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3.

Aber die Bekanntschaft zwischen den Herren Ambrus und Steinbock hatte nicht die Kirche vermittelt, sie waren ganz einfach vor mehr als dreißig Jahren – um das tolle Jahr 48 herum – Wirtschaftseleven auf Nachbargütern gewesen. Herr Steinbock bei einem Anhänger der nationalen Freiheitsbewegung, der seinen Eleven deshalb nicht weniger streng hielt, und Ambrus bei einem preußischen Junker der alten Schule, bei dem er aber erhebliche Freiheiten genoß. Politische Bewegungen bringen es mit sich, daß überall Menschen zusammenstehen und diskutieren. So trafen sich auch die beiden Eleven jeden Vormittag bei den Grenzschlägen und tauschten ihre Ansichten oder die ihrer Chefs aus, besuchten sich abends auf ihren Stuben und sprachen stundenlang miteinander und lasen sich Herweghsche und Freiligrathsche Freiheitsgedichte vor, die ihren Weg durch die Propaganda des freisinnigen Herrn von Overbeck in Nickelsdorf bis zu den Wirtschaftseleven der masurischen Güter gefunden hatten. Steinbock als überzeugter Katholik, dessen väterliches Gut im Herzen des katholischen Ermlands lag, hatte, der romantisierenden Zeitströmung nachgebend, die Befreiung der Polen befürwortet, während Ambrus, aus dem litauischen Winkel Preußens herkommend, sich mehr an Wilhelm Jordans, seines engeren Landsmannes, polenfeindliche Rede in der Paulskirche hielt. Trotz dieser und einiger andrer Meinungsverschiedenheiten fanden sich die beiden im Hochschwung einer nationalen und freiheitlichen Bewegung und schwärmten auf ihren Stuben von den Farben Schwarz-Rot-Gold, bis ihnen die Mamsell das Öl und die Unschlittkerzen sperrte. Es war nur natürlich, daß sie auch später in Verbindung blieben; als Steinbock sein väterliches Gut übernahm, das er dann, um Erbansprüche seiner Geschwister zu befriedigen, mit dem kleineren Schwenkendorf im Oberland vertauschte, und als Ambrus nach vergeblichen Versuchen, als Landwirt zu Ansässigkeit und Wohlstand zu gelangen, auf dem Umweg über eine Posthalterstelle in den Postdienst gekommen war.

Inzwischen hatten beide längst ihren Frieden mit dem preußischen Staat geschlossen, aber auf dem Grunde ihres Herzens lag noch immer ein Rest von Groll gegen Bismarck, und die paar Male, die sie im Leben zufällig zusammentrafen, gaben sie ihre Meinung dahin kund, daß Bismarck Österreich 1866 hätte zerstören und das großdeutsche Reich aufrichten müssen, das sie als Eleven im Jahre 48 erträumt hatten. Es war ein etwas spießbürgerlicher Nachklang der großen Bewegung, und die den schwachen Protest erhoben, hatten inzwischen einiges Fett angesetzt.

»Du wirst dich noch um Amt und Brot reden«, sagte Frau Henriette Ambrus, geborene Gnuschke, wenn ihr Mann ihr von solchen Gesprächen mit dem Jugendfreund erzählte.

»Na, Mutterchen, es hört ja doch keiner«, begütigte der Mann, und sie lächelte versöhnt, obwohl sie bei Ambrus' Unstetigkeit nie ganz aufhören durfte zu fürchten. Er neigte wie beschämt das Haupt und wiegte es melancholisch hin und her, als wollte er ausdrücken, daß die Zeiten nicht nach seinem Sinn waren. Aber er sagte nichts weiter. Manchmal setzte er sich an das Klavier und spielte Chopins Trauermarsch. Vielleicht dachte er an die einstige Polenbegeisterung des Freundes Steinbock dabei, vielleicht spielte er ihn aber auch nur, weil er so langsam ging, daß seine Finger ihn meistern konnten, denn eigentlich konnte er gar nicht Klavier spielen. Jedenfalls trug er seinen Bart nicht, wie es Sitte war, nach dem Schnitt des alten Kaisers oder gar Bismarcks, sondern nach dem des Kronprinzen, dem man eine freiheitliche Gesinnung nachsagte.

