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XI.
All right!

Das Weihnachtsfest ist ein Hügel, auf dessen Gipfel die zweibeinigen Lasttiere doch ein wenig verschnaufen dürfen, wenn sie auch sonst noch so fleißig sein müssen.

Und von jenem Hügel sieht man vieles, was man bei der Arbeit des Alltagslebens sonst nicht wahrnimmt. Man sieht die Kirche seines Heimatsortes, deren Fenster hell in ihrer bleichen, nächtlichen Schneedecke leuchten, und wenn man auch nie ein Gotteshaus betritt, sieht man sie doch mit dem Seelenauge der Erinnerung. Man sieht Vater und Mutter in der alten Heimat, wenn sie auch schon lange unter dem grünen Hügel schlummern, am Weihnachtsabende leben sie wieder auf. Man sieht sich selbst als kleines, unschuldiges, liebebedürftiges Kind, wenn man auch so schnell auf der Landstraße des Lebens dahingefahren ist, daß der Schmutz Herz und Auge befleckt hat, das Gefühl erkaltet und das Gemüt verbittert worden ist. Zur Weihnachtszeit ertönt ein Widerhall in der Luft, alte, liebe, bekannte Klänge, das Echo einer entschwundenen Zeit.

Und dieses Echo lockt mit Wunderkraft unsern Sinn, es dringt über Berg und Thal, über die Nordsee und den atlantischen Ocean, bis weit in die neue Welt hinein, über Jahre der Trennung und Vergessenheit hinweg, und deshalb ist auf der Bahn an den Tagen vor Weihnachten ein solches Gedränge, darum bringt sie im December soviel ein, und deshalb hört man im Zuge außer dem gewöhnlichen: »Ist mein Koffer auch mitgekommen?« und »Sie sollen sehen, es giebt Thauwetter!« grade um diese Zeit so oft ein kräftiges » All right!«, ein » All right!« im unverfälschten Dialekte Schonens oder Smålands vielleicht, aber immer doch ein » All right!«

Das sind die Schwedischamerikaner, die zu Weihnachten zum Besuch kommen; und diejenigen, welche kommen, haben auch alles » all right«, denn von den Tausenden, die dort untergehen, und die am Weihnachtsabende nur thränenden Auges der alten Heimat gedenken, hört man nie wieder etwas.

Es war an einem Donnerstag Morgen, also zwei Tage vor dem Feste, denn der Heiligabend fiel auf einen Sonnabend. Das Ferienreisen war schon in vollem Gange. Auf dem Perron drängten sich feine, in teure Pelze gekleidete Reisende, die einen auf vier bis fünf Colli lautenden Gepäckschein in der Tasche hatten, und anspruchslose Erscheinungen mit dünnen, fadenscheinigen Mänteln, deren Gepäck aus einem kleinem Bündel im Wagennetze bestand, und die ihren Lieben gewiß nichts weiter als sich selbst zu Weihnachten schenken konnten. Es war Schneetreiben und der Wind klapperte mit den Thüren, und im ganzen langen Zuge herrschte die ungetheilte Ansicht, daß es ein richtiges Hundewetter sei.

In P. stampfte ein Herr mit elegantem Handgepäck über den Perron, kletterte in ein Coupee zweiter Klasse, erhielt einen Stoß von der vom Winde hinundhergeworfenen Thür und setzte sich grade mit einem befriedigtem Stöhnen und einem an seine eigene, werte Person gerichteten » All right!« nieder, als ich eintrat und die Hand nach dem Billet ausstreckte.

Er strahlte förmlich vor Zufriedenheit und schien ein Gespräch mit mir anfangen zu wollen, wozu ich jedoch leider keine Zeit hatte. Er trug einen feinen Pelz, doch seine Hände waren schwielig; die Pelzmütze war wertvoll, das Gesicht aber nicht grade fein. Schwedischamerikaner – zweiter Klasse – dies mußte einer derjenigen sein, welche im fernen Westen Glück gehabt haben.

Auf meiner Runde während der Fahrt blieb ich einen Augenblick auf dem Gange vor seinem Platze stehen und hörte da, wie er einen andern Herrn, der aus dem nächsten Coupee kam und sich einen bequemeren Platz aussuchte, mit einem fröhlichen » Morning, Mister!« begrüßte.

»Morrrgen,« brummte der andere, der mir grade nicht zur Unterhaltung aufgelegt schien.

