Rudolf Hawel
Im Reiche der Homunkuliden
Rudolf Hawel

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Das »Säuglingsheim«, wie es der Direktor nannte, bestand aus etwa zehn bis zwölf hohen, geräumigen, ausgezeichnet ventilierten Sälen. An den Wänden standen unabsehbare Reihen von kleinen, winzigen Bettchen, in denen, wie die Herren bei ihrer Wanderung bemerkten, je ein winziger Homunkulide eingelagert war. Diese Riesenkinderstube bot einen eigenartigen Anblick. Zwischen den Betten bewegten sich Homunkuliden in glänzend weißen seidenen Talaren. Kein Laut war hörbar, die kleinen Kerlchen schliefen fest in ihren weichen, ebenfalls seidenen Bettchen. Auch die Schritte der Eintretenden vernahm man nicht; Teppiche aus einer sonderbaren weichen, kautschukähnlichen Masse deckten den Boden. Plötzlich vernahm man aus der entferntesten Ecke ein leises Wimmern. Sofort sammelten sich mehrere Homunkuliden um das Bettchen, einer bemühte sich, dem wimmernden Kleinen den Lutscher der Saugflasche in den Mund zu stopfen, und das wimmernde Geräusch verstummte, worauf sich die Homunkuliden leise von dem Bette des Säuglings entfernten.

»Die Kleinen hier sind vier Tage alt«, sagte leise der Direktor. Darauf ging er zu einer sonderbaren Vorrichtung, einem eigenartigen physikalischen Apparat an der Wand, hin und betrachtete eifrig seine Skala. Er rief einen Homunkuliden herbei.

»Es fehlen 0.23 Grad Celsius zur richtigen Temperatur!« rief er aus.

»Wollen die Herren mich in die Kanzlei begleiten?« fragte er.

Selbstverständlich bejahte es der Professor. Der Direktor ging voran. In der Kanzlei angekommen, studierte er genau die Angaben verschiedener Apparate an den Wänden. Plötzlich drehte er einen Hebel um; ein Homunkulide trat hinzu.

»Was ist das?« fragte der Direktor. »Im Saal eins ist die Temperatur 0.23 Grad Celsius zu niedrig. Wie kommt das?«

»Eine Maschine hat versagt«, antwortete ruhig der Angesprochene. »Es vergingen sechzehn Minuten, ehe die Ersatzmaschine in Gang gesetzt werden konnte, daher der Wärmeverlust.«

Der Direktor gab keine Antwort. Er trat zur Wand, an der ein Signalapparat angebracht war. Er betrachtete aufmerksam ein Zifferblatt mit einem großen goldenen Zeiger.

»Seit wann ist die neue Maschine in Gang gesetzt?« fragte er mit strenger Miene.

»Seit ungefähr fünf Minuten«, erwiderte der Homunkulide.

»Die Differenz beträgt nur mehr 0.08 Grad. Es ist gut.«

Er wendete sich zu den Besuchern:

»Wir müssen in dieser Beziehung sehr genau sein. Diese jungen Lebewesen sind gegen Temperaturdifferenzen sehr empfindlich. Eine Differenz von einigen Zehntelgraden kann ihnen verderblich werden.«

Dem Professor wie dem Diener kamen seltsame Gedanken. Sie dachten zurück an die Zeit, in der sie einst gelebt hatten. Sie dachten daran, wie Hunderttausende, ja Millionen von Säuglingen in Not und Elend verkommen waren. Sie dachten an die armen Mütter, die halb verhungert, ihren Säuglingen kaum die nötige Nahrung reichen konnten, geschweige denn, daß sie imstande gewesen wären, die finstere Wohnung nur halbwegs zu erwärmen. Und hier war der Direktor besorgt, weil den Säuglingen an der vorgeschriebenen Temperatur 0.23 Grad Celsius fehlten!

»Sie nehmen es hier sehr genau«, sagte Lorenz. »Bei uns ist's den Müttern auf vier, fünf Grad durchaus nicht angekommen.«

»Jetzt sehe ich ein«, sagte der Professor nach längerer Pause zum Direktor, »wie schwer zu unserer Zeit der Staat gesündigt hat. Was für sonderbare Staatsnotwendigkeiten hat es zu unserer Zeit gegeben! Aber die größte, in jedem einzelnen den Staat zu stützen, das hat man zu meiner Zeit nicht gekannt!«

»Das, was Sie zu Ihrer Zeit Staat nannten, war eine höchst unvollständige Einrichtung. Ich habe vieles, höchst Sonderbares darüber gelesen«, sagte der Direktor. »Ich bin kein Historiker und weiß nicht, ob das, was ich gelesen habe, auch Wahrheit ist; bei Ihnen soll ja das Interesse einzelner Familien, ja einzelner Personen schon als Staatsinteresse aufgefaßt worden sein. Sie hatten so lehrreiche Beispiele in der Natur!«

»Wie meinen das, Herr Direktor?« fragte verwundert der Professor.

