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Frank Harris

Vorwort

 

Du, Seele, nur des Körpers Gast,
Ein' undankbare Sendung hast:
Ohn' Furcht das Beste prüf', ob echt,
Die Wahrheit gibt dazu dir Recht.

Sir Walter Raleigh

 

Hier in der weißglühenden Hitze eines amerikanischen Augustmonats, mitten in dem lärmenden Wirrwarr von Newyork, setze ich mich hin, um mein endgültiges Glaubensbekenntnis abzulegen, das als ein Vorwort für meine Lebensgeschichte gedacht ist. Es wird letzten Endes in dem Geiste gelesen werden, in dem ich es geschrieben habe, und ich bitte um kein besseres Los. Meine journalistische Tätigkeit während des Krieges und seit dem Waffenstillstande hat mir manche Verfolgung seitens der Bundesregierung eingetragen. Die Behörden in Washington beschuldigten mich der Aufwiegelung, und obwohl der dritte Postminister, der frühere Gouverneur von Missouri, Dockery, der von dem Departement zum Richter ernannt wurde, für meine Unschuld eintrat und mir versicherte, daß man mich nicht weiter verfolgen würde, ist mein Magazin (Pearson's) immer wieder durch die Post aufgehalten worden und der Umlauf dadurch auf ein Drittel herabgemindert. Ich wurde durch die widerrechtliche Verfolgung des Präsidenten Wilson und seines Erzhelfers Burleson ruiniert, und man lachte mich noch obendrein aus, als ich um Entschädigung einkam. Die amerikanische Regierung ist anscheinend zu arm, um für ihre entehrenden Fehlgriffe zu zahlen.

Ich verzeichne diese schmähliche Tatsache zugunsten der Rebellen und Sucher des Ideals, die in Zukunft sicherlich in eine ähnliche Not geraten werden. Ich für meine Person beklage mich nicht. Im großen ganzen habe ich im Leben eine bessere Behandlung erfahren als der Durchschnitt der Menschen und vielleicht mehr liebevolle Güte erhalten, als ich verdiente.

Wenn Amerika mich nicht in die Not hineingetrieben hätte, würde ich wahrscheinlich dieses Buch nicht mit der vom Ideal geforderten Kühnheit geschrieben haben. Beim letzten Stoß des Schicksals (ich nähere mich jetzt meinem siebzigsten Lebensjahr) neigen wir alle dazu, um der guten Behandlung der Mitmenschen willen und eines friedlichen Lebensendes manches von der Wahrheit zu opfern. Da ich nun einmal »das böse Tier« war, wie die Franzosen sagen, »das sich wehrt, wenn es angegriffen wird«, schnappte ich endlich zu und setzte mich zur Wehr, ohne Bosheit, wie ich hoffe, aber auch ohne Angst, die Kompromisse bedingt. Ich habe immer für den Heiligen Geist der Wahrheit gefochten und war wie Heine ein »braver Soldat im Befreiungskriege der Menschheit«. Nun noch ein Kampf, der beste und der letzte.

Es gibt zwei hauptsächliche Überlieferungen im englischen Schrifttum: die eine der vollkommenen Freiheit, die Tradition Chaucers und Shakespeares, frank und unumwunden, mit einer gewissen Vorliebe für laszive Einzelheiten und schlüpfrigen Witz eine männliche Sprache; die andere immer mehr vom Puritanismus entmannt und seit der französischen Revolution zum zahmsten Anstand kastriert, denn dieser Umsturz brachte den ungebildeten Mittelstand zur Macht und sicherte die Vorherrschaft der mädchenhaften Leserinnen. Unter der Königin Viktoria wurde die englische Prosaliteratur halb kindisch oder besten Falles provinziell, wie man leicht feststellen kann, wenn man nur den Einfluß von Dickens, Thackeray und Reade in der Welt mit dem Einfluß von Balzac, Flaubert und Zola vergleicht.

