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Als Klein-Stina getauft wurde

Es wäre am Ende noch gegangen, wenn Lars Jonsson Sechzehntelbauer oder Soldat oder auch nur Häusler gewesen wäre.

Dann wäre es ihm noch ziemlich leicht geworden, eine Pate für sein kleines Mädchen zu finden, denn eigentlich gilt es für eine Ehre, mit zum Pastor zu fahren und ein Kind bei der Taufe zu halten, wenn es einigermaßen ordentliche Eltern hat; für diese Ehre opfert man gern seinen Doppelthaler (2 M. 25 Pfg.), der in das Steckkissen gelegt wird, und einige Ellen Zitz à 16 Schilling, wenn das Kleine so weit ist, daß es mit in die Kirche genommen werden kann.

Denn dies ist in Wirklichkeit die ganze Erfüllung des im Kirchenritual vorgeschriebenen, verantwortungsreichen Gelübdes, »über die christliche Erziehung des Täuflings zu wachen.«

Wollen die Bäuerinnen nicht Gevatter stehen, so muß man sich mit Häuslerinnen begnügen, und wollen auch diese nicht, so heißt es die Mägde bitten; aber selbst diese hielten sich für zu gut Lars Jonssons Kleine Unserm Herrgott und dem Pastor zu präsentieren.

Denn Lars Jonsson war nur ein blutarmer Tagelöhner und von einem feinen Taufschmause konnte ebensowenig die Rede sein, wie davon, daß einige »feine« Burschen ebenfalls Gevatter stehen würden.

Doch endlich war es ihm gelungen, in der kleinen Sommermagd vom Gutshofe eine Pate für sein Kind zu finden. Es war freilich kümmerlich damit bestellt, denn sie war kaum 16 Jahre alt und dazu noch ein uneheliches Kind, von dessen Vater man weiter nichts wußte, als daß er nach Norrland durchgebrannt und dort Bahnarbeiter geworden war, als er seine Vaterpflichten mit 30 Kronen das Jahr erfüllen sollte.

Doch konfirmiert war Emma, so daß von Seiten des Kirchenrechtes ihr nichts im Wege stand, wenn sie Gevatterpflichten übernehmen wollte, und sie wollte auch selbst schrecklich gern einmal Gevatter stehen, obgleich sie leider Gottes nur einen Thaler in das Steckkissen legen konnte. Ach, sie erhielt ja so wenig Lohn!

Da hatte denn Lars gemeint, wenn sie nicht mehr hätte, müßte es auch so gehen, dafür könnte niemand. Er hatte auch das Pferd und den Stuhlwagen ihres Herrn leihen dürfen und dafür ein Tagewerk in der Dreschzeit versprochen. Auf diesem Wagen fuhren nun Lars, Emma und das kleine namenlose Mädchen nach dem Pfarrhause. Der krummbeinige Schmiede-Karl war eine halbe Stunde vorausgelaufen, um die Gehege und das Pfarrthor zu öffnen.

Man rechnete auch fest darauf, daß die Pfarrknechte, die entweder in der Scheune zu dreschen oder auf dem Hofe Holz zu hacken pflegten, sich dem Zuge anschließen und einen Teil der christlichen Verantwortung übernehmen sollten. Daran waren sie während ihres siebenjährigen Dienstes auf dem Pfarrhofe so gewöhnt worden, daß sie, wenn sie es genau nach dem Buchstaben hätten nehmen wollen, nun selbst schon eine recht ausgebreitete Privatseelsorge gehabt hätten.

Im Anfange hatte Peter, der Oberknecht, der ein sehr ordentlicher Mensch war, seine geistigen Bürgschaften auf ein weißes Blatt im Kalender geschrieben, da wo er sein Marktgeld anschrieb, aber später mußte er der Wahrheit gemäß eingestehen, daß es seine Kräfte übersteige, sich aller seiner Patenkinder zu erinnern.