»Die Tierstaaten – die Staaten der Ameisen, Bienen und anderer Hautflügler. Die Tätigkeit jedes einzelnen Insassen bezweckt die Förderung seines Staates und alles, was im Staate geschieht, kommt jedem Einzelwesen zugute!«

»Daran habe ich oft gedacht«, sagte der Professor. »Bei meinen Studiengängen durch diese Stadt ist mir immer und immer wieder der Gedanke aufgetaucht, welche große Ähnlichkeit dieser Staat mit einem Bienenkorb habe. Jedes Individuum erfüllt genau, gewissermaßen aus einem ihm eigenen Naturtrieb heraus, seine Staatspflicht.«

»Das kommt daher, weil es keine anderen als Staatspflichten kennt!« rief pathetisch der Direktor aus.

»Das mag wohl die wichtigste Ursache sein«, sagte sinnend der Professor. »Das Individuum hat gar keine persönlichen Triebe.«

»Das ist sehr wahr«, sagte Lorenz. »Hier wird alles mit Maschinen gemacht, und jeder von den Leuten hier ist auch nur eine Maschine.«

»Ein Rädchen von der Maschine«, warf der Professor zustimmend ein.

»Gut, also ein Rädchen«, sagte Lorenz. »Mehr wirklich nicht. Sagen Sie mir aber, Herr Direktor, wozu das alles ist, muß denn so was sein – so was –, was Sie hier einen Staat heißen. Das Ganze ist nichts als eine sehr große merkwürdige Maschine, die sehr kompliziert eingerichtet ist, und man weiß nicht, für wen diese Maschine arbeitet. Lassen Sie einfach die ganze Maschine stehen – und die Geschichte hat ein Ende! Aber – früher machen Sie mir eine Homunkulidin nach dem Muster, wie ich's Ihnen angegeben habe!«

Der Professor lächelte.

»Lorenz, Sie reden Dummes und Gescheites durcheinander«, sagte er. »Warum ist das alles? Das haben sich zu unserer Zeit schon so viele gefragt, und keiner hat Antwort darauf bekommen. Sie sind ja auch froh, daß Sie zur Welt gekommen sind?«

»Nun ja, Herr Professor«, antwortete er, »ich hätte mir nicht viel daraus gemacht, wenn es nicht geschehen wäre!«

»Das glaube ich!« Der Professor mußte lachen. »Sie haben eine ganz eigene Art, Philosophie zu betreiben; es wäre schwer, mit Ihnen zu streiten.«

Der Direktor empfahl den Herren den Besuch eines Kindergartens der Homunkuliden. Der Professor willigte erfreut ein.

Die Herren nahmen Abschied von dem Direktor; er begleitete sie bis zum Wagen. Der Professor war unermüdlich, ihm seinen Dank für das Gebotene auszusprechen. Lorenz war nahe daran, zu explodieren. Er wartete immer auf eine Gelegenheit, dem Direktor seine sehnsüchtige Bitte nochmals in Erinnerung zu bringen. Aber der Professor ließ nicht locker, ließ den so viel vermögenden Direktor nicht zu Atem kommen. Selbst als sie schon draußen vor dem Tore standen, sprach er unermüdlich noch immer seinen innigsten Dank für das Gesehene aus. Ein Homunkulide öffnete schon dienstbeflissen den Schlag des Automobils. Der Professor, Plato und Archimedes stiegen ein.

»Lorenz, so kommen Sie doch!« rief ihm der Professor zu. Lorenz tat, als ob er die Worte gar nicht gehört hätte. Er trat mit demütig abgezogenem Hut zum Direktor hin.

»Herr Direktor«, fing er an, »ich muß Sie noch dringendst bitten, nicht zu vergessen, um was ich Sie ersucht habe.«

»Lorenz, so kommen Sie doch!« rief geärgert der Professor.

»Herr Professor müssen schon verzeihen, aber was ich mit dem Herrn Direktor zu sprechen habe, sind Sachen von großer Bedeutung für mich.«

Der Direktor versprach nochmals, sein Möglichstes zu tun, um Lorenz' Wünsche zu erfüllen.

Zornig rief der Professor dem Diener zu: »Lorenz, jetzt kommen Sie augenblicklich in den Wagen herein und lassen Sie den Herrn Direktor in Ruhe mit Ihren Dummheiten!«

»Herr Professor, für mich ist's keine Dummheit, für mich ist's eine Lebensfrage. Ich glaube, Herr Professor können die Homunkulidin schon gestatten. Ich habe mir das um Ihnen schon verdient.«

Er bedankte sich in sehr gerührten Worten beim Direktor für seine gütige Zusage und bestieg dann das Automobil.

»Sie müssen schon verzeihen, Herr Professor«, entschuldigte sich der Diener, während das Automobil sich in Bewegung setzte, »aber die Sache mit der Homunkulidin ist für mich eine Lebensfrage. Wenn ich einmal wissen werde, daß die Staatsregierung mir das genehmigt hat, dann wird mir gleich das Reich der Homunkuliden und alles, was drum und dran hängt, in viel schönerem Licht vorkommen.«

Der Professor erwiderte nichts auf diese Ausführungen. Er sah seinen treuen Diener mit bösen Blicken an.

