Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. III. Buch
Karl Gutzkow

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166 7.

Bonaventura hatte bis sechs Uhr auf die Rückkehr des Mönchs gewartet. Als er dann auch endlich kam, hätte er wünschen mögen, er wäre lieber nicht gekommen. Klingsohr kam in einer Aufregung, die für Bonaventura wahrhaft beängstigend wurde. Gleich die Art, wie der Mönch von den mit ins Grab genommenen Lesarten des Origenes, von dem wirklich erfolgten Tode des bewußten Domherrn, dann von Bonaventura's Aussichten auf dessen Stelle sprach, war für dessen Gefühl verletzend. Dann führte er ihn wie in blinder Wahl der einzuschlagenden Richtung einem Thore zu . . . Er versprach ihm den angenehmsten Eindruck von einer Promenade um die alten Wälle der Stadt. Einige der letztern waren zu öffentlichen Vergnügungsorten bestimmt.

In mäßiger Entfernung von einem solchen, den man den Apostelgarten nannte, beredete er Bonaventura, sich mit ihm auf eine im Gebüsch versteckte Bank zu setzen und durch eine Oeffnung der Gesträuche dem Treiben des überfüllten Lokals zuzusehen. Da und dort standen Tische und Lauben, die immer mehr sich besetzten und füllten; Kellner und Kellnerinnen schritten hin und wieder von einem nach außen angebrachten Büffet eines einstöckigen langen Hauses. Rings hatte das Auge die Aussicht auf Häuser und Gärten, auf alte zerklüftete Mauerreste, hier auf einen wohlerhaltenen epheuumwundenen Thurm, dort auf eine 167 baumbeschattete Kapelle, in weiterer Entfernung auf eine neue Ringmauer, Theile neuer Befestigungen, dann über sie hinweg auf die Kette der Sieben Berge – alles das vermochte auf einige Zeit zu fesseln. Sogar eine Nachtigall schlug plötzlich an ihr Ohr und der Mönch lachte über seinen Begleiter, der nicht sogleich entdeckte, daß dieser nach der Jahreszeit völlig unmögliche Ruf von einem Künstler kam, der drüben die Vogelstimmen nachahmte.

Hören Sie nur! rief Klingsohr, als Bonaventura die Kunst des Mannes bewundern mußte, der bald auch die Lerche steigen und die Amsel singen ließ, diese nicht fertig gewordene halbe Nachtigall, wie Sebastus sie nannte. Sehen Sie nur den Menschen! fuhr er fort. Ist es nicht ganz ein Affe! Und doch hat er so sein Ohr erzogen! Wie er den kleinen Nachschleifer trifft, wenn Hans Canarienvogel fertig ist mit seiner Roulade und ganz armselig hintennach noch ein kindisch Tönchen von sich gibt, als wäre der große, mächtige Triller vorher gar nicht so majestätisch gemeint gewesen! Wie dumm sieht der Mensch aus und alles das hat er belauscht im Walde und auf dem Vogelmarkt! Auf Noten steht das nirgends geschrieben! Ich wünschte, Sie schenkten ihm für diesen Blick in die Natur einen Groschen; ich habe kein Geld –

Der Vogelmensch kam jedoch nicht. Er sah die beiden Geistlichen, verbeugte sich in der Ferne und ging –

Nun spielten drei Mädchen zugleich mit einem Alten ein Concert. Eins spielte die Harfe, zwei die Geige, der Alte strich das Violoncell. Bonaventura wollte gehen; aber der Mönch. der sein geistlich Kleid ganz vergessen zu haben schien, sagte: Wie toll das ist, wenn Mädchen die Geige streichen!

Die Spielerinnen waren keine Kinder mehr. Aufgenestelten Haares, mit versilberten Pfeilen in den Flechten, in blauen 168 Kleidern mit rothen Shawls, die sie vor dem Beginn ihrer Production abgelegt hatten, strichen sie die Geige, herausfordernd, sicher, trotzig. Vorher hatten sie elegante Handschuhe angezogen.

