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Zwölftes Kapitel.
Ein gemischter Thee


Die Rechtsconsulentin, Madame Plager, hatte mehrere Bekannte zu einem gemischten Thee eingeladen – wir sagen: gemischten Thee, nicht, als ob dieser in Wirklichkeit vielleicht aus schwarzem und grünem bestanden, mit einer Zuthat von Vanille und Zimmt, wie es in der Stadt, in welcher unsere wahrhafte Geschichte spielt, zuweilen Mode war, sondern, weil erstens die Gesellschaft, welche zu diesem Thee eingeladen wurde, eine gemischte war, aus Herren und Damen bestehend, und auch, weil das, was bei diesem Thee gereicht wurde, in verschiedener Hinsicht gemischt genannt werden konnte; denn nach dem Thee mit Backwerk wurde ein förmliches Nachtessen gegeben.

Geneigter und vielgeliebter Leser! du bist schon verschiedene Male mit uns zum Kaffee und zum Thee gegangen, und wenn es nicht der Lauf dieser Geschichte gebieterisch verlangte, nochmals eine Einladung an dich ergehen zu lassen, so würden wir uns nicht unterstanden haben, dich wieder zu bemühen, in der Furcht, dir in dieser Hinsicht nicht mehr viel Neues mittheilen zu können.

Die Wohnung des Rechtsconsulenten Plager kennen wir bereits; wir haben, um damit von hinten anzufangen, ein großes Schlafzimmer, daneben ein Wohnzimmer, ferner einen sogenannten Salon, ein Eßzimmer und schließlich ein Kinderspielzimmer, worin sich auch das Bett der Großmutter befindet. Der Salon, sowie das Wohn- und Eßzimmer sollen für den heutigen Thee gerüstet werden; wir sagen: werden; denn obgleich es bereits Nachmittags vier Uhr ist, so herrscht doch noch in den drei genannten Zimmern ein förmliches Chaos ohne ein freundlich hervorblickendes Land, das auf eine spätere gänzliche Abklärung hoffen ließe.

Um diese Zeit verfügte sich Herr Doktor Plager meistens von seiner Schreibstube in die Wohnung, um dort seinen Kaffee zu nehmen. Als er dies auch heute that, begann er noch auf der ersten Treppe sich feierlichst zu geloben, daß nichts, was da oben geschehen könne und nicht geschehen sei, im Stande sein solle, ihn aus seinem stoischen Gleichmuthe zu bringen, selbst nicht die wahrscheinlich noch unangezogenen und ungezogenen Kinder – denn da es Feiertag war, hatte der Schulzwang nichts über Madame und Babette vermocht. Er gelobte sich, daß er kalt bleiben wolle beim Anblicke der verehrten Schwiegermutter, bei dem bekannten Aufziehen ihrer Mundwinkel, beim sanften Schließen ihrer Augen, bei dem Erheben ihres Kopfes, ja, bei ihren oft nichts weniger als freundschaftlichen Reden. Er wollte es nicht sehen, selbst wenn Babette gerade im Begriffe sei, mit seiner Haarbürste ihre eigenen Schuhe einzuschmieren oder dergleichen Sachen mehr zu thun, wo ein gänzliches Mißkennen dessen, was man diesem oder jenem Haushaltungsgeräthe schuldig sei, oft zu den unangenehmsten Conflicten führte.

Aber der Rechtsconsulent hatte Unrecht, sich das schon auf der untersten Treppenstufe zu versprechen. Durch eben dieses Gelöbniß vergegenwärtigte er sich aufs genaueste, was er alles droben finden könne und werde, dadurch regte er seine Nerven auf, und bei aufgeregten Nerven hat sich selbst der charakterfesteste Mensch nicht immer vollkommen in seiner Gewalt.

Herr Plager stieg also die Treppen hinauf, und als er gegen seine Wohnung kam, fand er seine beiden Sprößlinge in der That in nicht untadelhaftem Anzuge auf der Treppe sitzen und sich mit kindlichem Spiele ergötzen. Dieses Spiel bestand darin, daß Fritzchen des Vaters große Papierscheere in der Hand hatte und beschäftigt war, dieselbe auf einem sehr feinen Schleifsteine zu schleifen; daß aber Stein und Scheere hierbei nicht gut wegkamen, versteht sich von selbst, obgleich Louise bedeutend nachhalf, indem sie den Stein fleißig einölte, zu welchem Zwecke sie eine Küchenlampe neben sich stehen hatte, der sie mit einem kleinen Halstuche der Mama das Oel entnahm und dabei mehr auf den Boden tropfte, als auf den Stein kommen ließ.

Herr Plager fühlte seine Vorsätze wanken, als er die Arbeit der beiden Kinder sah; doch bezwang er sich, befahl ihnen, das Spiel aufzugeben und hinein zu gehen; ja, er nahm eigenhändig die mißbrauchten Geräthschaften und trug sie, ohne ein Wort zu sagen, in die Küche, wo er eine Putzfrau, die zur Aushülfe da war, ersuchte, alles das, soweit es sich thun ließe, wieder zu säubern.

Darauf trat er ins Zimmer.

Daß sich ein Eßzimmer einige Stunden vor einer Soiree nicht im aufgeräumtesten Zustande befindet, ist erklärlich, und so gern der Rechtsconsulent einen freien Kaffeetisch gesehen, mochte er doch heute um Alles in der Welt nichts sagen, als er bemerkte, daß Babette wenigstens ein Drittel von demselben in Beschlag genommen hatte, um eine Menge von Tassen für den heutigen Abend zu spülen. Er grüßte Frau und Schwiegermutter so freundlich, als es ihm möglich, und wenn auch die beiden Kinder, die sich hinter ihm ins Zimmer stahlen, außerordentlich verdrießliche Gesichter machten, so hatte doch Niemand Lust, nach der Ursache zu forschen. Ein Gang durch die übrigen Zimmer indessen, den er thun mußte, um ins Schlafzimmer zu kommen, machte es nöthig, daß er sich sehr an seinen Vorsatz erinnerte, ruhig zu bleiben, es möge geschehen, was da wolle.

In Wohnzimmer und Salon sah es trostlos aus, da standen auf Tischen und Stühlen Torten, Backwerk aller Art, Stearinkerzen, kaltes Fleisch, und dazwischen lagen Staubbesen, Waschschwämme, gebrauchte Kämme in süßer Eintracht. Der Salon schien zur Kleider-Garderobe umgewandelt worden zu sein; an den Fenstern hingen Röcke und Kleider, unnennbares Unter- und Oberzeug aller Art, ersteres mit langen Schnüren, die sich bis in die Mitte des geräumigen Zimmers schlängelten und das Durchgehen ordentlich gefährlich machten. Auf den Stuhllehnen balancirten künstliche Blumen und Hauben, und mitten in dieser Pracht standen ein paar große Pfannen mit Compot, welches sich hier zur Abkühlung befand.