Die Besichtigung des Kindergartens machte weder dem Professor noch dem Diener besondere Freude. Die kleinen Homunkuliden mit ihren ernsthaften Gesichtern zeigten keine Spur kindlichen Frohsinns. Sie waren die richtigen Automaten, die auf den Wink ihrer Lehrer schweigend ihre Turnübungen und Spiele ausführten, als wenn es lauter Spielfiguren wären, konstruiert von tüchtigen Mechanikern.

Als Lorenz gefragt wurde, wie ihm die Sache gefalle, sagte er trocken: »Sehr hübsch, aber mich freut es, daß ich schon vor mehr als zweitausend Jahren geboren bin!«

In den nächsten Tagen wurde eine Volksschule besucht.

Dieselbe Erscheinung: Musterhafte Disziplin, vollständig gleichartige Auffassung seitens der Schüler und absolut gleichmäßige kluge Antworten. Ein Schulinspektor vor zweitausend Jahren würde seine helle Freude gehabt haben.

»Von Individualisierung ist in Ihrem Unterrichtswesen nichts zu bemerken«, sagte der Professor.

Plato sah ihm erstaunt in das Gesicht und schüttelte den Kopf. Er schien die Frage gar nicht zu verstehen.

Dem Professor tat leid, Plato vielleicht gekränkt zu haben. Er erklärte ihm, nie gedacht zu haben, daß das Schulwesen jemals eine solche Höhe erreichen könnte.

Einige Wochen später besuchte der Professor auch Mittelschulen – der gleiche Eindruck. Nur großartige Gelehrsamkeit war bei den Schülern zu finden, eine Gelehrsamkeit, die vor zweitausend Jahren jedem Universitätsprofessor zur Ehre gereicht haben würde.

Aber die gleichmäßige Gemessenheit der Schüler, ihre Ruhe und Gelassenheit machten auf Lorenz einen direkt deprimierenden Eindruck.

»Das sind mir schöne Studenten«, sagte er, als sie Abschied nahmen, »keine Spur jugendlicher Begeisterung ist in diesen Herrschaften zu finden! Brr – das gefällt mir gar nicht.«

»Aber sie werden einstmals tüchtige Mitglieder unseres Staates werden, sie werden sich einst wunderbar in unsere Staatsmaschine als neue, frische Teile einfügen«, erwiderte Plato.

»Das glaub' ich auch!« meinte Lorenz. »Also polieren Sie nur fleißig weiter die zukünftigen Staatsmaschinenbestandteile!«

Nach dem Studium der Erziehungsanstalten fühlte sich der Professor so ermüdet, daß er wochenlang das Haus nicht mehr verließ.

Eines Abends trat Lorenz mit höchst nachdenklicher Miene in das Arbeitszimmer des Professors.

»Wenn meine Wetti auf die Welt kommt«, fing er ganz unvermittelt an, »dann werde ich mir erlauben, in betreff ihrer Erziehung den Lehrern und Professoren einige Vorschläge zu machen. Es wäre schrecklich, wenn sie auch so ein steifleinenes Wesen würde wie die Homunkuliden.«

»Glauben Sie denn wirklich, daß man Ihnen eine Homunkulidin erzeugen wird?« fragte zweifelnd der Professor.

»Ich nehme es sogar als sicher an«, sagte der optimistische Lorenz. »Der Herr Direktor hat sich die Photographie zum Muster behalten und ich glaub', daß sie mir schon die kleine Gefälligkeit erweisen werden, eine Retorte von den Millionen Retorten, die in der Anstalt sind, zur Erzeugung eines Frauenzimmers zu benützen. Ich glaube, sie tun es schon wegen der Abwechslung gern!«

»Sie sind ein kindischer Mensch!« sagte der Professor.

»Nein, das bin ich nicht...«, erwiderte Lorenz. »Als Kind hat man keine solchen Anwandlungen. Wenn ich Ihnen raten dürfte...«

»So hätte ich mir auch eine Homunkulidin machen lassen sollen...«., sagte geärgert der Professor.

»Jawohl«, antwortete der unerschütterliche Lorenz. »Eine Homunkulidin, wie sie für einen Professor paßt! Ein griechisches Frauenzimmer! Eine Venus oder Diana oder sonst etwas. Ich habe mir die Statuen im Museum oft angeschaut und muß sagen, daß diese griechischen Frauenzimmer alle sehr wohl gewachsen sind.«

»Warum haben Sie sich nicht selbst eine Venus oder Diana machen lassen?« fragte belustigt der Professor.