In alten Tagen, sagte der Mönch, konnt' ich nun einer solchen Vagabunden-Romantik tagelang nachhängen. An solches Volk mußt' ich herantreten, mußt' es nach seiner Heimat fragen und wollte mir aus ihm heraus die Poesie des Lebens locken. Und doch – nur hölzerne und lackirte Sirenenköpfe sind's! Ganz, wie sie auf der hamburger Rhede auf die Brust der Dreidecker gestellt werden! . . . Und als weilte des Mönches Phantasie jetzt auf dem Hamburger Berge, so summte er sinnend für sich hin und im Heine'schen Tone:

Es kichern und lachen die Geigen
Wie Mädchen, trunken vom Wein,
Die Clarinetten sie meckern
Wie Böcke und Satyrn hinein;

Die Flöte, wie wenn dem Monde
Ein Schneiderlein klagt, was es litt!
Der Baß und die Pauke, die Alten,
Die reiten zum Blocksberg mit – –!

Klingsohr wollte in seinem diabolischen Liede fortfahren. Bonaventura erhob sich. Der Mönch folgte wie in taumelndem Schritte. Wol eine halbe Stunde gingen beide völlig lautlos nebeneinander. Bonaventura war erschreckt von einer noch so offenbaren Unfertigkeit des neuen Gebäudes im Innern seines Begleiters, dessen Gerüst Bruder Sebastus doch mit soviel weithin in die Welt hinausschallenden Axtschlägen gezimmert hatte – jetzt kämpfend und ringend mit Dämonen der Erinnerung – Ja, Sie Glücklicher –! sagte er nach einer Weile zu Bonaventura, obgleich kein Wort des Vorwurfs von dessen Lippen gekommen war. Wieder folgte ein langes Schweigen. Dann blieb der 169 Mönch in einer Straße, auf dem Römerwege, stehen und sagte: Das da ist das Karmeliterinnenkloster! Ich kann es nicht sehen, ohne zu ahnen, daß auch mir einst mein Lebensloos so kommen wird, wie dir – du guter Pater Ivo! Lang und hager schreitet in Himmelpfort unser Pater Ivo dahin, grüßt niemanden, ist immer nur mit sich selbst beschäftigt. Morgens, Mittags, Abends vollführt er das Amt unseres Tafeldeckers. Er hütet streng seinen alten Wandschrank, wo unsere hölzernen Teller, unsere Krüge, unsere Brotmesser liegen. Sorgsam deckt er den Tisch. Nie wird er den Teller des einen mit dem des andern verwechseln. Redet man ihn aber an, so hört er nicht; tief ist er mit sich, mit seinen Tellern und mit seinen Geistern beschäftigt. Früher waren es Fliegen, die er so in Gedanken haschte. Ivo hatte ein schönes Schloß in unsern Bergen. Er erklärte es verkaufen zu müssen, es wimmele von Fliegen. Niemand sah diese Fliegen; nur er war Tag und Nacht hinter ihnen her und jagte sie sogar im Winter und im Frühjahr. Bald bekamen die Fliegen eine andere Gestalt. Sie verwandelten sich in schöne Frauen. Alle die Bilder, gemalte und lebendige, die mein Freund – Jérôme von Wittekind – (Sebastus hielt eine Weile inne) und Graf Johannes von Zeesen auf ihren Reisen in Frankreich und Italien gesehen, umschweben wieder den Pater Ivo, aber er betrachtet sie wie ein unschuldiges Kind. Er kennt die ganze Gefahr dieser Erscheinungen. Es sind schlimme Meerweiber, Melusinen, Helenen, um die Paris wirklich und Faust nur gespenstisch freite – ihm selbst sind sie längst unschädlich geworden, schon seitdem er Therese von Seefelden kennen lernte und sich mit ihr verlobte, leider nur auch diese zu bald verwechselnd mit einer einzigen Frau, die ihm von allen persönlich bekannt geblieben ist, dem »Ewig Weiblichen«, genannt Maria. Dem Dienst der Gottgebärerin widmete er sich ganz, sammelte alle Lieder, die auf sie gedichtet und gesungen wurden, 170 gab sein Vermögen für eine Stiftung der Krankenpflege, die seine Familie schon seit einem Jahrhundert begründen sollte – der Irre einem Irrenhause! – und verjagt nun in unserm Kloster, das er mit noch zuweilen lichten Momenten betrat, die Bilder, die – nur zu lebhaft noch vor anderer Augen auch schweben! Husch! Husch! ist sein stetes, leise vor sich hingesprochenes Wort und sein Singen im Gehen das Lob Mariä. Diesen Gesängen, die er vor sich hinmurmelt, schreibt er eine große Kraft zu; selbst am Hochaltar flüstert er: Husch! Nicht für sich, sondern für uns verjagt er die Melusinen. Ach, Pfarrer, ich sehne mich nach seinem Husch! Hier in dem Kloster betet die Schwester Therese für ihn – Sie bittet um die Verzeihung der Gottesmutter, daß sie eine Zeit lang auf sie – eifersüchtig war!

