Rudolf Hawel
Im Reiche der Homunkuliden
Rudolf Hawel

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Zweites Buch

Bei den Homunkuliden

Erstes Kapitel.

Des Herrn Professors Erwachen. – Es zeigt sich, daß der große Gelehrte in Beziehung auf die Zukunft einer vollständig irrigen Meinung gewesen war.

»Lorenz!«

Dies war das erste Wort des Herrn Professors im Lande der Zukunft.

»Sehr wohl, Herr Professor!« klang es etwas unartikuliert von der Rückwand des Saales her.

Der Professor richtete sich auf seinem Lager auf und sah sich erstaunt um.

»Wo bin ich?« fragte er ganz verwirrt.

Der Herr Professor ruhte auf einem Bett, das eine beträchtliche Ähnlichkeit mit einem Operationstisch hatte. Ihm gegenüber auf einer ähnlichen wissenschaftlichen Pritsche lag Lorenz, den Oberkörper halb emporgerichtet, und sah mit grenzenloser Verwunderung nach seinem Herrn.

Ungefähr zehn Herren waren um die beiden versammelt und die Erscheinung, das seltsame Äußere der Männer, trug nicht das mindeste bei, das Staunen der beiden Erwachten zu vermindern. Es erfüllte sie fast mit grausem Entsetzen, denn diese Herren hatten alle Zug um Zug das gleiche Gesicht, sie waren auch in Gestalt und Größe einander vollkommen gleich. Ihre Kleidung bestand in einem sonderbar feinen, weichen Stoff, der nicht erkennen ließ, ob er pflanzlichen oder tierischen Ursprungs sei. Was aber das Sonderbarste an diesen Männern war: alle trugen dieselbe ernste Miene zur Schau, eine Miene, die man nicht gerade unfreundlich nennen konnte und die doch seltsam fremdartig, vornehm berührte.

Auf einer Marmortafel an der Fensterwand waren verschiedene nie gesehene physikalische Geräte aufgestellt. Durch die hohen geöffneten Fenster fielen die Strahlen der Sonne in den großen Raum, erquickend zog ein weicher warmer Lufthauch in den Saal; sonderbar spielte das helle Licht auf den weißen Marmorwänden.

»Ja, wo bin ich denn?« fragte nochmals der Professor und sah dabei mit hilfloser Miene auf die umstehenden Herren, die aussahen, als ob sie alle Zwillingsbrüder wären.

Da trat einer der Herren zu dem Professor hin und sagte gemessen: »Guten Morgen, mein Herr! Herr Professor haben eine lange Nacht hinter sich, wie befinden Sie sich?«

Da ward es mählich klar im Kopfe des Professors Doktor Voraus.

»Welches Jahr schreiben wir?« fragte er erregt und richtete sich auf.

»Wir haben heute den vierzehnten Juli des Jahres dreitausendneunhundertundsieben«, sagte gemessen der Herr,

»Das Experiment ist also gelungen«, flüsterte der Professor fast tonlos vor sich hin; »zweitausend Jahre sind nun vorüber!«

Da fiel ihm plötzlich ein, daß er wahrscheinlich träume. Zudem hatte er ein sonderbar wüstes Gefühl im Kopfe – so wie ein Neujahrskatzenjammer, wenn sich der Silvesterabend vorher recht lustig angelassen hat. »Ich träume!« sagte er, »Ein schrecklicher, böser, banger Traum!«

»Nein, nein«, erwiderte der Herr; »wollen Sie vielleicht einen Schluck von dieser angenehmen Flüssigkeit zu sich nehmen, Sie werden sich sofort vollkommen wohl und wach fühlen!«

Er reichte ihm einen anscheinend goldenen Löffel, dessen ziemlich tiefe Höhlung eine braune Flüssigkeit erfüllte, die einen sonderbar angenehmen, belebenden Geruch ausströmte. Der Professor schlürfte die Medizin hinunter, und ein wunderbares herrliches, wohliges Gefühl durchströmte seinen Körper, ihm war zumute, als sei er wieder ein lebensfrischer, froher Jüngling geworden!

Er richtete sich auf. Auf einen Wink des Herrn senkte sich die Platte des Operationstisches, zwei Herren traten zu dem Professor hin, unterstützten ihn bei den Armen. »Danke, danke!« sagte der Professor. »Es ist nicht notwendig; ich fühle mich außerordentlich wohl!« Er sah fröhlich nach Lorenz hinüber, dem man auch eben die Medizin einflößte. Lorenz' Züge strahlten vor Glück, als er sie verschluckt hatte.

»Herr Professor«, rief er lustig, »das ist ein Likör, so etwas hat es zu unserer Zeit nicht gegeben!« Er sprang von seinem Bett herab und eilte in freudiger Erregung zu seinem Herrn hin, der ihm bewegt beide Hände reichte.

»Guten Morgen, guten Morgen, Lorenz!« sagte er und schüttelte kräftig die Hand des treuen Mannes.

»Also sind wir angelangt?« fragte Lorenz. »Haben wir wirklich zweitausend Jahre geschlafen?«

Lorenz wollte es gar nicht glauben.

»Schreiben wir wirklich das Jahr dreitausendneunhundertsieben?« wendete sich der Professor an die Herren.

»Jawohl«, erwiderte der eine, »wir werden Sie sofort überzeugen, daß Sie wirklich volle zweitausend Jahre verschlafen haben!«

Jetzt bemerkte der Professor erst, daß alle Herren an der linken Brustseite goldene Täfelchen angeheftet hatten, die mit Zahlen beschrieben waren. Obenan stand die Zahl 716, darunter der Buchstabe A und eine zweite einziffrige Zahl – l, 2.