»Herr Professor müssen verzeihen – ich bin kein Altertumsforscher. Es sind schon zweitausend Jahre her, daß ich meine Wetti nicht gesehen habe, und ich hab' sie doch nicht vergessen können. Und eben aus treuer Liebe zu ihr möchte ich eine Homunkulidin haben, die ganz so ausschaut, wie sie einmal ausgeschaut hat. Es ist das einzige, was ich für sie tun kann.«

»Aber Lorenz«, fing der Professor an, »Sie werden doch nicht glauben, daß man Ihnen gleich so ein körperlich und seelisch treues Abbild ihrer Wetti machen kann!«

»Mit der Seele braucht's nicht so genau zu stimmen. Da kann der Direktor immerhin einige Verbesserungen anbringen. Wenn es nur mit dem Leibe stimmt. Sie müßten natürlich einen gut entwickelten Embryo nehmen, denn meine Wetti war mindestens so stark wie zwei Homunkuliden!«

Gut gelaunt, fragte der Professor die beiden mitfahrenden Herren um ihre Ansicht, ob wohl der Staat das Gesuch Lorenz' genehmigen werde.

»Ich sehe keinen Grund, es dem Herrn Lorenz abzuschlagen. Aber ich fürchte, die Ehe wird kinderlos bleiben!«

»Das macht nichts«, sagte Lorenz, »wegen der Kinder ist mir nicht zu tun. Sehr dankbar wäre ich, wenn die Herstellung meiner Wetti etwas beschleunigt würde. Wenn sie etwas mehr einheizen, dann wird das Frauenzimmer früher fertig werden, glaube ich. Denn ich habe gelesen, daß in südlichen Ländern die Frauen schon mit zehn Jahren heiraten!«

Nach dem Nachtmahl – die beiden Homunkuliden hatten bereits die Appartements verlassen – fragte der Professor Lorenz, wie er mit dem, was er heute gesehen habe, zufrieden sei.

Lorenz zuckte die Achseln. »Wir haben kennengelernt, wie man die Homunkuliden macht und wie man sie erzieht. Aus Automaten können nur Automaten werden.«

Der Professor gab ihm keine Antwort. Er stand in tiefes Sinnen versunken beim Fenster und sah in den Park hinab. Die alten Bäume sahen ganz gespenstisch aus in dem bleichen, fahlen Lichte, das die Mauern des Palastes ausstrahlten.

Plötzlich drehte er sich um, setzte sich in einen Fauteuil und stützte den Kopf auf beide Hände.

Bestürzt beobachtete Lorenz das sonderbare Gehaben seines Herrn.

»Ist dem Herrn Professor vielleicht unwohl geworden?« fragte er.

Schweigend schüttelte der Gefragte sein Haupt. Nach endlos langen Minuten lehnte er sich im Fauteuil zurück und sagte mit trüber Miene:

»Lorenz, ich glaube, ich habe ein Unrecht getan, als ich es zugab, daß Sie mir in diese Zeit nachfolgen!«

»Bitte, Herr Professor!« wollte der tief erschrockene Diener einwenden.

»Ja, ja, es ist so«, wehrte der Professor ab. »Ich habe voreilig, unbedacht gehandelt. Wir werden uns hier ewig als Fremde, als Verlassene fühlen! Wir haben heute Werden und Vergehen der Homunkuliden beobachtet, alles geschieht nur um des Staates willen!«

»Herr Professor erlauben, ich möchte nur sagen, was ich mir einmal gedacht...«

Der Professor gab keine Antwort. Da also kein direktes Verbot vorlag, so erlaubte sich Lorenz zu sagen, was er sich gedacht hatte.

»Wir haben gesehen, wie sie die toten Homunkuliden verbrennen. Das ist mir geradeso vorgekommen, wie mein Vater einmal einen uralten Kasten, der schon ganz wacklig war, im Winter zusammengeschlagen und in den Ofen gesteckt hat. So kommt's mir mit den Homunkuliden vor. Wenn sie alt geworden sind und sterben, werden sie in den Ofen gesteckt und der Staat macht sich dann neue. Ich glaube, daß für jeden verbrannten Homunkuliden gleich immer wieder ein neuer in der Fabrik angeschafft wird. Wozu ist das notwendig? Was würde daran liegen, wenn man die Homunkulidenfabriken zusperrte? Muß denn der Staat bestehen? Wenn sich die Welt jetzt ohne Menschen behelfen kann, so wird sie sich dann auch ohne Homunkuliden behelfen können. Und wenn die Regierung heute das Gesetz gibt, es dürfen keine neuen Homunkuliden mehr erzeugt werden, dann hat sich die Geschichte gehoben. Denn es ist ja doch alles unnötig, was da geschieht. Es muß ja nicht sein, daß Homunkuliden leben! Es muß ja nicht sein, daß ein Homunkulidenstaat besteht! Nichts muß sein – gar nichts!«

Schweigend hörte der Professor dem sich in ein Nichts hineinphilosophierenden Diener zu.

»Das ist alles unnütz«, sagte er dann und stand auf. »Sie können schlafen gehen, ich bin auch müde, sehr müde, und denken Sie nicht mehr darüber nach, wozu die Homunkuliden da sind! Es haben es auch die Menschen nie erfahren können, weshalb sie eigentlich lebten!«

Lorenz empfahl sich.