Als der Rechtsconsulent dem Schlafzimmer zuschritt, glaubte er an die Unmöglichkeit einer Steigerung dieses Zustandes des Appartements. Aber es war eine Steigerung möglich; sie war gewiß nur mühsam zu erreichen, aber Madame Plager und Frau Mutter hatten sie erreicht. Das Schlafzimmer befand sich in einem Zustande, als sei es eben erst von räuberischen Horden verlassen worden; da streckten alle Commoden trostlos die geöffneten Schubladen von sich, da sperrten alle Schränke wie im Jammer ihre breiten Mäuler auf, da war kein Schloß uneröffnet, da war kein Gelaß, wo nicht der halbe Inhalt dessen, was zurückgeblieben war, malerisch über die Ränder bis auf den Boden herabhing.

Fassung! sprach Herr Plager zu sich selber, indem er mit den Augen zwinkerte und, als er gerade an dem Spiegel stand, die rechte Hand auf die Brust zwischen Weste und Hemd schob. Doch gab er diese majestätische Attitüde wieder auf, denn sie erschien ihm für den gegenwärtigen Augenblick zu herausfordernd. Fassung! sprach er nochmals, es gibt ja nicht jeden Tag einen gemischten Thee!

Damit ging er zurück ins Eßzimmer und setzte sich am Kaffeetische an seinen Platz, der ihm aber durch Babette mit ihren Tassen gar sehr verkümmert wurde. Vielleicht hatten sich durch das, was er gesehen, einige Wolken auf seiner hohen Stirn gelagert, vielleicht war sein Lächeln, mit dem er die freundlich sein sollenden Worte begleitete: »Nun, ihr macht ja gewaltige Vorbereitungen!« ein gezwungenes und schmerzliches; genug, die Schwiegermutter hustete leicht und warf einen Blick auf ihre Tochter, welche letztere alsdann sagte: »Ja, wenn man große Gesellschaften gibt, so muß man sich einige Stunden vorher schon etwas gefallen lassen, und es ist das bei allen übrigen Leuten gerade so.«

»Man läßt sich auch gern etwas gefallen,« versetzte gütig der Rechtskonsulent, »wenn nachher die Sache nur gut und glänzend ausfällt.

»Woran der Herr Sohn gewiß zweifeln,« antwortete die Schwiegermutter, »wie an so vielem, was wir unternehmen.«

»Im Gegentheil, Mama,« erwiderte Herr Plager mit seiner unverwüstlichen Gutmüthigkeit. »Ich bin davon überzeugt, daß, was Sie in Ihre Hand nehmen und gut durchführen wollen, auch gewiß gut durchgeführt wird.«

Die alte, würdige Dame sah den Hausherrn bei diesen Worten forschend an, ob sich nicht ein Zug des Spottes oder der Bitterkeit auf dem Gesichte desselben zeige; aber von allem dem war glücklicher Weise nichts zu sehen, Herr Plager lächelte fast glückselig, er trank mit Behagen seinen Kaffee, er tunkte eine mürbe Bretzel ein, ja, er trieb die Selbstverläugnung so weit, daß, als Babette ihm einen Wasserspritzen über den Aermel sandte, er diesen gleichmüthig abwischte und die großen Worte aussprach: »Wie viele Tassen! Werden die alle am heutigen Abend gebraucht? – Das ist ja eine ungeheure Arbeit!«

»Ja, es ist viel Arbeit, Herr Doktor,« entgegnete das Dienstmädchen, wobei sie den Kopf affektirt von einer Seite auf die andere wandte.

»Sehr viel Arbeit,« meinte auch die Schwiegermutter.

»Ja, davon habt ihr Männer keine Idee, was wir armen Weiber zu eurer Unterhaltung und zu eurem Vergnügen geplagt sind.«

»Zu unserem Vergnügen? Ei, ei!« sprach der Rechtskonsulent, indem er die Augenbrauen hoch empor zog und den Mund spitzle.

Die Schwiegermama nicke majestätisch mit dem Kopfe.

»Nun, das wirst du doch wohl nicht abstreiten wollen, lieber Mann,« sagte Madame Plager, bestärkt durch einen bezeichnenden Blick ihrer Mutter, »daß wir uns rein zu deinem Vergnügen aufopfern. Was brauchen wir eigentlich Gesellschaften? Ich kann dich versichern, eine Frau, die ihr Hauswesen in fester Ordnung halten muß, wie ich das meinige, kann eigentlich gar nicht daran denken, Gesellschaften zu geben. – Da die armen Würmer, das sind eigentlich meine Gesellschaft. Aber was thut man nicht dem Manne und dem Hausfrieden zu Lieb!«

»Ja, man thut ihnen viel zu Lieb,« fügte die Schwiegermutter mit strengem Blicke hinzu.

Der Rechtsconsulent dachte an seine Treppenvorsätze und war ein Muster der Geduld und Sanftmuth. Hiob konnte gegen ihn in diesem Augenblicke als ein heftiger, jähzorniger Charakter betrachtet werden. Er lächelte still in sich hinein und sagte: »Sei's darum, wenn ihr uns Männern durch eure Arbeiten viel Vergnügen macht, so danken wir euch auf's herzlichste.«

Babette hatte ihren Herrn noch nie so gesehen und blickte verwundert in die Höhe, um einem gleichen Blicke der Schwiegermutter zu begegnen, welchen diese ihrer Tochter zusandte. Das Dienstmädchen aber war ein »Racker,« und als sie sah, daß Herr Plager sanft wie ein Lamm war, rumorte sie in ihrem Kübel herum, daß sich sogar einige Spritzen bis zur Kaffeetasse des Hausherrn verloren.

Dieser schlucke einige Male, wie ein Karpfen in seinen letzten Nöthen auf trockenem Sande zu schlucken pflegt. Doch spielte gleich darauf ein himmlisches Lächeln über seine Züge, er kam sich wie ein geschundener Märtyrer vor, dem die Palme einer göttlichen Belohnung winkt. Hätte er nur in diesem Momente den Kübel nicht so fest ins Auge gefaßt, in welchem Babette ihre Tassen spülte. Er schien dieses Gefäß zu erkennen, und trotz all seiner guten Vorsätze lagerte sich plötzlich eine finstere Wolke des Unmuthes auf seine Stirn. – »Das ist doch nicht –?« fragte er mit erregten Blicken.

Die Schwiegermutter lächelte eigenthümlich, als wollte sie sagen: Paßt auf, jetzt geht's los! Er hat so lange gesucht, bis er etwas gefunden! – während ihre Tochter fragte: »Was meinst du denn? was soll sein?«

»Der Kübel da,« fuhr Herr Plager finster fort, »hat mir eine ungeheure Aehnlichkeit mit dem Wasch- und Fußkübel der Kinder.«

Unsere Wahrheitsliebe zwingt uns, zu erklären, daß der Rechtsconsulent Recht hatte und daß es wirklich dasselbe Geschirr war, von dem er argwöhnte, ja, die feste Ueberzeugung hatte, es müsse dies sein.

