Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebtes Kapitel.
Jockey und Gärtner


Es thut uns außerordentlich leid, daß es uns auch dieses Mal nicht erlaubt ist, den Namen der Stadt anzugeben, in welcher diese vollkommen wahrhaftige Geschichte spielt; es thut uns das in der That sehr leid, denn wir haben großen Schaden dabei. Ist doch der Leser z. B. des französischen Autors viel mehr zu Hause und fühlt sich viel besser in die Situation hinein, sobald unser glücklicher College anfängt: »Wenn man sich am Ende des Boulevard des Capucins rechts um die Madelaine herum wendet, so kommt man nach wenigen Schritten in ein Gewirre kleiner Gäßchen und Straßen, die mit ihren in der That armseligen Häusern so auffallend abstechen gegen die Quartiere des Glanzes, welche wir so eben verlassen,« u. s. w. u. s. w. Ja, daß wir nicht im Stande sind, den Schauplatz dieser Geschichte ebenso genau zu bezeichnen, ist ein Unglück. Es klingt so angenehm und schön, von einer existirenden Stadt, einer wirklichen Straße, einer noch vorhandenen Hausthür und einer darauf noch ebenfalls sichtbaren Nummer zu sprechen. Leider aber schieben unsere kleinlichen Verhältnisse für uns arme deutsche Schriftsteller in dieser Richtung zu große Riegel vor; denn selbst unsere großen Städte sind nicht groß genug, um in manchen Fällen eine genau erwähnte Straße und sicher bezeichnete Hausnummer zu vertragen. Wollten wir etwa, was diese Erzählung anbelangt, dieselbe nach Köln verlegen und einen unangenehmen Charakter, setzen wir den Fall, im Hause Hochstraße Nr. 157 existiren lassen – wir wissen in der That nicht, ob es dort nur eine Nr. 157 gibt – so wäre der Eigenthümer dieses Hauses im Stande, uns zu näherer Erklärung auf die hochweise Polizei zu laden, und mit der Polizei, das gestehen wir offen, haben wir nicht gern zu thun, obgleich sich sehr charmante Leute bei ihr befinden sollen.

Wenn wir uns auch in diesem Punkte bis jetzt der größten Discretion befleißigt haben, so ist uns doch schon sehr oft der Fall vorgekommen, daß wir uns, bildlich zu reden, einen Herrn auf den Hals geladen, der zufällig eine große Nase hatte, oder eine Dame mit einer scharfen Zunge, die gern in Kaffee-Gesellschaften zu gehen pflegt. Und namentlich Letzteres kann sehr unangenehme Folgen haben. Wie oft schon haben wir betheuern müssen, dieser und jener Charakter sei nie dagewesen und eine vollkommene Erfindung des Verfassers! Der verständige Leser wird schon begreifen, warum wir beim Schreiben dieses Satzes gelinde hinter der vorgehaltenen Hand husten. Genug, es ist traurig für uns, so eingeschränkt zu sein, und dieser einzige Grund könnte uns veranlassen, später einmal eine Geschichte zu schreiben, die vor ein paar hundert Jahren gespielt; denn da könnte man sich schon gehen lassen, und wäre jeder Controle, allen Nachweisungen, sowie allen unangenehmen Höflichkeiten und angenehmen Grobheiten enthoben.

