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Elftes Kapitel.
Der Neffe des Jägers


Der Schlag, den Eugenie auf das Gesicht des unverschämten Kammerdieners geführt, schien auf verschiedene Art das ganze Haus getroffen, es erschüttert und in Aufregung gebracht zu haben. Um unten anzufangen, so zeigte ein kleiner Bauernjunge, der Holz und Wasser für die Küche zutrug, der Köchin unter einem verschmitzten Lächeln mit dem Zeigefinger von der Stirn über das linke Auge, die Wange, einen Theil der Nase bis zum Halse hinunter, wobei er schmunzelnd sagte: »So hat er's gekriegt – und fest!« Die Köchin stemmte ihre Arme in die Seiten, indem sie versetzte: »Gott lohne es dem gnädigen Fräulein, da hat sie eine gute That gethan!«

Der alte Baron hatte die Scherben seines kostbaren Gefässes mühsam auf dem Boden zusammen gesucht und war seufzend in sein Zimmer gegangen, um den Versuch zu machen, die Vase wieder zusammenzustellen; doch war das keine so leichte Arbeit, und wenn er sich auch im Anfang unsägliche Mühe gab, die Stückchen an einander zu passen, so schien er doch bald zu ermüden, und die Finger spielten nur noch wie willenlos mit den kleinen Scherben, während er in tiefe Gedanken versunken, vor sich hinstarrte; er konnte das, was vorhin geschehen, nicht recht mit der Zukunft, wie er sie sich vorgestellt, vereinigen; Eugenie sollte das Haus verlassen – sie, die ihn allein noch mit der Welt vereinigte, die den alten Mann bei so vielen Gelegenheiten unter ihren Schutz genommen und die mit einer wahren Eifersucht darüber wachte, daß ihn nicht ein harter Blick, ein unangenehmes Wort verletze, und die, wenn solches einmal geschah, Mittel und Wege wußte, es auszugleichen, wieder gut zu machen – und sie sollte das Haus meiden, ihn allein lassen mit der Baronin, mit – François! Wenn er freilich über die finsteren Klippen dieser Gedanken hinüber war, so glätteten sich seine Züge auf, und er dachte an Eugeniens Glück, und wie auch für ihn später heitere Tage noch daraus entspringen könnten. – –

Baron George von Breda war an dem Kaminfeuer allein geblieben, doch hatte er seinen Fauteuil gewandt, um bei der spielenden Flamme vorbei durch die Fensterscheiben in den stillen Wald blicken zu können. Schon lange hätte er Eugenien eine angenehmere Existenz gewünscht, schon lange war er entschlossen, ihr dieselbe in seinem Hause zu bereiten; gab es auch etwas Natürlicheres, als das Kind seiner Schwägerin in seinem Hause aufzunehmen? Seine Ehe war kinderlos geblieben, er erwartete auch keine Nachkommen mehr, und doch schwärmte er dafür, sein Haus mit einem jungen freundlichen Wesen zu beleben; es war ihm zu still und einsam dort, deßhalb hatte er auch schon seit mehreren Jahren angefangen, die Gesellschaft seiner früheren Freunde und Bekannten aufzusuchen. Frau von Breda hatte ein stilles, fast verschlossenes Wesen, sie war gern allein, sie sprach nicht viel, sie liebte es nicht, in Gesellschaft zu gehen, noch solche bei sich zu empfangen. Das alles gab dem großen, schönen Hause ein fast trauriges Ansehen; da waren ganze Appartements, die nur geöffnet wurden, um frische Luft herein zu lassen, wenn es der Kammerdiener des Herrn Barons einmal nothwendig fand.

Und diese bisher verschlossenen, so stillen Appartements erschienen dem Träumenden am Kaminfeuer jetzt auf einmal in ganz anderer Gestalt; die Fenster waren weit geöffnet, Frühlingswehen und Blumenduft drangen herein, der Hauch der Einsamkeit und der Langenweile, welche in ihnen gebrütet, verschwand vor dem frischen herzlichen Lachen des jungen Mädchens. Da saß sie am Fenster und rief lustig hinab: Onkel George, Onkel George! und wenn er darauf eilig vom Pferde sprang, so ging er nicht mehr leise und bedächtig über den Teppichstreifen, sondern er sprang in drei, vier Sätzen hinauf, daß seine Sporen klirrten und daß die Blumen in den jetzt leeren Kästen an der Treppe sich bewegten und wie freudig nickten. Sie sprang ihm entgegen, er faßte ihre Hand, hob ihren Kopf an dem weichen Kinn in die Höhe und küßte sie väterlich auf die Stirn; er plauderte mit ihr so lustig und lachend, wie er es lange nicht mehr gethan, ja, wie er es eigentlich nie gethan – er war ganz anders geworden und führte ein Leben, wie er wohl zuweilen geträumt hatte, daß es ein Mensch führe, der vollkommen glücklich genannt werden dürfe. Aber er, ah! er fühlte in der nächsten Sekunde, daß solches Träumen doch nur ein Traum sei und bleiben müsse; und als er das gefühlt, gestaltete er seine Phantasieen anders; auch jetzt waren die Appartements seines Hauses geöffnet, und an den offenen Fenstern saß Frau von Breda, ihr gegenüber Eugenie, und auch jetzt trat er eiliger, freudiger hinein, als er es sonst wohl zu thun pflegte; er reichte seiner Frau die Rechte, während er die Linke auf das volle dunkle Haar Eugeniens legte. Und dann fragte sie, wo Onkel George gewesen sei, lachte herzlich und unbefangen und plauderte eine Stunde um die andere hinweg, glättete auch eine Falte um die andere auf der Stirn der ernsten Frau, während er nicht müde werden konnte, dem Plaudern des jungen Mädchens zu lauschen.

– – So träumte er; aber wenn er zuweilen aus diesen Träumen auffuhr und sich, umher blickend, ganz wieder der Wirklichkeit überließ, da spielte ein eigenes, ernstes, fast schmerzliches Lächeln um seine Züge; er konnte dann die Lippen zusammenpressen, nachdenklich in die Kamingluth schauen und, wenn dort ein glühendes Holzscheit knisternd zersprang, daß Tausende von Funken emporflogen, auffahren und sagen: »Ich bin nicht das Schicksal, ich habe jenes Ereigniß nicht herbeigeführt, ich habe ruhig gewartet; jetzt aber geschehe, was da will. Und gewiß nur Gutes, dafür bürge ich mir selbst mit meinem festen Willen.«

