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Hausverhör

Einmal jährlich überfällt auch die einfache Jugend auf dem Lande das unbehagliche Gefühl, das die jungen Studenten aus den sogenannten höheren Klassen »Examenfieber« nennen.

Das ganze Jahr hindurch hat man aus der Ofenecke in den freien Augenblicken, die der Gottheit der Klatschsucht geopfert wurden, gehört: »Das sagt Sissa aus dem Nachbarhofe und Stina in Harjaryd und Per Nilssons Sventas Johannes«; nun heißt es auf einmal: »So schreiben die Evangelisten Matthaeus, Marcus, Lucas und der heilige Apostel Paulus.«

Autoritätsglaube, wohin man sich auch wendet.

Es ist eine schreckliche Schande, wenn man bei dem Hausverhör, das mindestens jedes zweite Jahr besucht werden muß, seinen Katechismus »nicht kann.« Ob die Religion sich auch im täglichen Leben kund giebt, damit wird es weniger genau genommen.

Jetzt fängt man beinahe überall an, die Hausverhöre im Schulsaale abzuhalten, wobei ein Glas Wasser für den Pastor und ein Priem für den Küster die einzige Bewirtung bilden.

Früher war es damit anders. Da ging das Hausverhör der Reihe nach bei allen Bauern des Kirchspiels um und wurde mit einem so großartigen Schmause verbunden, daß die jedesmalige Wirtin sich schon mehrere Jahre darauf vorbereitete und es für wenig drückender ansah als eine Erbteilung oder eine kleine Feuersbrunst, um so mehr, da die Reihe an alle Bauern ohne Unterschied kam und der Hausverhörschmaus bei den Sechzehntelbauern gerade so fein sein mußte wie bei den Großbauern.

Ging es einem Bauern schlecht, so wurden folgende Reden zu seiner Entschuldigung vorgebracht: »Ja, ja, Peter hat wahrhaftig Pech. Voriges Jahr hatten seine jungen Stiere die Maulfäule, vor zwei Jahren schlitzte der Dorfstier seiner gelben Mähre den Bauch auf und letzten Herbst hatte er ein hochfeines Hausverhör. Mit seinem Bruder Johann ist es ein ander Ding, das ist ein Kerl, der Glück hat. Im Frühlinge brannte ihm sein neues Haus ab, als er es gerade zum doppelten Werte versichert hatte, und dann stirbt ihm eine Frau nach der andern, so daß er sich reich wieder verheiraten kann und ein gutes Geschäft dabei macht.«

Daher hörte man auch recht oft, wenn die Rede auf die ökonomische Stellung eines Bauern kam und man seinen Hof oder sein Haus einer Verbesserung bedürftig ansah, bedauernd sagen: »Dazu hat der arme Kerl wirklich keine Mittel, er hat ja im Herbste Hausverhör gehabt.«

Etwas billiger wurde es jedoch dem Wirtsvolke dadurch gemacht, daß aus jedem Haushalte in der Gemeinde, selbst von Tagelöhnern und Soldaten reiche Geschenke, aus allen möglichen Gottesgaben bestehend, mitgebracht wurden.

Und so kam endlich der große Tag heran. Die Stube war gescheuert und »fein« gemacht, der große Eßtisch stand aufgeschlagen am Fenster – dort sollte der Pastor mit seinen »Ministerialbüchern« und seiner Schnupftabaksdose sitzen – und lange, gehobelte Bretter waren auf Böcke gelegt, und so eine Reihe von Bänken hergestellt worden. Im Stalle war eine Krippe mit dem besten Kleeheu für Pastors Palle gefüllt, und Stina, die Stallmagd, die das fünfte Hauptstück noch nicht ganz repetiert hatte, bekam plötzlich solche Magenschmerzen, daß sie zu Bett gehen und sowohl auf die leibliche, wie auf die geistige Verpflegung verzichten mußte.

Um 9 Uhr morgens traf der Pastor ein. Zwei Tassen Kaffee mit »Einstipp« und eine ohne »Stippels« mußte er mindestens in der als Büffet eingerichteten Kammer trinken, wenn er bei der Bäuerin gut angeschrieben sein wollte, und verzehrte er dazu ein Stück Sahnenpfannkuchen, so meinten alle, daß dies seiner Rede noch ein wenig mehr geistige Kraft und Glaubensfreudigkeit gebe.

Jede priesterliche Amtshandlung muß mit Singen und Beten eingeleitet werden, aber da der Küster auf dem Lande zugleich Schulmeister ist und des Vormittags Stunden geben muß, konnte er sich erst später einfinden. Deshalb wurde gewöhnlich ein älterer, nach getapulischen Begriffen musikverständiger Mann vom Pastor aufgefordert, ein Kirchenlied anzustimmen. Da nun die Smaländer im allgemeinen einen ausgesprochenen Sopran oder Tenor haben, kam er denn auch mit Leichtigkeit bis zum hohen C hinauf und ließ es nicht an den tremolierenden Trillern und Läufen fehlen, die Bondeson so meisterhaft wiederzugeben versteht. Diese Art zu singen nennt der Volksmund »auf Federn singen«.