Für jetzt aber sind wir in der Gegenwart, und der geneigte Leser wird uns hoffentlich glauben, daß die Stadt, in der wir uns jetzt gerade befinden, irgendwo ihre Grenzen hat, daß dann alte Thore kommen, die aber nicht mehr wie früher am Rande tiefer Gräben stehen, vor sich schwere Zugbrücken mit eisernen Ketten, daß vielmehr diese Zeichen einer früheren finsteren und gewaltigen Zeit jetzt nur noch aus Pietät beibehalten sind und oft mitten in freundlichen Spaziergängen stehen, zum Schein die Straße sperrend, obgleich rechts und links von ihnen für die ganze Bevölkerung Platz genug ist, um hinaus zu gehen. In so weit behaupten übrigens die alten Thürme noch ihr früheres Recht, indem sie trotzig mit gespreizten Beinen auf den gangbarsten Straßen stehen, die von der Stadt auslaufen. Eine dieser Straßen zieht sich einige hundert Schritte von dem Thorbogen, unter dem sie entspringt, entfernt nach der linken Seite, einen Theil der Stadt umkreisend, als könne sie sich nicht vom Anblick derselben trennen, und beschreibt so einen ziemlichen Bogen um die ehemaligen Stadtmauern, ehe sie sich, und wir glauben, mit einem tiefen Seufzer, davon ab und ins freie Land hinaus wendet. An diesem Bogen nun haben Leute, denen es darum zu thun war, frischere Luft zu schöpfen und doch in der Nähe der Stadt zu sein, gar hübsche Wohnungen erbaut, die, in oft sehr großen Gärten liegend, alle Reize von Landhäusern haben, und es doch wieder ihren Eigenthümern gestatten, in der kürzesten Zeit bei allen Vergnügungen der Stadt zu sein. Diese Landhäuser, bald groß, bald klein, folgen einander in einer langen Reihe und zeugen bald von mehr oder minder großem Reichthum, sowie von geringem oder großem Geschmack ihrer Erbauer. Mitunter liegen sie anspruchslos hinter kleinen Gärtchen und sind alsdann unbedeutende Gebäude, mit einem übermäßig großen Balkon, der auf hölzernen Säulen ruht und sich im Sommer, wenn Jungfernreden und wilde Rosen ihn umschlingen, recht artig ausnimmt. Neben ihnen sieht man vornehme, ernste und stille Gebäude, die sich im Gefühl ihrer Würde weiter von der gemeinen Straße zurückgezogen haben und diese mit Mauern und weitem Gitterthor von sich abschließen, während sie aus ziemlicher Entfernung, halb versteckt zwischen hohen Bäumen, dem ordinären Getreibe da draußen geringschätzig zuschauen.

Wenn wir ein paar Minuten auf der Straße fortspaziert sind, so kommen wir an eines der eben erwähnten Gitterthore, welches weit geöffnet ist und uns nicht nur einen Blick, sondern auch im Gefühl unserer unsichtbaren Eigenschaften den Eintritt in den dahinter liegenden Garten gestattet. Dieser Garten ist sehr groß und scheint das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Vorn an der Straße ist das Terrain den materiellen Gewächsen gewidmet, und trotz dem herbstlichen Anstrich, den das Ganze hat, sieht man jetzt noch, wo sich Gemüsefelder und dergleichen befanden. An diese stoßen weiter nach dem Hause zu immergrüne Tuja-Hecken, hinter welchen die ordinäre Prosa, bei der wir eben vorbeigekommen, aufhört und die Poesie der Gartenwirthschaft anfängt. Freilich sind die hohen Stämme großer Rosenpartien des herannahenden Winters wegen niedergelegt; doch sieht man deutlich, welche hervorragende Stellung sie im Sommer einnehmen und wie sie den Zweck haben, die Aussicht auf die eben erwähnten nützlichen Anlagen zuzudecken. Hinter diesen Rosen kommen in großer Mannigfaltigkeit Blumengruppen der verschiedensten Art, das heißt zur Sommerzeit, wie sich von selbst versteht, mit Rasenplätzen untermischt, welche von zierlich arrangirten Gebüschgruppen bedeckt sind, die, vom niedersten Gesträuch anfangend, sich bis zu einer kolossalen Linde, Kastanie oder Blutbuche erheben, um drüben wieder ebenso abfallend an einen Rasenplatz zu stoßen oder an neue Blumengruppen, und so immerfort – man könnte glauben, bis in die Unendlichkeit hinein; denn der Erfinder dieser Parkanlage hat dafür gesorgt, daß man von der Einfriedigung derselben nie etwas gewahr wird, bis man im wahren Sinne des Worts mit der Nase darauf stößt.

Wandeln wir auf dem geraden Wege vom Eingangsthore beschaulich fort, so sehen wir alle diese verschiedenen Blumengruppen und Gebüschpartien und endlich auch das reizende Wohnhaus, von weißem Steine aufgeführt, mit Balkonen, Terrassen, hellen Fenstern, freundlich und heimlich hervorblickend aus einem Kranze riesenhafter Bäume, die es auf drei Seiten wie ein grüner Gürtel, wie eine freundliche Umhüllung umgeben, und zwischen welchen hindurch das Haus den Blick nach der Stadt zu frei hat. Auf dieser Seite befindet sich ein großer Rasenplatz, in der Mitte mit einem Springbrunnen, vor welchem sich der Weg in zwei Arme theilt, die sich hinter demselben an der Hauptthür wieder vereinigen. Rechts führt einer dieser Arme an die nothwendigen Nebengebäude, Stallungen und dergleichen; links an die Gewächshäuser, welche mit dem Wohnhause durch eine hohe Glasgalerie in Verbindung stehen, die zugleich als Wintergarten benutzt wird.

