Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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7

»Unsere schöne Nachbarin!« rief der General freundlich, und eilte auf sie zu, ihr die Hand zu bieten; die jungen Männer folgten, und mittelst seiner trefflichen Lorgnette entdeckte Rantow zu seinem nicht geringen Vergnügen, daß es Anna sei, die hier so plötzlich, gleich einer Najade, aus dem Fluß auftauchte. Der General küßte sie auf die Stirne, und bot ihr dann den Arm, sie grüßte seinen Sohn kurz und freundlich, fragte flüchtig nach des Generals Schwester, und verweilte dann mit einem Ausdruck der Verwunderung auf ihrem Gast; »Du hier, Vetter Albert?« rief sie, indem sie ihm die Hand bot; »nun das muß ich gestehen, für so klug hätte ich dich nicht gehalten, deinen schönen Verstand in Ehren, daß du sogleich die angenehmste Gesellschaft in der ganzen Gegend auffinden würdest; welcher Zauberer hat dich denn hieher gebracht?«

»Mein Sohn«, sagte der General, »hatte das Glück, Ihren Vetter auf seiner kleinen Reise kennenzulernen, und fand ihn jenseits in Ihrem Forst –«

»Und lud mich ein, ihn hierher zu begleiten«, fuhr Rantow fort, »wo ich schon wieder wie gestern das Unglück hatte, zu streiten und immer heftiger zu widersprechen. Du lächelst, Anna? Aber es ist, als brächte es hier das Klima so mit sich; zu Hause bin ich der friedfertigste Kerl von der Welt, habe vielleicht in zwei Jahren nicht so viel disputiert, als hier in zwei Tagen, und wie käme ich vollends mit Herren, wie der Herr General oder mein Oncle, in Streit?«

»Ist es möglich?« fragte der General, »mit Herrn von Thierberg, mit Ihrem Vater, Ännchen, kommt er in Streit? Ich dachte doch, da Sie mit mir in politischen Ansichten so gar nicht übereinstimmen, Sie müßten von Ihres Oheims Grundsätzen eingenommen sein.«

»Nun, so ganz unmöglich ist eine dritte oder vierte Meinung doch nicht«, bemerkte der junge Willi lächelnd; »ich bin gewiß nicht von Ihrem politischen Glaubensbekenntnis, und glaube, daß sich mit der Welt jetzt etwas machen ließe, wenn ihr nicht fünfzehn Jahre früher mit Feuer und Schwert regiert und reformiert und die Menschen eingeschüchtert hättet; aber mit Herrn von Thierberg lebe ich deswegen doch in ewigem Kampf, und wir beide haben unsere gegenseitige Bekehrung längst aufgegeben.«

»Demagogen streiten gegen alle Welt«, erwiderte ihm Anna lächelnd und doch, wie es schien, ein wenig unmutig. »Sie sind ein Incurable in diesem Spital der Menschheit; haben Sie je gehört, daß ein solcher politischer Ritter von la Mancha, solch ein irrender Weltverbesserer, von Grund aus kuriert worden wäre?«

»Ich sehe, Sie wollen den Krieg auf mein Land spielen«, sagte Robert, »Sie wollen, wie immer, meine Ansichten zur Zielscheibe Ihres liebenswürdigen Witzes machen, und doch soll es Ihnen nicht gelingen, mich aus der Fassung zu bringen, heute wenigstens gewiß nicht. Sie kennen wohl die schönen Eigenschaften Ihrer Fräulein Cousine noch nicht ganz, Rantow? Nehmen Sie sich um Gottes willen in acht, ihr zu trauen!«

»Freund«, entgegnete Rantow, »in diesem Süddeutschland finde ich mich selbst nicht mehr; es ist alles ganz anders, man denkt, man spricht anders, als ich gewöhnt bin, und so mag ich mir selbst kein Urteil mehr zutrauen, am wenigsten über Anna.«

»General!« rief Anna, »Sie führen nachher hoffentlich meine Verteidigung gegen Ihren Herrn Sohn?«