Die Meisterwerke des Auslandes wie »Les Contes drôlatiques« und L'Assommoir wurden in London auf Befehl der Obrigkeit als obszön eingestampft. Selbst die Bibel und Shakespeare wurden gereinigt, und alle Bücher auf das gezierte Dekorum der englischen Sonntagsschule herausgeputzt. Und Amerika folgte dem schmählichen, hirnlosen Beispiel mit noch schlimmerer Demut.

Ich habe mich mein Leben lang gegen diese altjüngferlichen Anstandsgesetze gewehrt, und meine Empörung wuchs noch mit zunehmenden Jahren.

In meinem Vorwort zum »Menschen Shakespeare« versuchte ich zu zeigen, wie der Puritanismus, der aus unserer Moral verschwand, in unsere Sprache hineingeriet, den englischen Gedanken schwächte und den englischen Wortreichtum verarmen ließ.

Schließlich greife ich auf die alte englische Tradition zurück. Ich bin entschlossen, die Wahrheit über meine Pilgerfahrt durch die Welt zu sagen, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit über mich und die anderen, und ich werde mich bemühen, zu den anderen mindestens so nett zu sein wie zu mir selbst.

Bernard Shaw versichert mir, daß keiner gut genug oder schlecht genug ist, um die nackte Wahrheit über sich selbst zu sagen; aber ich bin in dieser Hinsicht jenseits von Gut und Böse.

Die französische Literatur gibt mir die Tonart und die Inspiration. Sie ist in erotischer Hinsicht die freieste von allen und wurde hauptsächlich durch ihre dauernde Beschäftigung mit allem, was sich um Leidenschaft und Begierde dreht, zu der Weltliteratur für Männer aller Rassen.

»Frauen und Liebe«, schreibt Edmond de Goncourt in seinem Tagebuch, »bilden immer das Gesprächsthema, so oft intellektuelle Menschen beim Essen und Trinken zusammenkommen. Unser Gespräch beim Essen war zuerst etwas schlüpfrig, und Turgenjeff hörte uns mit einer beinahe starren Verwunderung eines Barbaren zu, der nichts als den natürlichsten Vorgang der Liebe kennt.«

Wer diese Worte sorgfältig liest, wird verstehen, welche Freiheit ich für mich in Anspruch nehme. Ich will mich jedoch nicht an die französischen Konventionen binden. Ebenso wie in der Malerei die Kenntnis der japanischen und chinesischen Leistungen unsere ganze Kunstkonzeption geändert hat, so haben auch die Hindus und Birmanen unser Verständnis für die Kunst der Liebe erweitert. Ich erinnere mich, wie ich einmal mit Rodin durch das Britische Museum ging und mich wunderte, daß er so viel Zeit bei den kleinen Götzen und Figuren der Südseeinsulaner verbrachte. »Manche davon sind trivial,« sagte er, »aber sehen Sie sich dies und dies und dies an – lauter Meisterwerke, auf die jeder stolz sein könnte – köstliche Sachen.«

Die Kunst dehnte sich gleichmäßig mit der Menschheit aus, und manche meiner Erfahrungen mit den sogenannten Wilden können vielleicht selbst die kultiviertesten Europäer interessieren.

Ich beabsichtige, alles zu erzählen, was mich das Leben gelehrt hat; und wenn ich bei dem ABC der Liebe beginne, so geschieht es nur, weil ich in England und den Vereinigten Staaten aufwuchs.

Ich habe im Anfang meines Lebens furchtbare Fehler begangen und sah andere Jünglinge aus bloßer Unkenntnis in noch schlimmere verfallen. Ich möchte die jungen und eindrucksfähigen Menschen vor den Sandbänken und verborgenen Klippen des Lebensozeans warnen und schon für den Anfang der Fahrt, wenn die Gefahr am größten ist, eine Seekarte der unbefahrenen Gewässer entwerfen.

Ich bin aber auch um unbeschreibliche Freuden gekommen, weil die Freude am Genuß und das Glück Freude zu geben am stärksten im Anfang unseres Lebens ist, während das Verständnis für beides erst später im Leben bei abgestumpften Sinnen und verminderter Lebenskraft kommt.