»Es stimmt immer traurig«, sagte er, »wenn man so hoch denkt, man möchte sich am liebsten aufhängen, so bange wird einem!«

»Ach, lassen Sie das alles und schlafen Sie recht ruhig!« empfahl der Professor. »Das ist das beste!«

Lorenz schritt mit kummervoller Miene zur Tür.

* * *

Der Winter war gekommen. Und ein ganz gewaltig strenger Winter. Der Nordwind pfiff sein uraltes wildes Lied und trieb auf den Parkwegen den Schnee in dichten Wolken vor sich her. Für Lorenz waren es trübe Tage. Er empfand die Einsamkeit, in der er lebte, stärker als jemals. Der Professor war den ganzen Tag über in seinem Bibliothekszimmer beschäftigt. Lorenz war daher meist auf sich angewiesen. Mit den Homunkuliden im Hause zu verkehren fiel ihm, trotzdem er ihre Sprache schon sehr gut kannte, schwer. Worüber sollte er mit diesen Leuten reden? Er machte Ausflüge in die Stadt, ließ sich aber dabei vorsichtshalber stets von einem Homunkuliden begleiten.

Bei einem solchen Ausflüge waren sie auch einmal zu einem großen staatlichen Gebäude gekommen, das sein Begleiter als Parlamentsgebäude bezeichnete.

Er fragte, ob Sitzung sei. Der Homunkulide bejahte es, worauf ihm Lorenz den Vorschlag machte, der Sitzung beizuwohnen. Selbstverständlich war der Homunkulide damit einverstanden, und nach kurzer Zeit saßen beide oben auf der Galerie des Sitzungssaales. Der Saal war ähnlich gebaut, wie schon anno 1900 Parlamentssäle gebaut waren. Die amphitheatralisch angeordneten Bänke waren dicht besetzt. Es mochten etwa sechshundert Homunkuliden in dem großen Saale anwesend sein. Auf der Präsidententribüne saßen drei Herren, die ungeheuer aufmerksame Mienen machten. Neben der Tribüne war der Platz für die Schriftführer, die die Aufgabe hatten, mittels höchst sinnreich konstruierter Schreibmaschinen die Reden, die in dieser so hochansehnlichen Versammlung gehalten wurden, zu Papier zu bringen.

Es herrschte eine sonderbare Stille in der Versammlung. Die Herren Reichsräte saßen so ruhig und ehrbar in den Bänken wie sittsame Volksschüler in ihrer Klasse und hörten dem Redner, der eben bei Worte war, mit größter Aufmerksamkeit zu. Lange verstand Lorenz nicht, um was es sich handle. Sein Begleiter gab ihm Aufschluß. »Es wird eben das Budget beraten«, erklärte dieser.

»Budget?« sagte verwundert Lorenz. »Budget? Wenn die Homunkuliden kein Geld haben? Wozu brauchen sie denn ein Budget?«

»Es handelt sich hier ja nicht um Geld«, sagte der Homunkulide. »Hier muß festgestellt werden, wie viele Homunkuliden der Staat im nächsten Jahre braucht. Hier sitzen die Vertreter sämtlicher Arbeitsklassen beisammen: die Vertreter der Industrie, der Landwirtschaft, des Unterrichtswesens und so weiter. Und es muß alljährlich festgestellt werden, wie viele Homunkuliden in Zukunft in jedem Arbeitszweig benötigt werden.«

»Wir haben in unserm Parlament auch so was gehabt«, sagte Lorenz. »Da ist immer der Kriegsminister gekommen und hat jedes Jahr so und so viele tausend Rekruten verlangt. Wenn die Reichsräte mit der Regierung zufrieden waren, haben sie ihm die Rekruten bewilligt, und wenn sie nicht zufrieden waren, dann haben sie zuerst fürchterlich randaliert im Parlament und haben dann die Rekruten nicht bewilligt, worauf das Parlament aufgelöst wurde und der Kriegsminister seine Rekruten ohne Bewilligung bekam. Ist das bei Ihnen auch so?«

Der Homunkulide sah Lorenz verständnislos ins Gesicht:

»Nein, unser Parlament kann nicht aufgelöst werden. Ich wüßte ja auch keinen Grund dazu. Wenn der Vorsteher für den Ackerbau sagt, er braucht so und so viele Leute, so werden sie ihm bewilligt. Er wird doch nicht mehr verlangen, als er wirklich braucht. Und so ist es in allen Zweigen der Tätigkeit bei uns. Jeder weiß, wieviel Leute er brauchen wird. Er gibt sie an, begründet es und es wird ihm schließlich die erbetene Anzahl von Homunkuliden bewilligt. Die Fabriken haben dann die Aufgabe, die im Parlament festgesetzte Anzahl von Homunkuliden, die das Reich braucht, zu erzeugen.«

»Das ist sehr einfach«, sagte Lorenz. »Da bin ich gerade zur rechten Zeit gekommen. Vielleicht berät heute das Parlament schon, ob sie mir meine Homunkulidin, die ich mir angeschafft habe, erzeugen werden oder nicht. Könnte man das vielleicht irgendwo erfahren?«

»Das kann leicht geschehen«, sagte der Homunkulide, stand auf, ging zu einem großen Tisch hin, der auf der Galerie stand, und holte sich von dort ein gedrucktes Blatt Papier. Er reichte es Lorenz hin.