Doch zog bei dieser Aeußerung die Schwiegermutter so langsam und nachhaltig ihre Achseln in die Höhe, daß man sich fürchtete, sie nächstens über dem Kopf erscheinen zu sehen. Madame Plager dagegen zuckte zusammen und lächelte wehmüthig, als wollte sie sagen: Darum hat er so lange den Sanften gespielt, um uns nun mit einem Male gänzlich nieder zu drücken!

»Aber wie kannst du so etwas nur denken,« sagte sie, nachdem sie sich mühsam Fassung errungen. – »Den – pfui, ich wage es gar nicht einmal auszusprechen! – zum Tassenspülen zu gebrauchen!«

»Und glauben denn der Herr Doktor, daß ich das thun würde, einen solchen Kübel zum Spülen zu gebrauchen? – O, Herr Doktor, wir wissen auch, was sich schickt, wir haben in sehr vielen anständigen Häusern gedient.«

Aber es war dasselbe Geschirr, und der Hausherr zitterte fast vor Aufregung. Er hätte nur zu sagen brauchen: So bringt mir den wirklichen Fußkübel her, ich will ihn sehen – oder er hätte nur Fritzchen entscheiden lassen dürfen, das seltsam lächelnd und aufhorchend neben Babette stand und mit seinen kleinen Fingern auf die Reifen des Geschirrs tippte; – er hätte das thun können, aber er that es nicht. Der gegenwärtige Augenblick war der größte und erhabenste seines ganzen Lebens. Er überdachte, wie ein Streit zu jetziger Stunde ihm den ganzen Abend verderben müsse, wie dieser Streit außerordentlich heftig werden würde und wie er dann morgen und die nächstfolgenden Tage alle kleinen Versehen, die heute Abend vorkommen konnten, verschuldet haben würde, da ein unterdrücktes, zerknirschtes weibliches Gemüth nicht mit Ruhe und Liebe an seine Arbeit gehen kann. – Er schwieg nicht nur, er sagte mit einem tiefen Seufzer: »Irren ist menschlich, auch ich könnte mich vielleicht geirrt haben.« Er beachtete es nicht einmal, als die Schwiegermutter groß und erhaben sprach: »Ja, Herr Sohn, Sie haben sich geirrt; so lange ich die Augen offen habe, wird ein Fußkübel nie zum Tassenausspülen genommen werden, darauf können Sie sich verlassen!« – sondern er gelobte sich im Stillen, heute Abend in seinem eigenen Hause aus den Tassen, die Babette gespült, keinen Thee zu trinken.

Damit erhob er sich, um wieder nach seinem Bureau zurück zu kehren.

Noch überraschter als vorhin sahen sich die drei Frauenzimmer an und konnten es nicht begreifen, daß auch dieses Ungewitter, ohne sich zu entladen, vorübergezogen war.

Der Rechtsconsulent aber trieb seine Selbstverläugnung so weit, daß er im Bewußtsein, groß gehandelt zu haben, und milde gestimmt durch die Ueberwindung seiner selbst, den Versuch machte, seine Frau auf die Stirn zu küssen, und dies auch ausführte, trotzdem diese sonst nicht unschöne Stirn von einer schief stehenden Haube und einem Haarbüschel verunziert wurde, und obgleich sich Fingermale von Ruß und Staub darauf zeigten. Der Schwiegermutter eine Hand zu reichen, war ihm beim besten Willen nicht möglich, sonst hätte er das, dem Hausfrieden zu Lieb, auch noch gethan; aber diese Dame hatte einige Bäckereien besorgt, und nicht die Zeit gefunden, ihre Hände von Mehl und Teig zu reinigen.

Er pätschelte seine Kinder auf den Kopf, und das aus wirklicher väterlicher Zärtlichkeit und Zuneigung. Was könnt ihr armen Dinger dafür, sprach er zu sich selber, daß ihr eigensinnig seid und euch nicht wollt gehörig waschen und anziehen lassen, auch daß ihr gern mit eures Vaters Papierscheere, mit Schleifstein und Oellampe spielt! Das hat alles leider Gottes seine Ursachen.

Damit stieg er die Treppen hinab, und wenn er auch auf der ersten Stufe noch ungehört gewaltig seufzte, so hatte doch Herr Plager eine glückliche Natur, die leicht vergißt, und mit jedem Schritte abwärts rollte ihm so zu sagen ein Stein vom Herzen.

Die Drei blieben allein zurück und schauten einander eine Weile an.

Die Großmutter sprach zu den Kindern: »Ihr dürft ins Schlafzimmer spielen gehen; aber das sage ich euch, wer mir von Torte oder sonstigen Kuchen das Geringste anrührt, mit dem werde ich sehr hart umgehen.«

»Das ist erstaunlich,« meinte Madame Plager.

»Unbegreiflich!« die Schwiegermutter.

»So waren der Herr Doktor lange nicht gestimmt,« sagte Babette, indem sie spöttisch ihre Nase emporzog. »Ja, wer weiß!«

»In der That unbegreiflich,« bemerkte die Schwiegermutter abermals. »Der Mann hat sich total verwandelt.«

»Ja, so sanftmüthig habe ich ihn mein Lebtage noch nicht gesehen,« versetzte Madame Plager.

»Total verwandelt,« fuhr die alte würdige Dame fort, »oder –«

»Was – oder, Mama? – Vielleicht sieht er endlich ein, daß er uns bisher immer Unrecht gethan, uns zu hart behandelt, und will es nun wieder gut machen. – Meinst du nicht auch so, Mama?« setzte Madame Plager forschend hinzu.

»Nicht so ganz meine ich das,« entgegnete die Schwiegermutter. »So ein Mann fühlt nie, daß er Unrecht hat, und wenn er es wirklich fühlte, gibt er es auf keine Weise zu.«

Babette ließ Tassen und Spüllappen ruhen und schaute die alte Dame mit einem Blicke der Bewunderung an, als wollte sie sagen: »Das ist eine Frau, die versteht's!« Und gleich darauf lächelte sie so unbeschreiblich pfiffig, daß es selbst der Rechtsconsulentin auffiel; doch war diese zu beschäftigt mit dem Oder, welches vorhin die Mutter so bestimmt ausgesprochen, um auf das Dienstmädchen zu achten, weßhalb sie denn auch fortfuhr: »Du meinst also nicht, er fühle sein Unrecht, Mama? Warum könnte er denn plötzlich so verwandelt sein? Du wolltest vorhin etwas sagen.«

»Allerdings, ich wollte nur bemerken, daß ein Mann, der sich so plötzlich und auffallend ändert, – selbst wenn er sich zum Guten ändert,« setzte sie mit scharfer Betonung hinzu, – »seine Gründe dazu haben muß; entweder will er was erreichen – oder –«

»Nun, Mama, oder –? Ich habe dieses Oder schon zweimal gehört; was willst du damit sagen?«

»Oder,« fuhr die würdige Frau mit unerschütterlicher Ruhe fort, »ein solcher Mann, der sich plötzlich zum Bessern ändert – hat ein schlechtes Gewissen.«

»Ah, Mama!« seufzte die Rechtsconsulentin bestürzt, »das wäre ja erschrecklich!«

»Erschrecklich oder nicht,« sprach die Mutter, »aber es ist wahr.« – Dabei blickte sie triumphirend auf Babette, die, obgleich sie eifrig Tassen abtrocknete und von diesem Geschäft durchaus nicht aufschaute, doch so unaufhörlich mit dem Kopfe nickte, als habe sie das von einer chinesischen Pagode gelernt.

