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Schwiegermutter

Sie hatte eigentlich nie in ihrem Leben eine frohe Stunde gehabt, obgleich sie die Tochter des reichen Granhyttan-Per und mit Ola Granat, der zwei Höfe besaß, verheiratet war.

Ja, es ist ja wahr, einen Sommer während der Heuernte, als Per den Johannes vom Nachbarhofe zur Hülfe nahm, war sie, soviel sie sich erinnern konnte, vier Wochen lang glücklich gewesen.

Es mußte tüchtig gearbeitet werden, und sowohl Bruder Karl wie der Knecht thaten ihr Bestes, blieben aber weit zurück, wenn Johannes die Sense und die weißen Hemdärmel um die Wette in der Sonne blinken ließ. Einen tüchtigeren Schnitter gab es im ganzen Kirchspiel nicht, und als Vater Per es sich den ersten Tag angesehen hatte, wie Johannes arbeitete, sagte er zu seiner Frau:

»Ein verfluchter Kerl, der Johannes! Du kannst ihm morgen drei Eier statt der gewöhnlichen zwei geben.«

Man sollte eigentlich denken, daß Johannes nach so anstrengender Tagesarbeit des Abends hätte totmüde sein müssen, aber nein. Er mußte ein merkwürdiger Bursche sein. Des Abends saß er auf dem Heuboden und hielt die junge Bauerntochter in den Armen und versuchte ihr den Unterschied zwischen dem Sohne eines verschuldeten Achtelbauern und der Erbin eines halben, schuldenfreien Bauerngutes auszureden. Und während er so auf sie einredete, schrumpfte das prächtige Grauhyttan zusammen und der kleine Achtelhof wurde immer größer, bis er zuletzt für das junge Mädchen die ganze Welt einschloß.

Ich glaube kaum, daß die Dirne je hätte Feldmesser werden können. Doch Vater Per war bei siebenundzwanzig Erbteilungen Sachverständiger gewesen; in seinen Augen war ein Tonnenland grade ein Sechsscheffel-Aussaat-Acker und kein Quadratzoll mehr, Nachbars Johannes ein armer Lump und weiter nichts, und die Liebe eine Verrücktheit, die die jungen Leute im Sommer, wenn man im frischen Heu sitzen kann, überfällt, und weiter nichts.

Er sah recht gut, daß das Mädchen dem Johannes nicht abgeneigt war, weil er aber das Heu gern schnell eingeerntet haben wollte, drückte er ein Auge zu und ließ sich nichts merken, doch als das letzte Fuder eingefahren war, sagte er zu Johannes, er würde ihm statt der gewöhnlichen fünf Thaler für die ganze Zeit, einen Thaler für jeden Tag bezahlen, weil er so tüchtig gearbeitet habe; seiner Tochter aber kündigte er an, daß am nächsten Sonntage ihre Verlobung mit Ola Granat gefeiert würde, weil dieser ein reicher Mann sei.

Die Jungen hielten dem stärkeren Willen nicht Stand, dergleichen geschieht gewöhnlich nur in Romanen. Auch nahmen sie sich nicht das Leben; das geschieht am besten und passendsten auf dem Theater. Der Versuchung, einander ohne kirchlichen Segen zu besitzen, erlagen sie ebenfalls nicht, denn es floß altes, träges, gutes, stolzes Bauernblut in ihren Adern.

Wie gesagt, den Sommer war sie wirklich ein paar Wochen von Herzen glücklich gewesen, und im Herbste darauf machte sie mit Ola Granat Hochzeit.

Ola Granat war ein vorzüglicher Ehemann. Er schenkte ihr alle zwei Jahre ein neues Seidentuch und Geld zu zwei Pfund Kaffee und fünf Pfund Zucker zu den drei großen Kirchenfesten, und erlaubte, daß sie bei jeder Entbindung im Bett blieb. Er schlug sie auch nicht, nur ein paar mal, wenn er vom Markte kam und der Jungstierhandel in die Brüche gegangen war.

Man konnte in jenen Zeiten lange suchen, ehe man eine Bauersfrau fand, die es so gut hatte.