Das Leben Steinbocks war ruhiger verlaufen als das des viel umgetriebenen Ambrus, aber es war im Grunde schwerer gewesen. Über die Steinbocks hatte der Himmel seit jeher einen reichen Kindersegen ausgeschüttet, und sie nahmen es auch in dieser Hinsicht mit den Vorschriften der Kirche genau. Die Mädchen mußten versorgt werden und ihre Aussteuer und kleine Mitgift bekommen. Die Söhne, denen man keine Güter als Angebinde geben konnte, wollten auf dem Gymnasium und auf der Universität unterhalten werden. So kannte es Herr Steinbock aus seinem Elternhause, wo mit den Groschen gerechnet wurde. Er übernahm sein Gut verschuldet und verwahrlost, und es bedurfte zwanzig arbeitsvoller Jahre, ehe er aus dem Gröbsten heraus war. Jetzt freilich hatte er sich ein Herrenzimmer nach städtischem Muster einrichten lassen und verschiedene andere Anschaffungen gemacht, und er konnte einiges auf die hohe Kante legen. Es war aber auch nötig, denn die ältesten Kinder wuchsen heran. Erich hatte seine Volontärzeit hinter sich und in Halle einige Semester studiert, weil es doch ohne die Chemie nicht mehr gehen sollte. Er hatte dann in Königsberg sein Jahr abgedient und schweres Geld gekostet und war jetzt in Schwenkendorf Inspektor. Aber wer konnte wissen, wie lange er es noch ohne Frau und eigene Wirtschaft aushalten würde? Regine ersetzte im Haus zwei Kindermädchen und eine Mamsell, aber wer weiß, wie bald sie ausgesteuert werden sollte? Und hinter diesen, in einem Abstand von zehn Jahren – Frau Steinbock war lange krank gewesen – kam noch ein ganzes Volk von Nachzüglern: Anna, Erwin, Cölestin und Sylvius. Auch wenn man sich nicht mehr zu schinden brauchte, die Sorgen rissen nicht ab, und man war nicht mehr der Jüngste. »Kinder sind Hagelschlag«, pflegte schon der alte Herr Steinbock auf Scharnigk zu sagen.

Erich Steinbock hatte von der Universität nicht das übliche optimistische Vertrauen zu den Wissenschaften mitgebracht. Als er nach dem Studium, vollgefüllt mit den Lehren der Agrochemie, über die Felder ging und den sattsam bekannten Pflanzen mit seinem nunmehr geschärften Blick in die innerste Seele zu dringen suchte, wurde er plötzlich skeptisch gegen den vielgepriesenen Fortschritt moderner Wissenschaftlichkeit. Er glaubte, etwas Müdes und Ausgesogenes in dem Boden und seinen Erzeugnissen zu erkennen, was er vordem nie bemerkt hatte. Da erfinden wir immer Neues und bilden uns wohl noch ein, daß unsere Zeit alle anderen Zeiten an Klugheit übertrifft, sagte er zu sich selbst. Aber es bleibt dennoch alles beim alten, ja es wird immer ein bißchen schlechter, denn wir erfinden ja nur, wozu uns die unerbittliche Not zwingt und nicht etwa aus Genie. Alle unsere Erfindungen und Entdeckungen bleiben immer ein Stückchen hinter dieser Not zurück. Wir bilden uns jetzt wunder was ein, daß wir zur Fruchtwechselwirtschaft und künstlichen Düngung übergehen. Als wenn unsere arme ausgekochte Erde überhaupt noch etwas anderes zuließe! Und wir werden auch noch mehr erfinden und vielleicht sogar unsere Produktion steigern, aber auch nur, weil wir es wegen der zunehmenden Bevölkerung müssen, und nie ein Quentchen darüber hinaus. Im Gegenteil, wie wir uns auch mühen und schinden, immer werden wir hinter der Not und dem, was eigentlich sein müßte, zurückbleiben.