»Gerechter Gott!« sagte die Rechtsconsulentin kleinlaut, »soll denn immer mehr Unglück über mich armes Weib hereinbrechen? Ein schlechtes Gewissen, das wäre das Allerfürchterlichste! Denn worin kann so ein Mann gegen seine Frau ein schlechtes Gewissen haben, als in unerlaubtem Umgang mit –«

»Als in unerlaubtem Umgang mit –« sprach würdevoll die Schwiegermutter.

»Mit –« sagte Babette und sandte einen Blick gen Himmel, als frage sie dort oben an, ob es ihr erlaubt sei, ein unwürdiges Stillschweigen zu brechen.

»Habe ich das verdient?« sprach Madame Plager tief betrübt; »kann der Mann es wohl verantworten, mich so zu hintergehen, mich, seine Frau, die Mutter seiner Kinder, mich Preis zu geben dem Gespötte der Welt, daß man die Achseln zuckt, wenn man mich sieht – Mama, kann ich das leiden? Können wir das leiden?«

»Nein, das können und wollen wir nicht leiden,« versetzte streng die Schwiegermutter; »es ist hart, über so etwas zu sprechen, aber wenn man durch das unverantwortliche Betragen eines Mannes einmal gezwungen wird, davon zu sprechen, so muß man es nachdrücklich und ausführlich thun. – Babette,« fuhr sie nach einer Pause fort, »zieh' Sie kein Maul, als wenn Sie heulen wollte! Da hat sich was zu heulen! Auch Ihr kann noch was Aehnliches blühen, wenn Sie sich einmal verheirathet. – Das ist unser Loos hienieden.«

Aber Babette heulte trotz dieser Ermahnung; sie fuhr mit den Händen an ihre Augen, doch da diese Hände aus dem Kübel kamen, so sind wir zu der Annahme berechtigt, daß es mehr Spülwasser war als Thränen, was über ihre dicken Backen herabfloß. »Ach,« heulte sie, »man kann ja nicht immer glauben, was die Welt sagt; die Welt spricht so ungeheuer viel Böses, und mir hat man lange in die Ohren flüstern können, was man gewollt hat, ich habe immer gesagt: Nein, das ist nicht wahr, – da kenne ich meinen Herrn bester, es ist Alles erlogen, Alles, Alles!«

Die Rechtsconsulentin wollte sprechen, doch legte die Mutter ihr die Hand auf den Arm, winkte bedeutsam mit den Augen und fragte dann: »Und was ist alles erlogen? Will Sie wohl so gut sein, uns das zu sagen?«

»Du lieber Gott!« rief Babette mit erkünstelter Ueberraschung. »Habe ich etwas gesagt, Frau Doktorin? Habe ich etwas gesagt, Madame Weibel? Nein, ich habe gewiß und wahrhaftig nichts gesagt. Nicht wahr, ich habe nichts gesagt? Was hätte ich auch sagen sollen!«.

»Sie soll Ihrer Herrschaft sagen, was Sie weiß,« sprach die Schwiegermutter in sehr strengem Tone. »Mach Sie uns keine Faxen! Daß hinter Ihrem Geflenne etwas steckt, das kann ein Kind sehen. Also heraus mit der Sprache, Babette! Sie weiß wohl, daß ich mit mir nicht spaßen laste.«

»Aber was soll ich sagen, wenn ich nichts weiß? Das ist ja erschrecklich! Wenn man alles wieder erzählen wollte, was die Leute sprechen, ja, da hätte man viel zu thun, und davon darf man ja doch nur die Hälfte glauben.«

Abermals wollte die Rechtsconsulentin sprechen, doch wieder ließ sie sich durch einen Blick ihrer Mutter beschwichtigen, einen Blick, der zu sagen schien: »Laß mich nur machen, das geht alles seinen gewiesenen Weg.«

»Also, die Leute sagen doch etwas?« wandte sie sich darauf an das Dienstmädchen; »so wollen wir wissen, was die Leute sagen, und meinetwegen die Hälfte davon glauben.«

»Aber ich habe es nicht gesagt,« klagte Babette, »das werden Sie mir bezeugen, Madame Weibel, und auch, daß ich den Leuten entgegnet habe: Das ist schändlich und abscheulich! daß ich ihnen –«

»Nur zu, nur zu!« sprach unerbittlich die Schwiegermutter. »Was sagen die Leute?«

»Ja, wegen dem kleinen Abschreiber, den der Herr Larioz auf Veranlassung des Herrn engagirt.«

»Was? wegen des Abschreibers? was faselt die Person?« sagte die Schwiegermutter mit einem Gesichte, in dem sich etwas getäuschte Erwartung malte. »Was wollen sie mit dem kleinen Abschreiber?«

»Mit dem wollen sie freilich nichts,« fuhr Babette ermutigter fort, »aber er hat eine Familie.«

»Hörst du, er hat eine Familie!« klagte Madame Plager. »O, Gott, eine Familie! Am Ende gar Schwestern, für die man sich interessirt.«

»So ist es, Frau Doktorin; aber ich habe nichts gesagt. Er hat eine Schwester, die noch sehr jung ist, eine Schwester von ungefähr achtzehn Jahren, ein sehr schönes Mädchen und ein sehr freundliches Mädchen. Augen hat sie im Kopf, Madame Weibel, wissen Sie, von den gewissen lebhaften Augen!«

Die Schwiegermutter blickte triumphirend auf ihre Tochter, während sie mit dem Kopfe nickte. Sie brauchte jetzt Babette nicht mehr zu ermuthigen, denn da diese einmal die erste Scheu überwunden hatte, so lief ihr die Rede wie eine schmutzige Regenwassergosse von den Lippen.

