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IX.
Wenn der Zug abgeht

Ich war ein paar Tage nicht bei meinem alten Freunde gewesen, und als ich nun den Kiessteig entlang ging, hörte ich, daß er schon wußte, was mich abgehalten hatte.

»Sie sind in der Stadt gewesen, Herr Redakteur, und haben sich mitten im Sommer das Theater angesehen. Nun, war es gut?«

»Die Kur zu unterbrechen?«

»Nein, ich meine, ob das Theater gut war?«

»Oh ja, wie man's nehmen will. Zwei, die ziemlich hohen Ansprüchen genügen konnten, ebensoviele, die eine entfernte Ahnung davon hatten, wie gespielt werden muß, und außerdem einige Ladenfräulein, Barbiergehilfen oder Kellner oder was sie sonst gewesen sein mögen. Ganz, wie es bei den Sommertheatern der Fall zu sein pflegt.«

»Hm ja, es ist doch merkwürdig, daß es so schwer sein kann, Komödie zu spielen, wenn es auf dem Theaterzettel gedruckt steht und alle Leute es wissen. Jeder Mensch kann es ja im gewöhnlichen Leben und kann es überdies so gut, daß die Leute es für bare Münze nehmen.«

»Doch wohl nicht auf der Eisenbahn? Da macht es sich ja jeder bequem und will sich nicht genieren.«

»Ja, das sollten Sie einmal sehen! Ich habe in meinem ganzen Leben auf dem Theater nicht solche »Nüancierungen«, wie es in den Recensionen heißt, gesehen, wie bei dem reisenden Publikum, wenn der Zug aus dem Bahnhofe ist.

Ich werde nie vergessen, wie es herging, wenn Fabrikbesitzer L. in As sich auf die Reise begab. Natürlich die Frau mit allen Kindern und ihren beiden Mägden auf dem Bahnhofe. Und diese Gesellschaft belagerte die Coupeethür so, daß man weder hinein noch heraus konnte.

»Ja, es ist schwer, vier lange Tage vom Hause fort sein zu müssen!« seufzte der Fabrikbesitzer und machte ein Gesicht, als hätte er alles Leid der Welt in der Westentasche.

»Ist es denn durchaus notwendig, daß Du selbst dahin mußt, Gustav?« fragte die Frau teilnehmend.

»Absolut notwendig, mein Liebling, ich muß die neuen Krahne selbst auswählen. Herr Gott, wie schrecklich werden mir diese Tage sein! Keine bekannte Seele, im Hotel wohnen und von Dir und den Kinder getrennt! Nun, es muß mir ein Trost sein, daß ich mich für Euch quäle, aber entsetzlich ist es, von der Pflicht aus seinem glücklichen Familienkreise hinausgetrieben zu werden.«

Ich hatte selbstverständlich nicht Zeit, diese kleine Rede auf einmal zu hören, ich schnappte gelegentlich ein paar Worte auf, denn der arme Fabrikbesitzer mußte oft seiner Fabrik wegen ausreisen, und sein Jammer beim Abschiede von seiner Frau war wirklich herzzerreißend.«

»Nun, und sie?«

»Ja, sie hatte Thränen in den Augen, kletterte auf das Trittbrett, umarmte ihn vor aller Leute Augen und sagte:

»Behüte Dich Gott, Gustav! – Gieb Papa einen Kuß, mein Junge! – Zieh Dich auf See warm an! – Vergiß nicht, Dir einen wollenen Lappen auf die Brust zu legen! – Iß des Abends nichts Fettes! – Geh rechtzeitig zu Bett, mein Freund! – Klein-Julia will Dich streicheln! – Adieu, mein lieber, armer Gustav! Daß Du auch diese verdrießliche Reise machen mußt!«

»Adieu, adieu!«

Und dann wurde genickt und gewinkt, bis der Zug abging. Anfangs zerbrach ich mir den Kopf darüber, weshalb er sich »auf See warm anziehen sollte«, denn er fuhr garnicht übers Wasser, sondern stieg regelmäßig in Heßleholm um und reiste nach Kristianstad. Von dort kam er zwei oder drei Tage später in lustiger Gesellschaft nach Heßleholm zurück, und die Herren redeten nie ein Wort von »Fabrik und Krahne«, sondern unterhielten sich nur über Grade, Dekorationen, Orden, »Sieben«, »Acht« und die »schneidige Kellnerin bei Brißman.«

»Wo bist Du gewesen, mein Junge?« fragte einmal ein von Malmö kommender Bekannter meinen Fabrikbesitzer.

