Wilhelm Hauff
Novellen
Wilhelm Hauff

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13

Sie lud ihn ein, sich zu ihr zum Frühstück zu setzen. Sie erzählte ihm, daß Faldner schon mit Tagesanbruch weggeritten sei und ihr seine Entschuldigung aufgetragen habe; sie beschrieb die mancherlei Geschäfte, die er heute vornehme und die ihn bis zum Mittag zurückhalten werden; »Er hat ein Leben voll Sorgen und Mühen«, sagte sie, »aber ich glaube, daß diese Geschäftigkeit ihm zum Bedürfnis geworden ist.«

»Und ist dies nur in diesen Tagen so?« fragte Fröben; »ist jetzt gerade besonders viel zu tun auf den Gütern?«

»Das nicht«, erwiderte sie, »es geht alles seinen gewöhnlichen Gang, er ist so seit ich ihn kenne. Er ist rastlos in seinen Arbeiten. Diesen Frühling und Sommer verging kein Tag, an welchem er nicht auf dem Gut beschäftigt gewesen wäre.«

»Da werden Sie sich doch oft recht einsam fühlen«, sagte der junge Mann, »so ganz allein auf dem Lande und Faldner den ganzen Tag entfernt.«

»Einsam?« erwiderte sie mit zitterndem Ton und beugte sich nach einem Tischchen an der Seite; und Fröben sah im Spiegel, wie ihre Lippen schmerzlich zuckten, »einsam? nein; besucht ja doch die Erinnerung die Einsamen und –« setzte sie hinzu, indem sie zu lächeln suchte, »glauben Sie denn, die Hausfrau habe in einer so großen Wirtschaft nicht auch recht viel zu tun und zu sorgen? Da ist man nicht einsam oder – man darf es nicht sein.«

Man darf es nicht sein? Du Arme! dachte Fröben, verbietet dir dein Herz die Träume der Erinnerung, die dich in der Einsamkeit besuchen, oder verbietet dir der harte Freund, einsam zu sein? Es lag etwas im Ton, womit sie jene Worte sagte, das ihrem Lächeln zu widersprechen schien.

»Und doch«, fuhr er fort, um seinen Empfindungen und ihren Worten eine andere Richtung zu geben, »und doch scheinen gerade die Frauen von der Natur ausdrücklich zur Stille und Einsamkeit bestimmt zu sein; wenigstens war bei jenen Völkern, die im allgemeinen die herrlichsten Männer aufzuweisen hatten, die Frau am meisten auf ihr Frauengemach beschränkt, so bei Römern und Griechen, so selbst in unserem Mittelalter.«

»Daß Sie diese Beispiele anführen könnten, hätte ich nicht gedacht«, entgegnete Josephe, indem ihr Auge wie prüfend auf seinen Zügen verweilte. »Glauben Sie mir, Fröben, jede Frau, auch die geringste, merkt dem Mann, ehe sie noch über seine Verhältnisse unterrichtet ist, recht bald an, ob er viel im Kreise der Frauen lebte oder nicht. Und unbestreitbar liegt in solchen Kreisen etwas, das jenen feinen Takt, jenes zarte Gefühl verleiht, immer im Gespräche auszuwählen, was gerade für Frauen taugt, was uns am meisten anspricht; ein Grad der Bildung, der eigentlich keinem Mann fehlen sollte. Sie werden mir dies um so weniger bestreiten«, setzte sie hinzu, »als Sie offenbar einen Teil Ihrer Bildung meinem Geschlecht verdanken.«

»Es liegt etwas Wahres darin«, bemerkte der junge Mann, »und namentlich das letztere will ich zugeben, daß Frauen, weniger auf meine Denkungsart, als auf die Art, das Gedachte auszudrücken, Einfluß hatten. Meine Verhältnisse nötigten mich in der letzten Zeit viel in der großen Welt, namentlich in Damenzirkeln zu leben. Aber eben in diesen Zirkeln wird mir erst recht klar, wie wenig eigentlich die Frauen, oder um mich anders auszudrücken, wie wenige Frauen in dieses großartige Leben und Treiben passen.«

