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Kapitel VIII.
Wieder auf der Prärie

Auf Anraten von Dell kaufte ich vor der Abreise aus Chicago einige Bücher für die Winterabende, darunter Mills Nationalökonomie, Carlyles »Helden und Heldenverehrung« und spätere Schriften, Gedichte von Hay und einige medizinische Bücher, um sie auf die Farm mitzunehmen. Wir hatten sechs Wochen lang schönes Wetter, und während dieser Zeit ritt ich unter Reeces Aufsicht Pferde zu und entdeckte bald, daß man mit Güte, Mohrrüben und Zuckerstückchen den direkten Weg zum Herzen des Pferdes finden kann. Ich bemerkte auch, daß Trotz und schlechte Laune bei einem Pferd sich fast immer auf Furcht zurückführen lassen. Eine Bemerkung Dells, daß das Pferdeauge alles vergrößere und daß den armen, scheuen Kreaturen die Menschen wie wandelnde Bäume erschienen, vermittelte mir das Verständnis, und bald erfüllte mich eine Äußerung Dells, daß ich mit Pferden ebensogut umgehen könnte wie irgendein anderer auf der Farm mit Ausnahme von Bob, mit großem Stolz.

Als der Winter näher kam und der bittere Frost hereinbrach, hörte die Arbeit im Freien fast vollkommen auf. Ich las von morgens bis abends und verschlang nicht nur Mill, sondern sah auch durch die ganze Täuschung seiner Lohntheorie hindurch. Ich wußte aus eigener Erfahrung, daß die Arbeitslöhne primär von der Produktivität der Arbeit abhängen. Ich hatte Mill wegen seiner humanitären Sympathie für die Armen gern, aber ich war mir dessen bewußt, daß er einen zweitklassigen Intellekt besaß, ebenso wie ich es mit Sicherheit fühlte, daß Carlyle zu den Unsterblichen gehörte. Ich nahm Carlyle in kleinen Dosen in mich auf, denn ich wollte selbständig denken. Nach den ersten Seiten versuchte ich, Kapitel für Kapitel niederzuschreiben, was ich selbst über das behandelte Thema wußte oder dachte, und noch heute halte ich es für das beste Mittel, um sich darüber klar zu werden, was der Autor einen gelehrt hat.

Carlyle war der erste, der mein Leben entscheidend beeinflußte. Ich lernte von ihm mehr als von irgendeinem andern Schriftsteller. Zwei oder drei seiner Bücher kannte ich bald auswendig. Ich merkte dabei, daß Dells Kenntnisse oberflächlich und lückenhaft waren, und ich wurde bald zum Orakel auf unserer Farm. Auch die medizinischen Bücher stellten sich als hervorragend heraus und vermittelten mir die neuesten Kenntnisse in allen sexuellen Vorgängen. Mit Freude stellte ich mein Wissen den anderen zur Verfügung nicht ohne Sucht, mich herauszustreichen.

Im Herbst ging es mir schlecht. Ich bekam anfangs Oktober Wechselfieber. Ich fühlte mich furchtbar elend, und obwohl Reece mich aufmunterte, trotzdem zu reiten und den ganzen Tag im Freien zu verbringen, magerte ich ab, bis ich darauf kam, daß Arsen sogar ein noch besseres Mittel als Chinin ist. Von da an fühlte ich mich besser, aber noch immer, solange ich in Amerika blieb, mußte ich jeden Herbst und Sommer Chinin und Arsen nehmen, um mich vor diesen Schwächeanfällen zu schützen.

Ich war noch sehr schwach, als wir uns auf den Weg durch die Prärie machten. Der Chef war entschlossen, zwei Herden in diesem Sommer durchzubringen. Anfangs Mai fuhr er nördlich von St. Anton mit ungefähr fünftausend Stück Rindvieh ab und ließ Reece, Dell, Bob, Peggy den Koch, Bent, Charlie und mich selbst zurück, um eine zweite Herde einzusammeln. Ich habe den Chef nie wiedergesehen. Aus Reeces Flüchen entnahm ich jedoch, daß er das Rindvieh zu einem guten Preise verkauft und sich mit dem Ertrage aus dem Staube gemacht hatte, obwohl er Reece und Dell mehr als die Hälfte schuldete.

Charlies Liebesabenteuer, das so schlecht für ihn ausgegangen war, beruhigte ihn nicht für lange. Auf unserer Suche nach billigem Vieh waren wir fast bis zum Rio Grande heruntergeritten, und in einer kleinen, halb mexikanischen Stadt erreichte Charlie sein Schicksal.

Ich ging mit ihm in die Schenke hinein, nachdem er mir versprochen hatte, er würde nur ein Glas trinken, und obwohl das Glas mit dem stärksten Whisky gefüllt war, wußte ich, daß es nur eine vorübergehende Wirkung auf Charlies kräftige Konstitution ausüben konnte. Es regte ihn jedoch so weit an, daß er nach den Mädchen rief und sie zum Mittrinken aufforderte; sie strömten lachend in die Bar hinein, und nur eine blieb zurück. Natürlich ging Charlie hin, um sie zu holen, und fand ein sehr hübsches, blondes Mädel vor, das jedoch etwas indianisches Blut haben sollte. Zuerst schlug sie Charlies Einladung aus, und so drehte er sich wütend um und sagte:

»Du willst nicht trinken, weil du dich wahrscheinlich kurierst oder weil du dort, wo Frauen sonst hübsch sind, häßlich bist.« Auf diese Herausforderung hin sprang das Mädel auf, riß sich das Kleid vom Leibe, und im nächsten Augenblicke stand sie nackt bis auf Schuhe und Strümpfe vor uns.