Ich will auf diese Weise nicht nur die Summe des Glückes in dieser Welt steigern, bei gleichzeitiger Herabminderung der Leiden und Unzulänglichkeiten der Menschen, sondern ich möchte auch ein Beispiel geben und andere Schriftsteller ermutigen, die Arbeit fortzusetzen, von der ich mir so viel verspreche.

W. M. George schreibt in seinem Essay »Ein Schriftsteller über Romanliteratur«: »Wenn ein Schriftsteller die von ihm geschaffenen Gestalten gleichmäßig entwickeln würde, müßte sich der Roman von dreihundert Seiten auf fünfhundert erstrecken, und die weiteren zweihundert Seiten ausschließlich der Erotik der Charaktere gewidmet sein. Ebenso viele Szenen müßten sich im Schlafzimmer wie im Salon abspielen, wahrscheinlich noch mehr, da man die meiste Zeit im Schlafzimmer verbringt. Die weiteren zweihundert Seiten müßten sich mit erotischen Erfahrungen der dargestellten Personen beschäftigen, um ihnen wirkliches Leben aufzuzwingen. Heute werden die Gestalten meistens nicht vollkommen verwirklicht, weil sie, sagen wir, in fünf statt in sechs Aspekten ihres Lebens dargestellt werden ... Unsere literarischen Geschöpfe sind einseitig, weil ihre gewöhnlichen Züge vollkommen abgebildet sind, während ihr erotisches Leben verhüllt, verdrängt oder übersehen wird ... Aus diesem Grunde sind alle Gestalten in den modernen Romanen falsch. Sie wirken großschädelig und entmannt. Englische Frauen sprechen viel über das erotische Leben ... Der englische Roman befindet sich in einer sehr schwierigen Lage. Der Romanschriftsteller kann über alle Dinge sprechen, nur nicht über die Hauptsache des Lebens ... wir sind daher gezwungen, unsere Romane mit Morden, Diebstählen und Brandstiftungen auszuwattieren, die als vollkommen moralisches Thema gelten.«

Der Schnee ist so rein, eh mit Schmutz er vermengt,
Und doch nie so rein wie die Flamme, die sengt.

Es gibt noch gewichtigere Ursachen als die eben auseinandergesetzten, die mich zwingen, die Wahrheit ungeschminkt zu sagen. Es ist nun die Zeit gekommen, in der die, wie Shakespeare sie nannte, »Spione Gottes«, die das Geheimnis der Dinge entziffert haben, zu Rate gezogen werden müssen, denn die politischen Führer haben die Menschheit an den Rand des Verderbens gebracht: blinde Führer der Blinden! Wir stürzten in den Niagarafall, wie Carlyle es prophezeite und wie jeder Einsichtige voraussehen mußte, und wir kreisen nun wie Treibholz hilflos in dem Wirbel umhergeworfen, ohne zu wissen, warum und woher.

Eines ist sicher: wir verdienen das Elend, das uns traf. Die Gesetze dieser Welt sind unerbittlich und unbestechlich. Wieso und warum sind wir in die Irre gegangen? Die Krankheit erstreckt sich über die ganze Zivilisation, und dadurch verengt sich die Frage glücklicherweise auf eine bestimmte Zeit.

Seitdem unsere Eroberung der Kräfte der Natur begonnen hatte und der materielle Reichtum sprungweise wuchs, verschlechterte sich unsere Lebensführung. Bis zu jener Zeit hatten wir wenigstens dem Evangelium Christi Lippendienst geleistet und hatten in geringem Umfange Achtung, wenn nicht Liebe, vor unseren Mitmenschen gezeigt. Wir gaben zwar nicht unsere Zehnten der Wohltätigkeit, aber wir kauften uns mit kleinlichen Gaben frei, bis plötzlich die Wissenschaft erschien, um unsere Selbstsucht mit einer neuen Botschaft zu stärken. Der Fortschritt wird durch die Vernichtung des Untauglichen erreicht, wurde uns gesagt und die Selbsterhaltung als eine Pflicht gepredigt. Die Idee des Übermenschen wurde geschaffen, der Wille zur Macht setzte sich durch, und die Liebeslehre Christi, Mitleid und Güte wurden dadurch in den Hintergrund gedrängt.