Alles, was man hier im Garten und Park steht, zeugt von musterhafter Ordnung und Reinlichkeit. Die herabgefallenen herbstlichen Blätter sind sorgfältig aus den Wegen hinweg und in die Gebüschgruppen hinein gekehrt, wo sie, dem ewigen Kreislauf der Natur gemäß, wieder zu derselben Erde werden, aus welcher sie emporgesproßt. Die jetzt leeren Partieen, wo man im Sommer Blumen in tausendfarbiger Pracht sieht, sind theils zum Winterschlafe vorbereitet, theils schon wieder sauber geebnet und mit schützendem Stroh bedeckt, so anzeigend, daß hier Hyacinthen, Crocus, Tulpen, Schneeglöckchen in zarter Zwiebelumhüllung schlummern und nur auf den ersten Kuß des Frühlings warten, um uns freundliche Vorboten zu sein einer neuen glücklichen Zeit.

Auch im Gemüsegarten sind ganze Partien zugedeckt mit grünem Tannenreis, und während sich unsere heimatlichen Bäume und Gesträuche des kräftigen Winterwetters freuen und die nackten Aeste nicht ohne Behagen den rauhen Winden darbieten, haben sich Rhododendron und Azaleen unter schützende Strohdecken zurückgezogen und befinden sich einzeln stehende Magnolien unter ihrem warmen Wintermantel.

Auf dem Kieswege, der Rasenplatz und Brunnen umgibt, bemerken wir ein elegant gesatteltes Pferd von hochbeiniger englischer Abkunft, das von einem sehr kleinen Groom mit außerordentlich kurzen Beinen geführt wird. Beide verhalten sich ungefähr zu einander wie der Affe zum Kameel, und wenn der kleine Reitknecht, die Hände, in denen sich die Zügel befinden, auf dem Rücken, langsam vorwärts schreitet, so muß sich der Kopf des großen Thieres ziemlich weit herabbeugen, um auf die goldene Troddel der blauen Jockey-Mütze seines Führers zu stoßen. Dabei sieht das Thier mit seinen hellen freundlichen Augen lustig in die Welt, während der kleine Jockey, der ein schon ziemlich altes Gesicht hat, außerordentlich verdrießlich um sich blickt. Beide haben Brunnen und Rasenplatz nun ein paar Mal umschritten, und wenn der Jockey bei diesem Spaziergange gegen das Haus hinschreitet, so versäumt er nicht, zu den Fenstern des Gebäudes hinauf zu blinzeln, wo sich aber immer nichts sehen läßt, was er einer fortgesetzten Aufmerksamkeit für werth erachtet; denn er wendet ebenso gleichförmig wieder um, wobei er höchstens einen Zungenschlag laut werden läßt, oder die ermunternden Worte: »Vorwärts, Lord, vorwärts!«

Jetzt sind die beiden wieder einmal in die Nähe der Gewächshäuser gekommen, deren Fenster der heute ziemlich angenehmen Luft wegen geöffnet sind, und wo man einen Gärtner sieht, der in blauer Jacke und grüner Schürze beschäftigt ist, ein Bouquet zu winden. Der Gärtner blickt den Groom an und der Groom den Gärtner, und da der erstere hierbei ein ziemlich pfiffiges Gesicht macht, so sieht sich der kleine Reitknecht veranlaßt, stehen zu bleiben, worauf der große Lord es ebenso macht, und nun der Gärtner seinerseits, da er durch seine Mienen die Bewegung dieser wichtigen Geschöpfe gestört, es auch für seine Schuldigkeit hält, irgend eine geistreiche Bemerkung von sich zu geben.

»Nun, Friedrich,« sagte er, »du hast doch wahrhaftig ein Leben wie Gott in Frankreich. Das wechselt ab mit Spazierengehen und Reiten; du bist ein Glückskind. Wenn du noch lange lebst und recht groß wirst, da kannst du es zu was bringen.«

Der Jockey blickte hierauf trotzig den Gärtner an, und nachdem er vor sich auf den Kies gespuckt, entgegnete er: »Ich möchte wissen, woher es eigentlich kommt, daß Ihr den ganzen Tag zu schlechten Späßen aufgelegt seid, so daß nie ein ernstes Wort aus Euch herauskommt.«

»O, das ist sehr einfach,« lachte der Gärtner, »das macht, weil ich mir bei meinen Blumen ein kindliches Gemüth bewahre und mich nicht über jede Kleinigkeit erzürne.«