Unterwegs fing die Kleine an zu schreien, und Emma, die zeigen wollte, daß sie mit kleinen Kindern umzugehen verstand, nahm ihr Taschentuch und einen Zuckerstengel, den sie noch von dem letzten Markte her in der Tasche hatte, und drehte einen kunstgerechten »Schnuller.« Aber in dem Zuckerstengel war Pfefferminzöl, und die Kleine mußte entsetzlich darnach husten.

Der Fluch zu großer Civilisation!

Als man nun an den Stall kam, stand dort der schiefbeinige Schmiede-Kalle zum Empfang bereit und keuchte wie ein Rennpferd. Er versuchte Emma recht freundlich anzusehen, aber die Vorsehung hatte ihm unglücklicherweise ein solches Gesichtsorgan gegeben, daß, wenn er seine Augen auf das Mädchen richten wollte, das eine Auge auf den Holzstoß das andere auf die Hundehütte fiel.

Und die Pfarrknechte standen auf dem Holzplatze und spalteten das beste Tannenholz, daß es im Walde wiederhallte, und als sie hörten, um was es sich handelte, schneuzten sie sich ins Schurzfell, spuckten ihren Priem auf den Holzklotz, machten ein gottesfürchtiges Gesicht und tranken jeder einen gehörigen Schluck aus Lasses Brantweinflasche. Und so ging man ins Pfarrhaus. Der Pastor hatte aus dem Fenster geguckt und auch sofort gewußt, um was es sich handelte. Er öffnete die Thür zur Küche und rief:

»Kajsa, koche Kaffee und setze Taufwasser auf.«

Denn es war schon im Oktober.

Die Kleine wurde nun getauft und erhielt den Namen Stina nach Lasses Mutter. Sissa, Lasses Frau, die zu Hause bleich und angegriffen auf der Bettbank lag, hatte freilich ein Wort von Lydia fallen lassen – so hatte die Erzieherin auf dem Gute, wo Sissa Hausmädchen gewesen war, geheißen – aber da hatte Lars mit der Schnupftabaksdose auf den Tisch geschlagen und gesagt: »Dummes Zeug, ich werde schon dafür sorgen, daß Ihr alle beide lydi'a seid!« lydi'a – lydiga = gehorsam.

Als der Taufakt zu Ende war, fingerte Lars eine Weile in der linken Westentasche, und wollte darauf dem Pastor einen Thaler für die Mühe in die Hand drücken, aber der Pastor nahm das Geld nicht an.

Er nahm es nicht an, weil Lars so entsetzlich arm war, aber davon sagte er kein Wort, denn es giebt hier auf Erden auch Leute, die selbst den Armen gegenüber taktvoll sind. Er sagte nur, Lars habe ihm auf der Reise zum Herbstmarkte die Gehege geöffnet, und ein Dienst sei des andern wert.

Seine Frau traktierte die ganze Taufgesellschaft mit Kaffee, und alle Töchter wollten natürlich sehen, daß die Kleine ihrem Vater ähnelte, und darin hatten sie nicht so unrecht, denn rotfleckig waren sie beide.

Und Emma stand stolz und schüchtern zugleich in ihrem verwachsenen Konfirmationskleide vor der Pastorin und beantwortete errötend alle an sie gerichteten Fragen, während sie die Kleine mit mütterlicher Sorgfalt auf dem Arme hielt.

Das »Weib« schien in dem Herzen der Sechzehnjährigen zum ersten Male zum Leben erwacht zu sein und mit den blauen Augen halb unbewußt und verwundert in eine bisher unbekannte Welt zu blicken …

Der junge Upsalakandidat, der Vetter der Pastorentöchter, der Gedichte im Volksdialekte schrieb und deshalb jede Gelegenheit benutzte, sich »dem Volke« zu nähern, stand in der Thür, und klemmte den Kneifer ein wenig fester auf seine ziemlich dünne Nase, drehte den gewichsten Schnurrbart, murmelte: »Malerisch!« und fixierte Emma so eigentümlich, daß Schmiedekalle im Geheimen die Faust auf dieselbe Weise ballte, als hätte er den großen Hammer seines Meisters in der Hosentasche.