»Wollen die Herren mir folgen!« sagte Nummer 716 A 1. »Ich werde Ihnen den Beweis liefern, daß Ihr Unternehmen, das Sie mit Todesverachtung wagten, vollständig gelungen ist. Was Sie, wie es in diesem Dokument heißt, im Dienste der Wissenschaft erstrebten, haben Sie vollkommen erreicht!«

Er winkte und die Nummer 716 A 3 breitete auf der Marmorplatte eines Tisches an der Wand jenes Dokument aus, das die Akademie der Wissenschaften zum ewigen Gedächtnis der wissenschaftlichen Heldentat vor zweitausend Jahren an gesicherter Stelle im Pavillon der beiden Herren niedergelegt hatte.

Stumm, mit tiefer Rührung, sahen der Professor und Lorenz auf das Pergament, das nun ganz vergilbt, an den Rändern zerfasert, vor ihnen lag. Die Buchstaben des Textes waren noch tief schwarz, die goldenen und purpurnen Initialien leuchteten fast noch wie damals, als man ihnen das Dokument gezeigt hatte, aber die Unterschriften der Herren Professoren waren grau und fast unleserlich geworden.

Die Männer, deren Hand einst die Feder über das Papier geführt hatte und die an jenem Nachmittag sie zu ihrer Ruhestätte geleitet hatten, ruhten schon weit mehr als 1900 Jahre unterm Rasen – ihre Spur war längst verweht –, die verblaßten Schriftzüge auf dem vergilbten Pergament waren vielleicht das einzige, das Kunde von ihrem Dasein gab.

Ein Schauer überlief den Professor. Auch Lorenz fröstelte es bei dem Gedanken, und in tiefster Bewegung rief er aus: »Ist's also wirklich wahr? Da bin ich auf diese Art heute dreitausendneunhundertachtunddreißig Jahre alt! Schrecklich...!«

Der Professor lächelte und wendete sich zum Gehen.

»Sind die Herren bereit?« fragte nun Nummer 716 A 1.

»Bitte, mein Herr!« erwiderte höflich der Professor. Zwei Herren folgten nach, Nummer 1 ging voran.

»Zuerst wollen wir Ihnen Ihre Wohnung zeigen. Wir hoffen, daß sie Ihren Wünschen entspricht«, sagte die Nummer 1, »wir haben uns bemüht, sie ganz im Geschmack Ihrer Zeit herzustellen, und es hat uns umfangreiche Studien gekostet, da im Museum selbst nur wenige Objekte vorhanden sind, von denen einwandfrei nachgewiesen ist, daß sie wirklich aus Ihrer Zeit stammen. Sollte einiges nicht nach Ihrem Wunsche sein, so werden Sie die Güte haben, uns dies mitzuteilen und uns auch über eventuelle Stilwidrigkeiten belehren.«

Der Herr Professor sprach sich mit vieler Wärme dahin aus, daß er wahrscheinlich alle Ursache haben werde, mit den ihnen zur Verfügung gestellten Appartements zufrieden zu sein.

Sie schritten durch einen langen, hellen Gang. Durch die hohen Fenster sah man in einen Park mit uralten Bäumen hinab. Die Wege waren mit feinem weißen Kies bedeckt, auf den Beeten blühten herrliche Rosen. Das Schönste aber in dem Park waren die uralten Bäume, zumeist Linden, Buchen und Eichen. Ein solcher Prachtbaum, eine riesige Eiche, breitete vor dem Fenster seine ungeheure Krone aus; der Baum mußte viele Jahrhunderte alt sein. Den Professor wunderte es, daß man in dem Park solche Waldbäume gepflanzt hat, Bäume, die einst die Riesenforste seiner Zeit gebildet hatten. Er sprach seinen Begleitern darüber seine Verwunderung aus.

»Sollten wir gleich mit der Anpflanzung dieser Bäume schon eine Stilwidrigkeit begangen haben?« fragte Nummer 716 A 1 betreten. »Wir haben umfassende Studien auch wegen Ausschmückung dieses Parkes betrieben. Aus den Schriften, die wir in Ihrem Pavillon fanden, schien hervorzugehen, daß die beiden Herren einem Menschenschlag angehören, der, wie die Forschungen unwiderleglich dartun, die Natur über alles liebte, sich gern im Freien aufhielt und Bäume zu Lieblingen der Nation erklärte, zum Beispiel die Eiche, die Buche, die Linde. Wir haben in Ihren Büchern Lieder und Erzählungen gefunden, die vom Lob dieser Pflanzengattungen überfließen, und hofften, Ihnen bei Ihrem Erwachen mit diesem Haine eine Freude zu bereiten oder ein Vergnügen, eine Annehmlichkeit; ich weiß nicht recht, welches Wort ich dafür setzen soll...«

Dem Herrn selbst schien die Freude an der Natur etwas Unbegreifliches zu sein, da er so schwer das richtige Wort zu finden vermochte. Der Professor war gerührt ob dieser Aufmerksamkeit und ergriff bewegt die Hände des Führers. Dieser sah ihn erstaunt an, als verstünde er ihn nicht. Betreten ließ der Professor die Hand des sonderbaren Herrn los. Es überkam ihn wieder das Grauen wie oben im Saale.

Lorenz ging schweigend mit. Auch ihm machten die seltsamen Gesichter, die sich so ähnlich sahen wie ein Ei dem anderen, bange, und er hoffte, jetzt und jetzt aus dem Traume zu erwachen.

