessen hatten. Doch deshalb waren sie nicht minder vergnügt, sie hörten ja die Reden, sahen den König und den Regierungspräsidenten, und riefen mit Hurrah, denn hier war zu beiden Seiten der Schranken »allgemeines Stimmrecht« und niemand rief »Fort mit den Schranken!«, denn das Tau hatte ja 30 Kronen gekostet.

Und alle, die diesseits der Schranken saßen, fühlten sich viel mehr »bedrückt« und geniert als diejenigen, welche jenseits derselben standen. – Und dann sollte der Festzug endlich wieder abfahren.

Doch Häusler-Jöns, der mit seinem kleinen Jungen an der Hand zwei Meilen weit zu Fuß hergekommen war, um den Festzug zu sehen, mochte nicht länger an der äußersten Ecke des Güterschuppens stehen und seinen Priem kauen, während sein Herr sich drinnen an Spargeln und feinstem Schinken gütlich that, und deshalb hatte er sich schon so früh auf den Heimweg gemacht, daß er schon am Abende an der Heckenthür seines kleinen Kohlfeldes stand, als ein brausendes Getöse und zwei feurigrote Augen sich nahten.

Und das vorübereilende Siegeszeichen des Menschengeistes präsentierte schnell grüßend den blanken Kolben, als es an dem geringen Sohne der Arbeit vor der Hütte vorbeiglitt, und Jöns der Häusler fühlte dunkel mit seinem trägen Verstande, daß hier eine neue Zeit auf dem Wege in das Häusler- und Bauernheim sei, eine Zeit der Gleichheit und Brüderlichkeit, die auf den Spuren des Dampfrosses, der leichten Verbindung herankommen würde, eine Zeit, die schon ein Schnellzugsbillet zu den entlegensten Winkeln unseres Vaterlandes löste, und deren freundliches Licht wohl mit der ruhigen Flamme der Wissenschaft, der Humanität und der Liebe leuchtet, aber nicht mit dem blutroten, flackernden Scheine des Neides, der Standesvorurteile und des Mißtrauens. Doch der kleine Peter jubelte laut auf dem Arme des Vaters und klatschte vor Freude über die glühenden Punkte, die in der Ferne verschwanden, in die Hände. –

Jubele nur, du Kleiner! Du bist es, der die Frucht des Sieges ernten soll und auf unserer Schulter stehend das erlangen wird, was wir nicht erreichen konnten!

*

Weiter, schnell und rastlos sauste das Dampfroß durch die Nacht dahin und störte mit seinen Funken den Elfenreigen am Seeufer. Und die Elfen fragten erstaunt ihre Königin, was das für ein Ungeheuer sei, das in der stillen nächtlichen Ruhestunde mit Gerassel und Getöse durch die Wälder jagt.

Und die Elfenkönigin verhüllt das Antlitz mit den goldglänzenden Locken. Sie begreift, daß ihre Zeit jetzt zu Ende ist, daß der Elfenreigen, die Traumbilder und die Mondscheinphantasien in dem Jahrhunderte des Dampfes nicht mehr am Platze sind, sie weiß, daß der junge, lebenskräftige Königssohn der Kultur nun den eisernen Arm für alle Zeit um den grünen Leib der Waldnymphe gelegt, der Märchenprinz die schlummernde Ernteprinzessin mit einem Kusse aus jahrhundertelangem Schlafe erweckt hat und der magere, abgezehrte Busen der mütterlichen Erde den fleißigen Söhnen nun vielleicht genug Nahrung geben wird.

*

Druck von Emil Herrmann senior, Leipzig.

 


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