»Bin ich häßlich?« schrie sie und streckte sich, »oder sehe ich krank aus, du Dummkopf du?« und drehte sich im Kreise um.

Sie hatte eine entzückende Gestalt mit schönen, jugendlichen Brüsten, schweren Hüften und sah wie die Gesundheit selbst aus. Es erstaunte mich nicht, daß Charlie mit einem halbartikulierten Begeisterungsschrei sie auf die Arme nahm und sie aus dem Zimmer hinaustrug.

Als ich ihm später Vorwürfe machte, sagte er mir, er hätte ein sicheres Mittel, um festzustellen, ob ein Mädel krank sei oder nicht. Ich widersprach ihm, und er rückte bald mit seiner unfehlbaren Probe heraus. Sobald er allein mit einer Frau war, zog er je nachdem zehn oder zwanzig Dollar heraus und gab sie ihr. »Du wirst in keinem Falle mehr bekommen,« fügte er hinzu, »sag' mir jetzt, ob du krank bist, dann trinken wir noch zusammen, und ich gehe weg. Wenn sie krank ist, sagt sie es dann sicher«, lachte er triumphierend auf.

»Aber wenn sie es selbst nicht weiß, daß sie krank ist?« Aber er erwiderte: »Sie wissen es immer und sagen dann die Wahrheit.«

Eine Zeitlang sah es aus, als ob Charlie seine Schöne ohne üble Konsequenzen genossen hätte, aber ungefähr einen Monat später bemerkte er eine Verhärtung in der rechten Leistengegend, und bald darauf zeigte sich ein syphilitisches Geschwür. Wir waren bereits auf der Reise begriffen, aber ich mußte Charlie die ganze Wahrheit sagen.

»Es ist also ernst«, rief er erstaunt aus, und ich erwiderte: »Ich fürchte, ja, wenn man nicht frühzeitig eingreift und sich einer rigorosen Behandlung unterzieht.«

Charlie tat alles, was man ihm sagte, und prahlte später immer damit, daß die Gonorrhoe viel schlimmer und sicher schmerzhafter sei als die Syphilis. Aber die Krankheit rächte sich doch nach einiger Zeit.

Als es ihm dank der guten Luft, der regelmäßigen Bewegung und der Enthaltsamkeit vom Alkohol besser ging, wurde er sehr übermütig, und mir ging seine ganze Krankheit aus dem Sinn. Der Verrat des Chefs veränderte unsere Lage erheblich. Reece und Dell fuhren mit drei oder vier Mexikanern und Peggy fort, um langsam Vieh einzukaufen. Aber Bob und Bent hatten mir eine neue Idee in den Kopf gesetzt. Bent hatte immer gepredigt, daß der Chef Reece ruiniert hätte und daß ich Reeces Partner werden könnte, wenn ich fünftausend Dollar hineinstecken würde. Auf diese Weise könnte ich ein Vermögen machen. Bob war auch sehr dafür und sagte mir, er könnte Vieh von den Mexikanern fast umsonst bekommen. Ich sprach mit Reece, der mir mitteilte, er würde sich mit dem Einkauf von dreitausend Rindern begnügen, denn das Vieh war auf das Doppelte im Preise gestiegen, und der Schwindel des Chefs hatte ihn vollkommen gelähmt. Wenn ich das Gehalt für Bent, Charlie und Bob zahlen wollte, würde er glücklich sein, sich mit mir zu verbinden. Auf Bobs Rat ging ich darauf ein, und mit seiner Hilfe gelang es mir, dreitausend Rinder für etwas mehr als dreitausend Dollar aufzubringen, und zwar geschah es auf folgende Weise. Aus irgendeinem Grunde, vielleicht weil ich etwas Spanisch gelernt hatte, faßte Bob eine seltsame Vorliebe für mich und war immer bereit, mir zu helfen, wenn er nicht toll betrunken war. Er versicherte mir nun, daß, wenn ich mit ihm den Rio Grande hinuntergehen würde, hundert Meilen weit, er mir tausend Stück Rindvieh beinahe umsonst besorgen könnte. Ich willigte ein, denn auch Bent und Charlie waren auf Bobs Seite. Am nächsten Morgen machten wir uns vor Sonnenaufgang auf den Weg. Wir hatten uns mit Proviant für zwei bis drei Tage versorgt. Bob selbst kümmerte sich darum, aber meistens brachte er uns vor Nachteinbruch in irgendein Haus oder eine Unterkunft, wo wir Essen und eine Schlafgelegenheit bekamen. Seine Kenntnis der ganzen Grenze war ebenso unheimlich wie seine Kenntnis des Viehs.

Am vierten oder fünften Tage gegen neun Uhr morgens ließ er uns auf einer kleinen, bewaldeten Höhe, die auf ein Flußtal ging, rasten. Nach links zu breitete sich der Fluß fast zu einem flachen See aus, und man merkte ohne weiteres, daß da unten einige Furten sein müßten, durch die das Vieh, ohne naß zu werden, durchgebracht werden konnte.