So erlebte er auf diesem ersten Spaziergang auf den väterlichen Feldern das harte Gesetz, unter das uns die Austreibung aus dem Paradies gestellt hat, in besonderer Gestalt. Und ähnliche Eindrücke erhielt er in seinem Dienstjahr. Er bemerkte, daß auch in der großen preußischen Armee mit Wasser gekocht wird, und er hörte bald auf, in diesem Heer die hohe Schule zu Vaterlandsliebe und Staatsbewußtsein zu sehen, tat seine Pflicht mit dem Bemühen, möglichst wenig aufzufallen, und verschmähte nicht die kleinen Hilfen, zu denen sich die Unteroffiziere und Feldwebel um geringe Zuwendungen leicht bereit finden ließen.

Aber diese Skepsis, zu der ihn auch das Dienstjahr brachte, drückte ihn nicht nieder, sie gab ihm eine freie und heitere Ruhe, und er wußte, daß man trotzdem seine Pflicht tun und schaffen müßte, um nicht allzu weit hinter der großen Not zurückzubleiben. Er übereilte nur nichts mehr, weil ein letztes Ziel ja doch nie zu erreichen war, aber man sah ihn mit großen ruhigen Schritten, breitschultrig und sonnverbrannt, mit dem Stock über dem Arm, durch die Felder gehen und immer dort auftauchen, wo Not am Mann war. Niemals war er hastig und launisch, aber immer in bestimmender Wirksamkeit, die um so mehr vor sich brachte, als er das Ganze nur wie einen notwendigen Zeitvertreib ansah.

Dabei leistete er sich einen gewissen Luxus und wußte ihn geschickt mit den Notwendigkeiten seines Berufs zu versöhnen. Er liebte zum Beispiel schöne Menschen und Pferde. »Es ist nicht nötig, daß man schlunzige Marjellen in der Küche und in den Ställen hat. Die hübschen arbeiten nicht schlechter, wenn man nur aufpaßt.« Er verbesserte auch das Pferdematerial und zog junge feurige Tiere in den Kutschstall, die er selbst einfuhr. »Es kostet nichts. Mit sechs, sieben Jahren kann man sie verkaufen, und Mutterstuten mit dem Trakehner Brand fressen nicht mehr Hafer als die elenden Kracken, die man bis jetzt in Schwenkendorf hatte.« Allerdings war es von da ab mit der Sicherheit ruhiger Wagenfahrten vorbei. Alle Augenblicke ging ein Gespann durch oder schmiß ein Wagen um, aber Erich lachte darüber, und da immer alles noch gut ablief, setzte er sein Stück durch. So kamen die Füchse an den Tafelwagen und die Braunen an den Schulwagen, der jeden Tag die jüngeren Geschwister nach der Schule zu schaffen und abzuholen hatte. Er zog sich einen prachtvollen Rappen als Reitpferd auf und wollte auch Regine zum Reiten bewegen. »Ich brauche noch im Kutschstall ein Pferd, das gut vor der Gig geht. Das kann dein Reitpferd sein.« Regine war ihm zu gleichmäßig tätig, er fürchtete, daß seine Schwester verkümmere, und wollte sie auf andere Gedanken bringen. Er hielt es entscheidend für ein junges Mädchen ihres Standes, ob sie einmal nur so aus dem Kinderzimmer und vom Plombieren der Milchkannen oder von einem Reitpferd in die Ehe spränge. Das bestimmt das Verhalten des späteren Ehemanns durch das ganze Leben hindurch. Aber Regine wollte nicht, weder einen Mann noch ein Reitpferd, und jedermann außer Erich hielt das für ganz natürlich.

Regine erschien ihren Eltern und allen Besuchern ganz glücklich in dem Ententeich ihrer Pflichten. Wenn bei Tisch etwas fehlte, war sie schon aufgesprungen und hatte es geholt. Wenn an Sonntagnachmittagen alle ausfahren wollten und einer zu Hause bleiben mußte, saß sie schon mit einer Handarbeit in der Veranda, den Kinderwagen des halbjährigen Sylvius neben sich, die Uhr auf dem Tisch, damit sie nicht vergäße, die Milch zur rechten Zeit warm zu machen. Wenn Herr Steinbock oder Erich frühmorgens auf die Pirsch gingen, stand sie um halb drei auf und besorgte das Frühstück und die Brote zum Mitnehmen. Sie wußte alles im ganzen Haus, wußte genau, welche Hemden Erich mitnehmen mußte, wenn er vom Urlaub nach Halle oder nach Königsberg zurückfuhr und daß der Vater zum Herbst eine neue Wollweste brauchen würde. Sie kannte alle Kühe, beaufsichtigte noch vor Tag das Melken im Stall und plombierte die Milchkannen. So fing ihr Tag an jedem Morgen an. Darauf ging sie gewöhnlich noch bis zur Fohlenkoppel, durchquerte den Gemüsegarten, ob die Frauen schon beim Jäten waren. Ging dann über die kleine Brücke in den Park, schritt ein wenig auf den stillen Wegen auf und ab und legte sich oben noch einmal hin, bis die Kinder aufstehen mußten.

