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X.
Eine Hochzeitsreise

»Wenn man viele Jahre auf derselben Abteilung fährt, lernt man – wie wir neulich sagten – eine Menge Gesichter, die man oft im Zuge oder auf den Bahnhöfen sieht, wiedererkennen. Von denen, die auf den Zwischenstationen einsteigen, lernt man selbstverständlich nichts weiter als das Gesicht kennen und hört höchstens noch ihren Namen, wenn sie zufällig einen Bekannten im Zuge treffen. Doch auf den Endstationen, da, wo man wohnt und wo man mit den Zügen liegen bleibt, kennt man natürlich alle Leute aus- und inwendig.

Deshalb kannte ich auch Ingenieur Gustav Armstong, den Besitzer des eine Meile von der letzten Station unserer Abteilung liegenden Rittergutes Elghamra, ganz genau.

An ihm verdiente die Staatsbahn nicht wenig. Bald war er in Stockholm, bald in Gothenburg, und jedes Jahr fuhr er nach Weihnachten über Malmö nach dem Süden. Er wollte »dem Frühlinge entgegenfahren,« wie er einst zu einem Herrn, der im selben Coupee saß, sagte. Und manchmal hielten drei Wagen von Elghamra am Bahnhofe, und junge, fröhliche Herren sprangen aus dem Zuge und stiegen in die Equipagen, und dann wurde unter fröhlichem Lachen und Singen abgefahren, mit den Gewehren zwischen den Knieen und den Hunden auf dem Rücksitze. Doch dann wieder kamen nur zwei oder drei fremde Herren und vier bis fünf jener Damen, die in der Stadt im Tingeltangel auftreten und für gewöhnlich nicht mehr und keine längeren Kleider anziehen als durchaus notwendig ist. Und diese blieben wohl eine Woche in Elghamra und erholten sich von ihrem anstrengenden Künstlerleben.

Ingenieur Armstong war ein gewandter Geschäftsmann, der sich in Süd-Amerika ein Vermögen erworben hatte, dazu ein hübscher Mensch, hübscher als die meisten, mit dunklen, lebhaften Augen, kohlschwarzem Haar und gebräunten Wangen. Er war gegen alle weiblichen Wesen äußerst aufmerksam, bei den hübschen gab er sich noch ganz besonders Mühe. Er war eigentlich ein geborener Jönsson, doch als er reich war, nahm er einen englisch klingenden Namen an, obgleich derselbe, wenn man es genau bedenkt, eigentlich auch schwedisch ist.

Ein netter Mensch war er auch; er behandelte seine Untergebenen und seine Dienerschaft gut, war wohlthätig gegen die Armen und gut gegen Hunde und Pferde, hatte überall Starkasten in seinen Gärten und warf eine Hand voll Kupfermünzen unter die zerlumpten Rangen, wenn er auf den Bahnhof kam.

Nur für Frauenzimmer war er eine gefährliche Bekanntschaft. Die Tochter des Postmeisters hatte seinetwegen die Schwindsucht bekommen, und für die Tochter des Bahnmeisters bezahlte er eine weite, teure Reise, doch ich habe nie gehört, daß ihn der alte Almén dafür gesegnet hätte. Die Hausmädchen auf Elghamra wurden beim Tanze um den Maibaum auch grade nicht für die alleranständigsten Mädchen angesehen.

Doch man weiß ja, daß einem gutsituierten, stattlichen Junggesellen dergleichen gern verziehen wird. Leute mit heiratsfähigen Töchtern können es wenigstens nicht übers Herz bringen, ihm deshalb böse zu sein, und überall, wohin er kommt, ist er bald wie Kind im Hause.

Wenn man auf dem Lande wohnt, kann man es auch nicht gerade so einrichten, daß man genau zum Zuge auf dem Bahnhofe eintrifft. Wenn der Ingenieur keinen Besuch hatte, kam er seit einiger Zeit immer zu früh.

»Ich weiß nicht, was in die Uhren auf Elghamra gefahren ist,« sagte er dann zu dem alten Amtsschreiber Jansson, der täglich auf dem Perron spazieren ging.

»Komm so lange mit mir; wir wollen sehen, ob Ella nicht etwas vorzusetzen hat,« sagte der Amtsschreiber.

Und das muß die hübsche Tochter des Alten sicher gehabt haben, denn der Ingenieur blieb bisweilen den ganzen Tag dort sitzen und ließ die Züge gehen, wie sie wollten. Nun, die meisten seiner Reisen waren auch gerade keine Notsache, und Fräulein Ella hatte so milde, tiefe, blaue Augen, daß sie wohl einen Mann damit festhalten konnte.

Mansson, der Perrondiener sagte, daß Ella stets auf den Balkon ihres Hauses am Bahnhofsplatze trete, sobald der Elghamrakutscher vorbeifahre, um seinen Herrn vom Bahnhofe abzuholen. Sitze dann der Ingenieur allein im Wagen, so lächle und nicke sie ihm zu wie ein leibhaftiger Gottesengel, und er sei dann oft nicht imstande weiterzufahren, sondern steige aus und sage ihr guten Tag. Doch kämen da solche Frauenzimmer mit ihren Koffern, so werde sie leichenblaß und verschwinde auf der Stelle.