Der Mentor ging voran und klopfte an eine Tür. Wie von Geisterhänden geöffnet, sprang sie auf, ein Herr in Lakaienuniform erschien und begrüßte mit einer tiefen Verbeugung die Erschienenen. Er unterschied sich nur durch die Uniform von seiner Begleitung, sein Gesicht war wieder Zug um Zug das gleiche wie das der Herren im ersten Saale.

»Ein Diener?« fragte verwundert der Professor.

»Jawohl, Herr Professor, Ihr Diener – und außerdem sind noch zwei Herren einzig und allein zu Ihrer Verfügung vom Staate bestellt, um für Ihre Bequemlichkeit Sorge zu tragen.«

»Was, drei Diener...? Der Haushalt wird mir zu kostspielig werden, verehrter Herr. Ihre Fürsorge überwältigt mich... oder soll ich hier als Pensionist Ihres Staates leben...? Ist das vielleicht Ihr Prytaneum...? Ich habe mir um diesen Staat keine Verdienste erworben...«

»Und dann muß ich auch eines sagen«, meinte erregt Lorenz, »wenn ich mir schon die Mühe genommen habe, mit meinem Herrn zweitausend Jahre zu verschlafen, so will ich doch nicht jetzt meine Stellung aufgeben – das wäre wider den Kontrakt.«

»Seien Sie nur ruhig, Lorenz, wir bleiben beisammen«, tröstete der Professor.

»Wenn Sie uns eine Köchin bestellen und vielleicht ein Stubenmädchen, so wird das zu unserer Bequemlichkeit beitragen, aber für das männliche Personal bin ich allein da.«

Ruhig hatte der Herr zugehört. »Köchin... Stubenmädchen... damit können wir leider nicht dienen«, sagte die Nummer 1, »wir können nur männliche Domestiken zur Verfügung stellen!«

»Das wird doch kein Kloster sein?« fragte erschrocken Lorenz.

»Nein, nein, durchaus nicht, es widerspräche den Gesetzen dieses Staates!« Und dabei umspielte zum erstenmal ein leises Lächeln die Lippen dieses Herrn.

»Sie werden doch nicht an unserer Ehrenhaftigkeit zweifeln?!« fuhr der Herr Professor auf.

»Nein, nein, durchaus nicht, Herr Professor, ein anderer Grund ist es, weshalb wir Ihrem Wunsche nicht entsprechen können. Ein viel zwingenderer Grund!«

»Und der wäre?«

»Bei uns gibt es gar keine Weiber!« sagte ruhig, wie wenn das die größte Selbstverständlichkeit wäre, der Mentor.

»Was, keine Weiber? Doch nur in diesem Hause?«

»Nein, überhaupt nicht!«

»Überhaupt nicht? Ja, Herr, wie meinen Sie das... In der Stadt nicht? Auf dem Lande draußen? Oder wie sollen wir das auffassen?« Der Professor war perplex.

»Was... gar keine Weiber oder Mädchen!? Sind wir hier bei den Türken, die alle Weiber in Arreste mit seidenen Kanapees einsperren?« fragte atemlos vor Staunen Lorenz.

»Nein, nein, in unserem Staate gibt es gar keine Weiber, schon seit dem Jahre dreitausendeinhundertvierundsiebzig«, sagte ruhig lächelnd die Nummer 1.

»Keine Weiber, keine Weiber, heute schreiben wir dreitausendneunhundertsieben, also seit siebenhundertdreiunddreißig Jahren gibt es keine Weiber mehr! Ja, wie alt sind denn dann die Herren?« Der Professor griff sich an den Kopf.

»Die Herren sind alle fünfunddreißig Jahre alt«, sagte der Mentor.

»Wenn es aber seit siebenhundertdreiunddreißig Jahren keine Weiber mehr gibt?«

»Herr Professor, ich meine, wir sind verrückt geworden«, sagte kopfschüttelnd Lorenz.

»Herr Professor, wir sind keine Weibgeborenen«, erklärte der Herr.

Dem Professor verschlug es die Rede.

»Ja, wer sind Sie, sind Sie vom Himmel herabgefallen? Lorenz, ich glaube, das lange Schlafen hat uns doch geschadet, wir sind verrückt geworden.«

»Ich habe es immer für ein gefährliches Experiment gehalten«, sagte betrübt Lorenz.

»Sie sind im Reiche der Homunkuliden«, sagte mit seltsam ernstem Ton der Herr. »Was dieses Wort bedeutet, wissen Sie ja wohl!«

»Homunkulus – ein in der Retorte erzeugter Mensch...«, sagte bebend der Professor.

»Jawohl.«

»Dann wäre der Traum des Paracelsus zur Wahrheit geworden? Was er in seiner Schrift ›De generatione rerum naruralium‹ schrieb, ist zur Wirklichkeit geworden? Goethes phantastisches Bild im ›Faust‹ hat Realität gewonnen?«

Der Professor war ganz konsterniert. Wie vernichtet sank er in einen Fauteuil, der bei einem der Fenster stand, und stützte den Kopf mit beiden Händen.

Lorenz sah mit maßloser Verwunderung auf seinen Herrn, er begriff die Mitteilung nicht, die ihnen der Mentor gemacht hatte.

