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IV.
Frühlingssonne im Schneesturm

Auf der Bahn trifft man Leute, die man am wenigsten zu sehen erwartet hat. Manchmal freut man sich darüber, manchmal ist es verdrießlich. Ich erinnere mich eines Zusammentreffens, das gut ausfiel.

Es war ein kalter Tag zu Ende Januar. Schon droben in Småland stand der Schnee wie eine Wolke vor den Schaufeln, doch wir kamen noch durch. Damals war dort noch nicht abgeholzt worden, und das hügelige Terrain giebt auch ein wenig Schutz, und wollte man dort bremsen, so müßte man sein wie das Personal der Strecke Ystad–Eslöf. Denn dort, sehen Sie, wagen die Leute nicht einmal ein weißes Laken aus dem Fenster zu hängen, da der Zugführer es für Schnee halten und sofort bremsen würde. Doch nahe bei Heßleholm begann unser Heimdall schwer zu stöhnen, und wir erreichten die Station mit 15 Minuten Verspätung. Damals wurden die Wagen nicht geheizt, und auf den kahlen, nackten Bänken der dritten Klasse war es hübsch kühl. Doch das war nicht das Ärgste für die Kleine, sondern, daß es kein Damenkoupee dritter Klasse gab. Wer kein Geld hatte, feiner zu reisen, dürfte es mit dem, was er zu sehen und zu hören bekam, nicht so genau nehmen, doch ich sah, wie peinlich es sie berührte, als ein paar Lümmel ihr gerade vor der Nase an zu trinken fingen und dabei Witze machten und ...«

»Was für eine »sie«? Von wem sprechen Sie, Herr Blomdahl?«

»Kreuz, sagte ich es nicht? Ja, in Stockaryd war ein kleines Fräulein in einem gewöhnlichen Promenadenmantel ohne jeden Pelzkram, Boa und dergleichen, eingestiegen. Sie hatte freilich ein paar Überschuhe an und einen einfachen, glatten Muff in der Hand, doch es lief mir ordentlich kalt den Rücken hinunter, als ich sie, so zart und fein, in ihre harte, ungepolsterte Ecke kriechen sah und bemerkte, wie sie bei jedem kalten Windstoß, der, sobald jemand die Thür öffnete, ins Coupee drang, schauderte und die dummen Kerle ansah, als fürchtete sie, von ihnen gefressen zu werden.

Sie hatte ein hübsches Gesicht und sah ebenso fein aus, wie die Damen, die erster Klasse zu fahren pflegen, aber das Portemonnaie, aus dem sie das Billett hervorholte, war dünn und billig, und der kleine Handschuh mußte schon entsetzlich lange in Gebrauch sein.

Was sollte ich thun? Ich hatte zwei Pelze: einen auf dem Leibe und einen alten, den ich als Reisedecke benutzte, in meinem Coupee; doch um eine junge Dame vor dem Erfrieren schützen zu dürfen, muß man hier auf Erden eine Stellung einnehmen. Ein einfacher Schaffner muß soviel Lebensart besitzen, daß er nicht in Versuchung gerät, den Gentleman spielen zu wollen. Das Einzige, was ich thun konnte, war, die Lümmel aufzufordern, sich ein wenig ruhiger zu verhalten.

In der zweiten Klasse saß ein junger Herr im Biberpelz. Er hatte ein Plaid, eine Zobelmütze, ein Angorafell und ein silbernes Schild auf dem Handkoffer. Er hatte die Hände in die Ärmel seines Pelzes gesteckt und rauchte eine Cigarre, die ebenso gut duftete wie Ihre, Herr Redakteur.

»... Entschuldigen Sie!«

»Nein, wie vergeßlich von mir! Bitte, Herr Blomdahl!«

»Danke!« Es war ein prächtiger Bursche, keck und frisch, mit braunem Haar und großen blauen Augen. Gut zwei Zoll über drei Ellen hoch. Dazu wattierte Handschuhe von Hundeleder.

Ein Knuff, ein Schnaufen von Heimdall, ein Ruck von einem Puffer zum andern und – da saßen wir. Der Schnee – dazu war es Schneetreiben – umgab uns wie eine Mauer, die, wo sie nicht bis zu sechs Fuß anstieg, überall fünf Fuß hoch war, und bis zur nächsten Station, Sösdala war es noch sieben und ein halber Kilometer.