»Hier ist alles aufgeschrieben, was heute beraten wird«, sagte er.

»Aha, das ist das Programm«, sagte Lorenz zufrieden. Er las es aufmerksam durch.

»Nummer eins: Erfordernis für Elektrizitätsarbeit.« Er schüttelte den Kopf. »Da kann meine Wetti nicht dabei sein«, meinte er. »Nummer zwei: Erfordernis für den Volksschulunterricht. Da ist sie auch nicht dabei. Nummer drei: Erfordernis für den Verkehr. Auch nicht möglich...«

Und so las er Punkt für Punkt des Programms durch und fand unter dem Angeführten keinen einzigen Programmpunkt, unter den die Erzeugung seiner Wetti hätte fallen können.

»Es kann ja auch schon früher beschlossen worden sein«, tröstete ihn der Homunkulide.

Die beiden blieben noch eine Weile sitzen, aber Lorenz wurde die Geschichte bald zu langweilig und er drängte zum Aufbruch.

»Da ist mir das Parlament zu meiner Zeit schon lieber gewesen«, sagte er, als sie auf der Straße draußen standen. »Da war es bei weitem lustiger als hier. Da wurde nicht nur geredet, es wurde auch geschimpft und gestritten, und wenn die Herren in der richtigen Stimmung waren, so entstanden auch manchmal ganz ergiebige Keilereien. Aber hier! Hier ist's ja wie in einem Kloster.«

Als Lorenz heimkam, war sein erstes, daß er sich sämtliche Nummern der Homunkulidenzeitung, die seit ihrem Besuche in der Homunkulidenerzeugungsanstalt erschienen waren, geben ließ. Er studierte eifrig die Parlamentsberichte, ob man seine Wetti noch nicht beantragt habe. Seine Bemühungen waren erfolglos.

»Dieses Parlament ist wirklich um kein Haar besser, als es die Parlamente zu meiner Zeit waren«, sagte er verdrossen, als er ergebnislos das letzte Blatt weglegte.

An den langen Winterabenden fühlten es die beiden Herren recht deutlich, wie einsam, wie fremd sie in dieser neuen Welt waren. Als Weihnachten nahte, wurde Lorenz ganz trübsinnig. Dem Professor fiel diese Veränderung auf.

»Was haben Sie denn?« fragte er. »Ist Ihnen was passiert?«

»Nichts, gar nichts«, sagte Lorenz. »Aber Herr Professor scheinen selbst schon ein halber Homunkulide geworden zu sein.«

»Wieso?« fragte erstaunt der Professor.

»Herr Professor denken gar nicht daran, welche Zeit jetzt kommt.«

»Welche Zeit kommt denn?«

»Weihnachten!«

»Richtig, richtig«, sagte sinnend der Professor, »in acht Tagen haben wir Weihnachten! Ja, wie werden wir denn heuer Weihnachten feiern?«

»Ich erwarte die Befehle des Herrn Professors«, sagte betrübt Lorenz.

»Wie wir Weihnachten feiern sollen?« Der Professor sah nachdenklich vor sich hin. »Das wird heuer eine schwere Sache werden«, meinte er dann. »Sonst – vor zweitausend Jahren – haben Sie immer ein Geschenk von mir bekommen... Was soll ich Ihnen heuer geben? Etwas, das ich mir selbst schenken lassen müßte! Und was Sie benötigen, was Sie wünschen könnten, haben Sie ja alles! Es ist wirklich schwer, in einer solchen Welt jemandem eine Freude zu machen!«

»Was ich wünschen könnte?« fragte bedächtig Lorenz. »Das habe ich noch nicht alles. Zum Beispiel: die Sache mit meiner Wetti geht gar nicht vorwärts. Ich habe alle Zeitungen durchstudiert – der Antrag wegen meiner Wetti ist noch immer nicht vor das Parlament gekommen! Wenn Herr Professor für mich ein gutes Wort einlegen würden, das wäre mein schönstes Weihnachtsgeschenk!«

Der Professor sah eine Weile still vor sich hin. »Ihr Wunsch, Lorenz, soll erfüllt werden! Ich will Sie wieder so froh sehen, wie Sie einst waren! Ob es mir gelingt, was ich will durchzusetzen, weiß ich noch nicht. Nehmen Sie meine Bemühungen als Weihnachtsgeschenk an!«

»Der Herr Professor ist wirklich zu gütig«, sagte traurig der Diener.