»Es ist so, Herr Professor. Wir alle, die Millionen, die in diesem Staate leben, sind Homunkuliden. Fassen Sie sich, Herr Professor, ich werde Ihnen alles erklären! Wenn Sie ein halbes Jahr unter uns gelebt haben, wird Ihnen der Unterschied zwischen uns und den Menschen Ihrer Zeit nicht mehr so groß vorkommen. Und was uns von Ihren Zeitgenossen unterscheidet, wird nur zu unserem Vorteil sein. Vieles, vielleicht alles, was Häßliches und Verabscheuungswürdiges Ihren Mitlebenden einst anhing, fehlt uns; was Ihre Zeit ersehnte, ist uns geworden. Sie werden die Homunkuliden besser, glücklicher und weiser finden, als Ihre Zeitgenossen es waren! Sehen Sie sich doch erst Ihre Wohnung an, schon die Art und Weise, wie wir für Sie sorgten, wird Ihren begreiflichen Abscheu vor uns mildern, und Sie werden mit der Zeit erkennen, daß wir Homunkuliden nichts als vollkommene Menschen sind.«

Er hatte fast mit Wärme gesprochen, sein sonst so marmorglattes Gesicht verriet eine Bewegung, die man früher nicht an ihm wahrgenommen hatte. Die beiden anderen Herren, die die Nummern 751 A 2 und 3 trugen, hatten ruhig zugehört; nichts in ihren fast leblosen Mienen verriet, daß die Bestürzung des Professors auf sie irgendwelchen Eindruck gemacht hätte.

»Eine schöne Gesellschaft«, dachte Lorenz, »in die ich da geraten bin! Diese Menschen sind Fabrikate! Daher sieht einer wie der andere aus. Da ist mir ja ein Panoptikum noch lieber. Da gibt's doch verschiedene Gesichter!«

Der Mentor schritt wieder voran. Der Professor folgte. Aber die Mitteilungen dieses seltsamen Herrn hatten ihn so überwältigt, daß er fast taumelte. Lorenz sprang herzu und faßte ihn unter dem Arm.

»Machen Sie sich nichts daraus, Herr Professor!« tröstete er ihn. »Wir haben es ja erwartet, daß wir manches anders finden werden, als es zu unserer Zeit war. Und wenn uns die Leute nicht gefallen sollten, so lassen wir uns andere aus der Fabrik schicken. Und dann bin ja noch immer ich da.«

Der Diener öffnete wieder eine Tür.

»Also, das ist das Vorzimmer«, sagte die Nummer eins. »Wir hatten keinen rechten Begriff von Vorzimmern, glauben aber, halbwegs das Richtige getroffen zu haben!«

Trotz seiner Erregtheit mußte der Professor zugeben, daß das Vorzimmer ausnehmend hübsch sei. Ein Tisch mit einer massiven Goldplatte in der Mitte, dahinter ein mit dunkelgrünem Samt überzogenes Sofa, mehrere Fauteuils, in gleicher Ausstattung um den Tisch gruppiert, bildeten den Hauptbestandteil der Einrichtung. Eine Wand aus Eichenholz mit goldenen Kleiderhaken, ein goldener Luster mit elektrischen Birnen aus funkelndem Kristallglas, wie der Professor meinte, vervollständigten das Inventar.

»Sind Sie zufrieden, Herr Professor?« fragte der Mentor. »Die Einrichtung ist einfach und gediegen!«

»Das ist alles schwer vergoldet«, sagte der Professor staunend und deutete auf die Tischplatte, auf die Luster, auf die Kleiderhaken.

»Nein, nein, das ist massiv Gold durch und durch. Die Tischplatte, die Haken, der Luster: alles ist Gold«, sagte lächelnd der Mentor.

»Da stecken ja Millionen an Wert in diesem Vorzimmer«, stammelte der Professor. »Zu viel Ehre, nein, das ist zu viel!... Nicht der reichste Fürst meiner Zeit hat sich ein solches Zimmer als Prunkzimmer gönnen dürfen!«

»Herr Professor!« begann ruhig lächelnd ihr Führer. »Bevor wir Sie erweckten, haben wir alles wohl erwogen, um den Helden der Wissenschaft ein Heim zu bieten, das ihrer Tat nur halbwegs würdig sei. Wegen der Goldverschwendung brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Bei uns hat das Gold keinen Wert. Zu Ihrer Zeit war das anders. Da bestimmte beinahe der Besitz an diesem Metall Glück und Bedeutung eines Menschen, Sie werden sehen, daß wir mit diesem Metall in Ihrer Wohnung verschwenderisch gewirtschaftet haben, um Ihnen, der aus einer Zeit kommt, in der es so unendlichen Wert besaß, eine Freude zu bereiten. Ihnen diese Freude oder Annehmlichkeit zumachen, ist uns sehr leicht geworden...«

Der Professor sah dem Herrn mit starrem Erstaunen ins Gesicht.

»Haben Sie so unergründliche, unerschöpfliche Goldgruben?« fragte er.

»Nein, aber wir machen uns das Gold selbst«, sagte lächelnd der Mentor.

»Sie machen Gold?« fragte erregt Lorenz.

»Gewiß, aus Kupfer, aus Blei, ja aus Eisen und Zinn, aus jedem unedlen Metall, wie Sie es früher nannten.«

»Also auch dieser Traum der alten Alchimisten ist Wahrheit geworden!« rief der Professor aus und verhüllte in seiner grenzenlosen Bewegung das Gesicht mit beiden Händen.

»Jawohl!« sagte der Mentor. »Und wenn wir Ihre Appartements mit Gold gedielt hätten, es wäre für uns nichts Besonderes gewesen!«

Lorenz war ganz betäubt. Ein furchtbarer Gedanke stieg in ihm auf.

»Ja, was tun wir mit unserem Geld, mit unseren Dukaten«, flüsterte er, »wenn die hier Gold erzeugen, wie bei uns Papier aus Holz gemacht wurde?«

»Hier ist der Taster für die elektrische Beleuchtung.«

Er drückte auf einen Goldknopf an der Wand neben der Tür und die Birnen des Lusters erstrahlten in sonnigwarmem Licht.