Die Baronin hatte unterdessen Eugenie an der Hand in ihr Schlafzimmer geführt, und obgleich sie anscheinend sehr ergeben und ruhig war, so zucke es doch schmerzlich um ihren Mund, und sie wandte häufig den Blick ab, um den sonst so klaren, jetzt aber umflorten Augen ihrer Tochter nicht zu begegnen, die häufig sinnend auf ihr ruhten. Die Baronin kannte ihre Tochter und wußte, daß ein einziges Wort der Klage, ein einziges Wort des Leides darüber, daß Eugenie nun vielleicht für länger das elterliche Haus verlassen solle, das junge Mädchen bestimmt haben würde, dem Herrn von Breda zu sagen: Onkel George, es ist doch bester, wenn ich da bleibe. Deßhalb that die Mutter so unbefangen wie möglich, sprach über Dies und Das, wobei sie natürlich vermied, jenes unangenehme Ereigniß zu berühren, und sagte: »Es ist schon lange meine Absicht gewesen, dem Wunsche der Tante Breda nachzugeben und dich für eine Zeit lang nach der Stadt zu lassen. Du bist jetzt erwachsen, die Einsamkeit hier taugt nicht für dich, du mußt die Gesellschaft kennen und mit Menschen umgehen lernen. Von einer Trennung kann ja nicht die Rede sein, in einer Stunde bist du wieder hier oder sind Papa und ich bei euch in der Stadt. Gewiß, meine liebe Eugenie,« sprach die Mutter, indem sie den Kopf der Tochter mit ihren Armen umschloß, »es ist mir jetzt lieb, daß es so gekommen ist; der Himmel wird weiter helfen.«

Ob das junge Mädchen die Worte ihrer Mutter so aufnahm, wie diese sie sprach, oder ob sie nicht aus der zuweilen zitternden Stimme einen anderen richtigeren Sinn heraus las, wollen wir nicht weiter untersuchen; genug, sie nickte häufig mit dem Kopfe und sprach: »Ja, Mama, ich will nach der Stadt gehen, wenn ihr es wünscht, und das Haus der Tante ist nicht weit von hier, ich brauche keine Stunde, wenn ich einmal eilig da sein will.«

Darauf wollte die Mutter Vorbereitungen treffen und die Sachen Eugeniens in einen Koffer packen, doch besann sie sich eines Anderen und meinte: »Ich kann das diesen Abend thun und will dir nur, was du für heute nothwendig brauchst, mitgeben. Dazu bedarf ich deiner Hülfe nicht, liebe Eugenie, und wenn du noch einen kleinen Gang in den Park machen willst, um dort von den Stellen, die dir lieb und werth sind, einen vorläufigen Abschied zu nehmen, so habe ich nichts dagegen.«

Das sagte sie nur, um allein zu sein, wußte aber in der That nicht, wie ihre Worte so vollkommen mit dem Wunsche des jungen Mädchens zusammen trafen.

Eugenie stand am Fenster und hatte schon lange auf die mächtigen Bäume hinabgeblickt, die ihre jetzt ziemlich kahlen Aeste weit über den Boden ausbreiteten, wo verdorrte Blumen, braune Gräser und gelbrothes Laub deutlich den späten Herbst anzeigten. Doch blieben ihre Augen nicht auf der nächsten Umgebung des Waldschlosses haften, auch nicht auf dem kleinen dunkeln See, der sich dort ausbreitete, sondern sie verfolgte mit ihren Blicken einen Weg, der jenen umkreiste, sich dann zwischen den Bäumen verlor, noch eine ziemliche Strecke sichtbar blieb, und zuletzt in einer Niederung verschwand.

»Wenn du meinst, will ich so thun,« sprach das Mädchen nach einer kleinen Pause, wobei sie forschend nach ihrer Mutter blickte, die aber das Gesicht abwandte und sich mit einem kleinen Nachtsacke zu schaffen machte.

Statt aller Antwort nickte die Baronin mit dem Kopfe, und Eugenie verließ still das Zimmer.

Als sie auf einer kleinen Seitentreppe hinunter kam – sie hatte es sorgfältig vermieden, bei dem Frühstückszimmer, wo sich Onkel George befand, vorüber zu gehen – verließ sie sogleich das Haus und wandte sich so um dasselbe herum, daß weder Herr von Breda noch sonst Jemand, der zufällig am Fenster gestanden, sehen konnte, welchen Weg sie jetzt nahm. Statt gegen den See zu gehen, schlug sie einen Pfad ein, der scheinbar von demselben abführte; scheinbar sagen wir, denn nachdem das junge Mädchen in eine unbedeutende Terrainvertiefung hinabgestiegen war, an deren Rand das Waldschloß lag, und nachdem sie eine kleine Brücke überschritten, unter welcher das Abwasser des See's dahin floß, stieg sie wieder aufwärts und befand sich in kurzer Zeit auf der Fortsetzung jenes Weges, den sie droben vom Fenster aus gesehen.

Wie war der Wald so still! – so still, daß jeder Tritt ihrer feinen Füße ein Geräusch machte, als stampfe Jemand absichtlich derb auf den Boden, und daß man jedes fallende Blatt zwischen den Zweigen vorbei streifen und dann auf den Boden niederfallen hörte.

Es ist etwas Eigenthümliches um so einen herbstlichen Wald; zahlreiche Echo's, die sich im Sommer wie unter dem Laub versteckt hielten, scheinen jetzt wach zu werden und neckend ihr Spiel zu treiben mit dem Klang deiner Schritte, mit einem lauten Wort, das du sprichst, mit dem Ton einzelner Vogelstimmen, die hier und da von fern her laut werden. Und wie hat sich jetzt die Aussicht erweitert und verändert! Du mußt den Wald, durch den du gehst, schon ziemlich genau kennen, um dich nicht zu verirren; wo früher eine dichte grüne Wand war, da siehst du nun einen graugelblichen Stamm hinter dem anderen immerfort, weit, weit in die Ferne; dein Auge kann nicht bis ans Ende dringen, und das macht dir ein unheimliches Gefühl. Im Sommer umgeben dich schützende Laubwände, jetzt ist rings um dich Alles offen, tausende von für dich unsichtbaren Augen können hinter jedem Stamme hervor deine Schritte belauschen.

Auch Eugenie, wie sie so dahin wandelte, schien einen ähnlichen Gedanken zu haben; wenigstens blickte sie zuweilen rückwärts, wo ihr geübtes Auge kaum noch die Dachspitzen des elterlichen Hauses sah, oder zu beiden Seiten, wo sich, wie wir vorhin bemerkt, ein Baum neben und hinter den andern schob bis weit, weit in die Ferne. Zuweilen blieb sie auch stehen und lauschte auf irgend ein Geräusch, welches hörbar wurde. Doch schritt sie gleich darauf beruhigt weiter; denn was sie gehört, ergab sich vielleicht als der Klang einer Axt oder das Bellen eines Hundes.

Wenn sie so darauf hinlauschte, so that sie dies jedoch durchaus nicht mit dem Zeichen der Vorsicht oder der Angst – im Gegentheil, die bekannten Waldtöne schienen sie zu freuen, und wenn sie darauf horchend stehen blieb und zuweilen mit dem Kopfe nickte, als wollte sie sagen: ach, ich kenne dich, du bist Das und Das! – so hob sie gleich darauf ihre Hand wie zum Gruß, wie zum Abschied.