»Ja, die Leute sagen,« fuhr sie fort, »der kleine Gottschalk sei nichts weniger als ein Abschreiber, und das habe Herr Larioz auch dem Herrn deutlich genug gesagt, aber der Herr habe daraus bestanden, den jungen Menschen, der früher ein Schneiderlehrling gewesen, auf das Bureau zu nehmen; natürlich der schönen Schwester zu Lieb – so sagen die Leute – die auf das Bureau gekommen sei, um den Herrn freundlich zu bitten, was er ihr nicht habe abschlagen können, weil sie gar so schön sei und ihn gar so freundlich gebeten, und die nun häufig komme – die schöne Schwester nämlich – um sich nach dem Befinden ihres – Bruders zu erkundigen. Sehr häufig komme sie – so sagen die Leute – und gehe in das Bureau des Herrn, natürlicherweise, da dieser nur allein wisse, ob man mit dem neuen Abschreiber zufrieden sein könne – so sagen die Leute. – Und es hat mir schon viel Kummer gemacht, und ich habe mich genug dagegen gewehrt und bleibe bei meiner Behauptung, daß man von dem, was die Leute sagen, immer nur die Hälfte glauben kann.«

»Mit Ihrer Hälfte!« entgegnete die Schwiegermutter mit finsterem Stirnrunzeln. »Als wenn da nicht schon der hundertste Theil mehr als zu viel wäre! – Siehst du es wohl,« wandte sie sich an ihre Tochter, »darum war er wie ein Ohrwürmchen, darum hat er nicht den Muth, seine Krallen wie gewöhnlich zu zeigen, sondern macht ein Pfötchen wie eine falsche Katze! O, es ist unverantwortlich!«

»Wie man so heucheln kann!« klagte die Rechtsconsulentin, »so ein schlechter Mann! – Und wie heißt die miserable Familie?«

»Brenner – Jäger Brenners,« versetzte eifrig Babette. »Und das Mädchen ist achtzehn Jahre alt.«

»Ist das nicht eine Sünde, so ein junges Mädchen!« –

»Ja, es ist eine Sünde,« sagte erhaben die Schwiegermutter; »aber wir wollen ihrer nicht theilhaftig werden, das versichere ich euch.«

Glücklicherweise polterte es in diesem Augenblicke so nachdrücklich im Salon, daß Madame Plager erschrocken auffuhr und nach ihren Kindern lief, auch klirrte es wie von zerbrochenen Tassen, und man vernahm einen Aufschrei des Schreckens. Fritzchen und Louise hatten sich das harmlose Vergnügen gemacht, mehrere Flaschen Wein zu entkorken und Stearinkerzen in die Hälse zu stecken. Sie hatten ein ähnliches Verfahren schon einige Mal im Kinderzimmer gesehen, wenn gerade kein Leuchter zu finden war, und freuten sich der gelungenen Nachahmung. Dabei aber hatten sie ein Tischchen umgeworfen mit verschiedenen Tellern und Gläsern, die nun zerbrochen am Boden lagen.

Die Rechtsconsulentin erhob in gerechtem Zorne die Hand, um ihre Sprößlinge zu züchtigen, doch verhinderte Madame Weibel, die ihr nachgeeilt war, sie daran, indem sie mit ihrer bewährten Unparteilichkeit sagte: »Keine Uebereilung, Emilie! Was können die Kinder dafür, daß du aufgeregt bist? – An ihn denke, der uns keine ruhige Minute gönnt, für ihn spare deinen Zorn oder deine Verachtung.«

Die Uhr schlug fünf, und es war Zeit, mit Eifer daran zu gehen, um aus dem unergründlichen Chaos in Salon, Wohn-, Schlaf- und Eßzimmer etwas Präsentables herzurichten. Wenn Madame und Frau Mutter übrigens angriffen, so gab es ein Stück; denn sie beobachteten bei diesem Angreifen ein sehr summarisches Verfahren; was gerade in der Nähe einer Schublade oder eines Schranks umher lag, das mußte in diese Gelasse hinein, es mochte im Gefühl des gänzlichen Nichtpassens wollen oder nicht. Freilich waren dafür in weniger als einer Viertelstunde alle Schubladen und Thüren zugeschnappt; wenn man aber am andern Tage ans Ausräumen kam, so fand man Stiefel und Stiefelknecht bei dem Weißzeug liegen, halb ausgerauchte Pfeifen des Herrn Doktors bei den Chemisetten und gestickten Aermeln der Frau, Hüte und Hauben auf Leuchtern und Lichtern aufgestellt und dergleichen Verirrungen mehr, die an sich ziemlich unschuldig und harmlos, dabei aber eine Quelle fortgesetzten Zankens und Unfriedens waren.

Wenn versöhnliche Gemüther nach gehabtem Kummer einige Zerstreuung haben, so löst sich ihr Schmerz in stille Wehmuth auf, und sie sind sehr gern zum Vergessen geneigt. Harte, verdrossene Charaktere dagegen, wie die der Schwiegermutter und der Madame Plager – wir können denselben diese Eigenschaften leider nicht vorenthalten – bestärken bei irgend welcher Arbeit, die Andere vergessen läßt, immer mehr ihren Unmuth und finden bei Allem, was sie thun, eine Anspielung darin, was mit dem, der ihnen Kummer verursacht, auch vielleicht vorzunehmen wäre. So nahm die Schwiegermutter keinen Stuhl bei der Lehne, um ihn an seinen Platz zu rücken, ohne dies mit einem gelinden Knuff zu thun, wobei sie sich ihren theuren Schwiegersohn vors innere Auge brachte – »könnte ich dich doch auch so knuffen! – warte nur!« Da wetzte sie kein Messer, ohne sich bei dem Knirschen desselben ihrer allezeit fertigen und scharfen Zunge zu erinnern und sich auf den für sie wollüstigen Augenblick zu freuen, wo die heute erfahrene Missethat gründlich ans Tageslicht gezogen werden sollte! Da schob sie kein Holz in den Ofen, ohne sich mit wahrem Frohsinn der vielen Lustfeuerwerke zu erinnern, die sie schon im Hause angezündet, da betrachtete sie mit kannibalischer Lust das Jagdgewehr über dem Bette des Rechtsconsulenten und steigerte dabei ihre Freude über den endlich Ertappten so, daß sie nicht unterlassen konnte, ein altes Lied vor sich hinzubrummen:

Heidi, heida, hei lustig ist die Jägerei
Allhier auf grüner Haid,
Allhier auf grüner Haid!

und dann setzte sie, während sie ein Sophakissen mit flacher Hand tüchtig patschte, um es vom Staub zu reinigen, hinzu: »Na, warte nur, die Jägerei wollen wir dir tüchtig anstreichen.«

Die Rechtsconsulentin war schon elegischer und deßhalb weicher gestimmt; sie breitete weißes Tafelzeug über die Tische und dachte an das Glück und den Segen der hellleuchtenden Unschuld; sie wickelte Papiere um die Stearinkerzen, und sie hatte ihre eigenen Gedanken dabei, wie der offenbar gewordene Fehltritt ihres Mannes nun wohl dazu geeignet sein würde, denselben gänzlich um den Finger zu wickeln; sie entkorkte die Bouteillen, wobei ihr der Spruch einfiel, daß im Weine Wahrheit sei – ach, und so viel Trug in dem Herzen eines Mannes!

