Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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37

Im August dieses Jahres wurde in Ostende ein englisches Schiff klar, das nach Portugal Schiffsgut und Passagiere brachte. Es war ein schöner Morgen, die Nebel hatten sich gesenkt und die Tage schienen für die Fahrt günstig werden zu wollen. Es war um neun Uhr morgens als ein Kanonenschuß von dem Engländer herüberschallte, zum Zeichen, daß die Passagiere sich an die Küste begeben sollen. Zu gleicher Zeit ruderte eine Schaluppe heran, und warf ihr Brett aus, um die Reisenden einzunehmen. Vom Land her kamen viele Personen mit Gepäck, gingen über das Brett und bald war die Schaluppe voll und die erste Ladung wurde an Bord gebracht. Ehe noch die Schaluppe zum zweitenmal anlegte, sah man vier Personen sich dem Strand nähern, die sich durch Gang, Haltung und Kleidung von den übrigen ärmlicheren Passagieren unterschieden. Ein hoher, ältlicher Mann ging stolzen Schrittes voraus; er hatte einen breitgekrempten Hut auf, und den Mantel so kunstreich und bequem um die Schultern geschlagen, daß ein Schiffer, der ihn kommen sah, ausrief: »Ich laß mich fressen, wenn es kein Spanier ist«; hinter jenem kam ein jüngerer Herr, der eine schöne, schlankgebaute Dame führte. Der junge Herr war sehr bleich, schien einen großen Kummer niederzukämpfen, um durch Zureden einen noch größeren bei der Dame zu beschwichtigen. Ihr schönes Gesicht war um Auge und Stirne von heftigem Weinen gerötet, der Mund schmerzlich eingepreßt und die Wangen und untern Teile des Gesichtes sehr bleich. Sie ging schwankend, auf den Arm des jungen Mannes gestützt; ein Hütchen mit wallenden Straußfedern, ein wallendes Kleid von schwerem schwarzen Seidenzeug, um Hals und Busen reiche Goldketten, schienen nicht zur Reise zu passen, und man konnte daher glauben, daß sie den jungen Mann an Bord begleite; hinter beiden ging ein Diener in bunten Kleidern; er trug einen großen Sonnenschirm unter dem Arm und hatte ein spanisches Netz über seine dunklen Haare gezogen.

Als sie so weit herabgekommen waren, wo der Sand von der vorigen Flut noch feucht war, an die Stelle, wo man das Brett aus der Schaluppe anwarf, blieben sie stehen, und das schöne junge Paar sah nach dem Schiff, dann sahen sie sich an und die Dame legte ihr Haupt auf die Schulter des Mannes, daß die Straußfedern um sein Gesicht spielten und seine stillen Tränen den Augen der Neugierigen verbargen. Der alte Herr stand nicht weit davon, wickelte sich, finster auf die See blickend, tief in seinen Mantel und sein Auge blinkte, man wußte nicht ob von einer Träne oder dem Widerschein der glänzenden Wellen. Jetzt kam die Schaluppe plätschernd ans Ufer; das Brett wurde ausgeworfen und ein donnernder Schuß vom Schiffe schreckte das Paar aus seiner Umarmung. Der alte Herr trat heran, bot dem jungen Mann die Hand, schüttelte sie kräftig und stieg dann schnell über das Brett, sein Diener folgte, nachdem auch er dem Jüngling herzlich die Hand geboten. Jetzt umarmten sich die jungen Leute noch einmal; er wandte sich zuerst los und führte die Dame nach dem Brett. »Auf immer!« flüsterte sie mit wehmütigem Lächeln, »Auf immer!« antwortete der junge Mann, indem er sie bebend, mit Tränen ansah. Noch einen Händedruck und sie wandte sich das Brett hinanzusteigen. Schon stand sie oben, der Oberbootsmann, ein breiter Engländer, wartete am Brett, streckte seine breite Hand aus um die schöne Dame zu empfangen, und hatte schon einige gutgemeinte Trostgründe in Bereitschaft. Da wandte sie von dem unendlichen Meer ihr dunkles Auge noch einmal zurück nach dem jungen Mann. Ihre hohe, herrliche Gestalt schwebte kühn auf dem schmalen Brett, ihr schlanker Hals war nach dem Land zurückgebogen, die schwankenden Federn des Hutes schienen hinüber zu grüßen. Er breitete die Arme aus, in seinen Zügen mischte sich die Seligkeit der Liebe, mit dem Schmerz der Trennung. Da schien sie ihrer selbst nicht mehr mächtig zu sein; sie sprang über das Brett und hinab auf das Land, und ehe der Bootsmann seine Hände vor Verwunderung zusammenschlagen konnte, hing sie schon an seinem Hals, an seinen Lippen. »Nein, ich kann nicht über das Meer«, rief sie, »ich will bleiben; ich will alles tun, was du willst, will diese Fesseln eines Glaubens von mir werfen, der mich hindert, meinem bessern Gefühl zu folgen; du bist mein Vaterland, meine Familie, mein alles; ich bleibe!«