Ja, sie nahm Abschied, herzlichen Abschied von dem Walde, in dem sie so zu sagen aufgewachsen war, dessen innerstes Thun sie kennen gelernt, dessen geheimstes Leben sie belauscht, der ihr ein Freund geworden war, ein theilnehmender, verschwiegener Freund, dessen schönem, gewaltigem Herzen das Kind und die Jungfrau ihre Wünsche anvertraut und der sie mit Licht und Schatten, mit Vogelsang und Kräuterduft, mit Blumen, Blüthen und murmelndem Wasser erquickt, beruhigt und getröstet – ein guter, treuer Freund, mitfühlend wie kein anderer. Deßhalb nahm sie auch so herzlichen Abschied von ihm; rechts und links streckte sie ihre Hände aus, um auf Augenblicke zu erfassen, was zu erfassen war; über die Rinde alter Bäume strich sie mit der feinen Hand, dürre Blätter und nackte Zweige ließ sie durch ihre Finger gleiten, und wo sie am Boden noch etwas von einer Waldblume entdeckte oder frische Epheublätter an irgend einem alten Steine, da fuhr sie leicht darüber hin, wie durch diese Berührung Abschied von ihnen nehmend.

Auf einmal blieb sie stehen und horchte nach der linken Seite. Dort glaubte sie ein für diesen Wald seltenes Geräusch vernommen zu haben – das Rollen und Knarren eines Wagens, nicht das Geräusch eines Holzkarrens, nein, es war wie das feine Klingen und Klirren einer leichten Equipage, begleitet vom dumpfen Rollen der Räder, jetzt im weichen Sandboden gänzlich verschwindend, dann wieder deutlich werdend, wo der Grund hart oder steinig war.

Sie warf lächelnd den Kopf auf die Seite und sprach zu sich selbst: »Wie man sich täuschen kann! Es ist gewiß ein Holzwagen, aber meine Nerven sind aufgeregt, ich phantasire. Wo sollte eine Equipage herkommen? – das Coupé von Onkel George? – Kindische Gedanken! der Weg zur Stadt liegt gerade hinter mir, und was ich gehört, war zu meiner Linken. Nein, es war ein Holzwagen!« Das sprach sie decidirt und wie Jemand, der bei sich alle Zweifel niederschlagen, sich selbst überzeugen will.

Die Grenzen des elterlichen Besitzthums hatte Eugenie links hinter sich gelassen und befand sich auf anderer Leute Grund und Boden – auf fremdem, dürfen wir nicht sagen, denn das junge Mädchen hätte noch Stunden lang fortwandern können, und ihr wäre noch jeder, selbst der kleinste Pfad bekannt gewesen, und sie wiederum von allen Holzhauern, allen Jägern, allen Waldbauern erkannt und freundlich begrüßt worden. Hatte sie doch in ihrem Alleinsein und bei der Einsamkeit ihres elterlichen Hauses halbe Tage lang die Wälder durchstreift, oft mit einem kleinen Gewehre auf Der Schulter, das ihr Onkel George einst mitgebracht und lachend zu diesem Zwecke überreicht. War sie doch so bewaffnet nicht so bald von den Förstern und Jägern der angrenzenden Reviere gesehen worden, und hatten diese ihren Herren von der schönen Jägerin gemeldet, als alle, die zu einem Besuche oder sonstigen näheren Verkehre auf dem Waldschlosse durchaus keinen Vorwand oder keine Veranlassung hatten, Botschaften dorthin schickten, es würde sie außerordentlich freuen, wenn Fräulein Eugenie alle rings umher liegenden Jagdreviere als die ihrigen betrachten wollte. Zuweilen war sie auch diesen Herren selbst begegnet, hatte einige freundliche Worte mit ihnen gewechselt und sich alsdann leicht und unbefangen grüßend entfernt.

Da aber das schöne Mädchen merkte, daß diese Begegnungen häufiger wurden, als der Zufall es wohl veranlassen konnte, so wußte sie es so einzurichten, daß sie Wege fand, auf denen sie den andern Jagdeigenthümern nur höchst selten noch begegnete. Dazu aber, sowie überhaupt, brauchte sie im Waldreviere einen Bekannten, bei dem sie im Nothfalle ein Unterkommen fand, und der sich ihrer auch, wenn es einmal noth gethan hätte, aufs bereitwilligste und thatkräftigste annahm. Und einen solchen guten und zuverläßigen Freund hatte sie in einem alten Forstwart gefunden, der früher zur Dienerschaft ihres Vaters gehört, mit dem Zusammenschmelzen der Güter und Waldungen aber in die Dienste des Grafen Helfenberg übergetreten war, dessen Ländereien in einem weiten, fast drohenden Bogen das kleine Waldschloß mit seinem bischen Gehölz umschlossen.

Der Forstwart wohnte eine gute halbe Stunde von dem Hause Eugeniens entferntem einer Niederung des Terrains, wo jenes Wasser vorbeifloß, das von dem stillen See am Waldschlosse her kam. »Wie mich das freut,« hatte der Forstwart oft zu dem jungen Mädchen gesagt, »daß ich hier dasselbe Wasser trinken kann, wie ehemals, wenn ich auch anderer Leute Brod essen muß!«

»Ja, das ist sehr schön,« lachte das damals noch sehr kleine Mädchen, »und wenn ich jetzt nicht zu dir herunter kommen kann, Klaus, so werf ich dir Blumen in den See, und dann hast du auch etwas von mir.« Daß diese Blumen unterwegs zerrissen hängen bleiben mußten an den Felsen und dem Gesträuch, das ahnte sie damals noch nicht, wo das Leben so glatt und klar vor ihr zu liegen schien, und wo sie weder an wilde Strömung, durch die man erfaßt werden kann, noch an Felsen, die uns hemmend entgegentreten, dachte. Auch Klaus hütete sich wohl, ihr diesen guten Glauben zu nehmen, und versicherte, er freue sich wie ein Kind auf das herabschwimmende Blumenbouquet, und das Mädchen sagte darauf: »Es ist schade, Klaus, daß wir keine Bekannten draußen am Meere haben; denn da alle Bäche, Flüsse und Ströme in einander fließen und zuletzt dort münden, so müßte endlich mein Blumenbouquet ebenfalls daselbst ankommen.«

Daran dachte Eugenie, als sie über den stillen, einsamen Waldpfad schritt und nun unter mächtigen Bäumen die Hütte des Forstwartes vor sich liegen sah. Hier blieb sie einen Augenblick stehen, drückte wie im Schmerz beide Hände an ihre Brust, und es that ihr unendlich weh, daß sie vielleicht für längere Zeit zum letzten Male hier oben stand und daß sie nun so bald nicht wieder in die stille Hütte da unten eintreten sollte. Und wie manche, friedlich einsame, aber liebe Stunden hatte sie dort, verträumt! Wie oft war sie gekommen, daß der Forstwart nicht daheim war, also Niemand in Zimmer und Haus! Denn seine Frau hatte man schon lange begraben und Kinder hatte Klaus nie gehabt. Der Hofhund schlug wohl leise an, wenn sie das Plankenthor öffnete, aber er hatte nichts Feindliches im Sinne, vielmehr sprang er freundlich um sie herum und wedelte so zuthunlich, als wollte er sie einladen, näher zu kommen und die niedere Hütte mit ihrer Gegenwart zu beehren. Da trat sie dann auch in die stillen Räume und sah lächelnd umher, welche Unordnung der alte Klaus hinterlassen; da konnte sie für sich so herzlich lachen, daß es laut hinausschallte, wenn sie bemerkte, wie das Brod auf der Fensterbank lag, die leere Kaffeetasse auf der Erde stand – denn die Katze hatte den Rest ausgeleckt – und wie das noch vom gestrigen Regenwetter nasse Wamms, statt in der Luft aufgehängt zu sein, zusammengedrückt auf einem Stuhle lag.