Dann fing das »Aufschreiben« an, denn zu den vielen weltlichen Verrichtungen des Pastors gehört auch die Aufsicht über die Gemeindeverwaltung und das Amt des Volkszählungskommissarius. Jetzt mußte ein jeder angeben, aus wieviel Personen sein Haushalt im nächsten Jahre bestehen würde, und die aus anderen Kirchspielen zugezogenen Dienstboten mußten ihre Scheine abliefern. Zugleich wurden auch die Namen derjenigen, die sich zum Hausverhör eingefunden hatten, in ein dazu bestimmtes Buch eingetragen.

Ein väterlich veranlagter Gemeindehirte konnte bei diesem »Aufschreiben« bisweilen recht unterhaltend sein. Da ging es folgendermaßen her:

»Nummer 27, Klein Klockhem. Da haben wir zuerst den Großbauern Sven Jönsson, geboren 1832, und seine Magd Anna Karin Jonasdotter … jaha, Magd, ja! Aber höre, mein lieber Sven, wie lange gedenkst Du es bei diesem Verhältnisse zu lassen? Es ist eine Schande für die ganze Gemeinde, daß Du, der einen schuldenfreien Hof besitzest und als Hausherr Deinem Gesinde mit gutem Beispiel vorangehen müßtest, Dir so etwas nachsagen läßt. Und Du, Anna Karin, hättest Du nur einen Funken von Scham in Dir, so hättest Du Dir längst einen anderen Dienst gesucht und wärest von diesem Manne fortgezogen, der Dich nur um Deinen Ruf bringen will. Du kannst Sonntag Nachmittag zu mir kommen, Sven, ich will einmal ordentlich mit Dir sprechen.« – Sven wird rot, Anna Karin weint, und die ganze Versammlung sieht schrecklich skandalhungrig aus. –

»Häuslerei Kalfhagen. Da haben wir den Häusler Jöns Magnusson und seine Frau Brita Svensdotter, Sohn Carl … was soll das heißen? Der Bengel ist ja schon 19, und da willst Du ihn nächstes Jahr auch noch zu Hause herumbummeln lassen. Ja, prosit Mahlzeit, zwei große starke Kerle auf einer Häuslerei, die nur zwei Kühe und ein Kalb ernähren kann, das ist eine feine Wirtschaft. Im vollen Ernste, mein lieber Jöns, das geht im Leben nicht; der Junge muß in den Dienst.«

»Ja, sehen Sie, Herr Pastor, das wollte er auch, aber ich habe keinen Dienst für ihn finden können.«

»Schnickschnack, ich werde ihn selbst als Stallknecht mieten, komm morgen früh zu mir und bringe ihn mit.« –

Jöns lächelt zufrieden, und seine Brita sieht ihren Carl im Geiste auf dem Kutscherbocke des Präpositus und hat dabei dasselbe Glücksgefühl wie eine feine Dame, die für ihren Liebling auf einen Präsidentenstuhl oder einen Staatsratssessel hofft. –

»Bleckhem Nr. 42. Also Ihr wollt Eurem Jungen nun den Hof übergeben, und Euch selber aufs Altenteil schreiben lassen, Andreas. Ja, Ihr habt die Ruhe ehrlich verdient, denn Ihr seid ein treuer Arbeiter, ein redlicher Mann gewesen, der es mit zwei leeren, aber fleißigen Händen und Gottes Segen zu Wohlstand und Grundbesitz gebracht hat. Und das sage ich Euch, Buben – sind die Jungen hier? – haltet Eure alten Eltern in Ehren und seid gut gegen sie in ihren alten Tagen, sonst wird es Euch nie im Leben gut gehen, denn – laß meine Rockschöße zufrieden, Katze! – der Segen der Eltern baut den Kindern Häuser.«

Die »Buben«, die von dem Pastor eingesegnet worden sind, wischen sich mit den umgekehrten braunen Fäusten die Augen –

Wenn der Pastor mit dem »Aufschreiben« fertig ist, beginnt das Religionsexamen, doch in den meisten Gemeinden werden nur die Unverheirateten verhört. Man nimmt – und wohl nicht ohne Grund – an, daß diejenigen, welche schon den Nacken unter Hymens Joch gebeugt haben, ein gerüttelt und geschüttelt Maß Gesetz in den Gardinenpredigten und ein dito Evangelium in der darauf folgenden ehelichen Versöhnung erhalten. Sollte jedoch, wider Erwarten, das Unglück passieren, daß ein älterer Bauer gebeten wird, vorzutreten, so hat er gewöhnlich, »die Erklärungen in dem Katechismus, die heutzutage Mode sind« nicht gelernt, und soll er ein Stück aus dem neuen Testamente vorlesen, so hat er natürlich die Brille zu Hause vergessen.