Wenn auch diese Erzählung wie etwa das Adagio einer auf einer Straße spielenden Musikantentruppe vom Wagengerassel übertönt wurde, klang sie doch in Bonaventura's Innerm schmerzvoll nach. Die Fülle sah er jener krankhaften Erscheinungen, die von ihm nicht geahnt wurden, so oft man von Wiedererweckung des alten kirchlichen Lebens sprach. Oder sollte er der Stimme seines Innern Gehör geben, die ihm mit seltsamer Erregung zuflüsterte: Ist dem Mönche – vielleicht Lucinde begegnet? . . . Es war nun Abend geworden. Das Angelus läutete. Arbeiter drängten sich in den staubigen Straßen. Das Gewühl nahm in dem Grade zu, daß Bonaventura von des wie träumenden Mönches Seite abkam und dieser ihn entweder absichtlich verlassen oder aus den Augen verloren hatte. Den Eindruck des fast Gespenstischen, den ihm der Mönch machte, nährte auch der Umstand, daß er so harmlos Jérôme's als seines Freundes erwähnen konnte, gar nicht wissend, wie es schien, daß Bonaventura mit Jérôme nahe verwandt geworden war. Wie ein 171 Lebendigbegrabener erschien ihm der Mönch, wie ein Todter, der indessen anfing – sich seinen Leichentüchern zu entwinden.

Bonaventura suchte Benno auf und fand ihn in seiner Wohnung mit dem Vervollständigen seines Koffers beschäftigt. Ich muß abreisen, sagte Benno aufgeregt; noch heute, lieber Freund! Morgen früh schon hab' ich am Hüneneck einen Termin abzuhalten! Das Dampfschiff geht in einer halben Stunde!

Wie gern hätte sich Bonaventura ihm angeschlossen! Morgen sprech' ich wol den Kirchenfürsten! sagte er.

In drei Tagen seh' ich dich wieder als designirten Domherrn, den jüngsten Domherrn aller Kirchenprovinzen der germanischen Zunge!

So hohe Erwartungen ablehnend, half Bonaventura dem Freunde und begleitete ihn in einem Wagen in den Hafen, in kurzer Erzählung zusammenfassend, was ihm dieser Tag an Erlebnissen und schmerzlichen Bereicherungen seiner Seelenkunde eingetragen.