Bob sprang in einem Baumwollgebüsch, das, wie er sagte, einen geschützten Lagerplatz bot, vom Pferde ab. Ich fragte ihn, wo das Vieh sei, und er erwiderte mir, es befände sich jenseits des Flusses. Zwei oder drei Meilen weiter lag eine berühmte Hazienda mit großen Herden. Sobald es dunkelte, wollte er hinübergehen, um alles auszukundschaften. Wir sollten trachten, nicht gesehen zu werden, und er hoffte, wir würden nicht einmal das Feuer anzuzünden brauchen, bis er zurückkäme.

Wir gingen gern darauf ein, und als wir uns schon müde geredet hatten, zog Bent ein altes Kartenspiel heraus, und wir spielten Poker, Whist und Casino, zwei oder drei Stunden lang. Die erste Nacht ging schnell genug vorbei. Wir waren vier oder fünf Tage zehn Stunden lang im Sattel gewesen und fielen in einen traumlosen Schlaf. Bob kam weder an diesem, noch am nächsten Tage zurück, und am dritten Tage begann Bent, auf ihn zu fluchen, aber ich fühlte mit Sicherheit, daß er gute Gründe für seine Verzögerung haben müßte, und wartete mit der ganzen Geduld, die ich aufbringen konnte. In der dritten Nacht stand er plötzlich unter uns, als ob er aus der Erde herausgewachsen wäre.

»Willkommen,« rief ich, »ist alles in Ordnung?«

»Jawohl –«, erwiderte er. »Ich konnte nicht früher kommen. Sie haben das Vieh vier Meilen vom Flusse weggetrieben. Es wurde Befehl gegeben, es sieben oder acht Meilen ins Land hineinzutreiben, damit es nicht unbemerkt weggebracht werden kann. Aber Don José ist sehr reich und sorgenfrei, und eine Herde von fünfzehnhundert Stück, die uns gerade passen würde, weidet in einem Präriekessel, nur von zwei Männern bewacht, die ich so betrunken machen werde, daß sie bis zum nächsten Morgen nichts hören. Einige Flaschen Aguardiente werden es schon besorgen, und ich hole euch morgen, gegen acht oder neun Uhr abends, ab.«

Es ging alles wie am Schnürchen. In der nächsten Nacht holte er uns ab, sobald es dunkel war. Wir ritten ungefähr zwei Meilen den Fluß herunter, bis zu der Furt, wateten durch das flache Wasser und kamen auf der mexikanischen Seite heraus. Im Gänsemarsch und in vollkommenem Schweigen folgten wir Bob einen Abhang empor, vielleicht zwanzig Minuten lang, dann hob er die Hand, und wir verlangsamten unsern Ritt. Dort, zwischen zwei Wellen der Prärie, lag das Vieh.

In wenigen Worten sagte Bob Bent und Charlie, was sie zu tun hätten. Bent sollte zurückbleiben und schießen, falls wir verfolgt würden, was zwar unwahrscheinlich, aber jedenfalls möglich war. Charlie und ich sollten das Vieh durch die Furt treiben, ruhig, solange es ging, aber so schnell wie möglich, falls wir verfolgt wurden.

In der ersten halben Stunde wickelte sich alles programmmäßig ab. Charlie und ich sammelten die Herde und trieben sie über die wellende Prärie bis zum Fluß hinunter. Es schien so leicht wie ein Kinderspiel, und wir begannen schon das Vieh schneller anzutreiben, als plötzlich vor uns ein Schuß fiel und ein Aufruhr entstand.

Charlie schoß nach links und ich nach rechts, und wir peitschten die Herde vorwärts, die bald wieder im Trott war, und die Schwierigkeit schien überwunden. Aber gerade in diesem Augenblicke sah ich zwei oder drei helle Flammen auf Charlies Seite eine halbe Meile entfernt aufzucken, plötzlich hörte ich das Sausen einer Kugel an meinem eigenen Kopfe, und als ich mich umdrehte, sah ich einen Mann, der ungefähr fünfzig Yards hinter mir ritt. Ich zielte sorgfältig nach seinem Pferd, schoß ab und merkte zu meiner Freude, wie Pferd und Reiter fielen und verschwanden. Ich kümmerte mich weiter nicht darum und trieb das Vieh nur immer rascher an. Aber Charlie war noch immer beschäftigt, weil hinter ihm dauernd geschossen wurde, bis sich später Bent und Bob zu ihm schlugen. Wir trieben jetzt alle das Vieh, so schnell wir konnten, auf die Furt zu. Die Schüsse hinter uns dauerten an, aber wir wurden nicht weiter belästigt, bis wir dreiviertel Stunden später den Rio Grande erreichten und das Vieh durchzuzwängen begannen. Hier ging es natürlich langsamer vor sich. Wir wären gar nicht hinübergekommen, wenn Bob nicht plötzlich zwischen uns aufgetaucht wäre, um mit Peitsche und seiner furchterregenden Stimme das nachbleibende Vieh vorwärts zu treiben.