»Das ist eine ausgezeichnete Nachahmung der Beleuchtungsmittel Ihrer Zeit; jetzt machen wir das anders.«

Die Nummer 1 ließ die Fensterläden schließen. Dann wurden die Birnen des Lüsters verlöscht und es ward tiefdunkle Nacht im Raum.

Auf einmal war es klar hell, keine Birne des Lüsters leuchtete, kein Schimmer des Tageslichtes drang durch die geschlossenen Laden herein, und doch war es so licht und hell wie an einem Sommernachmittag.

Überrascht sah sich der Professor nach der Quelle dieses so angenehmen Lichtes um. Es schien von der Decke herabzukommen; aber man konnte trotz aller Anstrengung keine lichtspendende Vorrichtung entdecken.

»Woher kommt dieses Licht?« fragte erstaunt der Professor. Da trat Nummer 751 A 2 vor.

»Dieses Licht strahlt von der Decke herab«, sagte der Herr. »Die Farben der Tapete dort oben sind mit radioaktiven Substanzen versetzt, die unter dem Einfluß eigentümlicher magnetischer Kraftströme zu leuchten beginnen. Dies ist die bei uns allgemein durchgeführte Beleuchtungsmethode.«

»Sehr interessant!« sagte der Professor, und auch Lorenz drückte seine volle Zufriedenheit aus.

»Wozu haben Sie dann diesen Luster dort angebracht?« fragte der Professor.

»Nur um Ihnen ein Heim zu bieten, das womöglich dem gleicht, das Sie einst – vor zweitausend Jahren – bewohnten. Wir sahen voraus, daß all das Neue und Ungewohnte, das Sie bei uns finden werden, Sie, besonders anfangs, sehr stören wird. Mit Ihrer Wohnung wollten wir Ihnen eine Stätte bieten, zu der Sie sich flüchten, wenn Sie Sehnsucht nach Ihrer Zeit, Sehnsucht nach dem Längstvergangenen empfinden.«

»Sie halten mich für einen Romantiker?« fragte vergnügt lächelnd der Professor.

»Sie sind ein Deutscher«, sagte mit einer Verbeugung die Nummer 1, »Ihrem Volke war, wie übereinstimmend in allen Geschichtsbüchern zu lesen ist, dieser Zug in hohem Grade eigen. Die Besten Ihrer Nation sind von dem Vorwurf phantastischer Träumerei nicht freizusprechen. Zum Schaden Ihres Volkes, das um der Vergangenheit willen nur allzu oft Gegenwart und Zukunft vergaß!«

»Dieser Automat spricht wie ein Professor«, dachte sich Lorenz verwundert.

»Auch eine Küche haben wir Ihnen eingerichtet. Ich glaube, diesen Teil der Wohnung als den gelungensten bezeichnen zu können.«

Er öffnete eine Tür. Ein »Ah« des Staunens entfuhr den Lippen des Professors und seines Dieners. Der Boden der Küche war mit Marmorplatten gedeckt, die Wände waren mit zierlich gemusterten Porzellanplatten verkleidet. Nichts fehlte, was man einst im zwanzigsten Jahrhundert zur Ausstattung einer Küche für nötig hielt. Da waren Küchensessel, die Wasserbank, die Kredenz, ein Anrichttisch, ein zweiter Tisch mit Eichenplatte, an der Wand funkelnd und blinkend eine auserlesene Garnitur kupferner Kochgeräte, die das Herz einer Köchin aus dem zwanzigsten Jahrhundert in das hellste Entzücken versetzt haben würden. Dazu eine Menge der verschiedensten Apparate, Fleischfaschiermaschinen, Schaumschläger, eine Maschine zum Schälen der Kartoffeln usw. Die Küche sah mehr wie ein physikalisches Kabinett aus, trotzdem erklärte Nummer 1, man habe sich sorgfältig bemüht, nur solche Sachen in die Küche zu stellen, die im zwanzigsten Jahrhundert üblich waren. Ein Meisterstück der Technik war der große Kochherd, der mit einer Unzahl von Messinghähnen und Ventilen versehen war und mit einer sehr komplizierten Maschine die größte Ähnlichkeit hatte.

»Wetti, Wetti«, seufzte Lorenz, »welches Glück ist dir da entgangen!«

Nummer 2 wies auf die Einrichtung des Ofens. Die Wärme besorgte eine elektrische Einrichtung. Eine Drehung an einem Ventil genügte, und im Feuerschacht des Ofens glühten Metallspangen von einem Durchmesser von fünf Millimetern. Verschiedene Räumlichkeiten der Maschinerie dienten zum Backen, andere zum Braten, wieder andere konnten durch eine höchst sinnreiche Vorrichtung in einer konstanten, beliebig regulierbaren Temperatur erhalten werden, die nicht um einen Zehntel Grad Schwankungen aufwies.

»Da gibt es wohl keine Kohle, kein Gas, keinen Brennspiritus, kein Holz bei Ihnen?« fragte begeistert Lorenz.

»Nein, die Verwendung derartiger Brennmaterialien hat seit ungefähr acht Jahrhunderten ganz aufgehört. Die Kohlengruben der Erde sind schon längst, schon lange vor diesem Zeitpunkt, erschöpft gewesen.«

»Aber womit heizen Sie denn die Maschine zum Betriebe Ihrer Dynamos?« fragte überrascht der Professor.

