Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V.
Als meine große Mia die göttliche Vorsehung spielte

Ich war ungefähr drei Wochen in dem kleinen Badeorte gewesen. Es wollte dort nicht besser werden. Ich hatte allerdings das unschätzbare Vergnügen gehabt, eine kleine hektische, verweichlichte Norrköpingerin, die eine halbe Million besitzen sollte, die Fabrikbesitzerin Engblad und Fran Strömbom mit ihren Toiletten gänzlich in den Schatten stellen zu sehen; doch nach drei bis vier Tagen waren mir die Nationaltrachten der Kleinen mit echten Brillanten in den »Bauernschnallen« und einem Gürtel zu 200 Kronen um die auf achtzehn Zoll zusammengeschnürte Taille ebenso trivial geworden wie die Brokatröcke und Plüschärmel der gesetzteren Frauen.

Unser kleines Bethesda war viel zu klein, als daß sich jemand seinem »Badeleben« hätte ganz entziehen können. Bald wurde mir die schmeichelhafte Zumutung gemacht, als wilder, schmutziger Räuber die kleine Hektische bei einer Kaffeegesellschaft mit lebenden Bildern im Walde hinter einem großen Steine mit meinen zerlumpten Ärmeln zu umschließen; bald wollte man mir durchaus eine Flachsperrücke und einen Bettlerhut voller Bakterien aufsetzen und mich zu dem friedlichen, gutmütigen Vater einer einfachen Familie machen. Dann wieder sollte ich Verse machen, und ich fand bald heraus, daß ein halber Quadratmeter Poesie das Wenigste war, was ich an einem Vormittage leisten sollte. Pfui! Damals war ich jedoch noch Junggeselle, und ein solcher darf sich ja weder Ermüdung noch Abgeneigtheit anmerken lassen.

Doch da wollte man, daß ich zum Besten »Unheilbar armer Kranker« – oder waren es »arme unheilbar Kranke«? – auf einer »Soiree« sowohl Nyboms »Niagara« und »Döbeln bei Jutas« deklamieren sollte; ich, der einen ausgeprägteren småländischen Dialekt hatte als ein Landpastor in Sunnerbo, ich, der in seinem Leben keinen Gesangbuchvers auswendig lernen konnte, und nur dann laut liest, wenn eine schwere Korrektur mit vielen Zahlen auf dem Redaktionstische liegt. Da eilte ich zu meinem Schaffner.

Der kleine Pudel begrüßte mich schon an der Gartenthür als alten Bekannten mit freudigem Bellen, und auf der Veranda prunkten das Kaffeegeschirr und ein Teller mit neugebackenen Kringeln auf einem reinen, schneeweißen Tischtuche, das so mit Blumen geschmückt war, daß über jede Falte eine grüne Ranke herabhing.

»Erwarten Sie Besuch? Da komme ich wohl ungelegen?«

»Nein, nein! Nehmen Sie Platz? Dieser Aufputz ist nur für Mama! Heute ist der Geburtstag meiner großen Mia«, sagte Blomdahl, der sich rasiert hatte und ein sehr feierliches Gesicht machte.

»Meiner großen Mia?« Ich blickte die kleine Mia, die eben die Kaffeekanne auf den Tisch stellte, verwundert an.

»Es ist Mutters Geburtstag. Sie hieß auch Maria, und wir decken den Kaffeetisch dann immer so wie bei ihren Lebzeiten, obgleich sie schon lange ...«

Die vollen, roten Lippen zuckten, und der Alte räusperte sich. Glückliche, große Mia! Wie süß, nach seinem Tode so vermißt zu werden wie sie!

»Ja, das war ein Weib, Herr Redakteur! Meine kleine Mia ist auch kein übles Frauenzimmer, aber wenn ich an ihre Mutter denke, so erscheint mir die Tochter wie garnichts«, sagte Blomdahl und blies dicke, dunkelgraue Rauchwolken in die Luft.

Der Kaffee wurde ziemlich still getrunken.

»Sie wollen heute wohl auch Ihre Geschichte mit nach Hause nehmen, doch diesmal soll es etwas von ihr sein, weil heute ihr Tag ist. Sie sollen hören, wie meine Maria einmal der göttlichen Vorsehung ein wenig ins Handwerk gepfuscht hat?«

Weiß Gott, ich denke nicht gering von den schwedischen Schaffnern und ihren Familien, doch eine gewöhnliche Schaffnerfrau war sie keinenfalls. Sie hatte in Fräulein Flammelins Schule die vier untersten Klassen durchgemacht und spielte sogar ein wenig Klavier, obwohl wir nicht in der Lage waren, uns ein Instrument anzuschaffen. Sie gehörte zu den sogenannten Gefühlvollen, und obgleich ich mich nicht erinnern kann, daß sie mir je angebrannte Milchsuppe auf den Tisch gebracht hat, – ja, Mia, laß nur gut sein, das kommt ja auch nun nicht oft vor – so gingen ihre Gedanken doch ein wenig über ihre Kochtöpfe hinaus.