Als wir es auf die andere Seite hinübergebracht hatten, begann ich, es westwärts nach unserem Gehölz zu treiben, aber im nächsten Augenblick war schon Bob an meiner Seite und schrie: »Geradeaus, geradeaus, sie folgen uns, und wir werden kämpfen müssen. Sie treiben die Herde immer geradeaus nach Norden zu, und ich bleibe mit Charlie am Ufer, um sie zurückzuhalten.«

Meinem Knabenherzen mißfiel das, und ich wäre lieber dageblieben. Aber er sagte: »Gehen Sie nur. Wenn Charlie getötet wird, schadet's nichts, Sie brauche ich!« und mir blieb nichts anderes übrig, als zu tun, was mir der kleine Teufel befahl. Wenn das Texasvieh gesammelt ist, kann die größte Herde wie eine kleine Schar vorwärts getrieben werden. Es hat seinen Führer, dem es lammfromm folgt, und so kann ein Mann tausend Stück Rinder ohne viel Schwierigkeit treiben. Zwei oder drei Meilen lang hielt ich sie im Trott, und dann ließ ich sie langsamer gehen. Ich wollte nicht mehr einbüßen. Es waren mir schon einige fette Kühe, die zu schnell getrieben wurden, krepiert.

Gegen zwei Uhr morgens ritt ich an einem Blockhaus vorbei. Plötzlich tauchte ein Amerikaner auf meiner Seite auf und wollte wissen, wer ich sei, woher das Vieh kam und wohin ich ging. Ich sagte ihm, der Besitzer sei hinter mir, und die Hirten und ich trieben das Vieh geradeaus, weil einige Eingeborene uns Schwierigkeiten machten.

»Das ist die Schießerei, die ich gehört habe,« sagte er, »Sie haben es über den Fluß getrieben, nicht wahr?«

»Ich treibe es vom Fluß«, erwiderte ich. »Die Tiere hatten Durst.«

Ich war sicher, daß er grinste, obwohl ich nicht hinguckte.

»Ich werde wohl bald Ihre Freunde sehen,« meinte er, »aber dieser Beutezug ist eine schlimme Angelegenheit. Diese eingeborenen Hunde werden 'rüberkommen und mich belästigen. Wir Grenzbewohner bedanken uns für die Schwierigkeiten, die Sie uns einbrocken.«

Ich versuchte, ihn zu beruhigen, aber zuerst ohne Erfolg. Er sagte nicht viel, aber er war anscheinend entschlossen, mir zu folgen, denn beim Weiterreiten sah ich ihn immer hinter mir, so oft ich mich umdrehte. Der Tag war angebrochen, als ich das Vieh zum ersten Male halten ließ. Ich nahm an, daß wir zwölf Meilen, von der Furt aus gerechnet, zurückgelegt hatten, und die Tiere waren müde und wund gelaufen. Ich mußte die Peitsche immer häufiger benutzen, um sie selbst in der langsamsten Gangart zu halten. Ich trieb sie zusammen und wandte mich dann zu dem mich verfolgenden Schatten um.

»Sie sind fast zu jung für das Spiel,« meinte er, »wo ist Ihr Herr?«

»Ich hab' keinen Herrn,« erwiderte ich, ihn feindselig beobachtend. Es war ein Mann von ungefähr vierzig Jahren, groß und mager, mit einem ungeheuren Klumpen Tabak in der linken Backe – eine typische Texasgestalt.

Sein Mustang interessierte mich. Es war kein indianisches Pony, dreizehn Hand hoch, sondern es maß vielleicht fünfzehnundeinhalb und sah wie Dreiviertelblut aus.

»Sie haben ein gutes Pferd«, sagte ich.

»Das beste im ganzen Land«, erwiderte er.

»Das bilden Sie sich nur ein. Die Stute, auf der ich reite, würde es um hundert Yards in der Meile überholen.«

»Sie würden wohl kein Geld drauf riskieren«, bemerkte er.

»O ja«, lächelte ich.

»Wir können's einmal versuchen, aber hier kommen ja ihre Kumpane.« Und unerwartet tauchten plötzlich Bent, Bob und Charlie auf.

»Treiben Sie das Vieh,« schrie Bob, als er in Hörweite kam, »wir müssen fort. Die Mexikaner haben sich zurückgezogen, aber sie kommen uns bald nach. Wer ist denn das?« und er wies auf meinen Begleiter hin.

»Mein Name ist Locker,« erwiderte er, »und ich nehme an, daß Ihr Beutezug das ganze Grenzland in Aufruhr bringen wird. Können Sie das Vieh nicht anständig kaufen, wie wir das alle machen?«

»Was wissen Sie davon, ob wir es anständig gekauft haben oder nicht?« schrie Bent, stieß sein braunes Gesicht wie ein Wiesel vor, und seine Hundezähne blitzten. »Ich glaube, Herr Locker hat recht«, rief ich lachend. »Ich schlage vor, daß er uns hilft und sich dafür zwei oder dreihundert Stück oder den Gegenwert davon nimmt –«

»Endlich ein gescheites Wort«, meinte Locker. »Ich habe eine Herde eine Meile weit entfernt. Wenn zwei- oder dreihundert eurer José-Stiere sich ihnen anschließen, kann ich sie nicht daran hindern. Aber Dollar wären mir lieber. Bargeld ist so selten.«

»Ist die Herde umzäunt?« fragte Bob.

»Selbstverständlich,« erwiderte Locker, »ich bin zu nahe am Fluß, um sie frei herumlaufen zu lassen, obwohl mich in den letzten zehn Jahren niemand belästigt hat.«

Bob und ich begannen die Herde vorwärts zu treiben und ließen Bent mit Locker, um die Verhandlungen abzuschließen. Eine Stunde später trafen wir auf Lockers Herde, die mindestens sechstausend Stück betrug und von drei Hirten bewacht wurde.