»Das alte Land sieht noch ebenso aus wie vor acht Jahren.«

»Ich glaube es schon. Habe nicht ausgeguckt.«

»Eng in der andern box, nicht wahr?«

»Ein wenig.«

»Warten Sie, ich werde meine Reisetasche fortnehmen. So, nun können Sie sich hinlegen, wenn Sie wollen. All right!«

Der andere schwieg.

»Es ist schön, nach Hause zu kommen. Ich bin nämlich acht Jahre in Amerika gewesen.«

Der andere thaute schließlich dem freundlichen Manne gegenüber ein bischen auf und wandte sich ihm mit einem Bruchteil von Artigkeit zu.

»Kehre meiner Braut wegen zurück, sehen Sie, Money in der Tasche und ein Brautkleid im Koffer. Es wird gemacht, während wir aufgeboten werden. All right!«

»Wohin geht die Reise?«

»Bahnhof St. – Wohnt dort. Prächtiges Mädchen. Der Papa ist Schneider, very good man. Das wird eine Freude werden.«

»O je, da erwartet Ihre Braut Sie wohl auf dem Bahnhofe?«

» No, no, sie weiß nicht, daß ich komme. Habe die letzten Jahre nichts von mir hören lassen, keine Zeit gehabt. Sie schreibt auch selten. Bin von Ort zu Ort gezogen und habe gewiß manchmal vergessen, ihr meine Adresse mitzuteilen. Nun, dafür haben wir uns desto mehr zu erzählen. Morgen gehen wir zum Pastor und in vierzehn Tagen sind wir Mann und Frau. Alle Papiere dort in der Reisetasche. All right!«

Ich ging meine Wege und guckte erst ein paar Stationen weiter wieder in den Wagen. Da war mein Amerikaner noch immer dabei seinem Reisegefährten sein Herz auszuschütten.

»Doch wäre es nicht auf alle Fälle gut gewesen, wenn Sie geschrieben hätten? Sind Sie wirklich sicher, daß Ihre Braut Ihnen den Gefallen gethan hat, geduldig auf Ihre Rückkehr zu warten?« fragte dieser in zweifelndem Tone.

»O sie wartet noch acht Jahre, wenn es darauf ankommt. Es giebt ja Mädchen, die dreißig Jahre lang auf einen Freier warten; sollten sie dann nicht gern zehn Jahre auf ein Bräutigam warten.«

»Doch wenn sie sich nun doch einen angeschafft hat?« lachte der andere Herr.

Der Amerikaner wurde auf einmal ernst.

»Einen Schmaus giebt's auf jeden Fall auch dann: einen dreifachen Leichenschmaus anstatt der Hochzeit. Sehen Sie diesen hier, Mister! Hier ist für sechs Personen gedeckt, zwei Portionen für jeden von uns. Der neue Bräutigam brauchte sich keine Stiefel mehr besohlen lassen. Zwei Portionen für jeden. All right!«

Damit steckte er den Revolver wieder ein.

Jetzt war mir die Sache klar. St. war die letzte Station unserer Abteilung, und ich hatte dort meinen Wohnsitz. Mehr als einen Schneider gab es dort nicht, mehr als eine Tochter hatte dieser Schneider nicht, und mehr als einen Mann durfte diese Tochter nicht auf einmal haben, und – den hatte sie vor einem guten Jahre in meinem Freunde, dem Bahnmeister Hansson bekommen. Im November hatte ich selbst bei ihrem kleinen Jungen Gevatter gestanden.

Hm ... der Schwedischamerikaner sah mir für einen Doppelmord und Selbstmord ein wenig zu lebenslustig aus; aber einen Heidenskandal würde es sicherlich geben. Wenn er nun den Revolver aus der Tasche zöge, und das Unglück es wollte ...

Als ich das nächste Mal wieder ins Coupee kam, erzählte der Amerikaner von seinen Schicksalen und Abenteuern drüben im Westen.

»Hatte die Summe schon vor drei Jahren vollzählig in der Tasche, doch beinahe alles Geld wurde mir abgeschwindelt. Wollte nichts davon nach Hause schreiben. Spuckte in die Hand und griff es frisch an. Hütete auf einer Farm die Schweine, bis sich ein besseres business bot. Dollar auf Dollar, Tag für Tag, sehen Sie. Nun habe ich money in der Tasche dort. All right!«

Armer Mensch! Er war so stolz und überglücklich, daß er nicht im Coupee still sitzen konnte, sondern trotz des schauderhaften Wetters auf jeder zweiten Station mindestens ausstieg und auf dem Perron umherlief.

