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Viertes Kapitel.
Meister Schwörer


Der rothe Schlafrock aber ging den Korridor hinab und in ihm der kleine Doktor mit der großen Pfeife. Daß er allein nach seiner Wohnung zurückkehrte, hätte ein Blinder nimmer geglaubt, denn der Armenarzt sprach auf dem ganzen Wege mit sich selbst, fragte und gab regelmäßig Antworten. Oben in seinem Zimmer angekommen, ließ er zwar diesen Dialog mit der eigenen Person, doch wandte er sich dafür an seine Hunde, denen er gute Lehren gab, sie zu vernünftigem Betragen ermahnte und dabei die Hoffnung aussprach, sie werden vollkommen überzeugt sein und ihm zugeben müssen, daß später die Peitsche ein kräftiges Wort mitreden würde, wenn sie sich in seiner Abwesenheit ungebührlich aufführten. – »Ich kenne Hunde,« sagte er, »die keine warme Stube haben wie ihr; Hunde, die in der Nässe und Kälte herumlaufen müssen, und die nicht einmal wissen, woher sie etwas zu fressen bekommen. Item, unglückliche Hunde. Auch habe ich die Bekanntschaft von andern eures Gleichen gemacht, und sogar von edlen Jagdhunden, die in Kellern wohnen und dort dressirt werden. Ihr werdet mir zugeben, daß das eine langweilige Existenz ist: Keller-Wohnung und dressirt werden, Corallen-Halsband, item Hunger, item Peitsche.«

Während der Doktor so sprach, hatte er einen braunen Rock angezogen, das wenige Haar an seinem Hinterkopf noch einmal in die Höhe gebürstet und dann den Hut aufgesetzt. Die Hunde aber schienen aufmerksam auf seine Rede zu horchen, denn sie saßen in ängstlicher Stille auf ihren Hinterpfoten, spitzten die Ohren, und kaum wagte einer sich irgendwo zu kratzen oder umher zu schnüffeln. Als nun der Armenarzt seinen Anzug vollendet hatte, nahm er einen Stock mit silbernem Knopf unter seinen Arm, dachte einen Augenblick nach und sagte dann: »Fanny darf mitgehen.« Und Fanny bezeigte sich außerordentlich dankbar dafür. Fanny sprang um ihren Herrn herum und dann zur Thür hinaus, die der Armenarzt hinter sich abschloß. Dann gingen beide mit einander die Treppe hinab, durch den engen, finsteren Hof auf die Straße, der Doktor nach Art der Aerzte etwas vornübergebeugt, wie über einen wichtigen Fall nachdenkend, zu Boden blickend, den Stock so unter seinem Arme, daß der Knopf drohend gen Himmel gekehrt war; Fanny dagegen nach Art der Hunde, lustig ausgelassen, den Weg zehnmal hin und zehnmal zurück machend, wobei der kleine Pinscher immer noch Zeit genug hatte, jeden Eckstein sorgfältig zu betrachten, hier und dort zarte Erinnerungszeichen zurückzulassen und mit den ihm begegnenden Hunden seiner Bekanntschaft einen Schnüffler oder Schweifwedler zu wechseln.

Der Doktor machte genau den Weg, den der lange Mann gestern Abends mit dem Knaben gegangen war, nur in umgekehrter Richtung, und da er sich nicht sehr stark beeilte, sondern zuweilen stehen blieb und sein Kinn mit der Hand streichelte, während er vergnügt lächelnd gen Himmel blickte, so brauchte er eine gute halbe Stunde, bis er zu dem Hause gelangte, wo unsere denkwürdige und außerordentlich wahrhaftige Geschichte begonnen hat. Der Regen hatte bei Tagesanbruch aufgehört, und wenn es auch noch naß genug auf Erden war, so fing doch der Himmel an, ein freundliches Gesicht zu zeigen, zerriß den grauen Vorhang, mit dem er sich gestern verhüllt, und überall kam das glänzende freundliche Blau zu Tage. Auch die Sonne war bereits fleißig und that ihr Möglichstes, um die Menschheit den gestrigen Regentag vergessen zu lassen. Sie vergoldete alles, was sie erreichen konnte, und wo ihr das nicht möglich war, da bildete sie die kühnsten tiefdunkeln, seltsam gezackten, scharfen Schatten, als wollte sie die Grenze ihres Reiches von der des Feindes aufs deutlichste markiren.