Die Leute machen freilich großen Spektakel, wenn sie einen Minister los sein, einen Zoll eingeführt wissen oder gegen einen Reichstagsabgeordneten intriguieren wollen. Doch das ist nichts im Vergleich mit den Passagieren eines steckengebliebenen Zuges. Die Herren fluchen, die Damen jammern, und viele behandeln den Schaffner, als sei er an allem schuld.

Meine kleine Dame in der dritten Klasse fuhr zusammen, drückte sich fester in die Ecke, ließ das blonde, hübsche Köpfchen auf die Brust sinken und fragte leise:

»Herr Gott, wir bleiben hier wohl nicht lange sitzen?«

»Das mag Gott wissen, Fräulein. Ein paar Stunden wird es wohl dauern.«

»Dann können wir ja nicht heute Abend in Malmö sein.«

»Wir können höchstens Eslöf erreichen. Dort giebt es jedoch ein Hotel.«

Der kleine, vertragene Handschuh fuhr krampfhaft nach der Kleidertasche. Ach, ein Nachtquartier war bei ihrem Reiseanschlage nicht mit in Berechnung gezogen worden.

»Nein, was sehe ich! Fräulein Elg!«

Das klang so frisch und fröhlich bei der kalten Luft und der allgemeinen Verstimmung. Es war mein Biberpelz aus der zweiten Klasse, der voller Ungeduld ausgestiegen war.

Ein warmer roter Hauch flog auf die Wangen der Dame im Promenadenmantel, sie streckte die Hand mit dem vertragenen Handschuhe aus.

»O sieh, Herr Strand! Das hatte ich wirklich nicht erwartet.«

Er stieg mit einem Satze ins Coupee und nahm ihr gegenüber Platz.

»Vielen Dank für unser letztes, für mich wenigstens so angenehmes Zusammentreffen. Daß ich hier so zufällig das Vergnügen haben würde, meine Brautjungfer zu treffen, hätte ich mir nicht träumen lassen!«

»Ja, wir haben uns seitdem gewiß nicht wiedergesehen? Es ist nun bald ein Jahr seit Elviras Hochzeit.«

Ein so geriebenes Geschöpf! Als ob sie kaum wüßte, ob sie ihn seitdem getroffen oder nicht! Ja, das verrieten Wangen und Augen.

Da kam mein Kollege Bergström.

»Es dauert wenigstens drei Stunden, ehe wir los kommen. Oben an der Landstraße liegt ein Gehöft. Ganz in der Nähe. Vielleicht ist es besser, daß die Passagiere sich dorthin begeben. Die Kälte nimmt zu.«

Zwei lange Tritte, und der Biberpelz war wieder ausgestiegen.

»Darf ich mir erlauben ...«

Es war hoch, sehr hoch. Sie ruhte drei Sekunden an seiner breiten Brust, und dann pflügte der Bieberpelz mit kolossalen Seehundsfellstiefeln einen Weg durch die Schneewehen für kleine, trippelnde, stolpernde, billige Gummiüberschuhe.

Wir erhielten aus einem benachbarten Dorfe Hülfe, der Schneesturm legte sich, und nach vierstündiger, harter Arbeit hatte unser Heimdall freilich Schnee auf dem Rücken und einen eisbedeckten Kolben, aber auch freie Bahn vor sich.

Bergström begab sich nach dem Wärterhäuschen, wo ein Teil der Passagiere eingekehrt war; ich machte mich auf den Weg nach dem Bauernhofe. Da stand die Kaffeekanne auf dem Tische und der Probenreiter mitten in der Stube sang zur Belustigung seiner Reisegefährten ein lustiges deutsches Lied über einige groteske Bilder, die er mit Kohle auf dem Kachelofen gezeichnet hatte. Doch im großen Ganzen war die Stimmung unter Null; eine magere, kränklich aussehende Frau erklärte, dies würde ihr Tod sein, und eine dicke, blühende Alte, die sich selbst gewiß nicht so leicht »unterkriegen« ließ, war überzeugt, daß ihre Tochter in Lund vor lauter Angst gestorben sei.

Doch in einer Ecke zwischen der Wanduhr und der Kommode saß der kleine Promenadenmantel mit einer Kaffeetasse und einem Kringel in der Hand und daneben der Biberpelz als getreuer Ritter.

»Ich mache kurze Schritte und habe große Füße. Treten Sie nur in meine Spuren, Fräulein Elg!« bat er, als sie aus der Thür traten, und der Rückzug begann.