Einmal sah er am Fenster der dritten Klasse eine alte weinende Frau sitzen. Sofort stieg er dort ein. Was er mit der Alten beredete, weiß ich nicht, doch als er wieder ausstieg, glänzte ihr Gesicht wie ein blankgeputzter kupferner Kessel und sie steckte etwas in die Tasche. Der Amerikaner klopfte ihr noch am Trittbrette auf die Schulter und sagte:

»In dem Zuge, mit dem Peter Sander führt, darf niemand traurig sein. Bezahlt nur damit und heult nicht wie eine Besessene. All right!«

Wir näherten uns St. immer mehr, und ich kann nicht leugnen, daß ich mich meines Freundes und seiner jungen Frau wegen sehr ängstigte, von Schneider Strömberg und seiner Alten nun garnicht zu reden. Ich sollte dort abgelöst werden und beschloß, zu ihnen zu eilen, und ihnen alles mitzuteilen, ehe der heitere Amerikaner dort ankam und seinen sechsläufigen Revolver in dem häuslichen Kreise abfeuerte.

Ich hatte nie davon gehört, daß Emma Hansson schon einmal verlobt gewesen war, aber, sehen Sie, die Frauen ...

Ich hatte noch ein wenig auf dem Bahnhofe zu thun, und als ich zu Hanssons kam, sagte das Kindermädchen, daß der Bahnmeister ausgegangen und die Frau bei den Alten sei. Dadurch kam es, daß, als ich über die Hintertreppe durch die Küche in das Wohnzimmer der alten Strömbergs eilte, wo sie, Emma und eine junge Verwandte saßen – mein Amerikaner durch die Thür nach dem Vorplatze eintrat.

Ich habe nie eine Vorliebe für Schießgewehre im Hause gehabt und Scenen der Verzweiflung sind mir stets entsetzlich gewesen. Doch es war zu spät, ich konnte die Nichtsahnende nicht mehr warnen.

Anfangs ging alles gut. Der Amerikaner breitete beide Pelzärmel aus, drückte Frau Hansson, die erstaunt ihre Näherei auf den Tisch gelegt hatte, an seine Brust, und rief jubelnd aus:

»Hier bin ich, mein geliebtes, treues Mädchen! Hier hast Du Deinen Peter wieder! Mühsam ist es gewesen, aber ich habe Wort gehalten. Emma, Emma! Sieh diese Tasche! Darin ist money genug für uns alle!«

Nein, wie er sie küßte! Ich war ganz entsetzt, wenn ich mich in die Lage meines Freundes dachte. Der Schneider wurde leichenblaß und verschwand mit seiner Alten hinter der Küchenthür, und das junge Mädchen, Emmas Cousine Martha Pettersson, die bei den Alten wohnte, bebte wie Espenlaub und seufzte: »Herr Gott, Herr Gott!«

»Du bist noch ebenso hübsch und stattlich wie vor acht Jahren! Mein geliebtes Mädchen! So gieb mir doch nur auch ein einziges Mal einen Kuß! Morgen bestellen wir das Aufgebot und Dreikönigstage halten wir Hochzeit. All right!« erklärte Peter aus Amerika. Emma war wie mit Blut übergossen und wußte augenscheinlich nicht, was sie thun sollte. Sie versuchte sich sanft loszumachen und stammelte:

»Peterchen ... lieber Peter ... es thut mir leid ... es ist so traurig ...«

»Heute giebt es nichts Trauriges, mein Herzchen; ist es dem Schwiegervater nicht gut gegangen, so brauchst Du es mir nur zu sagen. In der Tasche ist mehr money, als Du glaubst. All right!«

Jetzt wurde es Emma zuviel. Sie brach in verzweifeltes Schluchzen aus.

»Ja traurig, schrecklich traurig ist es, Peter, denn voriges Jahr um diese Zeit ... nein, ich kann nicht ... sag Du es ihm, Martha ...«

Damit eilte sie in die Werkstatt.