Locker und Bent hatten sich geeinigt. Es stellte sich heraus, daß Locker noch eine andere Herde weiter östlich besaß und daß er uns noch drei bis vier Hirten zur Verfügung stellen konnte. Er hatte auch zwei Knaben, die er zu den Nachbarfarmen schicken konnte, wenn die Not am größten war. Es zeigte sich, daß wir sehr klug daran taten, uns mit ihm zu einigen, denn er kannte das ganze Land wie ein Buch und erwies sich als ein guter Freund in unserer Not.

Spät am Nachmittage wurde Locker von einem seiner Söhne, einem sechzehnjährigen Knaben, verständigt, daß zwanzig Mexikaner den Fluß gekreuzt hätten und uns in Kürze einholen würden. Locker schickte ihn und seinen Bruder aus, um so viele Texaner wie möglich zusammenzurufen, aber bevor sie noch zur Stelle waren, erschien eine Schar von Eingeborenen, vielleicht zwanzig Mann hoch, und forderte von uns das Vieh heraus. Bent und Locker verhandelten mit ihnen, aber während der Streit noch vor sich ging, kamen noch drei oder vier Texaner an, und einer von ihnen, ein Mann von vierzig Jahren, namens Rossiter, warf sich zum Führer der Diskussion auf. Er sagte dem mexikanischen Führer, der sich als Don Luis, ein Sohn von Don José, vorstellte, daß, wenn er sich hier länger aufhielte, er wegen Überfall auf das amerikanische Gebiet und Bedrohung der Einwohner verhaftet werden würde.

Der Mexikaner ließ sich nicht ins Bockshorn jagen und meinte, er würde nicht nur drohen, sondern auch die Drohung ausführen. Rossiter forderte ihn auf, es zu riskieren. Der Streit wurde immer lauter, einige Texaner tauchten noch auf, und der mexikanische Führer merkte, daß, wenn er nicht gleich etwas tat, es zu spät sein würde, und er begann das Vieh zu umkreisen, denn er stellte sich vor, daß wir uns schon durch die zahlenmäßige Überlegenheit einschüchtern lassen würden.

In fünf Minuten hatte die Schlacht begonnen, in weiteren zehn Minuten war sie schon zu Ende. Nichts konnte dem todsicheren Zielen unserer Leute vom Westen widerstehen. In fünf Minuten waren zwei Mexikaner getötet und einige verwundet. Ein halbes Dutzend Pferde war niedergeschossen. Es war vollkommen ersichtlich, daß acht oder zehn unserer Leute den zwanzig Mexikanern überlegen waren, die, mit Ausnahme von Don Luis, keinerlei Lust an der Arbeit zu haben schienen, und Luis hatte schon in den ersten fünf Minuten einen Schuß durch den Arm bekommen. Schließlich zogen sie sich drohend und schreiend zurück, und wir haben sie nicht mehr gesehen.

Nach der Schlacht versammelten wir uns alle bei Locker und gossen tüchtig hinter die Binde. Kein Mensch nahm den Kampf ernst. Eine Bestrafung der Eingeborenen war nichts, dessen man sich rühmen konnte. Aber Rossiter glaubte, daß man gegen die mexikanische Regierung eine Klage wegen Überfalls auf das amerikanische Territorium richten könnte. Er wollte den Schriftsatz aufsetzen und ihn dem Staatsanwalt in Austin überreichen. Dieser Vorschlag wurde jubelnd mit Hurraschreien begrüßt. Die Idee, die Mexikaner dafür zu bestrafen, daß sie erschossen wurden, während sie versuchten, ihr eigenes Vieh zurückzugewinnen, kam uns Amerikanern unerhört komisch vor. Alle Texaner boten sich feierlich als Zeugen an, und Rossiter schwor, er würde das Dokument aufsetzen. Jahre später erzählte mir Bent, den ich zufällig getroffen hatte, daß Rossiter wirklich 40 000 Dollar für seine Ersatzansprüche bekommen hatte.

Drei Tage später begannen wir, unser Vieh nach Osten zu treiben, um Reece und Dell einzuholen. Ich gab eine Belohnung von 100 Dollar den beiden Söhnen Lockers, die uns von Anfang bis Ende so eifrig geholfen hatten.

Ungefähr eine Woche später kamen wir im Hauptlager an. Reece und Dell hatten ihre Herde in gut genährtem Zustand vorbereitet, und nachdem wir die Sache durchgesprochen hatten, beschlossen wir, auf eigene Faust zu handeln und uns später, wenn es uns gefiel, für den Herbst und Winter auf der Farm zusammenzufinden. Wir brauchten drei Wochen, um unsere Herde in guten Zustand zu bringen, und so brachen wir im Juli nach Norden auf. Ich verbrachte jede Nacht wie auch die größere Hälfte des Tages im Sattel, selbst wenn ich von diesem verfluchten Fieber geschüttelt wurde.

Zuerst ging alles ganz gut. Ich versprach meinen drei Helfern den Anteil von einem Drittel des Gewinns neben ihrer Entlohnung. Sie gaben sich daher alle erdenkliche Mühe. Sobald wir jedoch das Indianergebiet erreicht hatten, begannen unsere Schwierigkeiten. In einer wilden Nacht gelang es Indianern, die sich in weiße Laken gehüllt und Phosphor auf die Handflächen geschmiert hatten, eine Panik in unserer Herde hervorzurufen, und obwohl meine Leute Wunder vollbrachten, verloren wir fast sechshundert Stück Rinder und vielleicht hundert ausgezeichnet eingerittene Pferde.