Die Menschen häuften Unrecht auf Unrecht, und unser Verderben wuchs ins Ungeheure. Das Glaubensbekenntnis, dem wir angehören, und das Glaubensbekenntnis, das wir im Leben verwirklichen, wurden zu zwei entgegengesetzten Polen. In der ganzen Weltgeschichte war noch nie eine solche Verwirrung in den Köpfen der Menschen und eine solche Unsicherheit in ihrem Tun, noch nie sind so viele verschiedene Ideale zu ihrer Leitung aufgestellt worden. Es ist für uns dringend notwendig, Klarheit in diese Verwirrung zu bringen, um zu sehen, warum und wo wir in die Irre gegangen sind.

Denn der Weltkrieg ist nur der letzte Abschluß einer Serie von Akten, die das Gewissen der Menschheit erschüttert haben. Die größten Verbrechen in geschichtlichen Zeiten sind im Laufe des letzten halben Jahrhunderts fast ohne Protest von den zivilisiertesten Nationen begangen worden, von Nationen, die sich noch immer als christlich bezeichnen. Wer der Entwicklung der Dinge in dem letzten halben Jahrhundert zugesehen hat, muß ohne weiteres erkennen, daß unser Fortschritt höllenwärts ging.

Die grauenhaften Metzeleien tausender Frauen und Kinder in dem Freistaat von Kongo, ohne daß der leiseste Protest seitens Großbritanniens erfolgte, hätten mit einem Worte beendet werden können. Demselben Geiste entstammte die schändliche Blockade (noch lange nach dem Waffenstillstande sowohl von England wie von Frankreich fortgeführt), die Hunderte und Tausende von Frauen und Kindern unseres eigenen Blutes zum Hungertode verurteilte. Die unsagbare Gemeinheit und der eingestandene Betrug des Friedens von Versailles mit seinen tragischen Konsequenzen von Wladiwostok bis London und schließlich der schamlose, feige Krieg, den die Alliierten und Amerika um des Geldes willen gegen Rußland führten, beweisen uns, daß wir den Verfall der Moral selbst erleben und zu der Ethik des Wolfes und der Verfassung des Räuberstaates zurückkehren.

Unser öffentliches Vorgehen als Nationen hat ein Ebenbild in der Behandlung unserer Mitmenschen innerhalb der Gemeinschaft. Denn für eine kleine Minderheit sind die Lebensfreuden auf eine ganz außerordentliche Weise gesteigert worden, die Leiden und Kummer des Daseins in großem Maße gemildert, während die gewaltige Mehrheit selbst der zivilisierten Völker kaum zu irgendeiner Nutznießung der Vorteile unseres verblüffenden, materiellen Fortschritts zugelassen wird. Die Armenviertel unserer Städte enthüllen denselben Geist, den wir in unserer Behandlung der schwächeren Rassen zur Schau trugen. Es ist kein Geheimnis, daß über fünfzig Prozent der englischen Kriegsfreiwilligen kaum den erforderlichen physischen Pygmäenmaßstab erreichten, und die Hälfte unserer amerikanischen Soldaten waren Moronen mit der Intelligenz der Kinder unter zwölf Jahren. »Vae victis« war unser Motto und zeitigte die erschreckendsten Ergebnisse. Wir sind zweifellos an das Ende eines Zeitraums gelangt und müssen uns mit der Zukunft beschäftigen.

Die Religion, die neunzehn Jahrhunderte lang unser Tun leitete oder als Führung galt, ist schließlich beiseite geschoben worden. Selbst der göttliche Geist Jesu ist von Nietzsche abgeworfen worden, wie man den Stiel der Axt nachwirft oder, um das bessere deutsche Sprichwort zu gebrauchen, das Kind mit dem Bade ausschüttet. Die lächerliche Geschlechtsmoral des Paulus hat das ganze Evangelium in Mißkredit gebracht. Paulus, der sich in seiner Impotenz rühmte, daß er keine sexuellen Begierden kenne, wollte alle Menschen nach seinem Ebenbilde modeln wie der Fuchs in der Fabel, der den Schwanz verlor und alle Füchse auf dieselbe Weise verstümmelt wissen wollte.