»Und wer erzürnt sich über jede Kleinigkeit?«

»Na, du, Friedrich, das wirst du wohl nicht läugnen wollen. Bist sonst so ein verständiger Kerl; mußt dir das abgewöhnen; es geht keinem Menschen in dieser schlimmen Welt nach seinem Kopf; mir wahrhaftig auch nicht.«

»Schon recht, schon recht,« entgegnete der Reitknecht; »aber Ihr werdet mir zugeben, Andreas, daß man der ewigen Sticheleien satt werden muß. Daß ich nicht groß bin, weiß ich, und ebenso, daß ich leider nicht viel mehr wachsen werde. Aber das mit tausend Spöttereien auf jedem Stück Brod essen zu müssen, das ist hart, und das kann ich nun einmal nicht vertragen.«

»Richtig, richtig, Friedrich; und danach Jemand dir das Brod streicht, desto härter ist es. Ich begreife das wohl, aber du bist ein verfluchter Kerl, und ich sage dir, du kommst doch noch zu deinem Ziel.«

»Was für ein Ziel?« fragte halb mürrisch und wie wegwerfend der Jockey; und obgleich er that, als wollte er dem Gärtner den Rücken zukehren, so wußte er doch durch einen geschickten Druck an dem Zügel des Pferdes dieses eine Bewegung machen zu lassen, welche ihn, wie ganz unabsichtlich, den Gewächshäusern um ein paar Schritte näher brachte.

»Ich sage dir,« fuhr lachend der Gärtner fort, »du bist ein gefährlicher Kerl, und wenn ich der gnädigen Frau ihre Kammerjungfer wäre, ich nähme mich vor dir in Acht. Nicht wahr, achtzehn bist du vorüber? Nun, siehst du, Schalk! Und wenn die Nanette gut gelaunt ist, so nimmt dich die Nanette auf den Schooß, als wärst du noch ein Kind.«

Bei diesen Worten fuhr es wie ein Blitz über die düsteren Züge des kleinen Reitknechts; doch sagte er gleich darauf wieder so finster wie zuvor: »Und wenn sie schlecht gelaunt ist, dann stehe ich ihr überall im Wege, oder bin gar nicht für sie auf der Welt.«

»Du verlangst auch zu viel,« fuhr vergnügt der Gärtner fort, indem er das angefangene Bouquet weit von sich abhielt, um den Totaleffekt zu beurtheilen; »wenn man schlecht gelaunt ist, wer von uns hat da nicht seine üblen Stunden? Aber ich sage dir, Friedrich, du kommst zu was, wenn du's nur pfiffig anstellst. Daß ich dein Freund bin, daran wirst du nicht zweifeln; ich habe es dir oft genug durch die That bewiesen. Wie manche hübsche Rose und frühe Veilchen hast du mir abgeschwatzt! Ich sage dir, wenn die gnädige Frau einmal dahinter kommt, daß Mamsell Nanette oftmals so schöne Bouquets bekommt, wie sie, na, da können wir uns auf ein böses Wetter gefaßt machen.«

Bei diesen Worten hatte sich der Jockey, wenn auch langsam, doch so weit dem Gewächshause genähert, daß er sich jetzt an das Fenster lehnen konnte, hinter welchem Andreas arbeitete. Lord trat noch einen Schritt weiter vor, als nothwendig war, streckte seinen Kopf zwischen die Pflanzen und schnüffelte behaglich bei dem frischen Duft des Grüns.

Der Gärtner war an seinem zweiten Bouquet; eines, aus den verschiedensten bunten Blumen bestehend, lag fertig neben ihm. Dies war scheinbar prachtvoller als das, mit dem er eben beschäftigt war; doch schien er das zweite mit besonderer Aufmerksamkeit zu behandeln. Es wurde dies aber auch in der That ein kleines Meisterwerk; sehr breit, sehr flach, bestand es aus herrlich duftenden Veilchen, in deren Mitte sich eine einzige eben aufblühende weiße Camelienknospe befand, so frisch und dabei von so wunderbarem Bau, daß man jetzt schon die einzelnen Blättchen erkennen konnte, wie sie sich zauberhaft durch einander wanden, im Mittelpunkt mit Gelb angehaucht.