Der kleine Doktor ging in das Haus, welches gestern Abend so hartnäckig verschlossen war, klopfte an die Thür rechts, welche zu den Privat-Gemächern der Familie Schwörer gehörte, begnügte sich aber, als man herein rief, nur mit einem ganz kleinen Oeffnen der Thür, so daß er kaum seinen Kopf durchstecken konnte, wobei er freundlich lächelnd sagte: »Kann ich hinauf gehen? Ist der Leipziger noch in seinem Bette?«

Madame Schwörer, die in stark ausgesprochenem Negligé bei ihrem Kaffee saß, vernahm nicht sobald die Stimme des Arztes, als sie rasch aufstand und ihn gegen ihre sonstige Gewohnheit freundlichst bat, einzutreten. Vergebens schien der Meister mit lauter Stimme dagegen zu protestiren, die Frau meinte: »Ei was! Doktor ist Doktor, und einer weiß sowenig wie der andere. Der ist mir heute gerade recht, der wird nicht mit dir heulen, sondern dich an die Arbeit schicken. Bitte, Herr Doktor, näher zu treten. Sie werden sich an meinem Anzug nicht geniren. Sie sehen ja Alt und Jung oft genug so.«

Der Doktor trat in die Stube und sah die Meisterin mit einem außerordentlich fragenden, aber dabei sehr unschuldvollen Blicke an.

»Hat sich der Leipziger nicht gehalten?« sagte er nach einer Pause, »ist ihm was zugestoßen? Sie werden mir zugeben, daß es von großer Wichtigkeit ist, daß der Mensch mir keine Excesse macht.«

»Ach, was den Leipziger anbelangt,« versetzte Madame Schwörer achselzuckend, »so geht's dem recht ordentlich; er ist aufgestanden und sitzt dort in der Werkstatt, freilich noch ein bischen lummelig, aber er kann doch wieder seinen Stich machen.«

»So, so, ei, ei,« erwiderte der Armenarzt, während er den silbernen Stockknopf sorgfältig unter seine Nasenspitze brachte und mit den glänzenden Brillengläsern an die Decke stierte. »Also wieder besser; Sie werden mir erlauben, daß ich mich darüber freue. Ich bin immer besorgt um meine Dachkammerkranken; item, ich will doch nach ihm sehen.«

Damit schickte er sich zum Weggehen an; doch sagte die Frau: »Thun Sie das immer, Herr Doktor; da Sie aber einmal da sind, so bitte ich, schauen Sie nach dem Meister da neben in dem Bette. Wir haben freilich den Stadtarzt, was Sie auch wissen, aber ehe der kommt, kann es Abend werden, und dann,« setzte sie leiser hinzu, »gibt der mir viel zu viel auf meines Mannes Klagen. Sie sind resoluter, und – verstehen mich schon.«

Der Armenarzt drückte die Brille fester an seine Augen, spitzte den Mund ein klein wenig und zog die Augenbrauen hoch empor, während er, die linke Hand mit dem Stock auf dem Rücken haltend, langsam und bedächtig gegen das Bett im Nebenzimmer anmarschirte. Dort lag Meister Schwörer auf dem Rücken, die spitzen Hände über der Brust gefaltet, in stiller Resignation, als sei er vollkommen gerüstet und bereit, die himmlischen Heerschaaren mit seinem Erscheinen zu beglücken. Aus den Kissen ragte seine gekrümmte Nase erschreckend hoch empor, und selbst seine Augen schienen sich vor ihr zu entsetzen, denn diese hatten sich tief in ihre Höhlen zurückgezogen und blickten nur zuweilen scheu und furchtsam um sich. Zu den Häupten des Bettes saß eine dürre Gestalt mit eingefallenen Backen und unheimlich glänzenden Augen in einem Wamms und abgeschabten Hosen, des Meisters Lieblings-Geselle, der ein Buch in Händen hatte, aus welchem er wahrscheinlich so eben vorgelesen. Jetzt schwieg er begreiflicher Weise still, faltete die Hände auf dem Schooße zusammen, neigte den Kopf auf die rechte Seite und blickte mit einem so faden, häßlichen und widerwärtigen Gesichtsausdrucke an die Zimmerdecke empor, daß in dem praktischen und lustigen Armenarzte augenblicklich die Idee eines personificirten Brechmittels aufstieg.