Da auf einmal wurde Ingenieur Armstong wie im Handumdrehen gesetzt und vernünftig, reiste selten aus und dann immer nach demselben Orte, einer kleinen Station in Schonen, wo er von einem Kutscher, dessen Livree mit wappengeschmückten Knöpfen verziert war, und schließlich auch von einem Fräulein abgeholt wurde. Das junge Mädchen war beinahe noch ein Kind, doch zugleich eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen, dunkel wie er selbst, mit blitzenden, schwarzen Augen und einem Teint, so weiß wie die Haut meiner Maria, die doch ein Flachskopf ist.

Dies war im Herbste, wenn ich mich recht erinnere, im September. Im Frühlinge darauf war alles in Ordnung, und an einem Juniabende stand Armstong als junger Ehemann mit dem schönen Mädchen als seiner Frau am Arme auf dem Perron der kleinen schonenschen Station, und ein grauhaariger, schrecklich vornehmer, alter Herr, den der Inspektor mit »Herr Baron« anredete, umarmte beide einmal über das andere, und eine alte Dame lächelte und weinte abwechselnd. Die schleifengeschmückten Trauführer und die Bouquete in der Hand haltenden Brautjungfern standen dabei, und die junge Frau wurde von mindestens einem Schock älterer und jüngerer Damen in die Arme geschlossen.

Der Inspektor gab das Zeichen zur Abfahrt, und die beiden Glücklichen reisten ab. Ich kann sie noch vor mir am Coupeefenster stehen sehen, als ich die Thür hinter ihnen schloß. Sie hielten sich fest umschlungen, die Wangen brannten, der lächelnde Mund versuchte noch einige liebevolle Worte an die Eltern, Verwandten und Freunde hervorzustammeln, während die Gedanken schon in die Ferne zu dem eigenen, gemeinsamen, teuren Heim eilten.

Ich richtete es so ein, daß sie allein im Coupee blieben; man hat ein wenig Gefühl, wenn man hier auf Erden auch nur Billette koupiert.

Eine knappe Viertelmeile vor N. bildet die Bahn eine große Kurve mitten in einem dichten Birkenwäldchen. Wir waren gerade an dieser Stelle angekommen, als alle Bremsen auf einmal aufkreischten, und ich merkte, daß der Zugführer die allerverzweifeltsten Haltversuche machte.

Ich steckte den Kopf aus der Thür und hörte zwei entsetzliche Schreie. Der eine war ein heiseres, angstvolles Brüllen, das sich aus der Brust des Zugführers rang, als er sah, daß seine verzweifelten Anstrengungen umsonst gewesen waren – und der andere – großer Gott der andere! – kam wie aus der Unterwelt, von den schweren Rädern, von den alles zerstampfenden Vorderfüßen des Dampfrosses, es war ein Schrei, wie ihn kein Mensch zweimal in seinem Leben ausstößt.

Zurück! – Da lag Fräulein Ellas irdische Hülle verstümmelt und tot, aber noch warm und zuckend. Sie war selbst im Tode noch schön, denn die Hufe des Dampfrosses hatten das Beste, was sie besaß, ihr hingebendes Herz, gewählt, um ihr den Todesstoß zu geben. Das schöne, blonde Haupt, das rosige Antlitz, die blonden Zöpfe waren nicht getroffen worden und beinahe garnicht blutbefleckt, man hätte meinen können, sie schlummere in ihrem Bette im Vaterhause.

An Gustav Armstongs Hochzeitstage! Unter den Rädern, die das junge Paar zu ihrem erträumten Glücke führten ...

Sehen Sie, Herr, es giebt zwei Arten Frauen, die eine gleicht dem Wasser, das, vom Sturme gepeitscht, in der Tiefe aufgerührt wird und hoch aufschäumt, um bald darauf wieder glänzend und spiegelblank dazuliegen; die andere ist wie der spröde Krystall, für den es nur zwei Möglichkeiten giebt: in Schönheit zu strahlen oder zu zerbrechen. Solche Frauen aber soll man in Frieden lassen, wenn man sie nicht als sein schönstes Kleinod im eigenen Heim hat.

Die schöne, junge Frau stand vor dem blutenden, leblosen Körper und die Thränen flossen ihr über die bleichen Wangen, während sie die dunklen Augen starr auf das Antlitz der Toten geheftet hielt.

»Diese unheimliche Erinnerung von unserem Hochzeitstage wird sich nie verwischen!« schluchzte sie. »Welch entsetzliches Unglück! So jung und schön! Hast Du sie gekannt Gustav?«

»Ja ... oberflächlich ... mein Liebling« ... murmelte der totenbleiche Mann.


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