Man hatte sich daran gewöhnt und betrachtete Regine wie einen Helden, aber so, wie die Zuhausegebliebenen die Kriegshelden ansehen: als ob Heldentum allein über alles Schwere hinaushöbe und es eben so recht die Natur des Helden wäre, im Schlaf aufgeschreckt zu werden, lange Märsche zu machen und zu verzichten. So als ob ein Held sich gar nichts Schöneres wünschen könne. Regine unterstützte diese Auffassung durch eine immer anhaltende Freundlichkeit, die nie umschlug, und wo ihr eine Versuchung kommen konnte, hatte sie sich schon von vornherein so ausdrücklich für die Pflicht entschieden, daß man nicht einmal bemerkte, wie sie an einem Scheidewege stand.

Erich war vielleicht nicht viel weniger tüchtig als sie, obwohl es vorkam, daß er eines Morgens ruhig im Bett blieb, wenn er keine Lust zum Aufstehen hatte, und daß er am Abend in die Stadt oder auf ein Nachbargut ritt und erst spät nachts zurückkehrte. Beide Geschwister hatten die gleiche gelassene Freundlichkeit, aber sie stammte bei Erich aus einer Verachtung des Lebens und Kälte gegen die Menschen, und bei Regine hob sie sich aus ganz anderen Tiefen. Sie war fromm.

Die Steinbocks waren schon fromme Katholiken gewesen, als sie noch im katholischen Ermland saßen. Jetzt, im protestantischen Oberland, hatte die Betonung ihrer Frömmigkeit zugenommen. Sie beobachteten streng alle Vorschriften der Kirche, fuhren jeden Sonntag zwei Meilen weit zum nächsten katholischen Gottesdienst und beichteten, und niemand setzte sich zu Tisch oder schlief ein, ohne ein stilles Gebet zu sprechen und das Kreuz zu schlagen. Es mag dahingestellt bleiben, ob die Steinbocks diese religiösen Formen mit innerer Hingabe und Ergriffenheit ausübten. Wenn man sie bei Tisch sah, wie sie zum Gebet die Köpfe senkten und das Kreuz schlugen, hätte man keinen Unterschied bei den einzelnen feststellen können. Es war aber so, daß Regine allein alle Inbrunst eines gläubigen Gemüts in diese Formen einsenkte, sich in sie einströmte, alle Schichten des Lebens durchstieß, um bis zum tiefsten Grund vorzudringen, den sie nie fand. Seit dem religiösen Unterricht, der ihrer Firmung vorausging, stand es so um sie. Sie fühlte die Verpflichtung, eine Heilige zu werden, nicht anders glaubte sie am Tisch des Herrn erscheinen zu dürfen. Damals hatte sie sich kasteit und im Gebet gewunden, um des Heils teilhaftig zu werden, dessen Notwendigkeit ihre klaren Sinne einsahen und dessen wallender Gefühlsnebel sie nicht einhüllen und aufwärts tragen wollte. So wählte sie den Weg, sich selbst in allen Kleinigkeiten des Lebens zu überwinden, weil sie fühlte, daß das das Schwerste war. Wo eine Erwartung in ihr aufkeimte, tat sie im Augenblick alles, um Hindernisse aufzutürmen. Wenn sie merkte, daß ihr etwas schwerfiel, sprang sie schon auf, um das noch Schwerere zu vollenden. Sie litt sogar darunter, daß sie alles liebgewann, in dessen Dienst sie sich stellte. Sie hätte lieber ihre kleinen Geschwister betreut, wenn sie ihr verhaßt und häßlich gewesen wären, und bedauerte fast die Ströme der Liebe, die sich zwischen ihr und ihnen spannten, und viel lieber bediente sie die Eltern, zu denen sie Scheu und Verehrung fühlte, und nicht die unmittelbare Liebe, die das Herz aufjubeln läßt.