»Ei, ei,« sagte er nach einer Pause, »Meister Schwörer ist krank, das ist ja, Gott sei Dank, eine Seltenheit. Nun, da wir zufällig einmal da sind und Madame Schwörer es wünscht, so kann ich mir schon erlauben, ein wenig zu fragen was denn eigentlich dem guten Meister fehlt.«

Bei diesen Worten hatte er sich einen Stuhl näher gezogen, setzte sich vor das Bett, wobei er sogleich nach dem Pulse des Kranken griff und, während er diesen beobachtete, den silbernen Stockknopf abermals unter die Nase brachte.

»Puls etwas erregt,« bemerkte er, »die Haut trocken, und die Zunge?«

Es war kein schöner Anblick, als nun der Meister unter seiner gewaltigen Nase die sehr lange Zunge hervorstreckte. Es hatte in der That etwas Koboldartiges.

»Belegt, belegt,« meinte der Armenarzt, »es tritt allerdings eine allgemeine Verstimmung des Körpers hervor, und da wir das erkannt haben, so werden Sie mir schon erlauben, wenn ich mich nach den Ursachen erkundige. Von einer Erkältung kommt das nicht, auch von keiner Unverdaulichkeit; da ist eine Seelen-Affektion im Spiel, eine Aufregung, ein Schrecken.«

Bei den Worten des Armenarztes schien die Nase des Patienten sichtbar länger zu werden, doch war das nur optische Täuschung, welche daher kommen mochte, daß der Meister seinen Kopf langsam aus dem Kissen emporhob.

»Ja, ein Schrecken,« fuhr der Doktor fort. »Item, etwas Aehnliches. Ist vielleicht ein kostbarer Rock verdorben worden, oder dem Lehrjungen ein glühendes Bügeleisen auf den Fuß gefallen?«

Der Meister schüttelte mit dem Kopfe.

»Item,« sagte der Armenarzt in sehr bestimmtem Tone, »etwas dergleichen muß vorgefallen sein; das bemerke ich an allen Anzeichen, und wenn ich Ihnen irgend etwas Wirksames verordnen soll, so werden Sie mir zugeben, daß ich die Ursache der Krankheit kennen muß; sonst stehe ich nicht für das Schlimmste.«

»Kann denn ein Schrecken so schlimme Folgen haben?« fragte der Meister mit schwacher Stimme.

Der Armenarzt betrachtete den Kranken durch seine Brillengläser, welche hier in dem dunklen Winkel des Zimmers recht unheimlich funkelten. Alsdann stützte er den rechten Arm auf seinen Stock, legte den Kopf darauf und sagte nach einem augenblicklichen Stillschweigen: »Sie werden wir glauben, wenn ich Ihnen die Versicherung gebe, daß ein Schrecken von ernsten Folgen sein kann; man beachtet das leichtsinniger Weise viel zu wenig. Man denkt nicht an eine Affektion des verlängerten Marks, welche nur zu leicht eintritt, an wässerige Ausschwitzungen in die Gehirnkammern und an ein Delirium furibundum, welches sich möglicherweise aus einem Schrecken entwickeln kann. – Hier ist freilich nichts zu befürchten,« fuhr der Arzt fort, indem er abermals die Hand des tief aufstöhnenden Kranken ergriff, »aber Sie werden mir zugeben, daß ich eine Ursache kennen muß, um wirken zu können; item, daß Sie mir anvertrauen, was Sie erschreckt.«

Mittlerweile war Madame Schwörer ebenfalls näher getreten, hatte sich mit der Hand unten auf das Bett gestützt und sagte nun mit ihrer derben Stimme: »Ja, Sie haben ganz Recht, Herr Doktor, er soll mit der Sprache heraus und würde es auch thun, wenn er sich nicht vor Ihnen schämte. Narrheiten sind es, die ihn erschreckt haben!«