Einige Tage vor dem Heiligen Abend hatte Lorenz mit den dienenden Homunkuliden eine längere Unterredung, die nichts weniger bezweckte, als die Feier des Weihnachtsfestes in dem Hause des Professors in altgewohnter Art durchzuführen. Er gab sich alle erdenkliche Mühe, den Homunkuliden den Begriff »Weihnacht« klar zu machen. Er sprach mit vieler Wärme von seiner Jugendzeit, von den Christbäumen, die angezündet wurden, und von der Krippe, die sein Vater alljährlich um diese Zeit aufstellte, nachdem er wochenlang vorher in seinen Mußestunden mit höchst eigener Hand alle Figuren neu bemalt hatte, das Jesuskind, Maria und Josef, die Hirten, die Heiligen Drei Könige und all das Getier, Schafe, Ochs und Esel, wie es zu einer richtigen Krippe gehört. Er erzählte von den kleinen Geschenken, die sie, er und seine Geschwister, an jenem Abend bekamen, und wie feierlich der Vater, wie seligfroh und innig gerührt die Mutter waren. Es war, als ob aller Glanz und Schimmer, der einst jene verklärten Abende umfloß, in seinem Herzen aufs neue wieder aufleuchte.

Aber was er in seiner seligen Herzensfreude erzählte, fand keinen Widerklang in den tauben Herzen der Homunkuliden. Sie hörten stumm zu und schüttelten nur manchmal verwundert die Köpfe. Zum Schluß versicherten sie, daß sie es als ihre Pflicht erachteten, alles zu tun, was Herr Lorenz von ihnen verlange, um nach seiner Meinung dieses altertümliche Fest auch im Reiche der Homunkuliden würdig zu begehen.

Welche Schwierigkeiten hatte aber Lorenz zu überwinden, um nur den Lichterbaum herzustellen! Ohne die Mithilfe des gelehrten Archimedes wäre dies absolut unmöglich gewesen. Wachskerzen waren im Reiche der Homunkuliden schon seit Jahrhunderten unbekannte Dinge, doch Archimedes verschaffte sie, nachdem Lorenz sich gegen die elektrische Beleuchtung des Christbaumes mit Händen und Füßen gewehrt hatte.

»Man hat das schon zu meiner Zeit auch gehabt, aber das war nicht das Richtige, es gehören Wachskerzen dazu!«

Drei Tage arbeitete Lorenz in seinem Zimmer mit größtem Eifer. Die Homunkuliden sahen ihm mit stummem Staunen zu.

Der Koch hatte auf Anweisung Lorenz' sehr künstliche Bäckereien verfertigt, Sterne, Ringe, bemalte Lämmchen und Schäfchen. Vergoldete Nüsse und Äpfel besorgte Archimedes, und man mußte Lorenz gut zureden, daß er sie annahm; denn sie waren nicht mit unechtem Blattgold überzogen, sondern auf eine höchst geistreiche Art echt vergoldet worden, was durchaus nicht nach Lorenz' Sinn war. Die gleichen Bedenken erregten die von Archimedes beschafften Gold- und Silberketten, die wirklich aus papierdünnem Gold- und Silberblech bestanden. Ein Prachtstück war der Stern, der den Gipfel des Baumes zu krönen bestimmt war. Er war ebenfalls aus purem Golde und mit den herrlichsten Edelsteinen geziert.

»Die Papiersterne, die wir hatten, waren doch schöner«, sagte Lorenz, »man muß eben nehmen, was man bekommt.«

Mit feinem Golddraht befestigte Lorenz die Bäckereien, die goldenen Äpfel und Nüsse auf dem Baum, den ihm der Gärtner des Parkes geliefert hatte. Es waren frohe Tage für Lorenz gewesen, als er in einem Bibliothekszimmer seines Herrn an der Zurichtung des Baumes arbeitete. Auf seine Bitte hatte der Professor es unterlassen, in dieses Zimmer zu kommen.

»So wollen wir eine Bescherung veranstalten?« hatte er gefragt, als Lorenz seine Bitte vortrug.

»Ich will auch in dem Lande der Homunkuliden ein guter Deutscher sein«, hatte Lorenz ausweichend geantwortet.

Prachtvolles Weihnachtswetter war eingetreten. Es stürmte und schneite. Lustig wirbelten die Schneeflocken durcheinander, der Sturm trieb sie an das Fenster, daß es leise klirrte.

»Das ist das rechte Weihnachtswetter«, sagte vergnügt Lorenz; »es wäre doch schade, wenn wir keinen Weihnachtsbaum hätten!« Er rieb sich vergnügt die Hände in dem Gedanken, wie feierlich froh heute abends sein Herr sein werde. »Schade, daß meine Wetti nicht da ist«, setzte er seufzend dazu. »Das möchte das Fest noch behaglicher und lieblicher machen.« Betrübt dachte er daran, wie lange es wohl noch dauern werde, bis er mit seiner jungen Frau unter dem Lichterbaum sitzen werde.

Der Professor saß abends in seinem Arbeitszimmer und arbeitete an den Aufzeichnungen, die er sich bis jetzt über das Reich der Homunkuliden gemacht hatte, als es an der Tür klopfte.