Sie hielt die Glaubenssätze ihrer Religion für ganz und buchstäblich wahr und vertraute darauf, daß ihr emsiges Tun ihr oben im Himmel leuchtende Schätze sammle. Ohne diesen Glauben hätte sie es nicht Jahre hindurch ausgehalten, zu niemandem von ihren Kämpfen und Überwindungen zu sprechen. Sie sah, daß man einfach und ohne zu fragen bei ihr voraussetzte, was sie sich immer wieder neu erstreiten mußte, und schwieg dazu, weil sie auch dadurch ihre Schätze im Himmel sich häufen fühlte und in unmittelbarer Gewißheit lebte. Ihre Eltern ahnten nicht, was in ihr vorging. Sie nahmen als Verhalten einer guten Tochter, was in Wirklichkeit aus heiligen Quellen floß, und waren nur gerade zufrieden mit einem Tun, das den Himmel zu verdienen trachtete. Regine merkte wohl, wie sie sich mehr und mehr durch ihr Verschweigen von ihnen entfernte und eigentlich ganz einsam war.

Vielleicht hatte Erich eine Ahnung von dem, was in seiner Schwester vorging. Sie war mittlerweile zwanzig Jahre alt geworden. Er sorgte, als er aus Königsberg zurückkam, daß sie auf Bälle ging und zerstreuende Gesellschaft hatte. Sie nahm heiter entgegen, was sich ihr bot, aber ihr Verhältnis zu den überirdischen Dingen blieb davon unberührt, und eigentlich kam nichts völlig an sie heran. Sie hätte eine elegante junge Dame sein können, aber sie legte keinen Wert darauf. Sie war gleichgültig gegen ihre Kleider, und wenn sie etwas in der Stadt zu besorgen hatte, ließ sie nicht die Füchse anspannen, sondern fuhr mit dem Schulwagen und den alten Braunen hinein, die Anna und Erwin mittags aus der Schule abholten.

So hätte sie ihr Leben noch Jahre hindurch festsetzen können, bis irgendeine Veränderung von draußen kam. Sie wünschte sich keine, obgleich sie nicht eigentlich glücklich war. Aber sie hatte alle widerstreitenden Wünsche ins Gleichgewicht gebracht und hätte an Verdienst eingebüßt, wenn sie ganz glücklich gewesen wäre. Aber es war noch etwas anderes im Spiel, was sie immer wieder in ihrem Mütterchendasein festhielt: sie hielt sich für häßlich und glaubte, daß sie nur Enttäuschungen erleben würde. Wenn junge Herren sich ihr näherten, schob sie es auf das schöne Gut und die angesehene Stellung ihres Vaters. Gerade deshalb vermied sie ein elegantes Auftreten und hielt sich so bescheiden wie möglich, um niemanden anzulocken und womöglich ganz unbemerkt zu verschwinden. Vielleicht wäre überhaupt ihr Leben in anderer Richtung verlaufen, wenn sie mehr dem üblichen Schönheitstypus ihrer Umgebung entsprochen hätte. Ihr Äußeres hob sich in der Tat von der gesunden Stattlichkeit ihrer Eltern und Geschwister seltsam ab. Sie war von durchsichtiger Zartheit, aber von südlicher Dunkelheit. Ihre scharfen Züge hätten einer Spanierin gehören können, aber weil so gar nichts von südlichem Feuer in ihr zu sein schien und weil sie das schwarze schwere Haar in eine übliche Frisur einzwängte und ihre Augen eher kalt als leuchtend waren, alles ganz anders, als man sich eine Südländerin vorzustellen geneigt ist, hielt man sie für unscheinbar, während sie vielleicht schon in einer größeren Stadt bezaubert hätte. Sie glaubte nicht daran, daß sie jemandem gefallen könnte, und deshalb achtete sie auch nicht im geringsten auf die schüchternen Huldigungen Willy Amendes und hätte auch Richard Ambras nicht bemerkt, wenn man ihn überhaupt irgendwie unbemerkt hätte lassen können.


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