»Und warum?«

»Ich will es sagen, auch auf die Gefahr hin, daß Sie mir böse werden. Es ist ein schöner Zug der neueren Zeit, daß man in den größeren Zirkeln eingesehen hat, daß das Spiel eigentlich nur eine Schulkrankheit, oder ein modischer Deckmantel für Geistesarmut sei. Man hat daher Whist, Boston, Pharo und dergleichen den älteren Herren und einigen Damen überlassen, die nun einmal die Konversation nicht machen können. In Frankreich freilich spielen in Gesellschaft Herren von zwanzig bis dreißig Jahren; es sind aber nur die armseligen Wichte, die sich nach einem englischen Dandy gebildet haben oder die selbst fühlen, daß ihnen der Witz abgeht, den sie im Gespräch notwendig haben müßten. Seitdem man nun, seien die Zirkel groß oder klein, die sogenannte Konversation macht, das heißt, sich um das Kamin oder in Deutschland um den Sofa pflanzt, Tee dazu trinkt und ungemein geistreiche Gespräche führt, sind die Frauen offenbar aus ihrem rechten Geleise gekommen.«

»Bitte, Sie sind doch gar zu strenge, wie sollten denn –«

»Lassen Sie mich ausreden«, fuhr Fröben eifrig fort, indem er, ohne es zu wissen, die Hand der schönen Frau in seine Hände nahm. »Eine Dame der sogenannten guten Gesellschaft empfängt jede Woche Abendbesuche bei sich; sechsmal in der Woche gibt sie solche heim. In solchen Gesellschaften tanzt höchstens das junge Volk einigemal, außer es wäre auf großen Bällen, die schon seltener vorkommen. Der übrige Kreis, Herren und Damen, unterhält sich. Es gibt nun ungemein gebildete, wirklich geistreiche Männer, die im Männerkreise stumm und langweilig, vor Damen ungemein witzig und sprachselig sind, und einen Reichtum sozialer Bildung, allgemeiner Kenntnisse entfalten, die jeden staunen machen. Es ist nicht Eitelkeit, was diese Männer glänzend oder beredt macht, es ist das Gefühl, daß das Interessantere ihres Wissens sich mehr für Frauen als für Männer eignet, die mehr systematisch sind, die ihre Forderungen höher spannen.«

»Gut, ich kann mir solche Männer denken, aber weiter.«

»Durch solche Männer bekommt das Gespräch Gestaltung, Hintergrund, Leben; Frauen, besonders geistreiche Frauen, werden sich unter sich bei weitem nicht so lebendig unterhalten, als dies geschieht, wenn auch nur ein Mann gleichsam als Zeuge oder Schiedsrichter dabeisitzt. Indem nun durch solche Männer allerlei Witziges, Interessantes auf die Bahn gebracht wird, werden die Frauen unnatürlich gesteigert. Um doch ein Wort mitzusprechen, um als geistreich gebildet zu erscheinen, müssen sie alles aufbieten, gleichsam alle Hahnen ihres Geistes aufdrehen, um ihren reichlichen Anteil zu der allgemeinen Gesprächflut zu geben, in welcher sich die Gesellschaft badet. Doch, verzeihen Sie, dieser Fonds ist gewöhnlich bald erschöpft; denken Sie sich, einen ganzen Winter sieben Abende geistreich sein zu müssen, welche Qual!«

»Aber nein, Sie machen es auch zu arg, Sie übertreiben –«

»Gewiß nicht; ich sage nur was ich gesehen, selbst erlebt habe. Seit in neuerer Zeit solche Konversation zur Mode geworden ist, werden die Mädchen ganz anders erzogen als früher; die armen Geschöpfe! was müssen sie jetzt nicht alles lernen vom zehnten bis ins fünfzehnte Jahr. Geschichte, Geographie, Botanik, Physik, ja sogenannte höhere Zeichenkunst und Malerei, Ästhetik, Literaturgeschichte, von Gesang, Musik und Tanzen gar nichts zu erwähnen. Diese Fächer lernt der Mann gewöhnlich erst nach seinem achtzehnten, zwanzigsten Jahre recht verstehen; er lernt sie nach und nach, also gründlicher; er lernt manches durch sich selbst, weiß es also auch besser anzuwenden, und tritt er im dreiundzwanzigsten oder später noch in diese Kreise, so trägt er, wenn er nur halbwegs einige Lebensklugheit und Gewandtheit hat, eine große Sicherheit in sich selbst. Aber das Mädchen? ich bitte Sie! wenn ein solches Unglückskind im fünfzehnten Jahr, vollgepfropft mit den verschiedenartigsten Kenntnissen und Kunststücken in die große Welt tritt, wie wunderlich muß ihm da alles zuerst erscheinen! Sie wird, obgleich ihr oft ihr einsames Zimmer lieber wäre, ohne Gnade in alle Zirkel mitgeschleppt, muß glänzen, muß plappern, muß die Kenntnisse auskramen und – wie bald wird sie damit zu Rande sein! Sie lächeln? hören Sie weiter. Sie hat jetzt keine Zeit mehr ihre Schulkenntnisse zu erweitern; es werden bald noch höhere Ansprüche an sie gemacht. Sie muß so gut wie die Älteren über Kunstgegenstände, über Literatur mitsprechen können. Sie sammelt also den Tag über alle möglichen Kunstausdrücke, liest Journale um ein Urteil über das neueste Buch zu bekommen, und jeder Abend ist eigentlich ein Examen, eine Schulprüfung für sie, wo sie das auf geschickte Art anbringen muß, was sie gelernt hat. Daß einem Mann von wahrer Bildung, von wahren Kenntnissen, vor solchem Geplauder, vor solcher Halbbildung graut, können Sie sich denken; er wird diese Unsitte zuerst lächerlich, nachher gefährlich finden, er wird diese Überbildung verfluchen, welche die Frauen aus ihrem stillen Kreise herausreißt und sie zu Halbmännern macht, während die Männer Halbweiber werden, indem sie sich gewöhnen, alles nach Frauenart zu besprechen und zu beklatschen; er wird für edlere Frauen jene häusliche Stille zurückwünschen, jene Einsamkeit, wo sie zu Hause sind und auf jeden Fall herrlicher brillieren als in einem jener geistreichen Zirkel!«