Unterdessen hatten Mutter, Tochter, Babette und die Arbeitsfrau nach dem Ausdruck der Letzteren wie die Neger geschafft. Zudem vorhin erwähnten Chaos zeigte sich endlich als fester Kern der Haupttheetisch mit dem Wasserkessel, Thee- und Milchkannen und einer ganzen Schlachtordnung von Torten und Gebackenem. Das Andere gab sich leichter; das Speisezimmer, durch eine spanische Wand in zwei Hälften getheilt, diente zum Buffet für die Herren, dessen Thüren geschlossen blieben, bis später zum großen passenden Augenblicke; dann wurden in Salon und Nebenzimmer noch einige Nebentische gedeckt, Sopha und Stühle gerückt, und als die Uhr sechs schlug, überschaute die Schwiegermutter ihr und ihrer Tochter Werk und fand es gelungen und des Hauses Plager würdig.

»Ach,« seufzte die Rechtsconsulentin, »wenn man das doch ohne den tiefen Kummer im Herzen ansehen könnte!« Und darauf zogen sich Mutter und Tochter hinter die spanische Wand zurück, um ihren äußeren Menschen mit dem festlich geschmückten Appartement in Einklang zu bringen.

Zu gleichem Zwecke verarbeiteten Babette und die Arbeitsfrau Fritzchen und Louise im Eßzimmer, wobei der mehrfach erwähnte Kübel wieder eine solche Rolle spielte, daß sich Fritzchen, das unnachsichtlich abgeflößt wurde, im Zorn über diese schonungslose Behandlung mit der geballten Faust gegen seine Peinigerin wandte und zu ihr sprach: »Laß nur den Papa nach Hause kommen, ich will ihm schon sagen, daß du mich mit dem Spülwasser gewaschen hast!« – eine Anklage, bei welcher Babette wie erstarrt war und zur Putzfrau bemerkte: »Da sieht Sie, was das für ein böser Bube ist.« Und mit leiser Stimme setzte sie hinzu: »Der wird gerade wie sein Vater, immer Händel suchend und mit nichts zufrieden.«

Als der harmlose Rechtsconsulent gegen halb sieben Uhr abermals die Treppen seiner Wohnung hinaufstieg, geschah dies im Bewußtsein seiner bewiesenen Sanftmuth und mit den Gefühlen desjenigen, der fest überzeugt ist, zu Hause fröhliche und zufriedene Gesichter zu finden. Doktor Plager trat schmunzelnd auf den erleuchteten Vorplatz, er hängte dort seinen Paletot in eine finstere Ecke und ging mit einem freundlichen »Ei, ei!« in den von vielen Kerzen festlich beleuchteten Salon.

Das Gesicht der Schwiegermutter, die mit hoch gehobener Nase bei ihm vorüber rauschte, wollte ihm indessen nicht besonders gefallen, ebensowenig wie die Attitude seiner Frau, welche in einem Fauteuil saß, den Kopf in die Hand gelegt hatte und nur leicht und gemessen nickte, als er mit einem heiteren »Guten Abend!« ins Zimmer trat. Doch beachtete er es nicht, besonders, indem er an die viele Arbeit dachte, die es gekostet haben müsse, um aus dem Chaos, das er vor ein paar Stunden verlassen, diese nun in der That sauberen Zimmer herzustellen; auch drängte ihn die Zeit, weßhalb er sich, ohne viel zu fragen, nun ebenfalls hinter die spanische Wand zurückzog, um seine Toilette zu beendigen.

Es war übrigens keine Kleinigkeit, zwischen dem Wust von Kleidern, Unterröcken, Stiefeln, Strümpfen und dergleichen einen kleinen Platz zu gewinnen, wo es ihm möglich war, seine Alltagskleider mit dem schwarzen Frack zu vertauschen. Endlich war indessen auch er gerüstet und trat händereibend und sich auf den Abend freuend, wie er sagte, in den Salon zurück.

Die Schwiegermama stand mit finsterem Blick am Ofen und schien sich die Hände zu wärmen, wobei sie wie in ein weites Nichts hinausschaute und die Worte des Rechtsconsulenten gänzlich überhört zu haben schien.

Madame Plager dagegen antwortete nur durch einen tiefen Seufzer.

»Ihr habt auf jeden Fall sehr viel Arbeit gehabt,« fuhr der Rechtsconsulent nach einer Pause fort; »ja, gewiß viel Arbeit, ich sehe das, denn die Umwandlung hier ist ganz außerordentlich. Wirklich, Mama, außerordentlich!«

Die Schwiegermutter blitzte ihn an, dann sprach sie mit harter Stimme: »Ja, die Umwandlung muß dem Herrn Sohn gewiß ungeheuer erscheinen von der grenzenlosen Unordnung, die ja bei uns immer herrscht, in einigermaßen erträgliche Reinlichkeit.«

»Habe ich etwas von Unordnung gesagt?« fragte verwundert der Rechtsconsulent.

»Dieses Mal nicht.«

»Nun, dann wollen wir auch dieses Mal von was Anderem reden. Gewiß, Emilie, ich mache dir mein Compliment, man könnte glauben, zu Grafen oder Fürsten zu kommen. Und du selbst,« fuhr er fort, indem er ein paar Schritte gegen den Fauteuil wachte, »siehst in der Thal sehr gut aus, vortrefflich. Blau steht dir überhaupt gut, und dazu der dunkle Kopfputz – sehr schön, sehr schön!«

Er legte seine Hand auf ihren Arm, doch machte sie eine fast unmuthige Bewegung und stand auf, um, wie sie trocken sagte, in der Küche nach dem siedenden Wasser zu sehen.

Dieses Mal war die Verwunderung des Rechtsconsulenten schon größer, und es wollte ein gelinder Aerger bei ihm aufsteigen, doch bezwang er sich, wandte sich gegen das Fenster und summte die ersten Takte irgend eines Liedes vor sich hin.

Da klingelte es draußen, Babette öffnete die Glasthür, sagte »Guten Abend!« man hörte Mäntel rauschen, Ueberschuhe ablegen, dann wurde die Thür geöffnet und es erschienen mit einem Male zwei Schwestern der Rechtsconsulentin, die Frau Kaufmann Springer und die jüngste der Weibels, Clementine, eine junge Dame von vielleicht Vierundzwanzig, gut gewachsen, rund, mit einem frischen Gesichte, so daß sie wirklich hübsch genannt werden konnte.

»Guten Abend, Mama – guten Abend, Emilie!« sagten Beide. Madame Springer setzte auch hinzu: »Guten Abend, Schwager!« Clementine dagegen begnügte sich mit einem flüchtigen Kopfnicken.