Eine Zeit lang blieb der gemischte Zug des Nachts mehrere Stunden in E. liegen. Wir kamen abends um elf Uhr an und fuhren am andern Morgen um sechs weiter. An einem Sommermorgen war ich schon auf dem Bahnhofe, als Ring, der Perrondiener, rein machte und die Flaschen mit frischem Wasser füllte.

»Wissen Sie, Blomdahl, jetzt werden Barons sich scheiden lassen. Die Köchin hat mir erzählt, daß »sie« heute abreisen wird,« sagte Ring.

Mehr als einen Baron gab es in E. natürlich nicht, ich wußte also gleich, von wem die Rede war und kannte die Leute von Ansehen recht gut. –

»Was fällt den jungen, reichen, hübschen Menschen ein? Der Herr Baron ist wohl auf Abwege geraten?« fragte ich.

Sehen Sie, daß Frauen auch auf Abwege geraten können, glaubt man nicht so leicht, wenn man selbst eine solche Frau, wie meine große Mia war, hat, und es kommt wohl auch jedenfalls seltener vor. –

»O bewahre,« sagte Ring, »alle sagen, die einzige Ursache sei, daß beide so eigensinnig sind.«

Der Baron sah mir gerade nicht aus, als hätte er einen harten Kopf, wenigstens an jenem Morgen nicht. Er brachte sie selbst nach dem Bahnhofe. Seine schönen, dunklen Augen sahen wie erloschen aus, das feine Gesicht war aschfarben, und der Schnurrbart hing schlaff herab. Sie dagegen war so fein und hübsch wie gewöhnlich. Das schwarze Haar glänzte, die stahlgrauen Augen leuchteten und der kleine Mund war purpurrot. Doch die Wangen waren bleich.

Das kleine Mädchen war ebenfalls in Reisekleidung, die Mama nahm also ihr Töchterlein mit. –

Ich hatte sie manchen Sommerabend in E. bis gegen Mitternacht spazieren gehen sehen. Er pflegte zu plaudern und zu lächeln, und sie hing an seinem Arme und blickte mit solcher Liebe zu ihm auf, daß ihre Augen wie zwei Feuerflammen brannten. Ich habe nie ein schöneres Paar gesehen.

Kurz vor Abgang des Zuges war ich in der Expedition. Die Thür nach dem Wartesaale stand offen, und ich hörte, wie er sich hastig der Ecke, in der sie sich mit dem Kinde niedergelassen hatte, näherte und flüsterte:

»Noch ist es Zeit, Luise ...«

»Wovon sprichst Du?«

»Noch einmal beschwöre ich Dich bei der Erinnerung an unsere Lie...«

»Schweig Georg! Sie ist aus, sonst hättest Du nicht so gegen mich sein können.«

Ihre Stimme war unnatürlich ruhig; er aber sah aus, als ginge er zum Richtplatze, als er ihr auf den Perron hinaus folgte.

Als sie eingestiegen war, sprang er auf das Trittbrett und küßte – das Kind.

Wie manches Band der Schrei der Dampfpfeife wohl zerschneidet! Solche, von denen man weiß, und andere, die man nicht kennt. Wie manche, die tief und warm empfinden, wenn die Hände winken und die Augen feucht werden, da der Zug langsam abfährt, sind wie ausgetauscht, wenn das Dampfroß sie nach Jahr und Tag wieder zusammenführt!

Doch wo war nun meine kalte, stolze, unbewegliche Baronin geblieben?

Sie hatte das Gesicht auf die Sofalehne gedrückt und ihr Leib erbebte vor krampfhaftem Schluchzen. Das kleine Mädchen war über den Schmerz der Mutter erschreckt und jammerte in der andern Ecke des Coupees.

Der Mensch ist doch ein armes Geschöpf, Herr Redakteur! Hier sitzen nun Tausende und grämen sich tot, weil der Gegenstand ihrer Neigung sich nichts aus ihnen macht. Und dort sitzen Zehntausende, die einander lieben, sich sehnen und sich verzehren, weil sie nicht genug Brot für zwei haben, und nun verbittern zwei, die einander endlich gefunden, Brot genug und ein langes, glückliches Leben vor sich haben, sich das Dasein durch Eigensinn, Heftigkeit und Hochmut.

Sieht man so etwas bei Hühnern und Schafen? Nein, die sind zu klug dazu.