Fräulein Martha Pettersson war ein hübsches, stattliches Mädchen, fünf Fuß und sieben Zoll hoch und für gewöhnlich gewiß nicht so leicht verlegen, doch nun klang ihre Stimme unsicher, als sie zu dem Fremden trat, die Hand auf seinen Pelzärmel legte und teilnehmend sagte:

»Herr Peter, es ... es thut uns allen wirklich sehr leid, aber Emma ist ... ja, sie verheiratete sich voriges Jahr ... und hat einen kleinen Jungen ... und das ist allerdings unangenehm ... ich meine sehr traurig für Sie, aber Sie dürfen ihr deshalb nicht böse sein!«

Da schlich auch ich leise aus der Thür, denn Herr Peter konnte es sich ja nicht einfallen lassen auf eine teilnehmende junge Unbekannte, die ihm nie etwas zu Leide gethan hatte, zu schießen.

Doch als ich die Treppe hinabstieg, hörte ich drinnen jemand schwer auf einen Stuhl fallen und dann das gewaltsame, verzweifelte Schluchzen eines Mannes, das von einer gebrochenen Stimme unterbrochen wurde:

»Gehen Sie, junge Miß ... gehen Sie ... mit mir ist es aus ... all ... right ...«

Das war am Donnerstag Abend. Freitag Morgen mußte ich schon um vier Uhr fort, und als ich nach Hause kam, konnte meine Frau mir von Hanssons und Strömbergs nur wenig mitteilen. Sie lebten noch, waren noch nicht erschossen worden und Herr Peter Sander logierte im Hotel. Weiter wußte sie nichts.

Sonnabend, Heiligabend, war zufällig mein Ruhetag. Als ich des Morgens gegen neun Uhr bei dem Hotel vorbei ging, rief jemand mich an:

»Schaffner!«

Es war Herr Peter, und ich sah zu meiner Beruhigung, daß es noch lange nicht mit ihm aus war.

» Morning, Schaffner! Meine Freunde Hansson wollten Sie gestern Abend abholen. Sie sollten uns eine Bowle leeren helfen. Sie seien schon im Bette, hieß es. Hören Sie, hält der Schnellzug in Arp. Meine Braut, Miß Pettersson, Miß Martha Pettersson, und ich wollten ihre Eltern besuchen. Eilig, sehr eilig. Am 13. Januar ist die Hochzeit. Bin deshalb direkt von Amerika herüber gekommen. Er hält also? Thank you! All right!«

*

»Leben Sie wohl, Herr Blomdahl! Morgen muß ich wieder nach Wexiö aufs Redaktionsbureau zurück und mich wieder unter das alte Joch beugen. Vielen Dank für all Ihre Freundlichkeit und die gemütlichen Stunden, die ich hier bei Ihnen verlebt habe!«

»Danke gleichfalls! Leben Sie wohl! Vielleicht sehen wir uns nie wieder. Ihnen hat es dort unten in der »Kuranstalt« gewiß nicht gefallen.«

»Nein, das hat es nicht, aber deshalb kann ich doch wiederkommen und Sie besuchen, wenn ich zu Fräulein Marias Hochzeit eingeladen ...«

»Zum Teufel auch! Ja, das konnte ich mir denken, daß Ihr beide zusammen halten würdet. Ein Herr, der Liebesromane schreibt, und ein Mädchen, das Jungmännern nachläuft! Nein, lieber brauchen Sie garnicht wiederzukommen!«

Ziemlich enttäuscht drückte ich erst ihm und dann der tieferrötenden Maria die Hand, und wandte mich darauf zum Gehen.

Doch eine halbe Minute später hörte ich schwere Schritte hinter mir; der alte Schaffner legte mir die Hand auf die Schulter, warf einen Blick auf die Veranda, wie um sich zu überzeugen, daß Maria uns nicht sehen könne und sagte mit einem Seufzer:

»Ich stelle mich, als wollte ich nie nachgeben, müssen Sie wissen. Es weht ein frischer Wind auf dem Lande wie auf der See. Gott gebe, daß er ihnen die Liebesgedanken aus dem Kopfe wehte! Doch hilft auch das nicht, und sind sie nach anderthalb Jahren, wenn der Grünschnabel sein Steuermannsexamen gemacht hat, noch ebenso gesonnen – ja, dann weiß man sein Schicksal ... und giebt es dann Hochzeit, so seien Sie uns herzlich dazu willkommen!«

 


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