Die Jüngeren sind jedoch gewöhnlich ziemlich taktfest, sowohl im Lesen wie im Katechismus. Es kann wohl vorkommen, daß die Frage: »Welches sind unsere Eltern?« mit »Der Teufel, die Welt und unser eigenes Fleisch« beantwortet wird; doch ein solcher Irrtum – wenn man es einen Irrtum nennen kann – gehört doch gewöhnlich zu den Ausnahmen.

Schlimmer steht es mit den »Grundfragen«. Die Volksschulen haben darin unendlich viel zur Verbesserung beigetragen, aber vor dreißig Jahren konnte man noch folgende Fragen und Antworten hören:

*

»Nun, mein lieber Lars Petter, kannst Du mir wohl sagen, was die vornehmste Gabe ist, die der Mensch durch die Taufe empfängt?«

»Ein Speziesthaler, den die Patin ins Steckkissen legt.«

*

»Wer drang in das Paradies ein und verleitete unsere Ureltern zu der ersten Sünde, Anna Stina?«

»Eine Schlange.«

»Ja. Aber was war das für eine Schlange?«

»Eine Kreuzotter.«

»Antworte nicht so dumm, Anna Stina, denke ordentlich nach.«

»Eine Ringelnatter.«

»Hm, hm! Das ist doch wirklich zu toll.«

Anna Stina weinend: »Dann war es wohl eine Sch–n–a–ke.«

*

Man erhält jetzt bessere Antworten in dem großen Schulsaale, wo die Knaben in Tuchjacken und die Mädchen mit seidenen Kopftüchern auf den Schulbänken sitzen, als man in dem kleinen, zur Ehre des Tages festlich geschmückten Bauernheim erhielt, wo naivere Knaben in Arbeitstracht und Mädchen in Leinenröcken verhört wurden, aber ist die Frömmigkeit deshalb größer geworden?

Nach dem »Frageverhör« kam das »Nachverhör«, eine freiere Katechese, wobei die Fragen nicht an eine bestimmte Person gerichtet wurden, und auch die Älteren Gelegenheit erhielten, mit ihrem theologischen Wissen zu glänzen.

Darauf nahm der Prediger gewöhnlich die ihm zufallenden Gebühren in Empfang, denn in den meisten Gemeinden waren die Naturalien abgelöst worden, und jeder Hof hatte statt derselben eine gewisse Summe zu bezahlen.

Wenn er damit fertig war, ging es ans Schmausen, und ein solcher Schmaus währte oft mehrere Tage, unterschied sich jedoch in keiner Beziehung von den gewöhnlichen Festlichkeiten in den Bauernhäusern. An dem Schmause durften nur die Verheirateten, die etwas mitgebracht und in die Küche geliefert hatten, teilnehmen; die Jugend und die Armen, deren Verhältnisse das Schenken nicht erlaubten, wurden mit ein paar Tassen Kaffee, einem Stück Pfannkuchen und einem Stücke »Roggensichtbrot« abgespeist.

Das Religionsexamen, in seiner alten, ursprünglichen Form, wie es als »Hausverhör« in den Bauernhäusern abgehalten wurde, wird wohl bald einer vergangenen Zeit angehören. Jetzt wird es, wie gesagt, schon in der Schule abgehalten, lange nicht mehr so regelmäßig und eigentlich nur noch des »Aufschreibens« wegen besucht.

Als es noch im Bauernheim abgehalten wurde, war es wirklich von gutem Einflüsse. Der schönste Moment war der Abschluß des Nachverhörs mit einem Gebete. Ich kann mich einer solchen Gelegenheit noch deutlich erinnern. Alt und Jung erhob sich von den Bänken, und andachtsvolle Blicke waren auf den alten Pastor gerichtet, der am Fenster neben der blauangestrichenen Wanduhr stand. Zwei Weiser für Zeit und Ewigkeit! Die Herbstsonne blickte durch die kleinen, bleigefaßten Scheiben in die Stube, und ihre Strahlen spielten freundlich auf grauen Locken und rosigen Kinderwangen. Ein kleines, kaum acht Tage altes Bübchen, das die Eltern mit zum Hausverhör genommen hatten, um es bei dieser Gelegenheit gleich taufen zu lassen, sah vom Arme seiner Mutter groß und verwundert zu dem alten Grenadier hinüber, dessen kahler Kopf unaufhörlich hin- und herschwankte, wie zur Erntezeit die reifen Ähren im Winde.

Und der alte Pastor betete so warm und innig für seine Herde, betete zu Gott, daß wenn die Zeit der Mühe und Arbeit zu Ende, die letzte Ernte eingebracht und die letzte Ackerfurche gepflügt worden wäre, alle diese ihm anvertrauten Söhne und Töchter der harten Arbeit die letzte Probe bei dem großen Hausverhör dort oben bestehen möchten, wo der Einfältige mit dem frommen Herzen vielleicht die großen »Grundfragen« des Lebens, des Todes und der Ewigkeit besser erfaßt als alle Genies und Denker.


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