»O Frau!« sprach der Meister mit schwacher Stimme, »du sprichst aus deinem ungläubigen Gemüthe, du bist auch Eine von denen, die weder an Zeichen noch Wunder glauben.«

»Narrheiten!« wiederholte bestimmter die Frau; »wie schon gesagt, vor Ihnen genirt er sich, aber vor seinen christlichen Freunden wird er schon mit der Sprache herausgehen, und da ich davon fest überzeugt bin, so kann ich es Ihnen auch schon sagen.«

»Weib!« rief der Schneider, und seine lange spitze Nase bäumte sich ordentlich in die Höhe, während die Augen drohende Blitze schossen.

»Ach was, ich will Ruhe haben,« erwiderte Madame Schwörer, »und daß Sie es nur wissen, Herr Doktor, er bildet sich ein, er habe den Teufel gesehen.«

»Herr Gott, dich loben wir!« stöhnte der Meister, worauf er in die Kissen zurücksank, und der dürre Schneidergeselle setzte hinzu: »In alle Ewigkeit, Amen.«

»Den Teufel hat er gesehen!« rief der Armenarzt mit ernster Stimme und kopfschüttelnd; »ei, ei, das ist doch unmöglich. Den Teufel! das hätte ich mit erleben mögen. Meister Schwörer, Meister Schwörer! wie sah denn der Teufel aus?«

Es war gut, daß der Doktor ziemlich im Dunkeln saß und daß die Brillengläser seine Augen verdeckten; denn sonst hätte man sehen müssen, wie es in denselben lustig blitzte und funkelte, und wie um seine Mundwinkel ein eigenthümliches, zufriedenes Lächeln spielte.

»So was ist mir noch nicht vorgekommen,« sagte er nach einer Pause, »und Sie werden mir deßhalb zugeben, daß ich im ersten Augenblicke an das, was ich nicht gesehen, nicht glauben kann. Aber,« setzte er kopfschüttelnd hinzu, »der Teufel, item, Sie behaupten es; aber ... aber ...«

Bei diesen Worten beugte er den Kopf tief herab, bedeckte ihn mit seiner Hand und versank in tiefes Nachdenken.

Es war seltsam, daß im gleichen Verhältniß, wie des Doktors Kopf herabsank, sich der des Kranken erhob; ja, er blickte fast triumphirend auf seine Frau, als der Arzt schwieg, ohne ihn, wie er gefürchtet, tüchtig auszulachen.

»Item,« sagte der Armenarzt nach einem längeren Stillschweigen, erhob langsam seinen Kopf und schaute den Meister Schwörer mit dem leeren Blicke der Brillengläser fest an, »es gibt viele Dinge zwischen Himmel und Erden, davon sich eure Schulweisheit nichts träumen läßt – Horatio.«

»Zacharias,« verbesserte der Schneider, und fuhr dann mit etwas kräftigerer Stimme fort: »Es ist mir ein wahrer Trost, daß Sie es mir nicht machen wie die Frau da, und mir nicht abstreiten wollen, was ich heute Nacht erblickte.– – Ja, ich habe den Teufel gesehen, er stand dort vor jenem Fenster.«

»Angethan mit der Höllenlivrei, mit langem, schleppendem Mantel, der da gefertigt ist aus den Flammen des unterirdischen Sündenpfuhls, mit glühenden Augen und schrecklichen Hörnern, gezeichnet durch langen Schweif und flammenspeiend zum Grauen der Gottlosen,« las der dürre Schneidergeselle mit schnarrender Stimme und einem wahrhaft verzückten Blicke.