Beim Hausverhör und dem darauffolgenden Gelage saß sie neben der Pastorin, und als Ola Kirchenvorsteher geworden war, wurde sie jeden Weihnachten bei der Frau Präpositus eingeladen, wo es Kaffee mit acht verschiedenen Sorten Kuchen gab.

Doch ach, das Menschenherz ist ein böses, eigensinniges Ding! Glaubt Ihr, daß sie trotz alledem Johannes ganz vergessen konnte?

Die Kinder wuchsen heran. Kalle, der älteste, sollte einst das Gehöft übernehmen, und ihn liebte die Mutter von allen ihren Kindern am meisten. Sie hoffte an ihm eine Stütze im Alter zu finden, wenn der Herr Ola abriefe. Und sie war eine Hausmutter, die nicht das Geringste umkommen ließ, überall waren ihre Hände thätig, nichts entging ihrem wachsamen Auge, und das war auch nötig, denn Ola hatte in der Seitenkammer eine große Flasche mit einer Flüssigkeit, die wohl kein Stärkungsmittel enthalten mußte, denn je mehr er davon trank, desto schwächer wurde er.

Und dann starb Ola. »Am Säuferwahnsinn!« sagte der Doktor. »An den kalten Herbstwinden, denen er sich in seiner treuen Pflichterfüllung zu sehr ausgesetzt hatte,« sagte der Pastor in der Leichenrede.

Doch der Doktor hatte auch nur 20 Kronen für seine Mühe bekommen und der Pastor 30 für die »Leiche.«

Die Mutter gab den Kindern alles, was ihr bei der Erbteilung zugesprochen worden war. Kalle erhielt natürlich den Löwenanteil, denn es war abgemacht worden, daß sie den Rest ihres Lebens bei ihm verbringen sollte.

Es verstand sich natürlich von selbst, daß Kalle eine reiche Frau suchen sollte, um mit der Mitgift die Ansprüche seiner Geschwister auf den Hof abzulösen. Die Mutter hatte ihm selbst eifrig dazu geraten, und doch fühlte sie einen so eigentümlichen Schmerz in der linken Seite der Brust, als sie der jungen Bäuerin die Schlüssel zu den Vorratskammern, die Käseformen, den kleinen Stock, an dem sie durch einen Einschnitt das Kalben der Kühe zu verzeichnen pflegte, – denn sie war noch nach der alten Schule und hielt das neumodische Aufschreiben im Kalender für unordentlich – und das Hausregiment übergeben mußte.

Es war dreißig Jahre hindurch so gut mit der Arbeit auf dem Hofe gegangen, nun aber wollte die neue Bäuerin alles auf ihre Weise gemacht haben, und wenn die alte Frau den Leuten etwas sagte, gab es stets Opposition, und die beständige Antwort war, die Bäuerin wolle es anders haben.

Sie konnte sich gar nicht daran gewöhnen, daß sie ja nicht mehr »die Bäuerin« war; es war auch zu seltsam.

Doch noch wurde sie freundlich und mit einer gewissen Achtung behandelt. Die Enkelkinder, die eines nach dem andern kamen, bedurften ihrer Fürsorge. Sie liebte sie innig, und sie bildeten ein Verbindungsglied zwischen ihr, ihrem Sohne und ihrer Schwiegertochter.

Es wäre auch alles gut gegangen, wenn der Tod sie nur nicht vergessen hätte, als die Enkel ihrer Fürsorge entwachsen waren und sie eigentlich nicht länger nötig gewesen wäre. Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, was der Tod sich eigentlich dabei denkt, wenn er mit seiner Sense an den von Kummer gebeugten, weißen Scheiteln vorbei geht, an Menschen, die aufgehört haben, zu hoffen und frohe Zukunftspläne zu schmieden, die das alte, dürre Stroh auf dem Felde der Menschheit sind und weder sich selbst noch andern zum Nutzen und zur Freude leben. Doch gerade diese scheint der Knochenmann zu übersehen, während er sich andrerseits wieder, ungerufen und unerwartet zwischen Herzen drängt, die so fest ineinander wurzeln wie das Pfropfreis im Holzapfel.

Ach, es giebt nichts Wunderlicheres, Bizarreres und Unbegreiflicheres als den Tod. So weit es nicht – das Leben ist.