Benno empfahl aufs dringendste dem Freunde eine Anknüpfung mit dem »närrischen Kerl«, dem Thiebold de Jonge, von dem er keinen Abschied hatte nehmen können. In die Beziehungen beider Freunde zu Armgart war Bonaventura nicht eingeweiht. Kaum blieb noch Zeit, der Meldungen an den Oheim in der Dechanei zu gedenken und Benno's Worte zu vernehmen. Bei Nück erfuhr ich's, es ist kein Zweifel, die Ermordete ist eine Schwester unserer guten Tante! Seit Jahren sind die Geschwister getrennt! Was der Geiz dieser Frau zusammenscharrte, hat sie einem Franciscanerbruder Hubertus im Kloster Himmelpfort vermacht! Aber das Meiste von dem Gelde fehlte, da der Mörder ganz die Gelegenheit kannte und Gold und Silber und die werthvollsten Papiere an sich raffte! Wer die That vollbracht hat – ich glaube die teuflische Hand zu kennen! 172 Noch aber hab' ich meinen Verdacht gegen niemand auszusprechen gewagt; ich fürchte den Zusammenhang mit Personen, die zu schonen sind. Komm' ich zurück, so soll mich nichts hindern, meine Vermuthungen an der rechten Stelle auszusprechen –! So, fast nur von Einem Gedanken beherrscht, fuhr Benno von dannen. Bonaventura mußte eilen, das Dampfboot zu verlassen.

Ein banger, erwartungsvoller Abend folgte dann. Bonaventura fand die Berufung zum Kirchenfürsten für morgen vor.

Der Mönch kehrte nicht wieder. Bonaventura war dessen froh. Er sann und sann: Ist hier Christus oder Belial? Er mochte nicht richten – ja er gestand zu, daß Gott jedem Menschen besondere und nur für ihn berechnete Offenbarungen schenke. Diese stehen in keiner Bibel, in keinem Buche, sind überhaupt nicht mit Worten zu fassen und zu bezeichnen. Sie sind ein einziger Klang, den wir wie aus dem Sphärenall herausgefallen zu vernehmen glauben, ein Glanz wie von einer Sternschnuppe, wenn diese eine Störung genannt werden kann in der ewig gleichen Harmonie der Weltbewegung. Solche Offenbarungen gibt der stille Wald, das Murmeln der Quelle, auch der leise Schlag einer Uhr, die wir vor uns auf dem Tische liegen haben. Da sickert Tropfen an Tropfen hinunter in den großen Zeitenstrom und macht uns sorgloser durch das Gefühl, daß an irgendeiner Grenze alle Dinge ankommen müssen – Er mochte nicht richten.

Eine starke Waffe in allem Leid und bei aller Anfechtung der Seele ist dann eine reine Liebe. Eine reine Liebe reicht einen ehernen Schild dem Arm zum Kampfe gegen Leidenschaft und Ungeduld. Ihr Visir schützt das Auge, nichts zu sehen von den Lockungen der Welt. Reine Liebe hütet selbst die Träume. Ohne Kampf entwaffnet sie die Gedanken und verklärt sie mit himmlischem Licht, daß in uns nur das Gute und Edle lebt. Pflanze, 173 o Jüngling, reine Liebe schon auf den ersten Ringplatz deiner Berührung mit der Welt! Reine Liebe im Herzen, wirst du im Alltäglichsten dich vom Duft des Schönen, vom Palmenfächeln des Großen, vom Hosianna innerer Siege umweht fühlen –! Und so lebte in Bonaventura Ein Name, der alles Chaos in ihm ordnete – Paula –! Ein ferner Männergesangchor sang dazu durch die stille Nacht: Das ist der Tag des Herrn –! – – Es war ihm einer geworden, wie schon so mancher – der Abend machte oft die trübsten Tage dazu.

Am folgenden Morgen mit dem Schlage Zehn trat er dann in den kirchenfürstlichen Palast. Sein Herz klopfte, als er durch die langen Corridore des Hauses schritt. Verblaßte Malereien zierten zuweilen das Stuckgetäfel der Decken; an den Wänden hing hier und da eine alte Schilderei in schwarzem, wurmstichigem Holzrahmen, ein alter Städteprospect von Merian, eine alte Landkarte von Homann; in vereinzelten Nischen standen Heiligenbilder, mit frischer, lichter Oelfarbe überzogen, im dürftigen und selbst beim Heiligen weltlichen und koketten Geschmack der Zopfzeit, Engel auf Stellungen berechnet, Marieen auf Faltenwurf. In einem düstern Eckwinkel lagen die Wohnzimmer des Kirchenfürsten.