»Nicht ganz so,« erwiderte Meister Schwörer; »in Roth war er gekleidet, das ist wahr, hatte auch feurige Augen und Hörner, aber von den Flammen und dem Schweif habe ich, Gott sei gelobt! nichts gesehen.«

Nach diesen Worten herrschte eine so tiefe Stille in dem Zimmer, daß man die Taschenuhr auf dem Nachttischchen picken hörte, und von oben aus der Werkstatt herab eine feine Stimme, welche sang:

»Strümpf' und Schuh', Strümpf' und Schuh',
Laufen dem Teufel barfuß zu,«

worauf ein Chor einfiel:

»Zum Zippel, zum Zappel, zum Kellerloch 'nein,
Alles muß versoffen sein.«

»Hören Sie, Herr Doktor,« rief die Frau erboßt, »wie sie es droben treiben, während hier der Meister krank im Bette liegt, weil er sich einbildet, den Teufel gesehen zu haben? Nein, Herr Doktor, nehmen Sie mir's nicht übel, ich hatte gehofft, Sie würden ihm den Kopf zurecht setzen und ihm sagen, wo der Teufel eigentlich steck. Ich weiß es. Nicht vor dem Fenster treibt er sich herum, sondern hier im Hause ist der Teufel, und jetzt, wo mir einmal die Galle überläuft, soll es mir auf ein paar Dutzend Worte mehr oder weniger nicht ankommen.«

»Frau!« rief der Meister mit zürnender Stimme, setzte aber gleich darauf ziemlich affektirt matt hinzu: »Doch was ereifr' ich mich? Allerdings weißt du am besten, wo der Teufel steck. O du mein Gott!«

»Der liebe Gott,« rief Madame Schwörer immer heftiger, »der weiß nichts von dir und deinen Freunden! Ja, und jetzt will ich auch anfangen zu glauben, daß der Teufel gestern Nachts zum Fenster hereingesehen hat. Dem gefällt freilich die Wirthschaft hier – zwinkere nur mit deinen Augen! Und Er, Elberfelder, lass' er Sein scheinheiliges Maul herabhangen! Vor dem Herrn Doktor da brauch ich mich nicht zu geniren, das ist der Armenarzt, und daß wir in seine Praxis hineinfallen, dafür sorgst du aufs beste. Hat der Mann nicht eine Kundschaft gehabt!« wandte sie sich fast weinend an den kleinen Doktor; »die vornehmsten Herrschaften ließen bei ihm arbeiten, und gern bei ihm arbeiten, denn was damals aus der Werkstatt des Meisters Schwörer kam, das konnte sich sehen lassen. Aber wie hat sich das geändert! – Statt nach den Gesellen zu sehen und nach den Hosen und Röcken seiner Kundschaft, bekümmerte er sich um die Wilden in Amerika, die doch dazu bestimmt sind, daß sie herumlaufen, wie sie Gott erschaffen. Und statt sich um sein Rechnungsbuch zu bekümmern, ließ er das liegen, weil er zu dem Comité gehört, das sich zur Aufgabe macht, armen Leuten mit allerhand confusen Büchern den Kopf zu verrücken. Ja, Herr Doktor, ein Kunde nach dem andern verläßt uns, und meinen Sie, er mache sich was daraus? O nein, das nennt er höchstens eine heilsame Strafe für seine Sündhaftigkeit. Daß ich aber und die armen Kinder am meisten dabei gestraft sind, darüber macht er sich keine Gedanken!«

Meister Schwörer hatte bei diesem Ergüsse seiner Ehehälfte den Kopf auf die Seite gelegt; der Elberfelder schien eifrig in seinem Buche zu lesen, und der Armenarzt allein, an den die Rede hauptsächlich gerichtet war, mußte sie Auge gegen Auge aushalten, was er denn auch heldenmüthig that und sich nur leicht duckte, wie ein Hund im strömenden Regen. Was sollte er thun? Er war klug genug, für Niemand Partei zu nehmen, weßhalb er das beste Mittel ergriff und, als Arzt handelnd, die Frau bat, mit ihren Vorwürfen einzuhalten, indem diese bei dem Zustande ihres Mannes nicht zuträglich seien. Dann erhob er sich, faßte mit wichtiger Miene nochmals den Puls des Kranken und verordnete ein Senf-Fußbad, so wie bei sich mehrender Hitze im Kopfe Umschläge von kaltem Wasser.

»Was Sie gesehen haben wollen, bester Meister Schwörer, darüber kann ich mit Ihnen nicht streiten, denn ich hab' es ja nicht gesehen. Uebrigens glaub' auch ich nicht, daß sich der Teufel sichtbar herumtreibt. Wer weiß, was Ihnen vor die Augen gekommen ist! Einer der zufällig vorüberging, ein später, harmloser Wirthshausgast.«

»Nein, nein,« sagte der Meister kopfschüttelnd.