Das Haus war mit einem Anbau versehen worden, schien aber doch für die alte Großmutter keinen Raum mehr zu haben. Wo sonst ihr Spinnrad immer gestanden hatte, war jetzt der Backtrog hingesetzt worden. Das frischgebackene Brot wurde in ihr Bett gelegt, um dort abzukühlen, und als eines Tages bei Tisch ihr alter Hornlöffel, auf dem ihr Name stand und den sie seit 18 Jahren täglich gebrauchte, nicht neben ihrem Teller lag, wurde ihr mitgeteilt, daß man ihn in den Essenkorb für den im Hagen die Zäune ausbessernden Knecht gelegt habe.

Dann kam es zu bösen Worten, die zuletzt so hart und scharf wurden, daß sie die siebzigjährige Schale von Sorge, Kummer und Demütigungen sprengten und die Alte ins Herz trafen.

Eines Abends, als im Hause alle zur Ruhe gegangen waren, knüpfte die Alte einige ihrer wenigen Habseligkeiten in ein Bündel, um das Haus ihres Sohnes auf immer zu verlassen und bei einer alten Jugendgespielin, die im Kirchdorfe eine kleine Hütte besaß, eine Freistatt zu suchen.

Es ist nicht wahr, daß ein Herz vor Kummer brechen kann, dann müßte ihr ja das Herz gebrochen sein, als sie den Blick zum letzten Male über die Wandborten der kleinen Küche, in der sie drei Viertel ihrer Lebenszeit thätig gewesen war, gleiten ließ und als sie den Riegel zum letzten Male vor die Hausthür legte, die sie selbst so schön geschmückt hatte, als ihre Schwiegertochter als junge Frau in das Haus einzog.

Draußen im Stalle schrie das Schwein nach seinem Abendbrot, das man ihm aus Vergeßlichkeit vorenthalten hatte. Was ging es sie jetzt noch an? Doch aus alter Gewohnheit warf sie ihm ein paar Hände voll Gras in den Trog. Vor dem Hühnerstall gackerte ein Huhn, das ausgeschlossen worden war. Nun, ihr konnte es ja einerlei sein! Allerdings, aber es war ihr doch unmöglich, weiter zu gehen, sie mußte ihr Bündel aus der Hand legen und das Huhn in den Stall bringen.

Doch auf dem Kornfelde am Straßengehege war es noch schlimmer. Dort hatte die ganze Herde das Stacket durchbrochen und war teils beschäftigt von den schon in Hocken stehenden Garben zu fressen, teils dabei, dieselben zu zertreten, wobei die gelben Ähren weit umherflogen.

Da vergaß die Alte alles andere. Es war ja das Eigentum ihres Kalle, das hier so schonungslos ruiniert wurde, und ohne sich einen Augenblick zu bedenken, eilte sie mit einem Zweige in der Hand auf die Herde zu.

Doch der große Stier, den sie so oft selbst gefüttert hatte, war an diesem Abende nicht bei guter Laune, und mit wütendem Gebrüll begrub er seine Hörner in der Brust der Alten.

*

Der Sohn und die Schwiegertochter betrauerten sie »anständig.« Kalle wischte sich einmal über das andere mit der Außenseite der Hand die Nase, als er das Totengeläute beim Pastor bestellte, und die Bäuerin weinte zwei neue große Baumwollentaschentücher so naß, als hätte man sie im See gespült, und erzählte jedem, der es hören wollte, wie gut und rücksichtsvoll sie stets gegen die Schwiegermutter gewesen sei, obgleich diese in der letzten Zeit so »schnurrig« geworden sei und man ihr nichts habe zu Dank machen können.

Und die Beerdigung war extrafein. Eine Viertelstunde weit, vom Trauerhause an, war der Weg mit feingehackten Fichtenzweigen bestreut worden. Der Konditor aus der Stadt hatte Trauerconfekt mit Urnen und Thränenpfeilen geliefert. Und auf dem Hofe wurde so geschlachtet und gebacken, daß, wenn auch die Schwiegermutter im Leben wenig Liebe und Freude gehabt hatte, doch kein Mensch behaupten konnte, daß es bei ihrem Leichenschmause an Rippenbraten und Pfannkuchen gefehlt habe.


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