Es war ein schwerer Verlust. Die Prärie-Indianer blieben weiterhin so aufdringlich wie Moskitos. Ich ging nie auf Jagd aus, ohne daß sie versuchten, mich abzuschneiden, und mehr als einmal hat mich nur die Schnelligkeit und die Ausdauer des Blauen Teufels gerettet. Ich mußte auf weitere Jagdzüge verzichten und mich auf den Zufall verlassen, ob er mir Wild in Schußnähe führte. Die uns verfolgenden Indianer wurden allmählich zahlreicher und frecher. Wir wurden beim Morgen- und Abenddämmern angegriffen, drei oder vier Tage hintereinander, und das halbwilde Vieh wurde sehr unruhig.

Bob verbarg seine Angst nicht. »Diese indianischen Hunde!«

Eines Nachmittags folgten sie uns ganz offen. Man konnte ihrer mehr als hundert zählen. Sie bereiteten sich anscheinend auf einen ernsthaften Angriff vor. Bobs Genie verschaffte uns eine Atempause. Während Charlie zu einer regelrechten Schlacht riet, erinnerte sich Bob plötzlich, daß ungefähr fünf Meilen weiter rechts ein buschiger Zwergeichenwald liege, der uns Zuflucht bieten könnte. Charlie und Bent, die besten Schützen, legten sich hin und begannen zu schießen, und bald waren die Indianer außer Sicht. In drei Stunden hatten wir den dichten Zwergeichenwald erreicht und brachten das Vieh sicher auf einer Lichtung unter, denn durch die Zwergeichen kommt keiner hindurch, und sobald wir das Vieh tief in die Lichtung hineingetrieben hatten und unseren Wagen davor gestellt, konnten die Indianer keine Panik in die Herde hineintragen, ohne uns zuerst niederzuschlagen. Für den Augenblick waren wir gesichert, und der Glückszufall wollte es, daß das Wasser in einem Bächlein in der Nähe sich als trinkbar erwies. Wir waren jedoch von mehr als hundert Indianern belagert, und wie selbst Bob zugeben mußte, waren die Chancen für uns sehr gering.

Die Tage vergingen, und die Belagerung dauerte an. Die Indianer wollten uns anscheinend mürbe machen, um zu der Herde zu gelangen, und unsere Laune besserte sich nicht in der erzwungenen Ruhe und Wachsamkeit. Eines Abends streckte sich Charlie beim Feuer aus und machte sich da breit, als Bent, der nach dem Vieh gesehen hatte, ankam. »Nimm deine Beine weg, Charlie,« sagte er grob, »du brauchst nicht das ganze Feuer.« Charlie hörte ihn nicht oder kümmerte sich nicht um ihn. Im nächsten Augenblick hatte sich Bent auf Charlies lange Beine geworfen. Mit einem Fluch schob ihn Charlie weg. Im nächsten Moment stürzte sich Bent auf Charlie und stieß seinen Kopf ins Feuer hinein. Nach einem kurzen Ringen machte sich Charlie los, und trotz meines Dazwischentretens schlug er auf Bent ein. Bent griff sofort nach seiner Flinte. Aber Charlie schlug wie ein wilder Mann um sich herum, und Bent mußte dem Angriff begegnen. Bevor die beiden sich miteinander maßen, hätte jeder gesagt, daß Charlie bei weitem der Stärkere sei, da er auch jünger und von erstaunlicher Kraft war. Aber auch Bent schien kein Neuling in diesem Spiel zu sein. Als Charlie ausholte, sprang er beiseite, schlug dann hart nach ihm aus, und Charlie fiel zu Boden. Er raffte sich blitzschnell wieder auf und schlug wieder nach seinem Gegner; aber im nächsten Augenblick lag er auf der Erde, und es war klar, daß Bent früher oder später siegen mußte. Das Ringen hing jedoch zum großen Teil vom Zufall ab, und wie das Glück es so wollte, gerade als Bent seinen Sieg für gesichert hielt, traf ihn einer der wilden Schläge Charlies am Kinn, und zu unserer Verblüffung schlug er wie ein Holzklotz hin und konnte mehr als zehn Minuten lang nicht auf die Beine gebracht werden. Ich hatte zum ersten Male einen solchen Schlag gesehen, und wir übertrieben die Stoßgewalt noch in unserer Phantasie, da wir nicht wußten, daß schon ein leichter Schlag gegen das Kinn das Rückgrat erschüttert und fast lähmend wirkt. Solcher Schlag kann in vielen Fällen eine Teillähmung oder lebenslängliche Schwäche verursachen.

Charlie hätte sich gern seines Sieges gebrüstet, aber Bob sagte ihm die Wahrheit, und schließlich hatte Bents Zielsicherheit und Kraft auf uns alle den tieferen Eindruck gemacht. Bent selbst unterzog sich am nächsten Tage der Mühe, Charlie zu warnen.

»Komm mir nicht in den Weg,« sagte er trocken, »sonst schlage ich dich in Stücke.«

Die blanke Drohung in seinem harten Gesicht war überzeugend.