»Wir wären schon früher gekommen,« sagte Letztere, »aber bei uns gibt es immer zu thun; man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, bis man nur an sich selbst denken kann. – Nun, wir sind doch noch die Ersten. Aber hübsch habt ihr's gemacht, das muß man sagen! Und so bald fertig, das thut dir keine Frau nach.«

»Ja, Emilie versteht's,« meinte Madame Springer. »Sehen Sie, Schwager, was Sie an der Schwester für eine Hausfrau haben; so kann ich nie die Gäste empfangen, das muß mein Mann thun oder Clementine, denn ich werde nie fertig.«

»Das ist wirklich erstaunlich,« sprach Herr Doktor Plager mit einem Anflug von Ironie, »obgleich Sie doch an Clementinen die große Hülse haben. – Nun, das ist aber gleich,« fuhr er begütigend fort, »dafür haben wir die Frau Schwiegermutter, die heute das Unmögliche geleistet hat.«

»Er will damit sagen,« bemerkte Emilie mit schwacher Stimme, »daß viel dazu gehört, um in unserem Hauswesen eine gewisse Ordnung herzustellen. O, ich muß das täglich ein Dutzend Mal hören!«

»Hundert Mal,« sagte betonend die Schwiegermutter, wobei sie aber um eine Million den Hausherrn nicht angesehen hätte.

Madame Springer indessen, die diese kleinen Reibereien schon gewohnt schien, änderte kluger Weise das Gesprächsthema, indem sie fragte: »Ihr habt viele Leute eingeladen, nicht wahr?«

»Sehr viele,« entgegnete Madame Plager; »ich weiß wahrhaftig nicht, ob wir Platz genug haben.«

»O, wir werden, wir werden,« meinte händereibend der Rechtsconsulent. »Geduldiger Schafe gehen viel in einen Stall, und ich halte es für angemessen, bei so einem großen Abfütterungstage einzuladen, was die Hauswände nur zu umfassen vermögen.«

»So möchte ich diese Gesellschaft aber doch nicht angesehen wissen,« sagte Madame Weibel; »wenigstens sind wir anderer Meinung.«

»Apropos, Schwager,« sprach Madame Springer, nachdem sie von ihrer Schwester Clementine leise am Kleide gezupft worden war, »wegen des polnischen Grafen wird es doch wohl eine kleine Confusion geben.«

»Daß ich mir nicht denken könnte,« versetzte der Hausherr unbefangen.

»Natürlicher Weise hat er ihm keine Einladung zugeschickt,« sagte Emilie.

» Natürlicher Weise keine,« bemerkte Fräulein Weibel, indem sie das Näschen empor zog; »wir haben es ja gewünscht!«

»Und deßhalb gibt es gerade leider eine Confusion; denn der Springer hat geglaubt, wenn er um eine Einladung für diesen ausgezeichneten Fremden bitte, so würde das genug sein, und hat darauf bauend denselben gebeten, mitzukommen; er bringt ihn später hieher.«

»Er bringt ihn hieher? – Ach, Frau Schwägerin,« sagte der Rechtsconsulent, »das ist mir nicht lieb!«

»O, daran hat Niemand gezweifelt,« sprach Madame Plager achselzuckend, »war es doch unser Wunsch!«

Der Hausherr schüttelte den Kopf, und wer ihn genau kannte, sah an der Art, wie er den Mund zusammenzog, während er die Augenbrauen tief herabsenkte, sowie an einer gewissen Rothe seiner Stirn, daß ein Gewitter im Anzuge war. Wie erwünscht wäre in diesem Augenblicke der Schwiegermutter ein kleiner Ausbruch gewesen! Ihr Blick war wahrhaft erschreckend, mit dem sie seine Züge musterte; es war, wie die im Laubwerk verborgene wilde Katze auf das Wiesel sieht, das ihr zur Beute werden soll.

Doch es erfolgte kein Ausbruch. – Ruhe, Ruhe! sprach der Rechtsconsulent zu sich selber, nur heute keine Scene! Laßt uns sehen, ob wir den heutigen Abend ohne Streitigkeiten verbringen. – Also wartete die Schwiegermutter vergeblich, und daß sie vergeblich wartete, wurde nicht auf Rechnung seiner Sanftmuth geschrieben, sondern mit bezeichnenden Blicken gegen die Tochter auf Conto des Gottschalk Brenner und Schwester.

Doktor Plager fuhr nach einer Pause fort: »Eure Wünsche zu erfüllen, ist mir immer sehr angenehm, und ich hätte auch durchaus nichts einzuwenden gegen den sogenannten polnischen Grafen –«

»Schwager Springer hat seinen Paß gesehen,« sagte Fräulein Weibel mit einem verächtlichen Blick aus ihren sonst so hübschen Augen. »Es ist der Graf Czrabowski, ein sehr liebenswürdiger und gebildeter Mann – sehr anständig. Aber ich weiß wohl, man muß andere Eigenschaften haben, um dem Herrn Schwager genehm zu sein.«

»Allerdings,« entgegnete der Angeredete mit einem wahren Lammsgemüthe, »ich liebe auch noch andere Eigenschaften an den Leuten, mit denen ich Bekanntschaft machen soll. Man läßt sich da in Geschichten ein, von denen man nicht weiß, wie sie auslaufen, und es ist einmal meine Ansicht, daß man dergleichen Sachen keinen Vorschub leisten muß; ist man doch in hiesiger Stadt wie toll auf einen hergelaufenen Fremden. Läßt sich irgendwo ein wackerer Herr Müller, Herr Meier oder Herr Fischer vorstellen, da forscht man nach, ob da durch zehn Generationen rückwärts nichts vorgefallen ist, worüber ein Dutzend alter Kaffeeschwestern oder sonstiger dummer Weiber ihre Schupftabaks-Nasen rümpfen können; kommt aber so ein lumpiger Fremder an, Herr Baron oder Graf so und so, der mit rechter Unverschämtheit austritt und sich gleich bei der ersten Visitte so benimmt, daß ihn ein anständiger Familienvater zur Thür hinaus complimentiren sollte, so ist das seine Bildung, vielleicht der Brauch des Landes, von wo er gerade herkommt, und deßhalb charmant und unwiderstehlich. – O, wir kennen das! Ihr kennt's aber auch; und trotzdem wird's nicht bester. – Apropos, Frau Schwägerin,« wandte er sich an Madame Springer, da er sah, daß die vier Damen ihn sprachlos anstaunten, »allerdings beliebten Fräulein Clementine zu sagen, daß sie den Paß des würdigen Grafen eingesehen. Wie ist es denn mit den Kreditbriefen? Was sagt Herr Springer davon? Hat er solide auf euer Haus? – Glaube nicht, glaube nicht! Hat freilich versprochen, wie ich gehört, die Kreditbriefe kämen nach, und hat bis dahin einen Vorschuß gewünscht – hahaha! Kämen nach die Kreditbriefe! Ja, was da nachkommt, wissen wir; was nachkommt, schlägt die Fersen wund, sagt ein altes Sprichwort. – Hahaha!«

Clementine Weibel zuckte mit dem Ausdrucke der tiefsten Verachtung ihre Achseln, und nachdem ihre Mutter gesagt: »Ihr Lachen ist gerade nicht sehr erfreulich, Herr Schwiegersohn!« meinte die junge Dame:

»Der Herr Schwager haben freilich noch nie Herz für irgend welches Unglück empfunden und begreifen nicht, daß ein anständiger Mensch, daß eine edle Seele leichter in augenblickliche Verlegenheiten gerathen kann, als ein alltäglicher Mensch, der nur auf das Zusammenscharren bedacht ist.«

Sie begleitete ihre Worte mit einer sehr bezeichnenden Handbewegung, die übrigens der Rechtsconsulent nicht sah, da er sich in diesem Augenblicke nach dem Tische wandte, um das Licht der Stearinkerze von einer sehr großen Schnuppe zu befreien, die es verdunkelte.