»Ueberhaupt hast du,« fuhr der Gärtner nach einer Pause fort, »den wichtigsten Dienst. Was geht nicht alles durch deine Hände! Und wenn ich jetzt wieder von deiner kleinen Figur rede, und daß du wie ein Kind aussiehst, so will ich dich, weiß Gott, damit nicht ärgern, indem ich sage, daß das in deinem Geschäft ein ungeheurer Vortheil ist. Was Teufel! wenn der Herr Baron einen großen Bengel von Reitknecht irgend wohin schickt mit einem Brief, einem Bouqet, so wird er natürlich vor die Thür gesetzt, während man liest oder empfängt, du aber darfst im Zimmer stehen bleiben; du bist ein artiger kleiner Kerl; für dich hat man immer was übrig, und da du ein verfluchter, aufmerksamer Spitzbube bist, so nimmst du nicht nur das Guldenstück, das man dir in die Hand drückt, sondern merkst dir auch jedes Wort, das gesprochen wird, weißt es zu Hause dem Herrn zu rapportiren und bleibst immer der Hahn im Korb.«

Von dem Gesichte des Jockey's war in diesem Augenblicke aller Mißmuth verschwunden, und er lächelte still in sich hinein. Der Gärtner hatte sein Bouquet beendigt, legte es zu dem anderen, und nachdem er es einen Augenblick betrachtet, fuhr er lachend fort, indem er die Hände auf das Fensterbrett stützte und zu gleicher Zeit dem kleinen Reitknecht fest in die Augen blickte: »Friedrich, Friedrich, du bist vollgeschrieben wie ein Buch, aber dabei ein verschlossener Kerl, der seinen Freunden auch nicht das Geringste sagt; aber wir sind doch nicht so dumm, wie wir aussehen, und wenn es auch heißt: all die schönen Bouqets wandern in das alte Raubschloß zur Schwester der gnädigen Frau oder zu deren Fräulein Tochter, so wissen wir das doch besser. Pfui, Friedrich, wer wird so hinter dem Berg halten!«

»Das ist die lautere Wahrheit,« entgegnete der Groom, indem er seine kleinen Arme über einander schlug. »Das kommt alles ins Haus da drüben.«

»Alle diese Bouquets, Woche für Woche?«

»Alle.«

»So, so! ei, ei!« sagte pfiffig lächelnd der Gärtner. »Und wenn dem so ist, so erhält das junge Fräulein ein schönes großes Bouquet hier, und die Veilchen sind für die gnädige Frau?«

»Das ist nun gerade umgekehrt, lieber Andreas,« erwiderte der Reitknecht mit einem sehr wichtigen Lächeln. »Das Fräulein bekommt allemal die kleineren Bouquets.«

»Aha, die kleineren,« meinte nachdenkend und kopfnickend der Gärtner. »So, die kleineren, die immer aus den seltensten Blumen gemacht werden! Ah, ah! So, so!«

»Ja, und das Fräulein ist auch sehr dankbar dafür, denn sie behandelt mich sogar mit einer Artigkeit, woran sich manche sehr minder vornehme Dame ein Exempel nehmen könnte.«

Das gab er mit einem kleinen Seufzer von sich.

»Wie oft kommt sie zu mir herunter,« fuhr er darauf fort, »wenn ich bei den Pferden stehe, und lobt den Lord, sowie auch sogar meinen kleinen Schimmel mit sehr vernünftigen und klugen Worten! Sie pätschelt die Pferde mit ihrer kleinen Hand, und die Pferde lassen sich das gern gefallen.«

»Nun da wird es anderswo auch nicht darauf ankommen, sich das gefallen zu lassen,« meinte lachend der Gärtner. »Aber wenn in dergleichen Kleinigkeiten deine sämmtlichen Wahrnehmungen bestehen, mein lieber Friedrich, dann muß ich doch bekennen, daß du das richtige Zeug nicht hast, aus dem ein pfiffiger Groom gemacht sein soll.«

»Wahrnehmungen,« erwiderte einigermaßen verletzt der Andere, »wichtige Wahrnehmungen, wenn man sie wirklich macht, die wirft man nicht nur so von sich und spricht darüber zwischen Thür und Angel in der freien Luft.«

Bei diesen Worten warf er einen Blick rings um sich her, besonders nach dem Hause zu; doch ließ sich dort nach wie vor nichts sehen.

Der Gärtner hatte unterdessen seine beiden Bouquets in die Höhe genommen, betrachtete sie aufmerksam mit großer Liebe und schien das Gespräch von vorhin gar nicht mehr anknüpfen zu wollen, sondern sagte nur, indem er sich langsam, wie zum Weggehen, herumwandte: »Ja, ja, wenn du deine Wahrnehmungen für dich behältst, so hast du eigentlich Recht; selbst essen macht fett, und du bist so ein ganz verfluchter Kerl, daß du keines Freundes Hülfe bedarfst.« Dabei spitzte er den Mund und fing gleichgültig an zu pfeifen.