»Zum Teufel,« erwiderte Charlie, »wer hat schon Lust, dir in den Weg zu kommen!«

Wenn ich mir die Ereignisse überlege, merke ich, daß die schlimmsten Raufbolde in den Grenzländern zu jener Zeit einstige Soldaten waren. Es war der Bürgerkrieg, der diese Menschen zur Gewalttätigkeit und zum Gebrauch von Revolvern erzog. Es war der Bürgerkrieg, der die »Wilden Bills« und Bents schuf, die den gutmütigen Westbewohner zwangen, sein Leben gering zu achten und sich mit Waffen statt Fäusten zu messen.

Eines Abends bemerkten wir eine große Zunahme der Belagerungskräfte. Ein Indianerhäuptling auf einem scheckigen Mustang schien auf einen sofortigen Angriff zu drängen, und bald sahen wir, wie einige der Unternehmungslustigeren sich am Bache entlang schlichen, um uns von der Seite anzugreifen, während hundert andere in vierhundert Yards Entfernung vorbeizogen und wie wild nach uns schossen. Bob und ich duckten uns am Ufer, um den Flankenangriff abzuwehren, während es Bent, Charlie und Joe gelang, mehr als ein Pferd und einen Mann abzuschießen und den Indianern begreiflich zu machen, daß ein direkter Angriff sie manches Leben kosten würde.

Trotzdem waren wir nur zu Fünfen, und eine Kugel konnte die Chancen gegen uns noch verzweifelter gestalten. Nachdem wir die Situation durchgesprochen hatten, kamen wir zu der Schlußfolgerung, daß einer von uns nach dem Fort Dodge um Hilfe reiten müßte, und da ich nach Bob der leichteste war und außerdem ein schlechter Schütze, wurde ich dafür bestimmt. Man wußte auch, daß ich am besten geeignet war, den Weg zurückzufinden. Ich holte daher sofort den Blauen Teufel, nahm einige Pfund getrocknetes Fleisch mit, einen Wasserschlauch aus Ziegenfell, den ich in Taos gekauft hatte, einen Sattelgurt und Steigbügel, machte mir aus einer Decke einen leichten Sattel zurecht, und meine Ausrüstung war fertig.

Es war Bobs unheimliche Kenntnis sowohl der Prärie wie der Indianer, die mich rettete. Die anderen rieten mir, unsere Bucht nordwärts zu verlassen, er jedoch hieß mich südwärts gehen, wo die Hauptkräfte der Indianer lagen. »Dort wird man Sie nicht vermuten,« meinte er, »und Sie können ungesehen durchschlüpfen. Ein halbstündiger Ritt führt Sie schon über den Schwarm der Indianer hinaus. Dann haben Sie noch einhundertfünfzig Meilen nordwärts auf der Prärie – vielleicht treffen Sie auf eine Herde und dann einhundertzwanzig Meilen geradeaus nach Westen. Sie müßten in fünf Tagen Fort Dodge erreichen und in weiteren fünf zurück sein. Sie finden uns noch vor«, fügte er bedeutungsvoll hinzu. Der kleine Mann bekleidete die Hufe des Blauen Teufels mit alten Fetzen, die er zurechtschnitt, und bestand darauf, die Stute um die Bucht herum weit nach Süden hinauszuführen, sogar über das Indianerlager hinaus.

Hier nahm er die Hufbekleidungen der Stute ab, während ich den Sattelgurt enger zog, und ich machte mich auf den Weg, die Stute zwischen mir und den Indianern haltend, die Ohren auf den leisesten Ton gespitzt. Aber ich hörte und sah nichts, und eine Stunde später hatte ich die Runde vollendet und ritt auf der Prärie nach Norden zu, entschlossen, die zwei- oder dreihundert Meilen längstens in vier Tagen zurückzulegen. Am vierten Tage gab man mir im Fort zwanzig Reiter mit einem Leutnant Winder mit, die ich in einer Kavalkade nach unserer Zufluchtsstätte führte. Wir kamen dort in sechs Tagen an, aber in der Zwischenzeit waren die Indianer nicht müßig gewesen. Sie hatten durch das Zwergeichengebüsch, das wir als unwegsam betrachteten, einen Pfad durchgehauen und riefen gerade um Morgengrauen eine wilde Panik bei der Herde hervor; und unsere Leute waren kaum imstande, sechs- oder siebenhundert Stück in dem äußersten Nordwinkel der Bucht zu retten. Die Indianer waren abgezogen, bevor ich mit den Soldaten der Vereinigten Staaten angekommen war ... Am nächsten Morgen wandten wir uns nach Norden, und es fiel mir nicht schwer, Leutnant Winder zu überreden, uns für die nächsten vier oder fünf Tage seinen Schutz zu leihen ...

Eine Woche später erreichten wir Wichita, wo wir uns einige Tage ausruhen wollten, aber auch dort hatten wir wieder Pech. Seitdem Charlie sich mit Syphilis angesteckt hatte, schien er seine ganze gute Laune verloren zu haben. Er wurde mürrisch und verstimmt, und wir konnten nichts tun, um ihn aufzuheitern. Schon in der ersten Nacht mußten wir ihn in einem Spielsalon in Wichita ins Bett legen, weil er sich bis zur Bewußtlosigkeit betrunken hatte. Am nächsten Tage behauptete er, daß der Mann, der die Bank hielt, ihn um sein Geld betrogen habe, und er schwor, er würde es ihm schon heimzahlen. Mit seiner verrückten Idee hatte er Bent und Joe angesteckt, und schließlich ging ich auch abends mit ihm hin, in der Hoffnung, ihn vor dem Schlimmsten zu retten.