Ich habe oft gesagt, daß den christlichen Kirchen zwei Dinge geboten wurden, der Geist Jesu und die idiotische Moral des Paulus, und sie die höchste Inspiration abgelehnt haben, um sich das unglaublich niedrige und dumme Verbot zu Herzen zu nehmen. Auf dem Wege, den uns Paulus vorgezeichnet hat, haben wir die Göttin der Liebe in eine Teufelsfratze und den krönenden Impuls unseres Seins in eine Todsünde verwandelt. Und doch entspringt alles Hohe und Adelnde in unserer Natur unmittelbar dem sexuellen Instinkt.

Grant Allan sagt mit Recht: »Der erotische Impuls bringt das Schönste und Reinste in unser Leben hinein. Ihm verdanken wir unsere Liebe für helle Farben, für schöne Formen, melodiösen Klang, rhythmische Bewegung. Ihm verdanken wir die Evolution der Musik, der Poesie, der Romantik, der Literatur, der Malerei, der Skulptur, des Kunstgewerbes, der dramatischen Kunst. Ihm verdanken wir einzig und allein die Existenz unseres ästhetischen Sinnes, der letzten Endes ein sekundäres Geschlechtsattribut ist. Ihm entspringt die Liebe für die Schönheit, um ihn drehen sich alle schönen Künste. Ihm verdanken wir die väterlichen, mütterlichen und ehelichen Beziehungen, das Aufblühen der Zärtlichkeit, die Liebe der kleinen, tappenden Füßchen und des ersten Kinderlachens.«

Diese wissenschaftliche Darstellung ist trotzdem noch unvollkommen. Der sexuelle Instinkt ist nicht nur die inspirierende Kraft aller Kunst und Literatur, er ist auch unser bester Lehrer der Weichheit und Zärtlichkeit, der liebevolle Güte zum Ideal erhebt, brutaler Grausamkeit wehrt und die falschen Urteile unserer Mitmenschen, die wir Gerechtigkeit nennen, bekämpft. Für mich ist Grausamkeit eine teuflische Sünde, die mit allen Wurzeln aus dem Leben ausgerottet werden muß.

Die Verurteilung des Körpers und seiner Begierden, die von Paulus stammt, steht in direktem Widerspruch zu der sanften Lehre Jesu und ist an sich idiotisch. Ich lehne den Paulinismus ebenso leidenschaftlich ab, wie ich das Evangelium Christi annehme. Im Hinblick auf den Körper greife ich auf die heidnischen Ideale, auf Eros und Aphrodite und die verständnisvollen Menschlichkeiten der alten Religionen zurück.

Paulus und die katholische Kirche haben das Verlangen beschmutzt, Frauen degradiert, die Fortpflanzung entwürdigt, den besten Instinkt in uns vulgarisiert und gelästert.

Ich seh' sie in schwarzen Röcken, die Pfaffen um mich herum,
Sie brächten mit dornigen Stöcken Begier mir und Freude gern um.

Und das Schlimmste ist, daß die höchsten Funktionen des Menschen durch gemeine Worte so degradiert wurden, daß es fast unmöglich ist, den leiblichen Hymnus der Freude so zu dichten, wie er geschrieben werden sollte. Die Dichter waren in dieser Hinsicht ebenso schlimm wie die Priester. Aristophanes und Rabelais sind zotenhaft schmutzig, Boccaccio ist zynisch, während Ovid lüstern und kaltblütig ist und es Zola gleich Chaucer schwer wird, die Sprache dem Verlangen anzupassen. Walt Whitman ist etwas besser, obwohl er oft in Gemeinplätze verfällt. Die Bibel ist das Beste von allen, jedoch nicht unumwunden genug, selbst in dem edlen Gesang Salomos, der hie und da durch die bloße Stärke der Einbildungskraft das Unsagbare zu übermitteln versteht.