Auf das »Herein!« des Professors erschien Lorenz. Er sah ungemein gerührt aus und bat den Professor mit stockender Stimme, er möge ihm die Ehre antun, der von ihm veranstalteten Christbaumfeier beizuwohnen.

Der Professor stand auf.

»Was für eine Dummheit haben Sie wohl wieder gemacht?« fragte er gütig.

»Herr Professor werden ja sehen. Wenn Herr Professor das als Dummheit betrachten, wobei einem das Herz schwummelig wird, dann ist's eine große Dummheit!«

Lorenz' Stimme hatte einen fast heiseren Klang. Der Professor ging voran. Als er in das letzte Bibliothekszimmer trat, sagte er unwillkürlich: »Ah!«

Er stand lange vor dem prachtvollen Baum und betrachtete ihn mit feuchten Blicken. Wie weltenweit lag das hinter ihm, da er sich noch als Kind über die Pracht und Herrlichkeit des Christbaumes freuen konnte!

Die Homunkuliden, Plato, Archimedes, Lessing und die Dienerschaft, standen stumm um den Baum herum. Der helle Schein der Christbaumkerzen bewirkte es, daß auf ihren Gesichtern ein seltsamer Schimmer, so etwas wie Weihnachtsfreude bemerkbar wurde.

»Das haben Sie mir zuliebe getan!« sagte gerührt der Professor. »Aber auch ich habe Ihnen ein Weihnachtsgeschenk zu verehren, das zu erlangen mir große Mühe gekostet hat. Sie geben mir zu Weihnachten etwas, das tausendfältige Erinnerungen an eine tote, unwiederbringliche Vergangenheit weckt, und ich gebe Ihnen etwas, das Ihnen, so fern der Heimat... so fern Ihrer Zeit... eine neue Zukunft bringt.«

Er reichte Lorenz eine Pergamentrolle hin, die er aus der Tasche gezogen hatte.

Lorenz entfaltete die Rolle. Mit Ehrfurcht sah er das rote Siegel der Staatsregierung. Lorenz las und las. Die Christbaumkerzen flammten und qualmten, sie brannten bis zur Hälfte nieder, bis Lorenz in seiner freudigen Erregung begriffen hatte, welche Bedeutung diesem Dokument beiwohne.

»Also, die Regierung hat mein Ansuchen bewilligt!« rief er aus. »Ich werde also meine Wetti bekommen!«

»Wenn es das Parlament gestattet!« mahnte der Professor. »Ich habe durchgesetzt, was ich durchsetzen konnte, um Ihnen eine Weihnachtsfreude zu bereiten!«

Lorenz ergriff des Professors Hand, um sie dankbar zu küssen. Dieser entzog sie ihm.

»Ich weiß ja noch nicht, was das Parlament dazu sagen wird!«

»Das Parlament kenne ich«, sagte Lorenz, »ich war einmal darinnen. Es ist ein sehr zahmes, friedliches Parlament. Kein Vergleich mit denen, die wir einmal gehabt haben. Es wird der Regierungsvorlage zustimmen. Auf einen Homunkuliden – oder auf eine Homunkulidin wird's ihnen nicht ankommen!«

»Ich hoffe es«, sagte der Professor lächelnd.

Sonderbar war das Benehmen der Homunkuliden. Sie standen steif und feierlich hinter dem Lichterbaum, und als ihnen der Professor fröhliche Weihnachten wünschte, verbeugten sie sich äußerst förmlich.

Lorenz bat den Professor, zum Nachtmahl in den ersten Bibliothekssaal zu kommen, wo er habe decken lassen. An einer langen Tafel nahmen die Gäste Platz. Lorenz hatte gesorgt, daß alle Sachen auf den Tisch kämen, die sich für ein richtiges Weihnachtsmahl geziemten: Backfische, Salat, Weihnachtskuchen. Zu seinem größten Leidwesen hatte er weder Rheinwein noch Champagner auftreiben können. Dafür kreiste in großen Karaffen der bei Lorenz so beliebte Zaubertrank um den Tisch.

Der Professor dankte in warmen Worten Lorenz für die ihm bereitete Freude und wünschte ihm an der Seite seiner jungen, heute noch ungeborenen Wetti viele freudige Jahre.

Auch Plato, Archimedes und Lessing ergriffen das Wort. Alles, was sie sagten, klang darin aus, daß sie dem Professor verbunden seien, daß er es ihnen ermöglicht habe, an einer so schönen und historisch so interessanten Feier teilzunehmen.

Als Lorenz mit seinem Herrn allein war, fragte ihn dieser, wie er mit dem Erfolge der Weihnachtsfeier zufrieden sei. Lorenz zuckte die Achseln.

»Man kann es in diesem Lande nicht besser verlangen. Ich für meinen Teil bin mit dem Geschenk, das mir der Herr Professor gegeben hat, recht zufrieden.«

Lorenz konnte lange nicht einschlafen. Er betrachtete lange und eifrig sein Weihnachtsgeschenk, jenes kostbare Dokument, das ihm der Professor verehrt hatte.


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