Ich hatte Bob bereits gebeten, sich einen andern Hirten zu verschaffen, um das Vieh nach Kansas City zu treiben. Er willigte ein, und einige Stunden, bevor wir in den Spielsaal gingen, zog Bob schon im Ochsengespann nach Norden zu. Ich wollte ihn einholen, um den Rest der Nacht im Sattel zu verbringen. Ich fühlte mich in dieser Umgebung irgendwie unbehaglich.

Der Spielsaal wurde von drei mächtigen Öllampen erhellt, zwei Lampen über dem Pharaotische und eine über der Bar. Joe stellte sich an die Bar, während Bent und Charlie an den Tisch gingen. Ich schlenderte durch den Raum und spielte den unbeteiligten Zuschauer unter den zwanzig oder dreißig Anwesenden. Plötzlich gegen zehn Uhr begann sich Charlie mit dem Bankier zu streiten. Beide sprangen auf, und der Bankier zog einen großen Revolver aus der Schublade. Im selben Augenblick schlug Charlie nach der Lampe, die über ihm hing, und ich sah noch, wie er seinen Revolver anlegte, als das Licht ausging und ein pechschwarzes Dunkel über uns fiel.

Ich rannte an die Tür und wurde in einem wilden Aufruhr hinausgedrängt. Eine Minute später kam Bent an, dann stürzte Charlie in höchster Eile heraus, und Joe folgte ihm. Im nächsten Augenblicke waren wir an der Straßenecke, wo wir unsere Ponies zurückgelassen hatten, und ritten mit Windeseile davon. Einige Schüsse fielen. Ich dachte schon, wir wären mit einem blauen Auge davongekommen. Aber ich irrte mich.

Wir waren eine Stunde lang in einem höllischen Galopp geritten, als Charlie sich plötzlich, scheinbar ohne jede Ursache, reckte und wankend aus dem Sattel fiel. Sein Pony blieb stehen, und wir umringten den Verwundeten.

»Ich bin erledigt,« sagte Charlie mit schwacher Stimme, »aber ich habe mein Geld zurückbekommen, und, bitte, schicken Sie es meiner Mutter nach Pleasant Hill am Missouri. Es werden ungefähr tausend Dollar sein.«

»Sind Sie arg verletzt?« fragte ich.

»Schon beim ersten Schuß traf er mich in den Bauch,« meinte Charlie, »und mindestens zwei andere gingen durch die Lunge. Ich bin erledigt.«

»Welch ein Jammer, Charlie,« rief ich, »Sie bekommen noch mehr als tausend Dollar von Ihrem Anteil. Ich habe Bob gesagt, daß ich das Geld zwischen uns aufteilen werde. Aber dieses Geld muß man zurückerstatten. Die tausend Dollar verspreche ich jedoch Ihrer Mutter zu schicken.«

»Bei Gott nicht,« rief der Sterbende und stützte sich auf den Ellbogen, »es ist mein Geld, Sie dürfen es nicht diesem schmierigen Dieb zurückschicken.« Er sank erschöpft zurück. Selbst in dem schwachen Lichte sahen wir, wie grau und eingefallen sein Gesicht war. Er wußte, wie es um ihn stand. Ich hörte noch seine letzten Worte: »Lebt wohl!« Sein Kopf fiel zurück, sein Mund öffnete sich, die mutige Knabenseele verschied.

Ich konnte meine Tränen nicht meistern, der Satz kam mir in den Sinn: »Es wäre besser, wenn ich einen besseren Mann verloren hätte!« Charlie war im Grunde genommen ein so guter Kerl.

Ich ließ Bent zurück, um das Geld zu erstatten und für Charlies Begräbnis zu sorgen, während Joe bei der Leiche blieb. In einer Stunde hatte ich Bob eingeholt und ihm alles erzählt. Zehn Tage später waren wir in Kansas City, wo ich unerwartete Nachrichten traf.

Mein zweiter Bruder Willie, sechs Jahre älter als ich, war nach Amerika gekommen, und als er hörte, daß ich in Kansas sei, hatte er sich in Lawrence als Grundstücksagent niedergelassen. Er bat mich, ihn aufzusuchen. Dieser Brief bestärkte mich in meinem Entschluß, das Cowboyleben aufzugeben. Außerdem war noch das Vieh im Preise gefallen, und wir waren glücklich, als wir zehn Dollar pro Stück bekamen, nachdem die Indianer die besten Rinder unserer Herde entführt hatten. Es blieben uns sechstausend Dollar. Joe bekam fünfhundert Dollar, und den Rest teilte ich zwischen Bent, Bob, Charlies Mutter und mir auf. Bob schimpfte mich einen Idioten. Ich sollte doch alles behalten und wieder nach dem Süden gehen. Aber was hatte ich durch die beiden Jahre gewonnen? Ich hatte Geld verloren und mir Malaria zugezogen. Ich hatte eine gewisse Kenntnis der Volkspsyche und des Volkslebens und einen mehr als oberflächlichen Einblick in Nationalökonomie und Medizin erhalten, aber ich war von einem unsagbaren Ekel vor einem rein physischen Leben erfüllt. Was sollte ich nun tun? Ich wollte Willie sehen und mich dann entschließen.


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