Wir beginnen uns gegen den Puritanismus mit seinen unsagbaren hirnlosen Prüderien aufzulehnen, aber der Katholizismus ist ebenso schlimm. In den Galerien des Vatikans und der St.-Peterskirche in Rom finden wir die schönsten Statuen antiker Kunst mit Feigenblättern aus gemaltem Zinn verkleidet.

Ich sage, daß der menschliche Körper schön ist und durch unsere Ehrfurcht gehoben und gewürdigt werden muß. Ich liebe den Körper mehr als irgendein antiker Heide, und ich liebe ebensosehr die Seele und ihr Streben. Für mich sind Leib und Seele von gleicher Schönheit, beide der Liebe und ihrer Andacht gewidmet.

Meine Treue wird nicht geteilt, aber was ich heute mitten im Hohn und Haß der Menschen predige, wird morgen allgemein gelten, denn in meinem Zeitblick wie in dem Gottes sind tausend Jahre soviel wie ein Tag.

Wir müssen die Liebe des Heidentums, die Liebe der Schönheit, Kunst und Literatur mit der Seele des Christentums und seiner menschlich liebevollen Güte zu einer neuen Synthese verschmelzen, die alle süßen, sanften und edlen Impulse in uns vereinigt.

Was uns fehlt, ist der Geist Jesu in stärkerem Maße: wir müssen schließlich von Shakespeare lernen. »Vergebung ist das Wort für alle.«

Ich möchte dieses heidnisch christliche Ideal vor der Menschheit als das höchste und humanste aufrichten.

Jetzt nur noch ein Wort über mein eigenes Volk und seine besonderen Mängel. Die anglo-sächsische herrschsüchtige Kampflust bildet heute die größte Gefahr für die Menschen. Die Amerikaner sind stolz darauf, daß sie die Indianer ausgerottet und ihren Landbesitz gestohlen haben, daß sie die Neger martern und im heiligen Namen der Gleichheit verbrennen. Wir müssen uns um jeden Preis unserer Heuchelei und Lügenhaftigkeit entledigen und uns so sehen, wie wir wirklich sind: eine herrschsüchtige Rasse, brutal und rachsüchtig, wie aus dem Beispiel in Haiti ersichtlich. Wir müssen die unvermeidlichen Wirkungen unserer seelenlosen, hirnverbrannten Selbstsucht, wie sie sich im Weltkriege gezeigt haben, begreifen.

Das germanische Ideal, das auch das englische und amerikanische Ideal der sieghaften Männlichkeit ist, die alle schwächeren und weniger intelligenten Rassen verachtet und darauf ausgeht, sie zu versklaven oder zu vernichten, muß überwunden werden. Vor hundert Jahren existierten nur ungefähr fünfzehn Millionen Engländer und Amerikaner, heute leben beinahe zweihundert Millionen, und es ist offensichtlich, daß sie im Laufe eines Jahrhunderts die zahlreichste Rasse auf Erden sein werden, wie sie heute bereits schon die mächtigste sind.

Das bisher zahlreichste Volk, die Chinesen, hatten ein gutes Beispiel gegeben, indem sie innerhalb ihrer eigenen Grenzen verblieben, aber diese sieghaften, kolonisierenden Anglo-Sachsen drohen die Erde zu überströmen und alle andern Spielarten der Spezies Mensch zu zerstören. Heute schon vernichten wir die Rothäute, weil sie sich nicht unterwerfen, während wir uns damit begnügen, den Neger zu degradieren, der unsere Herrschaft nicht bedroht.

Ist es denn klug, nur diese eine Blume in dem Garten einer Welt züchten zu wollen? Ist es denn klug, die besseren Arten auszulöschen, um die inferioren zu erhalten?