»Seht Ihr, Andreas,« entgegnete fast mißmuthig der kleine Reitknecht, »so seid Ihr fast immer. Wenn man einmal, im Begriff steht, ein vernünftiges Wort mit Euch zu reden, da werft Ihr den Kopf in die Höhe und Macht Eure widerwärtigen vornehmen Bemerkungen. Wißt Ihr wohl, daß Einen das gar nicht aufmuntern kann?«

»Lieber Freund, ich will dich auch gar nicht aufmuntern,« versetzte der Gärtner. »Du lieber, Himmel – Wahrnehmungen! was gehen mich alle Wahrnehmungen an! Thu' ich das Meine, thu' du das Deine, so thut ein Jeder das Seine. Das ist mein Wahlspruch und damit halt' ich's.«

Er machte eine Viertelswendung und zu gleicher Zeit Miene, als wolle er das offenstehende Fenster dem kleinen Groom vor der Nase zuziehen.

»Ihr könnt wirklich unausstehlich sein, Andreas,« sagte Jener, »und habt namentlich die scheußliche Manier, ehrliche Leute nicht ausreden zu lassen. Ich wollte Euch ja nur wegen Wahrnehmungen, die ich gemacht, um Rath fragen, was Ihr davon denkt, oder so.«

»Wenn ich dir dienen kann,« sprach mit einer affektirten Gleichgültigkeit der Gärtner, »so laß hören. Du bist ein ungeheurer Kindskopf – wirst was Rechtes vernommen haben! Vor allen Dingen aber,« unterbrach er sich, »will ich vorher die beiden Lederfutterale holen, um die Bouquets hinein zu thun, damit wir wenigstens fix und fertig sind, wenn der Herr Baron kommt.«

Damit trat er in das Gewächshaus zurück und verlor sich auf ein paar Augenblicke hinter den Stellagen. Der kleine Reitknecht wandte sich gegen Lord um und drückte ihn an den Zügeln langsam zurück; denn das große Thier mit seinem langen Halse hatte, dem Blätterduft folgend, seinen Kopf in das Glashaus gesteckt und bewegte die Lippen vor irgend einem seltenen Strauche, als wolle es eifrig anfangen, ihn zu benagen.

Andreas kam zurück, in seiner Hand zwei schwarzlederne Futterale, die ungefähr so aussahen, als wolle man Kinderhelme darin aufbewahren.

Der Groom hatte sich wieder genähert, setzte sich auf die Fensterbank und bemühte sich, das Folgende recht leise zu sprechen. »Das war vorgestern,« sagte er, »ich führte die Pferde an der Seite des alten Hauses hinter dem großen Bretterverschlag auf und ab.«

»Ja, es hat dort nichts als verfallene Bretterverschläge,« bemerkte der Gärtner mit einem eigenthümlichen Lachen.

»Da kam unser gnädiger Herr mit seiner Frau Schwägerin herab, und sie sprachen eifrig zusammen. – Er wird es nicht gern zugeben, sagte sie.«

»Wen meinte sie mit dem Er?« fragte Andreas.

»Nun, ihren Mann, den alten Baron.«

»Aha!«

»Also: er wird es nicht gern zugeben, wiederholte sie mehrere Male. Sie habe schon versucht, ihn zu überreden, aber er meinte immer, er sehe keinen Grund dazu. Eugenie sei ganz gut in seinem Hause, und er halte es nicht für passend, sie in das ihrer Schwester zu thun. – Versteht Ihr, Andreas?«

»Ich fange an,« erwiderte dieser, indem er den Finger an die Nase legte.

»So, Ihr versteht!« rief der Groom mit dem Ausdruck wahrhaften Erstaunens, – »ich versichere Euch, ich hab' es nicht verstanden. Aber es schien mir wichtig genug, Euch davon in Kenntniß zu setzen, und da ein Dienst des andern werth ist, so könnt Ihr mich auch ein bischen klar sehen lassen.«