»Es gibt auch keine Dampfmaschinen mehr, Herr Professor«, erklärte die Nummer 2, die augenscheinlich die Erläuterung all dieser technischen Wunderdinge zur Aufgabe hatte. »Unsere Zeit hat mit diesen unrationellen Apparaten aufgeräumt. Ihr Zeitalter verschwendete sinnlos die Güter der Erde; nicht die Hälfte, oft nicht der zehnte Teil der in der Kohle schlummernden Kräfte wurde ausgenützt!«

»Verehrter Herr, wer liefert Ihnen jetzt diese Kraftmengen?« fragte mit größter Begierde der Professor.

Er bekam allmählich Respekt vor den Homunkuliden.

»Die Sonne«, antwortete einfach die Nummer 2.

»Die Sonne?« fragte staunend der Professor.

»Die Sonne?« fragte verwirrt Lorenz.

»Jawohl, die Sonne!« erklärte die Nummer 2. »Wenn ich nicht irre, so wurde zu Ihrer Zeit nach Pferdekräften gerechnet. Ungezählte Millionen von Pferdekräften liefert stündlich die Sonne, wir haben die Erfindung gemacht, diesen unermeßlichen Schatz uns dienstbar zu machen. Wir haben es nicht nötig, zu warten, bis durch jahrzehntelange Sonnenarbeit die Bäume eines Waldes jene Entwicklung erreicht haben, daß sie zur Feuerung nutzbares Holz liefern, wir nehmen ohne diesen jahrzehntelangen Umweg die für unsere Zwecke nötige Wärme direkt von der Sonne. Die Sonne treibt unsere Maschinen, sie setzt unsere Schiffe und Eisenbahnzüge in Bewegung, sie vermittelt über das ganze Erdenrund den Austausch unserer Gedanken, sie schmilzt die aus dem Erdinnern gewonnenen Erze, sie kocht unsere Speisen und wärmt im strengsten Winter angenehm unsere Wohnungen.«

»Das ist großartig«, sagte sinnend der Professor, »das sind Fortschritte, die unsere Zeit kaum geahnt hat. Die Homunkuliden sind ja die reinen Sonnenkinder!«

»Waren es die Menschen Ihrer Zeit weniger?« fragte lächelnd die Nummer 1. »Sie heizten Ihre Öfen und Maschinen mit Kohle oder Holz. Durch welche Kraft aber wurden in den Wäldern die anorganischen Substanzen des Bodens und der Luft in die organische Substanz des Holzes umgewandelt? Durch die Kraft der Sonne! Wie entstand die Kohle in Ihren Bergwerken? Vorsintflutliche Wälder versanken, in der Tiefe verkohlten die durch Sonnenkraft entstandenen Baumriesen, und als sie mit dieser Kohle Ihre Wohnung heizten, erfreuten Sie sich an einer Wärme, die schon vor Jahrtausenden von der Sonne zur Erde niederstrahlte! Waren Sie also nicht ebensolche Sonnenkinder, wie wir es sind? Der einzige Unterschied besteht darin, daß Sie die Sonne erst jahrelange Arbeit verrichten ließen und die von der Sonne geschaffene organische Substanz verbrannten, um einen lächerlich geringen Prozentsatz der zum Aufbau dieser Organismen verwendeten Sonnenkraft für Ihre Zwecke zu verwenden. Wir nehmen, was wir an Kraft brauchen, direkt aus dem unendlichen Kraftquell der Sonne, und täglich könnte uns diese strahlende Mutter alles Lebendigen millionenmal mehr liefern, als wir, so lange diese Erde steht, brauchen können. Wir sind von irdischen Einflüssen unabhängig, wir fürchten keine Mißernten, wir schicken keinen Homunkuliden in die todbringenden Bergwerke, die Spenderin und Erhalterin unseres Lebens ist die Sonne!«

Er hatte fast mit Pathos gesprochen. Trotzdem verriet seine Miene keine Spur von Erregung.

»Aber wie, wie machen Sie das?« fragte ganz außer sich der Professor.

Lorenz hatte dem Sprecher mit offenem Munde zugehört. In seinem Ansehen waren die Homunkuliden bereits bedeutend gestiegen. Er war nähe daran, die sonderbaren Herren mit sich auf eine gleiche Stufe zu stellen.

»Wie wir das machen, das werden wir Ihnen alles zeigen. Doch, meine Herren, wollen Sie nicht auch die anderen Appartements in Augenschein nehmen? In Ihrem Salon, Herr Professor, wird sich angenehmer sprechen lassen als hier in der Küche.«

Der Mentor schritt voran, die Nummern 751 A 2 und 3 folgten dem Professor und Lorenz nach.

Das erste Zimmer, das sie betraten, war das Zimmer Lorenz', ein einfach eingerichteter hoher Raum mit der Aussicht in den Park. Hier war nichts vergessen, was das Dasein eines alleinstehenden Mannes behaglich machen konnte. Vom Ruhebett bis zum Pfeifenständer und hinab bis zum Stiefelzieher aus Gußeisen, der als riesengroßer Hirschkäfer unter dem Bette hervorlugte. Einfache graugrüne Tapeten bedeckten die Wände, auf dem Tische und auf dem Nachtkästchen standen elektrische Lampen, und neben der Tür befand sich der kleine vergoldete Kupferhebel, durch dessen Drehung die Deckenbeleuchtung eingestellt wurde. Lorenz war mit der Einrichtung sehr zufrieden und sprach in äußerst gewählten Worten dem Führer tiefgefühlten Dank aus. Eine Einrichtung besonders erweckte sein Entzücken. Es war in dem Raume ziemlich warm, die Sonne schien mit voller Kraft auf die Fenster, und der Professor trocknete sich den Schweiß von der Stirne. Da ging Nummer 751 A 2 zur Rückwand des Zimmers, öffnete einen kleinen goldenen Hahn, und aus einer feinen Brause strömten mit deutlich hörbarem Gezisch feine Strahlen einer vollkommen wasserklaren Flüssigkeit aus. Aber kaum mit der Luft in Berührung gekommen, erstarrte ein Teil dieser feinen hellen Tropfen und fiel wie Schnee auf den Boden. In wenigen Minuten ward es in dem Zimmer erfrischend kühl, die Luft ward so rein, wie sie es am Strand des Meeres ist.