»Aber lassen wir dergleichen Reden,« sagte er bei diesem Geschäft. »Gleich kommen Gäste, und wir müssen und wollen ihnen heitere Gesichter zeigen. Clementine ist, wie immer, undankbar gegen mich. Ich habe bei meinen Einladungen sehr auf sie Rücksicht genommen, der junge Fabrikant hat mir mit wahrhaftem Entzücken zugesagt, daß er kommen werde.«

»Hörst du's, Mama,« sprach das Mädchen mit jenem unbeschreiblichen Gesichtsausdrucke, der ein beleidigendes Bedauern über den schwachen Verstand des Betreffenden ausdrückte, »was er für mich gethan! Er hat den Schilder eingeladen! Als wenn ich mir aus dem Schilder nur so viel machte!« Damit knippte sie die Nägel ihres Daumen und Zeigefingers der rechten Hand zusammen. – »Nur so viel!«

»Das glaube ich fast,« versetzte ernst Herr Plager, »und ich begreife es am Ende; Herr Schilder ist ein ruhiger, gesetzter Mann ohne großes Maulwerk, trägt auch keinen herausfordernden Schnurrbart oder Gott weiß, welches Band im Knopfloch, und hat vor allen Dingen solide und ernste Absichten.«

»Hörst du es nun wieder?« rief Fräulein Weibel, indem sie sich rauschend herum wandte und ihrem Schwager einen sehr bösen Blick zuwarf. »Weil er solide Absichten hat, mag ich ihn nicht! Also – – wir lieben das Unsolide!«

»Davon und namentlich von dem wir ist durchaus keine Rede,« entgegnete ruhig der Hausherr. »Ich wollte nur sagen – und über das, was ich sagen wollte, werde ich kein Blatt vor. den Mund nehmen – daß so eine ruhige, wenn ich mich so ausdrücken darf, hausbackene Verbindung, wie die mit Herrn Schilder, sehr wenig nach dem Geschmack mancher jungen Dame und auch nach dem unserer theuren Schwägerin Clementine ist. Aber,« fuhr er nach einer Pause, als Alle schwiegen, fort: »ich halte es für sehr unrecht, eine Sache, die man schon hat vorangehen lassen, wieder auf einmal abbrechen zu wollen. Herr Schilder ist ein sehr ruhiger junger Mann, und er sagte mir neulich im Vertrauen, er hoffe, die Sache würde sich arrangiren, denn Fräulein Clementine scheine ihm nicht ganz abgeneigt.«

»Woraus schließt er das?« fragte heftig die junge Dame, indem sie sich erröthend gegen ihren Schwager umwandte.

»Nun, das schließt er vielleicht aus allerlei Zufälligkeiten auf dem letzten Balle, bei Spaziergängen und sonstigen Begegnungen, im Theater, oder was weiß ich, wo sonst noch!«

Fräulein Clementine Weibel mußte in der That in diesem Punkte ein nicht ganz ruhiges Gewissen haben, denn sie warf den Kopf affektirt in die Höhe und entgegnete: »Du lieber Gott, was sich diese Leute nicht Alles einbilden! Es wird einem doch wahrhaftig erlaubt sein, rechts oder links zu schauen, wie es einem gut dünkt! Oder meinen der Herr Schwager nicht so?« setzte sie spöttisch hinzu; »soll ich vielleicht jedesmal um Erlaubniß fragen, wie und wohin ich mich drehen soll, was ich sagen muß, ja, was mir zu denken erlaubt ist?«

Der Rechtsconsulent betrachtete die Sprecherin einen Augenblick kopfschüttelnd und lächelnd, dann sagte er: »Glaube mir etwas, Clementine, ich bin herzlich froh, daß du mich über keinen der angegebenen Punkte um Erlaubniß zu fragen hast.«

Damit ging er ins Nebenzimmer, um sich sein vergessenes Taschentuch zu holen.

Die Schwiegermutter blicke ihm mit sehr erhobener Nase nach und wollte schon eine giftige Rede hinter ihm drein schleudern, als Madame Springer besänftigend sprach:

»Laß es gut sein, Mama; da wir unter uns sind, so wird mir Clementine nicht übel nehmen, wenn ich sage, daß schon etwas Wahres an dem ist, was er behauptet. Der Schilder ist nicht nur eine gute, sondern sogar eine vortreffliche Partie. Du weißt sehr wohl, Clementine, daß wir wenig Vermögen besitzen, und hast es schon oft genug gesehen, wie es jungen Mädchen geht, die aus Laune eine gute Partie von der Hand weisen.«

»Ach ja,« seufzte Clementine, »wohl weiß ich das! Ich habe auch nicht im Geringsten etwas gegen den Schilder, wenn er nur nicht so fade blonde Haare hätte!«

»Das ist allerdings ein großes Unglück,« sagte Madame Weibel in gedehntem Tone, wobei sie ihre jüngste Tochter scharf fixirte. »Fades blondes Haar – wenn man sonst ein anständiger junger Mann ist! Glaubst du vielleicht, ich hätte an deinem Vater – Gott habe ihn selig – nur eine solche Kleinigkeit auszusetzen gehabt, oder andere Weiber wären nicht zufrieden, wenn es nur fade blonde Haare wären, die sie an ihren Männern genirten?«

»O, wie wahr!« seufzte Emilie.

»Mama hat Recht,« sprach beistimmend Madame Springer.

»Aber mein Herz, Mama, das muß doch auch für ihn sprechen! – Was ist das Leben ohne Liebesglanz?«

Bei diesen Worten lachte Madame Springer laut hinaus; selbst über die trüben Züge der Rechtsconsulentin kroch ein kleines Lächeln.

»Von Liebesglanz, mein Kind,«, sagte darauf die Frau des Banquiers, »mußt du nicht träumen, das steht in den Büchern und bleibt dir immer unverwehrt nachzulesen; das Leben aber ist ernst, und es verlohnt sich schon der Mühe, etwas für sich zu thun. Sei deßhalb gescheidt! Du weißt, Springer ist gewiß kein Enthusiast und ohne Vorurtheil für Diesen oder Jenen; aber wenn er von Schilder spricht, da nickt er beifällig.«

In diesem Augenblicke wurde draußen die Klingel etwas heftig gezogen; man hörte aus dem Vorplatz schwere Tritte, auch Säbelklirren, und nachdem Babette die Thür geöffnet, traten zwei Lieutenants auf einmal in den Salon.


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