»Natürlich,« sagte der Gärtner kopfnickend; »und du wirst einsehen, Friedrich, wie gut es ist, wenn man hier und da vertrauliche Mittheilungen macht. – Nun also, du kennst ja drüben das traurige Hauswesen, Armuth und Edelsinn, wie man zu sagen pflegt; und dabei ein Stolz und Hochmuth, der gen Himmel schreit. Daß es für die Herrschaft in dem alten Raubschloß schon traurig genug ist, sich so durchschlagen zu müssen, das wird dir einleuchten; daß aber ein junges schönes Mädchen, wie Fräulein Eugenie ist, einen solchen Zustand unerträglich finden muß, das kannst du dir am Ende auch denken. Sie hört oft genug von Vergnügungen reden, an denen sie nicht Theil nehmen kann, sie sieht andere junge Damen, mit denen sie aufgewachsen, vornehm und reich gekleidet, und muß sich behelfen, so gut es immer geht. Und dann ist auch noch Anderes in dem Hause da, was das arme Fräulein, wenn sie einmal dahinter kommt, ganz complet unglücklich machen muß. Und ich sage dir, sie kommt dahinter; denn was so ein junges Mädchen nicht sieht, das fühlt sie; du kannst mir glauben, ich habe viel in der Welt erfahren und gehört: – das unverdorbene Herz eines jungen Mädchens fühlt dir durch eine Hauswand hindurch, und es liegt ihr in den Gliedern, wenn im Nebenzimmer etwas Unrechtes geschieht. – Verstanden, wenn sie einmal aufmerksam geworden und in ein gewisses Alter kommt.«

»Ja, ja,« meinte der Groom, indem er sich so lang als möglich streckte und eine wichtige Miene anzunehmen versuchte; »ja, in dem Haus mag Manches passirt sein.«

»Und passiren,« ergänzte Andreas. »Ich sage dir, der Kammerdiener, den sie hat – eigentlich Kammerdiener, Bedienter, Alles in Allem – das ist ein ganz verfluchter Kerl.«

»Den hätte ich schon lange spazieren geschickt, wenn ich der alte Baron wäre,« meinte der Groom mit majestätischem Stirnrunzeln. Und darauf blies er die Backen auf, um seinem Gesichte ein Ansehen zu geben.

»O, lieber Freund,« fuhr der Gärtner fort, »um spazieren zu schicken, muß man die Thürklinke in der Hand haben und sich nicht immer in der Zimmerecke verbergen müssen, wie der alte gnädige Herr. Und dann kannst du versichert sein,« sprach er mit leiser Stimme, »daß die Frau Baronin da drüben lieber das ganze Haus, Mann und Kind spazieren schicken ließe, als den Herrn Francois.«

»Aha, jetzt begreife ich auch,« meinte der kleine Reitknecht nach einem kleinen Stillschweigen, »warum unser gnädiger Herr mit dem Monsieur Francois oft so eigenthümlich verfährt. Ich sage Euch, er ist hier bei uns gegen den Stallbuben höflicher, als dort gegen den allgewaltigen Kammerdiener.«

»Ich begreife das; aber es wird ihm nicht viel nützen. Um dich aber wegen des Gespräches hinter dem Bretterzaun aufzuklären – wohlverstanden, damit du deine langen Ohren nach der richtigen Seite hin offen hältst, – so wisse denn, daß unsere gnädige Frau und auch der Herr Baron Fräulein Eugenie gern hieher nehmen möchten, um sie standesgemäß erscheinen zu lassen und es vielleicht so möglich zu machen, daß sie später einmal sich gut verheirathet.«

»Ah!« machte Friedrich, dem ein helles Licht aufzuflammen schien. »Welche von beiden Schwestern ist denn älter?« fragte er nach einer Pause, »unsere gnädige Frau oder die da drüben?«

»Unsere gnädige Frau ist älter« versetzte der Gärtner mit einem leichten Seufzer.

»Und Beide waren sehr reich?« fragte der Groom weiter.

Der Gärtner blies den Athem von sich, wobei er die Augen aufriß, und dann sagte er: »Unmenschlich reich, Beide. Wir aber hier hielten das Unsrige zu Rathe, während es drüben zu allen Fenstern, Thüren und zum Schornstein hinausflog.«

»Es ist das doch eine verkehrte Welt,« philosophirte der Groom nach einer Pause. »Unser gnädiger Herr, der doch um mehrere Jahre jünger ist, heirathet die ältere Schwester, und der alte Baron drüben die jüngere.«

»Dem ist es auch schlecht genug bekommen,« erwiderte der Gärtner, setzte aber gleich darauf in ganz anderem Tone hinzu: »Du, mache dich fertig, man kommt. Gehe nur mit deinem Pferde, ich will die Blumenbouquets schon auf deinen Klepper aufschnallen!«