Welche Freude machte es ihr, hier die Ordnerin, die Wirthschafterin zu spielen! Sie stellte Alles auf den gehörigen Platz, sie öffnete das Fenster, sie kehrte die Stube und war dabei so vergnügt, und sang Melodien, die ihr sonst nie in den Kopf kamen. Sie holte frisches Wasser am Brunnen und betrachtete sich selbst lächelnd und voll Freude, während sie so dahin ging mit den beiden Krügen in den Händen; dann pflückte sie am Bach Vergißmeinnicht und andere Blumen, that sie in eine Schüssel, die sie auf den Tisch stellte, ordnete die Blüthen zu einem Kranze, legte Moos auf die Stiele und begoß das mit Wasser. Damit waren ihre Arbeiten zu Ende, und sie schaute zufrieden in der reinlichen und geschmückten Stube umher.

Da war Alles so feiertäglich still, die Schwarzwälderuhr pickte, die Sonnenstrahlen legten einen goldenen Streifen auf den Fußboden hin oder spielten im Reflex von dem Bache draußen wie lauter leuchtende Punkte an der Decke; dazu murmelte das Wasser so geheimnißvoll, und zuweilen, wenn sich ein leichter Wind erhob, rauschten die dichten Zweige der mächtigen Bäume, welche das Häuschen umstanden, und erzählten wie von wunderthätigen Waldblumen und Märchengold. Ja, es war hier in der alten, einsamen Jägerhütte so märchenhaft wie sonst nirgends, und wenn Eugenie wie sie oft that, das Spinnrad der alten Frau Klaus vor sich hinstellte, die Bilderbibel vom Gesimse nahm und aufgeschlagen über ihre Kniee legte, wenn Hund und Katze wedelnd und schnurrend zur Thür herein kamen und sich am Boden zu den Füßen des jungen Mädchens hinschmiegten, und wenn man sie dann so mild und freundlich lächelnd da sitzen sah, das klare, leuchtende Auge wohlgefällig vor sich hinblickend, den Mund leicht geöffnet, um die regelmäßigen Athemzüge durchzulassen, welche sanft ihre Brust schwellten – so war das alles wie die wunderbare Illustration zu einem Märchenanfang: – Es war einmal ein alter Jäger, der hatte eine gar liebliche Tochter, die, wenn der Vater in den Wald ging, oft allein zu Hause blieb. Da geschah es denn eines Tages, daß, als sie ihre häuslichen Geschäfte besorgt, sie sich zum Ausruhen niederließ, und vom Gesang der Vögel und vom Rauschen des Windes in den Blättern sanft in den Schlaf gewiegt wurde.

Das war aber eigentlich kein Märchen, denn so war es in der That Eugenien einige Male passirt; der Weg durch den Wald, die Hitze des Sommertages hatten sie ermüdet, und als sie nun die Stube des alten Klaus in Ordnung gebracht und sich in einen schattigen Winkel gesetzt hatte, entschlief sie unter dem Rauschen der Blätter, unter dem Picken der Uhr und dem Geschnurre der Katze. Die Katze schlief mit ihr, nicht so aber der große, starke Hofhund. Wie das Mädchen die Augen schloß, öffnete er die seinigen, hob den Kopf, schaute, so weit er konnte, um sich und horchte fern, fern in den Wald hinaus, ob sich dort nichts Ungewöhnliches rege. Damals war Eugenie vierzehn Jahre alt und träumte von Sternen und Waldblumen, die mit einander in Streit gerathen waren, wer von ihnen das Schönste und Lieblichste sei; ja, sie wandten sich an das junge Mädchen zur Entscheidung, und diese wollte schon lächelnd zur Antwort geben, daß hier im Walde die Blumen und am Himmel die Sterne, jedes an seinem Platze das Schönste und Lieblichste sei. Da war es ihr, als höre sie Knurren und Murren vor sich, und wie sie schlaftrunken die Augen öffnete, sah sie den großen Hofhund aufrecht an der Wand stehen, die beiden Tatzen auf die Fensterbrüstung gelegt, und zwar, wie sie im Traume gehört, knurrend und murrend. Wahrhaftig, sie meinte, sie träume noch fort, denn vor dem Fenster sah sie den Kopf eines Pferdes, das in die Stube blickte, und dann anfänglich die Hand eines Reiters, der das Rebgewinde aufhob und nun, hell von der Sonne bestrahlt, erstaunt und lächelnd das wunderschöne Kind hier in der einsamen Jägerhütte fand. Ein Ausruf der Verwunderung entfuhr dem Reiter, und dieser Ausruf ließ Eugenie plötzlich aufspringen und staunen und horchen. Sie strich über ihre Stirn, als wolle sie sich vergewissern, daß sie nicht mehr schlafe, und lächelte gleich darauf beruhigt, als sie die Stimme des alten Klaus vernahm, der draußen mit dem Reiter sprach. Dieser hatte sein Pferd von dem Fenster zurückgezogen und dasselbe gegen den alten Jäger gewandt; indeß wenn er auch auf dessen Reden hörte, so drehte er doch den Kopf von ihm ab, senkte ihn tief herab und schaute forschend in das Zimmer. Das alles sah Eugenie mit einem raschen Blicke, und daß der Reiter so hereinschaute, scheuchte sie in den fernsten Winkel des Zimmers zurück.

Er konnte sie nicht mehr sehen, sie ihn aber wohl, und die Sonne leuchtete so auf ihn und stellte ihn wie verklärt unter das dunkle Blätterdach, als habe sie ihre Freude an ihm und als wolle sie, daß das junge Mädchen sich sein Bild recht fest einpräge.

Ob das geschah, sind wir nicht im Stande, dem geneigten Leser anzugeben; nur so viel dürfen wir der Wahrheit gemäß berichten, daß, so wie der Reiter sich vom Fenster entfernte, Eugenie mit dem großen Hunde, der sich an sie geschmiegt hatte, näher dahin ging, und daß sie, jetzt hinausschauend ihn schon auf der Höhe droben sah, wie er lustig hinauf sprengte – es war eine leichte, schlanke Figur, und er saß schön zu Pferde, das konnte sie beurtheilen; er hatte ein graues, kurzes Röckchen an und einen grünen Jagdhut mit einem starken Spielhahnfederbusch.

Ehe er droben zwischen den Bäumen verschwand, wandte er sich im Sattel noch einmal um und winkte mit der Hand hinab – gegen das stille Jagdhaus – an das schöne, schlafende Mädchen denkend – oder galt sein Gruß dem freundlichen Thale? – Wer konnte das wissen? Wer konnte das sagen? – Niemand als er, der nun mit ein paar Sätzen seines Pferdes zwischen den grünen Bäumen verschwunden war und nie, nie mehr zum Vorschein kam.