Und das anglo-sächsische Ideal jedes Einzelnen ist noch niedriger und alberner. Auf die Befriedigung seiner eigenen Eroberungslust ausgehend, hat er das Weibchen seiner Rasse zu einer unnatürlichen Keuschheit der Gedanken, Worte und Taten gezwungen. Er hat auf diese Weise aus seiner Frau eine unterwürfige Dienerin oder Sklavin gemacht (die Hausfrau), die kaum irgendwelche intellektuellen Interessen besitzt und deren ganzes geistiges Sein einen spärlichen Ausfluß in ihren Mutterinstinkten findet. Er hat sich bemüht, seine Tochter zum seltsamsten Exemplar eines zweifüßigen Haustieres, das je erdacht wurde, zu verderben. Sie muß sich einen Mann suchen, während sie gleichzeitig ihre stärksten sexuellen Gefühle leugnet oder verbirgt; kurz gesagt: sie muß kaltblütig wie ein Frosch sein und dabei verderbt und rücksichtslos wie ein Apache auf dem Kriegspfad.

Das Ideal, das er sich gesetzt hat, ist verworren und verwirrend. In Wirklichkeit möchte er gesund und stark sein und seinen sexuellen Appetit befriedigen. Der höchste Typus jedoch, der englische Gentleman, hat immer vor Augen das individualistische Ideal eines, wie er es nennt, »vollkommenen Mannes«, eines Menschen, dessen Körper und Geist harmonisch entwickelt und auf ein verhältnismäßig hohes Niveau der Wirksamkeit gebracht wurde.

Er hat keine Ahnung von der letzten Wahrheit, daß jeder Mann und jede Frau eine kleine Facette der Seele besitzt, die das Leben auf eine besondere Art widerspiegelt oder, um die Sprache der Religion zu gebrauchen, Gott auf eine Weise sieht, wie ihn keine andere in dieser Welt geborene Seele zu sehen vermag.

Es ist die erste Pflicht eines jeden Individuums, alle Fähigkeit des Körpers, des Geistes und der Seele so vollkommen und so harmonisch wie möglich zu entwickeln, aber es ist eine noch höhere Pflicht, die sich jedem von uns aufzwingt, unsere besondere Fähigkeit so weit zu entwickeln, wie es sich nur mit unserer Gesundheit verträgt, denn nur dadurch können wir die höchste Selbstbewußtheit erreichen oder imstande sein, unsere Schuld an die Menschheit zu zahlen. Kein Anglo-Sachse ist bisher, soweit ich weiß, als Fürsprecher dieses Ideals aufgetreten oder hat auch nur davon geträumt, es als ein Ideal anzusehen. Kein Lehrer hat in der Tat auch nur daran gedacht, den Männern und Frauen zu helfen, ihre besondere Möglichkeit zu finden, die den Kern ihres innersten Wesens bildet und ihre Existenz rechtfertigt. Und so gehen neun von zehn Männern und Frauen durch das Leben, ohne sich ihrer besonderen Natur bewußt zu werden. Sie können ihre Seele nicht verlieren, weil sie sie nie gefunden haben.

Für jeden Sohn Adams, für jede Tochter Evas ist dies die letzte Niederlage, der endgültige Jammer. Und doch hat, soweit ich weiß, niemand bisher vor der Gefahr gewarnt oder von dem Ideal gesprochen.

Und darum liebe ich das Buch trotz aller seiner Unzulänglichkeiten und aller seiner Fehler. Es ist das erste Buch, das je geschrieben wurde, um den Körper mit seinen leidenschaftlichen Wünschen sowohl wie die Seele mit ihren geheiligten, himmelstürmenden Gefühlen zu verherrlichen.

Geben und Vergeben, behaupte ich immer, ist die letzte Lehre des Lebens.

Ich bedaure nur, daß ich das Buch nicht vor fünf Jahren begonnen habe, bevor ich von den Salzfluten des Alters halb überschwemmt und mir meines versagenden Gedächtnisses bewußt wurde. Aber trotz dieser Hemmung habe ich versucht, das Buch zu schreiben, das ich immer lesen wollte, das erste Kapitel in der Bibel der Menschheit.

Man lausche auf den guten Rat:

Lebe auf Erden nur aus völlig dein freiestes Regen.
Schnell ergreife die Gabe, preise den sicheren Segen,
Mag auch kurz sein der Tag, wird neu doch die Sonne erblickt,
Ist auch dunkel die Nacht, wird sie von Mond und Sternen bestickt.


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