»Das ist hübsch, wenn man mitten im Sommer schneien lassen kann«, sagte Lorenz mit Wohlgefallen, »eine feine Erfindung!«

»Flüssiger Sauerstoff«, sagte der Herr, der das interessante Experiment gemacht hatte. »Wie Sie sehen, Herr Professor, können wir allen Unannehmlichkeiten der Witterung Trotz bieten. In jedem Ihrer Wohnräume finden Sie diese Einrichtung, die noch außerdem den unschätzbaren Vorteil bietet, daß sie die Luft von Bakterien reinigt.«

Der Mentor schritt voran und öffnete die Tür zum Schlafzimmer des Professors. Auf einmal ertönte hinter ihnen ein jäher Schmerzensschrei. Erschrocken drehte sich der Professor um und sah, wie Lorenz unter Äußerung eines quälenden Schmerzes heftig die linke Hand schwenkte.

»Teufel noch einmal, das Zeug brennt wie geschmolzenes Blei«, sagte er; »ich glaube, ich habe ein Loch in der linken Hand!«

Er hatte, von unzähmbarer Neugierde getrieben, das Experiment mit dem flüssigen Sauerstoff auf eigene Faust wiederholt, vorwitzigerweise aber die Hand vor die Brause gehalten und einige Tropfen der auf minus 140 Grad Celsius abgekühlten Flüssigkeit waren auf seine Hand gefallen, wo sie natürlich die gleiche Empfindung hervorriefen, wie wenn es Tropfen geschmolzenes Bleies gewesen wären.

»Lorenz, Sie sind doch zu ungeschickt«, räsonierte der Professor.

»Sehr wohl«, sagte Lorenz, noch immer seine Hand schlenkernd, »ich werde mich wohl hüten, hier irgend etwas anzugreifen. Da können Dinge dabei sein, daß man den Tod davon haben könnte!«

Unterdes war einer der Herren von der Begleitung in den ersten Saal zurückgegangen und kam, mit einer kleinen Phiole in der Hand, wieder herein. Er träufelte daraus einige Tropfen auf die Hand des Dieners, und sofort erklärte Lorenz, daß der Schmerz geschwunden sei. Die schnelle Kur versöhnte ihn mit den gefährlichen Einrichtungen in der Wohnung seines Herrn.

Das Schlafzimmer des Professors war sehr einfach, aber höchst zweckmäßig ausgestattet. Es war ebenfalls mit dem Sauerstoffapparat versehen. Das Arbeitszimmer erregte das Entzücken des Herrn Professors. Die eine Seite wurde ganz von einem riesigen Fenster eingenommen, Vorhänge von einem eigentümlichen durchscheinenden Stoff, der trotzdem die grellen Sonnenstrahlen nicht durchließ, verhüllten die mächtigen Spiegelscheiben. Eine Drehung an einem Hebel, die Vorhänge rauschten zurück und der herrliche Park lag in seiner ganzen wundervollen Pracht vor den Augen des entzückten Professors. Man sah auf ein riesiges Bassin hinab, das mit einer sehr schön ausgeführten Marmoreinfassung umgeben war. In der Mitte des Teiches erhob sich auf einem künstlichen Felsen eine wundervolle Neptun-Gruppe; Delphine entsendeten aus ihren Rachen mächtige Wasserstrahlen in das Marmorbecken, in der Mitte der Gruppe saß Neptun, den Dreizack in der Rechten, den linken Arm auf eine liegende Urne gestützt, aus der tosend und brausend ein mächtiger Wasserstrom hervorrauschte. Der Diener hatte auf einen Wink der Nummer 1 die Fensterflügel geöffnet und das Plätschern und Brausen klang vernehmlich herauf.

»Sind Sie zufrieden, Herr Professor?« fragte die Nummer 1.

Stumm reichte ihm der Professor die Hand. »Worte des Dankes sind zu gering. Sie haben mir ein Paradies zum Aufenthalte angewiesen«, sagte er einfach.

»Wenn Sie der Lärm in Ihren Studien stört, haben Sie ein einfaches Mittel, die Wasserkünste da draußen einzustellen«, teilte die Nummer 1 mit. Er zeigte dem Professor einen unter den Vorhängen versteckten Hebel nach der Art der Hebel für die Heizanlagen der Eisenbahnwaggons, ein Drehung genügte und die Wasserströme der künstlichen Insel versiegten; durch die geöffneten Fenster herein klang nur noch das leise Rauschen der mächtigen Kronen, in deren Laubwerk ein leichter Windhauch spielte.

»Aber, Herr Professor, betrachten Sie doch auch die anderen Einrichtungen Ihres Zimmers!« forderte der Mentor auf. Der Professor erwachte aus seinem Sinnen und Träumen, betrachtete mit steigendem Entzücken den Raum, in dem er nun den größten Teil seiner ferneren Lebenstage zuzubringen gedachte. Die Wände waren von bis zur Decke reichenden Bücherregalen umstellt, und als er die Inschriften auf den Bücherrücken musterte, entdeckte er zu seiner innigsten Freude, daß man hier seine eigene Bibliothek aufgestellt hatte; es waren jene Bücher, die er einst, vor zweitausend Jahren, selbst benützt hatte. Er zog einen Band aus dem Regal und blätterte darin. Aber du lieber Gott, wie vergilbt war das Papier, die lange, lange Zeit hatte untilgbare Spuren darauf zurückgelassen!