Als Klaus in die kleine Stube trat, sagte er zu dem jungen Mädchen, nachdem er sich ehrerbietig für die Sorgfalt bedankt, mit der sie hier Alles geordnet: »Der draußen hat Sie wohl recht erschreckt? Es ist ein wilder Bursch, namentlich wenn er zu Pferde sitzt; ich erlebe es noch einmal, daß er mir in die Stube hinein reitet. Nun, jetzt geht er fort, und da haben wir ein paar Jahre Ruhe vor ihm.«

»Und wer ist er denn?« fragte das junge Mädchen fast gleichgültig.

»Oh! oh!« meinte der Jäger, indem er sich umwandte und eine ziemliche Zeit brauchte, sein Gewehr an die Wand zu hängen, »es ist ein entfernter Verwandter von mir, ein Vetter, Jägerbursche beim Grafen Helfenberg – eine wilde Brut, mit der ich eigentlich nicht gern viel zu thun habe. Nun, jetzt geht er ja fort.«

»So, er geht fort,« sagte nachdenkend das Mädchen.

»Ja, er geht fort,« entgegnete kopfnickend der Jäger, »und es ist gut so. Haben Sie nicht zufällig zu Hause gehört, daß der junge Graf Helfenberg eine längere Reise macht?«

»Ach ja, Papa hat davon gesprochen; er geht nach Italien.«

»Nach Italien, nach Spanien, was weiß ich! Gott schenke ihm ein ruhigeres Blut, das wünsche ich ihm von Herzen,« sprach der Jäger, indem er beinahe düster die Augenbrauen zusammenzog und über sein graues Haar strich. »Es ist im Grunde ein guter Bursch, aber wild, wild bis zu allen Excessen.«

»Nun, und dein Vetter?« fragte Eugenie nach einer Pause, »was hat der mit der Reise zu thun?«

»Ja so, mein Vetter, was der damit zu thun hat? Nun, er begleitet ihn, er geht mit ihm – na, das wird eine schöne Wirthschaft werden!«

Weiter sagte der alte Jäger nichts, und weiter fragte das Mädchen auch nicht; aber sie vergaß den Augenblick nicht, wie sie zum Fenster hinausgeschaut, und wie sie, draußen von der Sonne hell beschienen, das lachende und freundliche Gesicht, von blonden Locken eingerahmt, gesehen.

So waren einige Jahre vergangen, und Eugenie hatte oft das kleine Jägerhaus besucht, hatte auch das Zimmer dort häufig in Ordnung gebracht, war auch wohl mitunter eingeschlafen, wenn sie erhitzt und vom Gehen ermüdet war; aber eine Erscheinung wie damals hatte sie nicht mehr gehabt – jene Erscheinung, die sie immer noch nicht vergessen hatte. Wohl fragte sie auch zuweilen den alten Klaus nach seinem Vetter und wollte wissen, ob er Nachricht habe, wie es ihm auf seinen Reisen ergangen; doch pflegte der Jäger mit den Achseln zu zucken und zu sagen: »Man hört wohl hier und da etwas von ihnen, aber es ist nicht, daß man sich darüber freuen kann.«

»Und werden sie bald wieder kommen?«

»Ja, es heißt so. – Meinetwegen blieben sie schon noch eine Zeit lang weg.«

Da ging eines Tages das Mädchen wieder nach der Niederung mit der kleinen Hütte, und als sie auf der Höhe stand, wo man auf den Bach und die breitästigen Bäume hinabschauen konnte, an derselben Stelle, wo damals der junge Reiter verschwunden war und wo sie jetzt am heutigen Morgen sich abermals befand, sah sie den alten Klaus vor der Hütte, aber er war nicht allein, sondern er sprach mit Jemand, der im Sonnenscheine auf der Bank vor dem Hause saß, während er selbst Eugenien den Rücken zuwandte. Besuch war hier etwas Ungewohntes, deßhalb blickte sie auch aufmerksam hin, und als sie an dem Unbekannten ein graues Röckchen wahrnahm, sowie einen grünen Jagdhut, da ging sie in ihren Gedanken um ein paar Jahre zurück und gedachte des Reiters, den sie im Sonnenlichte gesehen. Sie war im Begriffe, umzukehren – weßhalb, wußte sie eigentlich selbst nicht – da hatte der Unbekannte sie entdeckt, er sagte zu Klaus einige Worte, so daß sich dieser nun herumwandte und zu dem Mädchen aufblickte.

Sollte das der Vetter des alten Jägers sein, der ja von den Reisen zurückerwartet wurde? – Es war nicht gut möglich, und obgleich der da unten ein graues Röckchen trug und einen grünen Jagdhut, so war das doch eine ganz andere Erscheinung. Wohl gedachte sie noch des Reiters, der so flüchtig aufwärts gesprengt, der sich so leicht im Sattel gewandt – und doch, wie sie näher trat, wie der junge Mann sich mühsam erhob, wie er lächelnd den grünen Jagdhut abnahm und nun im blendenden Sonnenlichte vor ihr stand, da war es ihr gerade, als finde sie in der Figur und im Gesichte des Unbekannten etwas, das sie an den Reiter von damals erinnere. – Schrecklich! Sie blickte fast verlegen auf Klaus, der achselzuckend sagte:

»Da ist mein Vetter wiedergekommen, es ist ihm auf den Reisen schlecht ergangen. Das gnädige Fräulein werden sich seiner kaum noch erinnern.«

Zweifelnd schaute Eugenie empor und fragend, als wünsche sie eine nähere Auskunft, vor der ihr aber doch selbst graute; denn es konnte nicht anders sein: das war der Reiter von damals, er selbst, und doch wieder so schrecklich anders!

Mühsam hatte sich der Vetter des Jägers von der Bank erhoben, indem er sich auf einen Stock stützte, den er in der rechten Hand trug, und während er diese Anstrengung machte – denn es war eine Anstrengung für ihn – hustete er leise, aber mehrere Male nach einander und so hart und schwer, daß sich auf seinen bleichen, eingefallenen Wangen eine plötzlich aufflammende Röthe zeigte; dabei lächelte er fast traurig und sprach mit schwacher Stimme: »Ja, Vetter Klaus hat Recht, es ist mir auf meinen Reisen nicht besonders gut ergangen. Nach einem unglücklichen Sturze mit dem Pferde blieb ich eine kalte Nacht hindurch im Freien liegen, und das hat mir nicht gut gethan.«

Eugenie stand wie betäubt und verwirrt; das Bild des raschen, hübschen Reiters war in ihren Gedanken freilich ziemlich verblichen, und nur zuweilen, wenn sie sich in dem alten Jägerhause befand und in das Sonnenlicht hinausschaute, war es frisch und lebendig vor ihre Seele getreten. Nach und nach wäre es ausgelöscht worden, und sie hätte es vergessen, wie man so Vieles vergißt; aber jetzt trat alles wieder so klar vor sie hin, als erwache sie aus ihrem Schlummer und als sprenge er dort die Anhöhe hinan. Und während sie ihn frisch und gesund dort verschwinden sah, stand er jetzt in Wirklichkeit krank und elend ihr zur Seite. Das entlockte ihr ein recht stilles, trauriges Lächeln; sie neigte den Kopf etwas, und während sie mit der Hand über ihr Haar fuhr, sprach sie: »Es thut mir recht leid, Sie so wiederzusehen. – Aber ich bitte, setzen Sie sich nieder,« fuhr sie rasch fort, als sie bemerkte, daß abermals eine Röthe auf seinem Gesichte leuchtete.