Der kleine Reitknecht rutschte auf diese Weisung, ohne sich umzusehen, von der Fensterbank hinab, faßte den Zügel von Lord etwas fester und begab sich eilig nach dem Hause zurück. Dort hatte sich mittlerweile die Hausthür geöffnet, und ein großer, schön gewachsener Mann, breitschultrig, etwas stark, doch mit einer zierlichen Taille, war auf die Treppe getreten. Er trug einen dunkeln, ziemlich langen Paletot, den er bis oben zugeknöpft hatte, und zog eben an seinen Handschuhen, wobei er eine schwere englische Reitpeitsche mit silbernem Knopfe unter dem Arme hielt. Er hatte ein angenehmes, etwas starkes Gesicht, krauses blondes Haar, einen eben solchen Bart, der aber künstlich vollkommen horizontal nach beiden Seiten hinaus dressirt war. In der geöffneten Thür stand eine Dame in schwarz seidenem Kleide, fest in einen großen Shawl gewickelt; sie war einfach mit einer Morgenhaube coiffirt, offenbar aber um mehrere Jahre älter als der blonde Mann auf der Treppe draußen. Sie machte ebenfalls Miene, hinaus zu treten, doch drückte sie der Herr sanft zurück, wobei er mit einer angenehmen, klangvollen Stimme sagte: »Bleibe zurück, mein Schatz, es ist in der That ein bischen kühl, ich spürte einen scharfen Wind.« Dabei hob er den Kopf in die Höhe und ließ den Luftzug, der von Norden kam, einen Augenblick über sein Gesicht streichen, so daß ihm das blonde Haar emporgelüpft wurde.

»Bleibst du lange aus, George?« fragte die Dame, worauf er entgegnete: »Ich kann das so ganz genau nicht bestimmen. Sollte es mir übrigens nöthig erscheinen, anderswo zu diniren, so lasse ich es dir vorher durch Friedrich, der mit den Pferden zurückkommt, sagen. Adieu, mein liebes Kind.« Damit wandte er der Thür den Rücken und blickte so ruhig und gleichgültig vor sich hin, als sei er vollkommen allein in der Welt.

Unterdessen war Friedrich mit dem langbeinigen Lord am Fuß der Treppe erschienen und hatte das Pferd kunstgerecht hingestellt, so daß sein Herr nur den Fuß aufzuheben brauchte, um in den linken Steigbügel zu treten. Als er dies that, hängte sich der kleine Groom an den rechten Steigbügel, und zwar so kräftig, daß sich seine beiden kleinen Beinchen vom Boden erhoben. Lord stand wie eine Mauer, und der große blonde Herr schwang sich zierlich und elegant in den Sattel, worauf er eine Cigarrendose hervorzog, eine Cigarre nahm, dieselbe mit einem Zünder langsam und bedächtig in Brand setzte, und dann im Schritt um den Rasenplatz mit dem Braunen gegen das Gitterthor davon ritt.

Der kleine Groom war mittlerweile mit einer außerordentlichen Geschwindigkeit zwischen den Wirthschaftsgebäuden verschwunden, und als er gleich darauf wieder zum Vorschein kam, saß er hoch auf seinem kleinen Schimmel. Klein war das Thier im Verhältniß zum voranschreitenden Lord, immer aber noch ein Riesenpferd für den unbedeutenden Reitknecht. Doch saß er nicht schlecht auf seinem Sattel und sah in der That nicht so übel aus in den engen Reithosen, den Stiefeln mit gelben Kappen und dem elegant gemachten dunkeln Livree-Rock. Um den Leib hatte er einen gelben Riemen, welcher dazu diente, einen zusammengefalteten grauen Plaid festzuhalten, und zwar auf dem Rücken an der Stelle, wo der Infanterist seine Patrontasche zu tragen pflegt. Die beiden Blumenfutterale hingen zu beiden Seiten des Sattels, wo sich sonst die Pistolenholstern befinden. Friedrich hatte den Hut keck auf das rechte Ohr gesetzt, und da sich Lord mit dem Herrn schon am Gitterthor befand, als der Groom den Rasenplatz umkreiste, so hielt letzterer es aus diesem Grunde für nöthig, seinen Schimmel in einen kurzen Galopp zu versetzen. Ob auch noch ein anderer Grund vorhanden war, sich so als tüchtiger Reiter zu zeigen, können wir nicht mit Gewißheit angeben; nur so viel wollen wir verrathen, daß in diesem Augenblicke die Kammerjungfer der gnädigen Frau oben am Fenster erschien, um – frische Luft zu schöpfen.


 << zurück weiter >>