Er trug ihre Reisetasche und ihr Umschlagetuch, er blieb stehen und stampfte den Schnee eben, er drehte sich alle Augenblicke um und sah nach, ob es den kleinen Gummischuhen schwer würde durchzukommen.

»Sie können sich nicht vorstellen, Fräulein Elg, wie glücklich ich bin, meine Dame von Elviras und Hugos Hochzeit unter Umständen getroffen zu haben, die es mir ermöglichen, wieder als ihr Ritter aufzutreten.«

Sie antwortete just nichts, aber auf ihren zarten, feinen Wangen erblühten Rosen.

Ich hätte gern wissen mögen, wie viele Tage jene Hochzeitsfeier gedauert hat.

»Hier war es!« sagte ich mit unschuldiger Miene, indem ich die Thür seines bequemen Zweiterklassencoupees öffnete.

»Nein, danke!« sagte er, und stieg in den kalten, kahlen Dritterklassenwagen, wo es nach Schnaps roch und der Fußboden eingeschmutzt war. Dann stieg er wieder aus, aber nur um sein Plaid und das Angorafell zu holen.

»Gestatten Sie? Sie waren gewiß nicht auf eine solche Kälte vorbereitet!«

Es war schon spät, als wir in Eslöf ankamen. Mein Biberpelz übergab dem Hausknecht seine Sachen und sagte in kurzem Kommandotone:

»Ein gutes Zimmer, aber warm, hören Sie!«

Dann ging er voraus, und als der Hausknecht und Fräulein Elg an meinem Coupee vorbeigingen, hörte ich sie schüchtern flüstern:

»Ein kleines, einfaches Zimmer – – – für 1 Krone – – – und 25 öre – – – wenn Sie ein solches haben – – «

Am nächsten Tage war das Wetter ebenso kalt und ungemütlich. Der Wind drang durch Mark und Bein, und 150 Mann konnten mit Mühe und Not die nächste Strecke für den Morgenzug fahrbar halten.

Auch diesmal fuhr der Biberpelz dritter Klasse. Er betrachtete die nackten, kahlen Bretter und dann wieder seine Brautjungfer. Ich bin fest überzeugt, daß ihm das Wort »Zuschlagsbillet« auf den Lippen schwebte, aber es war ja unmöglich, daß er sich damit hervorwagte. Die Kleine mit den vertragenen Handschuhen war durch und durch eine Dame.

Was er gesagt hat, als sie vor dem Einsteigen auf dem Perron auf und ab gingen, weiß ich nicht. Ebensowenig, was sie ihm darauf geantwortet hat, als sie allein in ihrer Ecke im Coupee saßen, während die andern Passagiere am andern Ende des Wagens plauderten.

Doch etwas Verdrießliches muß es nicht gewesen sein, denn einen größeren Kontrast als zwischen Schonens wolkenschwerem Winterhimmel und diesem rosigangehauchten Gesichtchen habe ich in meinem Leben nicht gesehen, und bin doch als Schaffner achtundzwanzig Jahre auf drei verschiedenen Strecken gefahren.

Hinter dem Bahnhofsgebäude in Akarp stampften zwei hellbraune Hannoveraner mit blitzblankem Geschirr. Herr Strand ging bis an das Ende des Perrons und rief: »Fahrt nach Hause, Blom! Ich fahre nach Malmö und komme mit dem Mittagszuge zurück.«

Ich kann ja nicht wissen, weshalb sie nach Malmö reiste. Vielleicht hatte sie dort eine Stelle, vielleicht lebte sie bei Verwandten, die ebenso arm waren wie sie selbst. Vielleicht sollte sie auch zu reichen Verwandten und dort die Rolle der »armen Cousine«, des Aschenbrödels spielen.

Doch wie es auch damit sein mochte, soviel ist gewiß: sie sah nun die Zukunft in rosigerem, hellerem Lichte als bei ihrer Abreise von Stockaryd.

Und als das Gedränge auf dem Bahnhofe am größten war – jene Minuten der Überstürzung nach der Ankunft des Zuges auf einem großen Bahnhofe, wo ein jeder nach den Seinen sucht – da standen die beiden einen Augenblick still auf dem Perron, und als ich das Fenster im Coupee nebenan aufzog, beugte er sich mit glühenden Wangen und strahlenden Blicken zu ihr herab und flüsterte ihr leise zu, was zum »Frühlinge« geschehen sollte.


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