»Ja, setz dich nieder,« meinte auch Klaus mit besorgter Stimme. »Das gnädige Fräulein ist so gut, daß sie das gewiß nicht übel nimmt. – Ich habe nur um Entschuldigung zu bitten,« setzte er hinzu, nachdem alle Drei einen Augenblick geschwiegen, »daß ich eigentlich schuld daran bin, daß Sie meinen armen Vetter hier gefunden; ich hätte ihn ins Haus gehen lassen können, und dann wäre Ihnen der Anblick erspart worden.«

Als das der Jäger sagte, blickte sein Vetter aufmerksam, ja, ängstlich auf das schöne Gesicht des jungen Mädchens.

Doch versetzte diese beinahe unmuthig: »Rede doch nicht so seltsames Zeug; erstens komme ich zu dir auf Besuch, und ich meine, es ist mir immer recht gewesen, was ich hier gefunden; dann aber solltest du mich besser kennen und mich nicht für so hartherzig halten, daß mir der Anblick deines Vetters deßhalb zuwider wäre, weil ich ihn früher anders gesehen oder ihn mir vielleicht anders vorgestellt. – Und wenn ich ihn genau betrachte,« fuhr sie begütigend fort, »so – so – so – sieht er wohl etwas krank aus, aber das wird vorübergehend sein, und ich hoffe,« setzte sie lächelnd hinzu, »er wird in nicht gar zu langer Zeit wieder frisch und munter da hinaus reiten.«

»Wie ich Ihnen für diese Worte genugsam danken soll,« hatte hierauf der Vetter des Jägers gesagt, »weiß ich nicht; aber das kann ich dem gnädigen Fräulein versichern, daß keiner meiner Bekannten mich so lieb und freundlich willkommen geheißen; und deßhalb wollen mir das gnädige Fräulein verzeihen, wenn ich Ihnen sage, daß ich Sie sehr, ach, sehr hochschätze und verehre.«

Nach diesen Worten hatte der kranke Mann eine Bewegung gemacht, als wolle er die. Hand Eugeniens ergreifen, um sie zu küssen; doch mochte ihm das Unpassende hiervon augenblicklich eingefallen sein – genug, er zog sich bitter lächelnd zurück und starrte darauf finster vor sich nieder.

Klaus begann nach einer Pause wieder: »Mein Vetter wohnt in der Stadt in einer kleinen engen Gasse, wo nicht viel gute Luft hin kommt; er hat begreiflicher Weise seinen Dienst aufgeben müssen, bis – er wieder hergestellt sein wird. Dazu hat ihm nun der Doktor vor allen Dingen die frische Waldluft angerathen, und deßhalb besucht er mich und wird auch häufig kommen, wenn – das gnädige Fräulein nichts dagegen hat.«

»Du sprichst wunderlich, Klaus,« versetzte Eugenie, »was kann und werde ich dagegen haben, wenn Jemand zu dir kommt? Und wenn dem wirklich so wäre, würde ich so hartherzig sein, einem Kranken die gute Luft zu mißgönnen? – Gewiß, so gern ich komme, so würde ich doch augenblicklich wegbleiben, wenn ich mir denken könnte, daß mein Besuch dir und deinem Vetter in irgend etwas hinderlich wäre.«

»Das kann und wird nie der Fall sein,« entgegnete der Letztere eifriger, als man es ihm zugetraut hätte. »Wenn ich wir erlaube, im Gegentheil hinzu zu setzen, so bitte ich dafür um Verzeihung; aber das gnädige Fräulein sind als so gut und freundlich bekannt, daß es Jedem wohl thut, der das Glück hat, Sie zu sehen.«

»Ja, das muß ich bekräftigen,« sagte der alte Jäger. »Von den Thieren will ich gar nicht reden, denn da ist es bekannt, daß die bissigsten Hunde dem gnädigen Fräulein schmeicheln; aber wir haben noch unangenehmere und unverträglichere Geschöpfe unter den Menschen, namentlich hier im Walde unter den Wildschützen; und selbst denen fährt ein freundliches Wetterleuchten über die finsteren Züge, wenn sie das gnädige Fräulein nur von Weitem durch den Wald daher kommen sehen.«

So war es gewesen, als Eugenie den Vetter des Jägers nach seiner italienischen Reise wieder gesehen; und darauf sah sie ihn öfter; denn wegen der frischen Waldluft hielt er sich meistens in dem kleinen Jägerhause auf, und wenn er auch nebenan im Gehölze war oder auf den seitab liegenden Wiesen, so kam er doch immer mit langsamen Schritten und gebeugt an seinem Stocke daher, so oft das junge Mädchen die Waldhütte besuchte.

Anfänglich hatte seine Gegenwart wohl etwas Störendes für sie gehabt; sie mochte oder konnte nicht so frei in dem Häuschen wirthschaften, wenn er draußen vor der Thür saß; bald aber gewöhnte sie sich daran und erlaubte ihm sogar, ihr, wie er bat, kleine Dienste zu leisten, so das Herbeiholen von Wasser und Blumen, das Wegschaffen welker Blätter, wenn sie einen neuen Kranz gemacht hatte für das Bild der Frau des Jägers, das in der Stube am Ehrenplatze unter dem kleinen Spiegel hing.

Nach und nach begann sie sogar, ihm, wenn er so einsam und traurig, mit trüben Blicken vor sich hinstarrend, auf der Bank saß, irgend eine Frage zu stellen, deren Beantwortung ihn nöthigte, mehr als Ja und Nein zu sagen. Und als sie das einmal angefangen, erstaunte sie, denn sie bemerkte, daß der Vetter des Jägers Klaus mehr gelernt habe und weit mehr wisse, als man sonst gewöhnlich bei Leuten seines Standes findet. Dabei brachte er seine Antworten auf eine gar ungezwungene Art vor, frei, überlegt und doch wieder voll Ehrerbietung gegen das junge Mädchen, die, von hohem Stande, sich herabließ, mit ihm, dem armen Jägerburschen, zu sprechen. Zuweilen fragte Eugenie auch wohl Einiges über die Reisen in Italien, und da erstaunte sie mehr und mehr, wenn er sich oft gehen ließ, seine Eindrücke erzählte, Gegenden durch eine lebhafte Schilderung frisch und wahr vor ihre Augen zauberte, ja, sogar hier und da von Museen und Gallerieen sprach, wobei er dann wie entschuldigend hinzusetzte: »Das gnädige Fräulein werden sich verwundern, daß ich, ein einfacher Diener, von dergleichen spreche; doch bin ich mit dem Grafen erzogen worden, habe zuweilen an seinen Lehrstunden Theil nehmen dürfen, und er war so freundlich, mich während der Reise überall, es nur möglich war, mit hin zu nehmen.«

So wurde manche halbe Stunde zwischen den Beiden verplaudert, wobei der Vetter des Jägers auf der Bank saß, Eugenie aber, an den Stamm der mächtigen Buche, die das Häuschen beschattete, gelehnt, neben ihm stand. Wer die Beiden sah, konnte sich eines Gefühls des tiefsten Mitleidens für den armen Menschen nicht erwehren, der zusammen gebeugt auf der Bank ruhte, schnell und doch so mühsam athmend, daß jeder Zug an seinen Schulterblättern auf dem Rücken sichtbar war. Dabei hustete er kurz und trocken, und seine weiße durchsichtige Hand spielte wie krampfhaft oder nervenerregt mit dem Stocke, der neben ihm lag. Sogar mit dessen Hülfe konnte er sich nur mühsam von der Bank erheben, und dennoch meinte man jeden Augenblick, seine zitternden Kniee müßten ihm auf einmal den Dienst versagen.