Bisweilen wurde sie ein wenig ruhiger, weinte leise und starrte auf ein kleines Medaillon. Sein Bild! Ich hätte es mir denken können. Dann küßte sie es. Wäre es nicht besser gewesen, jetzt in der kleinen, hübschen Villa in E. bei ihm zu sitzen, als bei Regenwetter auszureißen und hier solche Scenen aufzuführen.

Und vielleicht hatte keiner von ihnen etwas Böses gethan? Vielleicht handelte es sich ursprünglich nur um eine Bagatelle oder ein unvernünftiges, hartes Wort? Das ist bei »feinen« Leuten gerade nichts Außergewöhnliches.

Ich glaubte nicht, daß ihre Kräfte ausreichen würden, sie ans Ziel ihrer Reise zu führen. Ich bin nie wieder Zeuge einer solchen Verzweiflung gewesen. Ich glaube, daß manche kaum den vierten Teil der Liebe, die sie hegte, besitzen, wenn sie vor den Altar treten, und alles kann doch gut werden, wenn sie nur nicht zu zanken beginnen.

Und zu Hause in E. saß er nun vielleicht und küßte weinend ihr Bild! Und in F. bezahlte sie drei Kronen fünfzig öre für ein Mittagsessen, das sie und die Kleine kaum anrührten, und er aß zu Hause wohl auch keinen Bissen. Und dabei hatten die Leute einen vierfenstrigen Speisesaal und eine Köchin, die im ersten Hotel in Jönköping ihre Lehrzeit durchgemacht hatte.

In P. auf dem Perron stand eine korpulente alte Dame, die gut und freundlich aussah und die Arme so weit ausbreitete, als wollte sie die Lokomotive ans Herz drücken. Die Baronin war beinahe halbtot, sie stieg schwankend aus, fiel der Alten um den Hals und schluchzte:

»Ma...a...ama!«

Ma...a...ama, ja! Oh, dachte ich, wenn ich deine Mama gewesen wäre ...

Am nächsten Tage hatte ich keinen Dienst, und als ich nach Hause kam, erzählte ich meiner großen Mia die ganze Geschichte. Sie begann laut zu weinen, so leid thaten ihr die jungen, hübschen, dummen Menschen. Sie ließ mir die ganze Nacht keine Ruhe, sie fragte unaufhörlich und trocknete sich dazwischen die Augen. Es war noch sehr früh, als sie aufstand und sich ans Schreiben machte. Doch als sie mir dann zeigte, was sie geschrieben hatte, wurde ich, Gott helfe mir, ordentlich böse auf sie. Hören Sie nur:

 

»Herr Baron!

Sie liebt Sie noch, liebt Sie zum Sterben, die Arme, ist aber zu stolz, etwas davon merken zu lassen, denn Sie müssen ihr gewiß entsetzlich weh gethan haben. Als sie von Ihnen fuhr, weinte sie auf der ganzen Reise und küßte Ihr Bild. Von Ihnen reisen, Sie von sich stoßen und unversöhnt sterben, das kann sie wohl, aber die Liebe zu Ihnen aus ihrem Herzen reißen, das kann sie nicht, die arme Kleine! Versuchen Sie es doch noch einmal! Zwingen Sie sie und lassen Sie ihr keine Ruhe! Ach, wie leicht kann man sich selbst ein wenig demütigen, wenn nur die Liebe noch da ist!

Ein ergebener, unbekannter Freund.« 

 

»Das darfst Du auf keinen Fall abschicken, Mia. Ich würde mir die Augen aus dem Kopfe schämen, wenn jemand erführe, daß Du dies geschrieben hast!« sagte ich.

Sie aber küßte mich und bat und flehte, und vor meiner Abreise steckte ich dieses kleine Schreiben eigenhändig in den Briefkasten. – Ja, wenn Sie erst selbst verheiratet sind, Herr, werden Sie bald begreifen, wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt.

Als ich acht Tage darauf nach Hause kam, schloß ich Mia fester als gewöhnlich in die Arme, denn wenn man erst ein paar Jahre verheiratet ist, werden die Liebkosungen knapper, wenn man es auch noch ebenso gut meint.

»Du bist doch nicht krank?« fragte sie.

»Heute fuhren der Baron und die Baronin mit Zug 146 nach E. zurück, Maria. Gott segne Dich!«

»Ach was! Sie hätten sich doch auf jeden Fall besonnen. Waren sie jetzt wirklich gute Freunde, Blomdahl?«

»Ja, Maria!«

»Am Ende sogar wie Neuvermählte?«

»Ärger.«

Da wurden die blauen Augen meiner großen Mia feucht, doch sie wollte es nicht zeigen, und deshalb knöpfte sie meine blanken Knöpfe auf, verbarg das Haupt an meiner Brust und flüsterte:

»Doch nicht so wie wir, Blomdahl, nicht wie wir; wir sind doch die besten Freunde auf der ganzen, weiten Welt!«


 << zurück weiter >>