»Ich habe in Kristianstad gemauert, Freundchen. Jetzt habe ich nämlich den achten Grad. Und dann ein Festessen mitgemacht und mich köstlich amüsiert. Feine Dekorationen und großartige Reden. Du solltest wirklich auch Freimaurer werden, Zetterbom!«

Und im Coupee ging es lustig zu, die eine Lachsalve löste die andere ab, doch sowie einer der Freunde auf einer Station ausstieg, legte er das Gesicht in immer finsterer werdende Falten, und wenn wir schließlich in As ankamen, sprang er wie ein Besessener aus dem Coupee.

»Endlich, endlich, Lotte! Ich glaubte wahrhaftig, das; diese entsetzlichen vier Tage gar kein Ende nehmen würden, doch so lange es meine Kräfte erlauben, muß ich ja für meine Familie arbeiten!«

*

Lustig ist es auch, wenn ganze Familien einander besucht haben. Die Wirte begleiten ihre Gäste dann natürlich in corpore mit allen Kindern, Mägden und dem Hauslehrer zur Bahn, und dort summt es dann wie in einem Bienenkorbe.

»Vielen Dank, geliebte Luise, für diese unvergeßlichen Tage! – Bitte, kommt bald wieder! – Euer entzückendes Heim kennen zu lernen ... – Wir werden stets Eurer Freundlichkeit gedenken ... Wir werden Euch schrecklich vermissen – Meine süße, kleine Lova! – Zu Hause wird es uns garnicht mehr gefallen. – Danke, danke! Adieu, adieu, adieu! – Vergeßt uns nicht! – Liebe Luise, hast Du auch die Pfefferkuchen in die Hutschachtel gelegt? – Hast Du auch das Baisersrezept? – Adieu! – Adieu!«

Und alle Gesichter glänzen und strahlen vor Freundschaft und aufrichtigem Wohlwollen. Doch manchmal hat sich der Zug kaum in Bewegung gesetzt, so werfen sich die lieben Gäste mit einem kräftigen Bumms auf das Sofa, machen saure Mienen und fangen an über ihre Gastfreunde herzuziehen:

»Gott sei Dank, daß wir dies überstanden haben! – Hätten wir das ahnen können, so wären wir hübsch zu Hause geblieben! – Ja, das war eine wirkliche Trödelhäuslichkeit. – Ich fürchtete schon, er würde Dich anpumpen. – Nein, wie ist sie alt geworden! – Eine richtige Hexe. – Ihr verwünschter Kalbsbraten steckt mir noch im Halse. – Ja, nun kommen sie uns natürlich im Sommer auf der Durchreise zu ihrer teuren Schwiegermutter über den Hals. – Daraus soll nichts werden, wir richten es so ein, daß wir dann verreist sind.«

*

Vor fünfzehn Jahren verlobte sich der junge Gutsbesitzer Skalberg auf Gysinge mit der Tochter des reichen Gerbereibesitzers in Lemnerås. Herr Gott, wie war es doch so süß, als sie ihn, nachdem er angehalten hatte und angenommen worden war, zur Bahn brachte. Sie flüsterten mit einander und umarmten sich in der Coupeethür, und als der Bahnhofsinspektor das Zeichen zur Abfahrt gab, beugte Skalberg sich noch einmal aus dem Fenster, und ich hörte ihn seufzend sagen:

»Welch grausames Geschick, gerade jetzt scheiden zu müssen, da ...« .