»Es liegt etwas Wahres in dem, was Sie hier sagten«, erwiderte Frau von Faldner; »ganz kann ich nicht darüber urteilen, weil ich nie das Glück, oder das Unglück hatte in jenen Zirkeln zu leben. Aber mir scheint auch dort, wie überall, das minder Gute nur aus der Übertreibung hervorzugehen. Es ist wahr, was Sie sagen, daß uns Frauen ein engerer Kreis angewiesen ist, jene Häuslichkeit, die einmal unser Beruf ist. Wir werden ohne wahren Halt sein, wir werden uns in ein unsicheres Feld begeben, wenn wir diesen Kreis gänzlich verlassen. Aber wollen Sie uns die Freude einer geistreichen Unterhaltung mit Männern gänzlich rauben? Es ist wahr, solche sieben Abende in der Woche müssen zum Unnatürlichen, zu Überbildung oder zur Erschöpfung führen; aber ließe sich denn hier nicht ein Mittelweg denken?«

»Ich habe mich vielleicht zu stark ausgedrückt, ich wollte –«

»Lassen Sie auch mich ausreden«, sagte sie, ihn sanft zurückdrängend; »Sie sagten selbst, daß Frauen unter sich seltener ein sogenanntes geistreiches Gespräch lange fortführen. Ich weiß nur allzuwohl, wie peinlich in einer Frauengesellschaft eine sogenannte geistreiche Dame ist, welcher alles frivol erscheint, was nicht allgemein, nicht interessant ist. Wir fühlen uns beengt, ängstlich, und wollen am Ende mit unserem bißchen Wissen lieber vor einem Mann erröten als vor einer Frau. Gewöhnlich wird, wenn nur Frauen zusammen sind oder Mädchen, die Wirtschaft, das Hauswesen, die Nachbarschaft, vielleicht auch Neuigkeiten oder gar Moden abgehandelt; aber sollen wir denn ganz auf diesen Kreis beschränkt sein? Soll denn, was allgemein interessant und bildend ist, uns ganz fremd bleiben?«

»Gott! Sie verkennen mich, wollte ich denn dies sagen?«

»Es ist wahr«, fuhr sie eifriger fort, »es ist wahr, die Männer besitzen jene tiefe, geregeltere Bildung, jene geordnete Klarheit, die jede Halbbildung oder gar den Schein von Wissen ausschließt oder geringachtet. Aber wie gerne lauschen wir Frauen auf ein Gespräch der Männer, das an Gegenstände grenzt, die uns nicht so ganz ferne liegen. Zum Beispiel über ein interessantes Buch, das wir gelesen, über Bilder, die wir gesehen. Wir lernen gewiß recht viel, wenn wir dabei zuhören oder gar mitsprechen dürfen; unser Urteil, das wir im stillen machten, bildet sich aus und wird richtiger, und jeder gebildeten Frau muß eine solche Unterhaltung angenehm sein. Auch glaube ich kaum, daß die Männer uns dies verargen werden, wenn wir nur«, setzte sie lächelnd hinzu, »nicht selbst glänzen, den bescheidenen Kreis nicht verlassen wollen, der uns einmal angewiesen ist.«


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