»Josephe, meine Josephe!« rief der junge Mann, indem er sie mit stürmischem Entzücken an sein Herz drückte; »mein, mein auf immer? Ein Gott hat dein Herz gelenkt, o ich wäre untergegangen unter der Qual dieser Trennung!« Sie hielten sich noch umschlungen, als der alte Herr mit hastigen Schritten über Bord und das Brett herabstieg und zu der Gruppe trat: »Kinder«, sagte er, »einmal Abschied zu nehmen wäre genug gewesen; komm, Josephe, es hilft ja doch zu nichts, sie werden gleich zum drittenmal schießen.«

»Laßt sie mit Stückkugeln schießen, Don Pedro«, rief der junge Mann mit freudig verklärten Zügen, »sie bleibt hier, sie bleibt bei mir.«

»Was höre ich«, erwiderte jener sehr ernst; »ich will nicht hoffen, daß dies so ist, wie der Kavalier sagt; du wirst deinem Verwandten folgen, Josephe!«

»Nein!« rief sie mutig, »als ich dort oben auf dem Rand der Schaluppe stand und hinaussah auf die Fluten, die mich von ihm trennen sollten, da stand fest in mir, was ich zu tun habe; meine Mutter hat mir den Weg gezeigt; sie ist einst dem Mann ihres Herzens in die weite Welt gefolgt, hat Vater und Mutter verlassen aus Liebe; ich weiß, was auch ich zu tun habe; hier steht der, dem meine arme Mutter ihre letzten süßen Stunden, dem ich Leben, Ehre, alles verdanke und ich sollte ihn verlassen? grüßet die Gräber meiner Ahnen in Valencia, Don Pedro, und saget ihnen, daß es noch eine aus dem Stamm der Tortosi gibt, der die Liebe höher gilt als das Leben.«

Don Pedro wurde weich: »So folge deinem Herzen, vielleicht es ratet dir besser als ein alter Mann; ich weiß dich zum mindesten glücklich in den Armen dieses edlen Mannes und sein hoher Sinn bürgt mir dafür, daß ihm unsere Ehre nicht minder hoch als die seine gilt. Aber Don Fröbenio, was werden Sie zu Ihren stolzen Verwandten sagen, wenn Sie dieses Kind des Elends vorstellen? Gott! werden Sie auch den Mut haben, den Spott der Welt zu ertragen?«

»Fahret wohl, Don Pedro«, sagte der junge Mann mit mutigem Gesicht, indem er jenem die eine Hand zum Abschied bot und mit der andern die Geliebte umschlang; »seid getrost und verzaget nicht an mir. Ich werde sie der Welt zeigen und wenn man mich fragt, ›Wer war sie denn?‹ so werde ich nicht ohne freudigen Stolz antworten, es war: ›Die Bettlerin vom Pont des Arts.‹«


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