»Jemand, der zufällig an Ihrem Fenster stehen blieb, Jemand in einem langen Mantel, mit Roth ausgeschlagen. Daß es solche Mäntel gibt, müssen Sie ja am besten wissen. Item, etwas ganz Unschuldiges, das Sie, durch mir unbekannte Nebenumstände veranlaßt, erschreckte. Item, wer wird sogleich an den Teufel glauben?«

»Aber die Nebenumstände!« seufzte der Kranke, »der Gott ...« – doch war er nicht im Stande, den Satz zu beendigen. Madame Schwörer, welche kluger Weise vorhersah, daß die Rede auf den verschwundenen Lehrling kommen würde – und das wollte sie vermeiden – war leise zu Häupten des Bettes getreten, that, als wolle sie ihrem Manne das Kissen ein wenig aufschütteln, benutzte aber zugleich diesen günstigen Moment, um ihm einen Zipfel desselben so heftig unter die Nase zu drücken, daß ihm sein Wort plötzlich abgeschnitten wurde. Dieses Manöver begleitete sie mit einem gelinden Puff und flüsterte ihm in die Ohren: »Halt doch dein Maul!« worauf sie laut fortfuhr: »Was kümmern den Herrn Doktor die Nebenumstände? Ich versichere dir, Zacharias, es ist so, wie er gesagt. Ein Nachtwandler, dem es Spaß gemacht, stehen zu bleiben und in unser Fenster zu blicken, vielleicht ein Bekannter, der uns über die ganze Sache noch aufklären wird,« setzte sie mit Beziehung hinzu.

»Also ein Senf-Fußbad und kalte Umschläge,« wiederholte der Armenarzt, nachdem er seine Brille fest auf die Nase gedrückt und sich vom Stuhle erhoben. »Mein Herr College, der Sie gewiß im Laufe des Tages besucht, wird damit einverstanden sein. Und was den Leipziger anbelangt,« wandte er sich an die Meisterin, »so werde ich morgen nach ihm sehen. Er soll nichts Fettes essen und Brodwasser trinken so viel er mag. Item, die Sache wird sich bald geben. Adieu.«

Damit ging er ruhigen Schrittes zur Thür, von Madame Schwörer begleitet, die ihm mit leiser Stimme zu wiederholten Malen versicherte, es sei nichts als eine Narrheit von ihrem Manne, und sie wolle ihm das Fußbad schon gehörig mit Senf würzen, und ihm kalte Umschläge um den Kopf machen, daß er auf andere und gescheidtere Gedanken käme.

Draußen auf der Straße saß die gut erzogene kleine Fanny und wartete geduldig auf die Rückkunft ihres Herrn, wie sie und ihre Kameraden es an allen Häusern zu halten pflegten, wo der Arzt seine Besuche machte.

Nach dieser Visite schritt der Doktor mit sichtbarem Vergnügen und außerordentlichem Wohlbehagen durch die Straßen. Es schien ihm förmlich in den Beinen zu zucken, als wollten diese zuweilen einen Hopser machen, während sich der Kopf dagegen außerordentlich ehrwürdig und ärztlich steif hielt; zuweilen aber, wenn gerade keine Leute desselben Weges wandelten, zuckte ein fröhliches Lachen über sein Gesicht, er schnalzte alsdann mit den Fingern, was Fanny für ein Zeichen nahm, in die Höhe zu springen, und worüber dann der kleine Doktor wieder eine solche Freude äußerte, daß man den Moment herankommen sah, wo Beide um die Wette durch die Straßen capriolen würden.

Dabei hatte der Armenarzt eine eigenthümliche Gewohnheit angenommen, der er sich aber nur überließ, wenn er gut gelaunt war. Es war eigentlich eine Unart, die er dann auszuüben pflegte, indem er sich nämlich durch ein einziges Wort oder auch durch eine vollständige Bemerkung in das Gespräch der Vorübergehenden mischte, was meistens mit großem Erstaunen aufgenommen wurde, ihm oft aber auch eine pikante Antwort eintrug, Letzteres aber nur von solchen Leuten, die ihn nicht kannten.


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