»Nun merken Sie auf, Rantow!« sprach der junge Willi; »daß dieses Fräulein die Schönste im ganzen Neckartal, von Heidelberg bis Tübingen, ist, behaupten nicht nur alle reisenden Studenten, sondern auch sie selbst weiß es nur allzugut und hat sich ganz darnach eingerichtet; sie ist aber dabei so spröde wie Leandra im eben angeführten ›Don Quijote‹. Nach ihren politischen Ansichten, denn sie ist gewaltig politisch, ist sie ein Amphibion. Sie hält es bald mit dem Alten, bald mit der neuen Zeit. Sie ist gewaltig stolz, daß sie vierundsechzig Ahnen hat, auf ihrem Stammschloß lebt, und daß schon Anno 950 ein Thierberg einen Acker gekauft hat. Auf der andern Seite ist sie durch und durch Napoleonisch. Sie hat den ersten Lügner seiner Zeit, den ›Moniteur‹, öfter gelesen, als die Bibel, trägt ein Stückchen Zeug, das Montholon meinem Vater schickte, und das angeblich von Napoleons letztem Lager stammt, in einem Ring, singt nichts als kaiserliche Lieder von Béranger und Delavigne, und kurz – sie liebt eben jenen Mann mit Enthusiasmus, der den Glanz ihrer vierundsechzig Ahnen in den Staub geworfen hat.«

»Sind Sie nun zu Ende?« fragte Anna, ruhig lächelnd, indem sie ihren Ring an die Lippen zog. »Weißt du aber auch, Vetter, daß er den ärgsten Anklagepunkt, das schwärzeste Verbrechen in seinen Augen, aus Edelmut verschwiegen hat? Nämlich das, daß ich kein sogenanntes deutsches Mädchen bin, daß ich nicht jetzt schon in meinem Kämmerlein mich im Spinnen übe, wie es einer deutschen Maid frommt, und keine Lorbeerkränze für die Stirne der künftigen Sieger flechte. Weißt du denn auch, wer dieser Herr ist? Das ist ein Glied eines ungeheuren, unsichtbaren Bundes, der nächstens das Oberste zuunterst kehren wird; nun, bei euch soll es ja noch mehrere solcher Staatsmänner geben. Aber, Herr von Willi, wie ist mir doch, ist es denn wahr, was man mir letzthin erzählte, daß unter euren geheimen Gesetzen eine ausdrücklich gegen junge Damen von Adel gerichtet sei und also laute: ›Wenn ein biderber deutscher Ritter um eine Jungfrau freit, die ehemals der adeligen Kaste angehörte, und solche aus törichtem Hochmut ihre Hand versagt, soll ihr Name öffentlich bekanntgemacht, und sie selbst für wahnsinnig erklärt werden.‹«

Das Pathos, womit Anna diese Worte vorbrachte, war so komisch, daß der General und Rantow unwillkürlich in Lachen ausbrachen; der junge Willi aber errötete, und unmutig entgegnete er: »Wie mögen Sie sich nur immer über Dinge lustig machen, die Ihnen so ferne liegen, daß Sie auch nicht das geringste davon fühlen können. Ich gebe zu, daß es Ihnen in Ihrem Stand, in Ihren Verhältnissen recht angenehm und behaglich scheinen mag, weil Sie freiere Formen und natürlichere Sitten nicht kennen, keine Ahnung davon haben. Warum aber mit Spott Gefühle verfolgen, die wenigstens in Männerbrust mächtig und erhaben wirken, und zu allem Schönen und Guten begeistern?«

»Wie ungezogen!« erwiderte Anna. »Sie haben mit Spott begonnen, und meine Ahnen und den Kaiser der Franzosen schlecht behandelt, und nehmen es nun empfindlich auf, wenn man über die Herren Demagogen und ihre Träume scherzt! Wahrlich, wenn nicht Ihr Vater ein so braver Mann und mein getreuester Anhänger wäre, Sie sollten es entgelten müssen. Doch zur Strafe will ich Sie über das Gedicht examinieren, das Sie mir für meinen Vater versprochen haben.« Sie nahm bei diesen Worten Roberts Arm und ging mit ihm den Baumgang hin, und Albert Rantow hätte in diesem Augenblick viel darum gegeben, an der Stelle des jungen Willi neben ihr gehen zu dürfen, denn nie hatte ihm ihr Auge so schön, ihre Stimme so klangvoll und rührend gedeucht, als in diesem Augenblick.

»Sie ist ein sonderbares, aber treffliches Kind«, sagte der General, indem er ihr lächelnd nachblickte. »Wenn sie ihm doch alle seine Schwärmereien aus dem Kopfe reden könnte! Aber so wird er nie glücklich werden; denken Sie, Rantow! er hat oft Stunden, wo es ihm lächerlich, ja töricht erscheint, daß er in meinem bequemen Schloß wohnt, und Nachbar Görge und Michel, die doch auch ›deutsche Männer‹ sind, nur mit einer schlechten Hütte sich begnügen müssen. Das ist eine sonderbare Jugend, das nennen sie jetzt Freiheitssinn! Und doch ist er sonst ein so wackerer und vernünftiger Junge.«

