Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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25

In den nächsten Tagen beschäftigte mich der Gedanke, welchem Stand das Mädchen wohl angehören könnte. Je lebhafter ich mir ihre gebildete Sprache, ihren zarten Sinn zurückrief, desto höher steigerte ich sie in meinen Gedanken. Darüber wenigstens mußte sie mir Gewißheit geben, nahm ich mir vor, und beschloß mich nicht wieder so abspeisen zu lassen, wie mit dem Schleier. Der Sonntag kam; du wirst dich noch jenes Nachmittags erinnern Faldner, wo wir mit den Freunden in Montmorency im Garten des großen Dichters saßen. Ihr wolltet spät in der Nacht zu Hause fahren, und ich trieb immer zu einer frühen Rückfahrt, und als ihr dennoch bliebet, da machte ich mich trotz eures Scheltens davon. Freilich glaubtest du damals nicht, was ich vorgab, ich könne die Nachtluft nicht vertragen, aber daß ich zu einem Rendezvous mit der Bettlerin vom Pont des Arts eile, konntest du auch nicht denken? Sie war diesmal die erste auf dem Platz, und weil sie mir die Tücher zu bringen hatte, war sie schon bange geworden, ich könnte sie verfehlt haben, und glauben, sie werde nicht Wort halten. Mit beinahe kindischer Freude, und wie es mir schien, noch größerem Zutrauen als früher, plauderte sie, indem sie mir beim Schein einer Straßenlaterne die Tücher zeigte.

Sie schien es gerne zu hören, daß ich ihre feine Arbeit lobte. ›Sehen Sie, auch Ihren Namen habe ich hereingezeichnet‹, sagte sie, indem sie das zierliche E. v. F. in der Ecke vorwies. Dann wollte sie mir eine Menge Silbergeld als Überschuß zurückgeben, und nur meine bestimmte Erklärung, daß sie mich dadurch beleidige, konnte sie bewegen es als Arbeitslohn anzunehmen.

Ich bestellte aufs neue wieder Arbeit, weil ich sah, daß dem zarten Sinn des Mädchens ein solcher Weg meiner Gaben mehr zusagte, und diesmal waren es Jabots und Manschetten, die ich bestellte. Ihre Mutter war nicht kränker geworden, konnte aber das Bett noch nicht verlassen; doch schon dieser Mittelzustand erschien ihr tröstlich. Als die Mutter abgehandelt war, wagte ich es, sie geradehin zu fragen, wie denn eigentlich ihre Verhältnisse seien.

Die Geschichte, die sie mir in wenigen Worten preisgab, ist in Frankreich so alltäglich, daß sie beinahe jedem Armen zum Aushängeschild dienen muß. Ihr Vater war Offizier in der großen Armee gewesen, war nach der ersten Restauration der Bourbons auf halben Sold gesetzt worden, hatte nachher während der hundert Tage wieder Partei ergriffen, und war bei Mont St. Jean mit den Garden gefallen. Er mochte ziemlich unvorsichtig gehandelt haben, denn seine Witwe verlor die Pension, und lebte von da an ärmlich und elend. In den zwei letzten Jahren fristeten sie ihr Leben meist vom Verkauf ihrer geringen Habe, und waren jetzt eben an jenen äußersten Grad des Elends gekommen, wo dem Armen nichts übrigbleibt, als aus der Welt zu gehen.

Ich fragte das Mädchen, ob sie nicht ihr Verhältnis hätte bessern können, wenn sie etwa ihre Mutter auf andere Weise zu unterstützen gesucht hätte.

›Sie meinen, wenn ich einen Dienst genommen hätte?‹ erwiderte sie ohne alle Empfindlichkeit; ›sehen Sie, das war nicht möglich. Vor der Krankheit der Mutter war ich viel zu jung, kaum vierzehn Jahre vorüber, und dann wurde sie auf einmal so elend, daß sie das Bett nicht verlassen konnte; da brauchte sie also immer jemand um sich, und konnte ich denn ihre Pflege einer Fremden überlassen? ja wenn sie gesund geblieben wäre, da hätte ich mit Freuden alle unsere früheren Verhältnisse verleugnet, wäre etwa in einen Putzladen gegangen oder als Gouvernante in ein anständiges Haus, denn ich habe manches gelernt, mein Herr! aber so ging es ja nicht!‹

Auch diesmal bat ich vergeblich den Schleier zu lüften. Die Andeutungen, die sie über ihr Alter gegeben, reizten mich, ich gestehe es, nur noch mehr, das Gesicht dieses Mädchens zu sehen, die wenig über sechzehn Jahre haben konnte; aber sie bat mich so dringend davon abzulassen, ihre Mutter habe ihr so triftige Gründe angegeben, daß es nimmer geschehen könne.

Wir trafen uns von da an alle drei Tage. Ich hatte immer einige kleine Arbeiten für sie, und pünktlich war sie damit fertig. Je fester ich in dem Betragen blieb, das ich einmal gegen sie angenommen, je strenger ich mich immer in den Grenzen des Anstandes hielt, desto zutraulicher und offener wurde das gute Mädchen. Sie gestand mir sogar, daß sie zu Hause die drei Tage über immer an den nächsten Abend denke; und ging es mir denn anders? Tag und Nacht beschäftigte ich mich mit diesem sonderbaren Wesen, das mir durch seinen gebildeten Geist, durch sein liebenswürdiges Zartgefühl, durch sein eigentümliches Verhältnis zu mir, immer interessanter wurde.

Der Frühling war indessen völlig heraufgekommen, und die Zeit war da, die ich mit Faldner schon längst zu einer Reise nach England festgesetzt hatte. Mancher hält es vielleicht für töricht, was ich ausspreche, aber wahr ist es, daß ich an diese Reise nur mit Widerwillen dachte; Paris an sich hatte nichts Interessantes mehr für mich; aber jenes Mädchen hatte alle meine Sinne so gefangen genommen, daß ich einer längeren Trennung nur mit Wehmut entgegensah. Ausweichen konnte ich nicht, ohne mich lächerlich zu machen, denn es war sonst kein bündiger Grund vorhanden, die Reise aufzuschieben; ich schämte mich sogar vor mir selbst, und stellte mir die ganze Torheit meines Treibens vor; ich beschloß die Abreise, aber gewiß hat sich wohl keiner je so wenig auf England gefreut als ich.


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