Doch als der Zug den Bahnhof verlassen hatte, gähnte er, als wollte er eine ganze Melone auf einmal überschlucken, schleuderte den Hut in das Wagennetz, flötete ein paar Takte aus einer Operette, setzte eine seidene Reisemütze auf und richtete folgende Worte an einen andern Herrn im Coupee:

»Ja, nun hast Du selbst gesehen, daß die Sache klipp und klar ist, und kannst Dich mit der lumpigen Summe, die ich Dir schulde, so lange gedulden, bis ich richtig in den Gickelingen des Gerbers wühlen kann.«

*

Ich erinnere mich deutlich des Tages, an dem Direktor Frasman zum letzten Male in seinem Leben mit der Eisenbahn fuhr. Fett, lächelnd und strahlend stand er bei der Abreise in der Coupeethür.

»Wohin, wohin, mein Herzensfreund?« riefen die Freunde auf dem Perron.

»Nur nach meinem Landhause sehen. Willkommen draußen im Frühlinge, meine Herren!«

»Danke! Glückliche Reise, du Glückspilz!«

Und ich schwöre Ihnen, daß kein Mensch auf der Welt hätte vergnügter und gemütlicher aussehen können als Direktor Frasman, da er mit einer so innerlich zufriedenen Miene aus dem Coupeefenster guckte.

Nun wohl, genau zwei Stunden darauf, lag er draußen in seinem Landhause mit zwei Revolverkugeln im Herzen tot auf der Veranda.

Wenn er in den Zeitungen annonciert und zur Bühne gegangen wäre, hätte er auf das Gesicht hin die Welt umreisen können.

*

Der beste Schauspieler, den ich in meinem Leben gesehen habe, war doch Frau Tengmans Junge, der zu Anfang der achtziger Jahre nach Amerika fuhr.

»Bist Du nicht ängstlich und betrübt, Axel?« fragte die vollständig in Thränen schwimmende Mutter.

»Oh bewahre, Mama, ich freue mich so, ich freue mich so sehr, und das solltest Du auch thun, Mama. Meinetwegen brauchst Du nicht traurig zu sein! Ich komme ja wieder, das ist ganz gewiß.«

»Wenn Du wüßtest, welch ein Trost es für mich ist, Dich so stark und gefaßt zu sehen, mein lieber Junge, Du mein Alles auf Erden«, schluchzte die alte Frau.

»Ja, liebe Mama, es ist allerdings traurig, daß wir scheiden müssen, aber ich bin doch so froh und ruhig.«

Als ich später in das Coupee trat, lag er auf der Bank ausgestreckt und weinte, als wollte ihm das Herz brechen.

*

Für junge Leute, die etwas von einander halten, ist der Zug eine schlechte Einrichtung, wenn der eine abreist und der andere zurückbleibt. Wenn er geht, so geht er, und man kann nicht, auf dem Trittbrette stehend, eine Strecke mitfahren und die kleine Hand noch ein wenig länger in der seinen halten.

Ich habe in den Augen junger Herren, die auf dem Perron standen und ein Fenster, in dem ein junges Mädchen lehnte, anstarrten, oft fragende, bittende und auch verzweifelte Blicke gesehen. Und die Mädchen, die Meerkatzen, haben sich oft so angestellt, als begriffen sie diese Augensprache nicht. »Nein, wirklich?« – »Oh, ist es möglich?« – »Bitte, Herr Referendar, ich bin nicht geizig, ziehen Sie nur eine Blume aus dem Bouquet!« – »Sie sollen sehen, es giebt Regen!« – So reden sie und sehen entsetzlich gleichgiltig aus.

Die jungen Männer thun wohl daran, daß sie sich dieser Kälte wegen nicht gleich totschießen. Es ist in meiner Praxis vorgekommen, daß dieselbe schnell genug aufthaute, sobald sie allein blieben, und daß das junge Mädchen sich mit feuchtschimmernden Augen und glühenden Wangen aus dem Fenster beugte, den Blick sehnsüchtig zurückschweifen ließ und eine funkelnagelneue Kußhand die Strecke entlang schickte – sobald der Zug abgegangen war.


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