»Ein liebenswürdiger, trefflicher Mensch«, bemerkte Albert, indem er oft unruhige Blicke nach jenen Bäumen streifen ließ, unter welchen Willi und Anna wandelten; »ich darf Ihnen sagen, daß ich über seine Gewandtheit, über die feinen gesellschaftlichen Formen staunte, die er so unbefangen entwickelt, er muß viel und lange in guten Zirkeln gelebt haben; und dennoch so sonderbare, spießbürgerliche Pläne!«

»Er war in London, Paris und Rom«, sagte der General gleichgültig, »und er lebte dort unter meinen Freunden. Ich glaube, Lafayette und Foy haben mir ihn verzogen.«

»Wie! Lafayette, Foy, hat er diese gesehen?« fragte Rantow staunend.

»Er war täglich in der Umgebung beider Männer, und sie fanden an dem Jungen mehr, als ich erwarten konnte. Da hörte er nun die Amerikaner und die Herren von der linken Seite; und weil er manche der exaltiertesten Schreier als meine alten Freunde kannte, glaubte er in seinem jugendlichen Eifer, es müsse alles wahr sein, was sie schwatzen, und fand sich am Ende geschickt, selbst mit zu reformieren. Da ist er nun mit allen unruhigen Köpfen in diesem ruhigen Deutschland bekannt. Keine Woche vergeht, ohne daß sie einen jener ›deutschen Radikalreformer‹, mit langen Haaren, Stutzbärtchen, Beilstöcken und sonderbaren Röcken in meinen Hof bringt; sie nennen ihn Bruder, und sind so wunderliche Leute, daß sie alle Briefe an meinen Robert mit einem ›deutschen Gruß zuvor‹ anfangen.«

»Ich kenne diese Leute!« bemerkte Albert mit wegwerfender Miene; »sie zeigen sich auch bei uns zu Hause. Aber wie kann nur ein Mann von so glänzenden Anlagen für ein anständigeres Leben und für die gute Gesellschaft, wie Robert, mit so gemeinen Menschen umgehen, die im Bier ihr höchstes Glück finden, rauchend durch die Straßen gehen, in gemeinen Schenken umherliegen, und alles Noble, Feine geringachten?«

»Gemein, lieber Herr von Rantow, habe ich sie noch nie gefunden«, erwiderte der General lächelnd, »was ich unter ›gemein‹ verstehe; daß sie rauchen, macht sie höchstens für einen Nichtraucher unangenehm, daß sie Bier trinken, geschieht wohl aus Armut, denn meinen Wein haben sie nicht verachtet, und von der bonne société denken sie gerade wie ich; sie langweilen sich dort, und finden das Steife gezwungen und das Gezierte lächerlich. Sonst fand ich sie unterrichtet, vernünftig, und nur in ihrer Kleidung und ihren Träumereien dachte ich mit Anna an Don Quijote, und fand es komisch, daß sie sich berufen glauben, die Welt zu erlösen von allem Übel.«

Der junge Mann verbeugte sich stillschweigend gegen den General, als wolle er ihm dadurch seinen Beifall zu erkennen geben; bei sich selbst aber dachte er: Ich lasse mich aufknüpfen, wenn er nicht selbst raucht, und lieber Stettiner und Josty als Franzwein trinkt; doch einem alten Soldaten kann man es verzeihen, wenn er roh und unhöflich ist. Er sah sich zugleich wieder nach Anna um; das Gespräch schien von beiden Seiten mit großem Interesse geführt zu werden, die Gegenwart des Generals verhinderte ihn, von seiner Lorgnette Gebrauch zu machen, und doch war sie ihm nie so nötig gewesen, als in diesem Augenblick, denn er glaubte gesehen zu haben, wie der junge Willi Annas Hand ergriff, und – an seine Lippen führte. Der General mochte die Unruhe und Zerstreuung des jungen Mannes bemerken; er ging mit Rantow dem Baumgang zu, und als Anna sie herankommen sah, ging sie ihnen mit Willi entgegen. Des Generals Schwester, eine würdige Dame, welcher Annas Besuch galt, kam in diesem Augenblick herzu, und da in ihrer Gegenwart nichts Politisches, das zum Streit führen konnte, abgehandelt werden durfte, so zog es die Gesellschaft vor, ihrer Einladung zu folgen, und unter der Halle des Schlosses den Wein des Generals und die schönen Früchte seiner Gärten zu kosten. Man beschloß, daß der General und sein Sohn morgen den Besuch auf Thierberg erwidern sollten, und so schieden die beiden Willi, als ihre Gäste in den Kahn stiegen, mit Ehrfurcht von Anna, mit der Herzlichkeit alter Freunde von Rantow.


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