Man brauchte nicht, wie Eugenie, ihn vor Jahren gekannt zu haben in voller Kraft der Jugend, um heute den Anblick seines Gesichts wahrhaft bejammernswerth zu finden; die schönen, edlen Züge von damals blickten freilich noch durch, aber wie ein Traumbild, gänzlich schattenhaft, wie etwas, das mit Nächstem ganz verschwinden wird. Nur die Augen allein hatten etwas von ihrem früheren Glanze behalten, aber es war kein wohlthuendes Feuer, das in ihnen strahlte; etwas wild Glühendes, Fieberhaftes lag darin, namentlich in Momenten, wo der junge Mann sich unbeachtet wußte und das schöne Mädchen betrachtete.

Seine Tracht war einfach, ohne ärmlich zu sein; er schien einen grauen Jagdrock zu lieben und einen grünen Hut, wie er ihn damals getragen; denn so erschien er immer. Wenn man daneben das junge Mädchen sah, ein frisches Bild der Gesundheit, mit leuchtenden Blicken aufknospend wie eine junge Rose, so begriff man wohl das Mitleid, mit dem sie sich des armen jungen Mannes annahm, das Gefühl ihres Standes, ihrer Gesundheit, ihres körperlichen Reichthums gegenüber seiner Verlassenheit, seiner gänzlichen Armuth.

– – An diese vergangenen Zeiten dachte Eugenie, als sie nun das kleine Jägerhaus vor sich liegen sah, und eine Zeit lang droben stehen blieb, ehe sie hinabstieg. Es war ihr fast ebenso schwer, von diesem kleinen stillen Winkel Abschied zu nehmen, wie von dem elterlichen Hause. Und wohl mit einigem Rechte; denn das Waldschloß zu besuchen, dazu fand sich Zeit und Gelegenheit genug, weniger vielleicht einen Spaziergang zum alten Klaus zu machen; denn davon hätte sie mehr oder weniger sprechen müssen, was sie bis jetzt – wir müssen gestehen, ohne eigentliche Ursache – immer vermieden.

Langsam stieg das junge Mädchen hinab, und es war ihr nicht unlieb, daß sie den alten Klaus an der Thür stehen, so wie dessen Vetter an seinem gewöhnlichen Platze auf der Bank sitzen sah.

»Heute hätten wir Ihren Besuch nicht erwartet,« meinte freundlich lachend der alte Jäger, »denn ich habe erfahren, daß Besuch auf dem Schlosse ist; Herr Baron von Breda sind hingeritten.«

Eugenie nickte mit dem Kopfe und entgegnete: »Ja, der Onkel ist da, und das ist eigentlich die Ursache, warum ich heute hieher gekommen bin. Onkel Breda will mich mit sich nach der Stadt nehmen, und ehe ich das thue, konnte ich nicht unterlassen, hier von – dem kleinen Hause Abschied zu nehmen.

Bei dem Worte »von« blickte sie aber den Jäger an, so wie sie auch ihre klaren Augen einen Moment auf dem Kranken ruhen ließ, der bei ihrer Rede leicht zusammenzuckte und darauf in das vorgehaltene Schnupftuch hustete.

»So, so, das gnädige Fräulein gehen nach der Stadt?« erwiderte Klaus ziemlich rasch und mit ausdrucksvollem Tone. – »Und auf lange?«

»Das kann ich selbst noch nicht sagen, aber ich glaube wohl, auf lange,« versetzte das junge Mädchen. »Onkel George hat schon oft davon gesprochen, es sei besser für mich, ein wenig in Gesellschaft zu kommen und das Leben der Stadt kennen zu lernen; ja, schon lange hat man darüber gesprochen, und endlich – hat es sich so gemacht.«

Bei diesen letzten Worten verdüsterten sich ihre sonst so klarer Züge ein wenig, und sie preßte die Lippen auf einander.

Der Kranke sagte kein Wort, blickte auch nicht einmal in die Höhe, hustete aber hart und trocken in nicht allzu großen Zwischenräumen.

Der alte Jäger schlug die Arme über einander, lehnte sich an den Thürpfosten und meinte dann nach einer Pause mit einem fast unmerklichen Streifblick auf seinen Vetter: »Nun ja, es war vorauszusehen, daß das gnädige Fräulein nicht immer hier, in dem Walde bleiben könne; es mußte so kommen, und der Herr Baron von Breda ist ein sehr braver Herr und hat ein schönes und angesehenes Haus. – Herzlich aber freut mich's und auch gewiß den Vetter da, daß das gnädige Fräulein noch so lieb und freundlich waren, hier von unserer armen Wirthschaft Abschied zu nehmen. Nicht wahr, es freut dich auch?« wandte er sich an den Kranken.

Dieser hob den Kopf in die Höhe, seine Züge waren fast noch bleicher als gewöhnlich, und während seine farblosen Lippen zuckten, glänzten seine Augen auf eine ungewöhnliche Art; doch versuchte er zu lächeln und sagte: »Ich würde mich noch herzlicher über die große Ehre gefreut haben, welche das Fräulein meinem Onkel erzeigt, aber Sie müssen mir schon verzeihen, daß ich meine Freude heute nicht recht an den Tag zu legen vermag – denn ich leide furchtbar – gerade heute Morgen.«

Diese Worte stieß er kaum vernehmbar zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Meine Brust schmerzt mich so sehr, und zuweilen ist es mir, als wäre der Athemzug, den ich jetzt thue, mein letzter – als müsse das alles – alles – nun mit einem Male aufhören,« setzte er nach einer Weile hinzu.

Das Mädchen blickte theilnehmend, ja, ergriffen und traurig auf den jungen Menschen nieder, der wie kraftlos in sich zusammengesunken war, dabei aber die linke Hand erhob, als wolle er andeuten, er habe noch etwas zu sagen.

Deßhalb schwiegen auch die beiden Anderen, und man hörte kein Geräusch als das Murmeln des Baches und das leise Zirpen eines Vogels in den nackten Zweigen.