In der Nähe des Fensters stand ein kostbarer Schreibtisch, mit allem Werkzeug des Schriftstellers ausgestattet. Ein prachtvolles, massiv goldenes Schreibzeug, eine Garnitur Federstiele, Papiermesser und Schere mit goldenen Griffen. Die Scheiden des Messers und der Schere erregten die Aufmerksamkeit des Professors. Er nahm das Papiermesser, um es näher zu betrachten.

»Vorsicht, Herr Professor«, mahnte der Mentor, »geben Sie acht, daß Sie sich nicht schneiden!«

»Woraus bestehen die Schneiden? Die sehen ja aus, als wenn sie aus Glas gefertigt wären!« fragte begierig der Professor.

Ihr zuvorkommender Mentor nahm ein Papierblatt vom Tisch und schnitt es, indem er es an einer Ecke festhielt, in einem Zuge durch. Man hörte dabei nicht das mindeste Geräusch, die Schnittränder waren so glatt, als wenn das Papier mit einer scharfgeschliffenen Schere durchschnitten worden wäre.

»Was für eine Masse ist das, mein Herr?« fragte der Professor. »Glas ist es nicht...?«

»Nein«, antwortete der Führer, »es ist ein Ihnen sehr bekannter Stoff. Und wenn sie dieses Messer hundert Jahre in Verwendung haben, so wird es kein Nachlassen seiner Schärfe, keine Scharte zeigen, denn seine Schneide besteht aus kristallisiertem Kohlenstoff, so wie die Schneiden der Papierschere!«

»Also, Diamant...!« Der Professor war sprachlos. Lorenz schlug erschrocken die Hände zusammen. »Die haben diamantene Messer und Scheren, da muß man Respekt kriegen!« rief er aus.

»Das ist gar nichts Besonderes«, sagte Nr. 751 A 2, »kristallisierter Kohlenstoff wird künstlich hergestellt. Wir schmelzen den Kohlenstoff, in der erstarrenden Masse bilden sich Kristalle, Diamanten, wie Sie sagen, in jeder uns beliebigen Größe. Die meisten Apparate und Werkzeuge, die Sie einst aus Stahl verfertigten, machen wir jetzt aus Diamant, der den Vorzug weit größerer Härte, leider aber den Nachteil ungemeiner Sprödigkeit besitzt. Die größten Maschinen, die bei uns gebaut werden, besitzen Lager aus Diamant!«

»Das ist großartig«, sagte Lorenz. »Wenn bei uns einer einen Diamantring trug mit einem erbsengroßen Stein, sah man so einen schon für einen reichen Mann an, und da bauen sie Maschinen aus Diamant. Ich glaube, Herr Professor, es wäre gut, wenn wir jetzt aufwachten. Wir träumen wohl sehr interessant, aber mir brummt schon der Kopf.«

»Nein, nein, Herr Lorenz«, sagte die Nummer 2, »Sie sind schon munter, Sie schlafen nicht mehr. Sie werden bei uns noch viel Wunderbareres sehen als diese alten Sachen. Diamantene Werkzeuge hat man schon seit fünfzehnhundert Jahren. Wir haben eben für Diamanten eine weit bessere Verwendung gefunden!«

Unterdessen hatte die Nummer 1 eine Tischlade geöffnet und daraus ein in Leder gebundenes Buch herausgeholt und vor den Professor auf den Tisch gelegt. Mit Freude erkannte es dieser, es war sein Taschenbuch. Der Mentor schlug die letzte beschriebene Seite auf und wies mit dem Finger auf die Schlußeintragung.

Mit starken, wenn auch ausgeblaßten Zügen stand dort geschrieben: »... Juli 1907. Heute ist der letzte Tag. Wann werde ich wieder eine Zeile in dieses Buch schreiben?«

In tiefer Bewegung sah der Professor auf diese Züge. Vor zweitausend Jahren hatte er das geschrieben! Und ihm war zumute, als hätte er erst gestern diese beiden Zeilen in das Tagebuch eingetragen.

»Wirklich«, sagte er, »was der große Weise von Königsberg geschrieben hat, ist Wahrheit, nie habe ich so klar erkannt wie heute: Was ist Zeit? Ein Nichts... etwas, das gar nicht vorhanden ist.«

Lorenz sah besorgt seinem Herrn in das aufgeregte Gesicht; er hegte die Befürchtung, der Professor sei verrückt geworden.

»Ein leerer Begriff! Eine Krücke für den Gang unserer Gedanken!« fuhr der Professor in Ekstase fort.

»Ich glaube, wir haben jetzt genug für einmal«, sagte Lorenz. »Wenn wir so weitertun, lernen wir zu allererst die Narrenhäuser der Homunkuliden kennen. Ich glaube, wir sollten eine Pause machen; allzuviel, auch von den aller schönsten Sachen, ist ungesund.«

»Sie haben recht, Lorenz«, sagte der Professor, »wir haben schon zu viel gehört und gesehen, wir müssen eine Pause machen!«

»Ganz wie der Herr Professor wünschen! Vielleicht eine Erfrischung angenehm?«

Der Professor zeigte sich mit diesem Übergang zum Leiblichen sehr zufrieden, und auch Lorenz stimmte mit außerordentlichem Vergnügen zu.


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