Und die älteste Pastormamsell, die an Weltschmerz litt, seit ihr schwindsüchtiger Adjunkt auf dem Kirchhofe lag, nahm ein kleines Stück Zucker aus der Zuckerdose und drehte einen neuen »Schnuller« aus einem Gardinenflicken, damit Klein-Stina sich nicht auf dem Heimwege an dem gräßlichen Pfefferminzöl zunicht huste. Endlich nahm man Abschied und Lasse machte einen Bückling über den andern, schüttelte den Kopf und scharrte mit den Füßen wie ein unbändiges Remontepferd, und dann ging es nach Hause.

Mutter Sissa hatte heute eine Kochfrau. Armenhaus-Brita war gekommen und hatte Erbsen, Speck und Kaffee gekocht und Pfannkuchen und Waffeln gebacken, denn Emma und Schmiede-Kalle sollten nach bestem Vermögen traktiert werden.

Lars und Emma kamen zuerst an, das letzte Ende aber hatten auch sie zu Fuß gehen müssen, denn es führte nur ein Fußpfad durch den Wald nach der Hütte. Einen Augenblick später hörte man ein Geräusch am Fuße des Hügels und gleich darauf prasselte es in den Wachholderbüschen.

»Nun kommt Kalle!« sagte Emma.

Doch es war nur ein rotbunter Stier, der einen Solotanz im Hagen ausführte.

Bald darauf war die Gesellschaft vollzählig, und das kleine Gelage ebensobald zu Ende. Vater und Mutter blieben allein bei ihrem Töchterchen, und Lars fiel vor der Bettbank, in der seine Frau ruhte, auf die Kniee. Doch nicht um das Haupt an der Brust seiner Gattin zu verbergen und mit ihr von der Zukunft des Kindes, dem sie beide das Leben gegeben hatten, zu träumen, sondern um seine Schmierstiefel zu suchen, die er am andern Morgen beim Trockenlegen des Moors brauchte.

Doch ehe er die Blechlampe auslöschte und sich auf die andere Bank legte, wandte er sich zu seiner Frau und sagte:

»Sissa, jetzt ist es schon vier Tage her, seit die Dirn zur Welt gekommen ist, glaubst Du nicht, daß Du morgen wieder aufstehen und die Kartoffeln ausnehmen könntest. Ich fürchte, daß wir beim Mondwechsel Frost bekommen.«

Sissa fühlt sich so schwach und angegriffen, das sie kaum ein Glied rühren kann, aber sie kennt auch das Recht des Stärkeren und das Los der Armen und antwortet so munter, wie sie kann, wenn auch mit Thränen in den Augen: »Ja gewiß, lieber Lasse, ich werde es versuchen.«

*

Klein-Stina schläft fest und ruhig. Schlafe, so lange Du kannst, Kleine! Du erfährst früh genug, ob Dein Schicksal Dir dasselbe harte Los wie Deiner Mutter in einer armen Tagelöhnerhütte bereitet hat, oder ob Du von einem mecklenburgischen Gute, entehrt und verstoßen, nach der Heimat zurücktransportiert wirst, oder im Qualm eines Kellerrestaurants Dir von besudelten Lippen Liebesworte ins Ohr flüstern läßt.

Schlafe, Kleine!

*

Unten auf der Landstraße gehen Schmiede-Kalle und Emma. Er sieht mit einem Auge zum Himmel hinauf und mit dem andern auf seine Stiefel hinunter und drückt einen Kuß nach dem andern auf Emmas warme, zuckende Lippen.

Es ist doch manchmal schön, zusammen Gevatter zu stehen!


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