»Der Abschied, den das gnädige Fräulein heute von uns nimmt, ist für mich wohl nur um kurze Zeit zu früh. Verzeihen Sie mir, daß ich rede, wie ich vielleicht nicht reden sollte. Wenn der lange, finstere und traurige Winter hinter uns liegt, so kommt das Frühjahr – freundlich dem Einen, traurig dem Anderen. Und das Letztere für mich. Denn wenn meine lieben Wälder wieder anfangen grün zu werden, wenn die Blumen empor sprossen, so geht es mit mir zu Ende – das fühle ich deutlich – und daß ich es fühle, ist gerade kein Schmerz für mich. Nur hätte ich gehofft, wenn unser eins hoffen darf, – verzeihen Sie mein Wort, gnädiges Fräulein, – Sie, die mir freundlich und tröstend wie ein Engel erschienen sind, im nächsten Frühjahr hier nochmals wieder zu sehen. Nicht wahr, Sie verzeihen mir? Hat doch Jemand in meiner Lage schon das Recht, offener zu sprechen. Ja ich hatte gehofft, Sie noch einmal zu sehen, ehe vielleicht Alles hier für mich vorbei ist; das wäre ein Abschied, wie ich ihn mir gewünscht, und ich wäre dann hinüber gegangen, während die Bäume grün werden, während die Blumen anfangen zu blühen, und hätte denken können; von Zeit zu Zeit wären Sie dann in das alte Jägerhaus gekommen, hätten nach mir gefragt und vielleicht zu Klaus gesagt: Er hat doch zu früh sterben müssen – es ist schade.«

Während der Kranke mühsam diese vielen Worte sprach, blickte er zu Eugenien in die Höhe, seine Züge umspielte ein schmerzliches Lächeln, und seine Augen, anstatt wie gewöhnlich im wilden Feuer zu brennen, nahmen einen unbeschreiblich weichen und angenehmen Ausdruck an.

Der alte Jäger kratzte mit seinen Fingern heftig auf den Aermeln des groben Jägerwammses, und während er sich auf die Lippen biß, hoben sich seine Augenbrauen auf eine ungewöhnliche Art in die Höhe.

Eugenie hatte die Hände gefaltet, still, unwillkürlich, und da ihre Nerven von der häuslichen Scene heute Morgen noch immer tief ergriffen waren, so war es leicht begreiflich, daß bei diesem Anblicke und diesen Worten einige leichte Thränen von ihren Wimpern tropften. Nach einer langen Pause, peinlich für alle Drei, schüttelte sie leicht den Kopf und sagte: »So muß man nicht sprechen; wer die Hoffnung aufgibt, gibt sich selber auf. Wenn es Sie gefreut hat, mich hier zuweilen zu sehen, so wird es Ihre Freude nicht vermindern, wenn ich Ihnen sage, daß ich gern, recht sehr gern hieher kam. Freilich kommt der harte Winter, aber wie Glück auf Leiden, folgt ihm auch der liebe, schöne Frühling – auch gewiß schön für Sie. Wer weiß, welch gute Aenderung in Ihrer Gesundheit eintritt! – Gewiß, es muß eine gute Aenderung eintreten, und dann verspreche ich Ihnen, daß Sie mich beim ersten Grün, bei den ersten sprossenden Blumen hier wieder finden werden.«

»Und was das gnädige Fräulein verspricht,« fügte der Jäger mit tiefer Stimme bei, »das pflegt sie zu halten, darauf kann ich schwören.«

Der Kranke hatte sein Gesicht in beide Hände vergraben und nickte mehrmal mit dem Kopfe, ehe er versetzte: »Liebe, Glaube, Hoffnung sollen uns ja begleiten, und die beiden letzten fühle ich in meiner Seele; aber der Winter ist hart, und wenn ich auch geglaubt, ihn gut durchzubringen, so war es doch nur, weil ich gehofft, – und das ist jetzt alles vorüber. – – – Es ist nicht die erste Täuschung, wird auch nicht die letzte sein.« – Er hob seinen Kopf in die Höhe, versuchte zu lächeln, und fuhr fort, seine Stimme gewaltsam anstrengend: »Und bei alle dem haben Sie mich froh und glücklich gemacht. Wie danke ich Ihnen – mein gnädiges Fräulein – mein Fräulein Eugenie!«

Es durchzuckte sie eigenthümlich, als der Kranke so zum ersten Male ihren Namen aussprach; auch blickte sie beinahe ängstlich um sich, als sie mit bewegter Stimme sagte: »Jetzt muß ich nach Hause; Onkel George wird mich erwarten. – Also hoffen Sie auf ein gutes Frühjahr, und ich will dagegen glauben, daß ich Sie wohler und vergnügter wiedersehe. – Adieu, Klaus, du kommst gewiß bald nach der Stadt, mich zu besuchen.«

Damit reichten sie dem alten Jäger beide Hände, die dieser tief gerührt ergriff und sich darauf hinabbeugte, indem er murmelte: »Gewiß, sobald ich kann, komme ich nach der Stadt.«

Eugenie wandte sich zum Weggehen, ohne auf den Kranken noch einen Blick zu werfen, wogegen sie mit dem Kopfe rasch mehrere Male ihm zunickte; kaum hatte sie aber einige Schritte gemacht, so kehrte sie zurück und reichte ihre Rechte dem kranken Manne hin, der sich ehrfurchtsvoll mit einem leuchtenden Blicke erhoben hatte, mit seinen weißen, fast durchsichtigen Fingern ihre warme, frische Hand ergriff und es wagte, einen kaum fühlbaren Kuß darüber hinzuhauchen.

Darauf flog Eugenie, ohne sich umzublicken, die Höhe hinan und verschwand zwischen den Bäumen auf derselben Stelle, wo damals der kecke Reiter verschwunden war, derselbe kecke Reiter, der jetzt wie ein Schattenbild vornübergebeugt neben der kleinen Hütte stand, die Hände gewaltsam ausstreckend, als vermöge er es, das flüchtige Mädchen zurückzuhalten.

Wohl mehrere Augenblicke stand er so, dann fuhr er mit der Rechten über das Gesicht, biß wie in wüthendem Schmerze die Zähne über einander, wandte sich gegen den alten Jäger, der tief aufseufzend dastand, und fragte mit funkelnden Augen: »Hättest du damals treu und ehrlich an mir gehandelt, damals, als ich jene Anhöhe hinaufsprengte, so müßtest du deine unnütze Büchse von der Wand gerissen, mich getödtet oder schwer verwundet haben. – Ah verflucht! wer Alles voraus wissen könnte! Mich hätte frisch und gesund der Tod ereilt, oder ich wäre langsam in deiner Hütte genesen, – verpflegt von ihrer Hand. – Ah verflucht!«

Nach diesen Worten schlug er beide Hände vor das Gesicht und fiel auf die Bank nieder, so plötzlich und willenlos, daß Klaus entsetzt hinzu sprang und den Kranken in die Arme nahm. Sein Kopf sank zurück an die Schulter des treuen Freundes, seine Züge waren todtenbleich, aber ruhig, und auf den fest verschlossenen bleichen Lippen stand ein einziger klarer Blutstropfen.

»Mein armer, unglücklicher Herr!« sagte tief erschüttert der alte Jäger. – »Gott sei ihm gnädig!«


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