Im Gegensatz zu den auf den frivolen Luxus des vorigen Jahrhunderts deutenden Corridoren waren diese Zimmer so dürftig ausgestattet, wie Actenstuben oder Sessionssäle. An der Unruhe eines zuerst kommenden großen Wartezimmers hätte man eher glauben mögen sich bei einem Minister, als bei einem hohen Geistlichen zu befinden. Eine der hohen Thüren führte in das Generalvicariat. Hier klirrten sogar die Sporen der Gensdarmen, die Säbel der Ordonnanzen. Man brachte vom Gouvernement, von der Militärverwaltung Fragen und Antworten, holte und gab Bescheide. Kanzleiboten trugen Acten ab und zu. Dazwischen 174 gingen und kamen allerlei Geistliche und Ordensfrauen. Wer nicht beim Generalvicariat oder beim Kirchenfürsten sofort Einlaß bekommen konnte, mußte sich in Geduld ergeben und nach neukirchlicher Sitte jeden unbeschäftigten Augenblick zum Heile seiner Seele nutzen. Man grüßte mit neugierig aufblitzenden Augen und warf den Blick sogleich wieder in ein Brevier, das man aufgeschlagen auf dem Schoose liegen hatte. Ein schwerer Druck lag auf allen, nur auf denen nicht, die als Sendboten oder Vertreter der weltlichen Gewalt kamen.

Der junge Enckefuß fehlte nicht. Er setzte einem jungen, hagern, lächelnd, doch aufmerksam zuhörenden Geistlichen mit lauter Stimme auseinander, daß die einen nahen Wallfahrtsort besuchenden Züge nicht durch die Stadt gehen dürften; er beschrieb die Route, die sie zu machen hätten, und wünschte, da er eine Auswahl anbot, in Kürze die Wege zu wissen, welche der Kirchenfürst wählen würde, da es dabei nicht an Aufsicht fehlen sollte. Des jungen Beamten Haltung und Rede war fest und bestimmt, scharf und kalt, nach der Ghibellinen Weise.

Auch Civilpersonen aus dem Volke sah man. Es mochten Dorfvorstände und städtische Abgeordnete sein. Ihnen setzte der junge schlanke Priester, meist mit Achselzucken und mit einer gewissen Duldermiene, auseinander, daß die von ihnen erwarteten höhern Bescheide immer noch nicht eingetroffen wären. Es galt dies ohne Zweifel jenen Pfarrstellen, welche die Kirche so dringend begehrte allein besetzen zu dürfen und die sie die weltliche Gewalt beschuldigte, wenn die Stellen gut waren, so lange offen zu halten, bis damit nur diejenigen belohnt würden, die darauf hin eine entsprechende Gesinnung zeigten.

Der schlanke, etwas niedergebeugt gehende junge Geistliche trat auf Bonaventura zu und sprach, als er dessen Namen vernommen, ein freudiges: Ah, Herr von Asselyn –! Sogleich 175 fügte er hinzu, er würde alles versuchen, den Herrn Pfarrer von St.-Wolfgang sobald als möglich an die Reihe der Vorgelassenen zu bringen. Bonaventura sah, daß er mit dem vielgenannten Secretär, dem Kaplan Michahelles gesprochen.

Dieser war in die innern Räume eiligst wieder zurückgekehrt. Das Wesen des jungen Mannes zeigte sich charakteristisch genug. Seine Gesichtszüge waren scharf, geistvoll, von einer eigenthümlichen Ironie, die auf ein zurückgehaltenes, sich aber ganz so stark, ganz so berechtigt, mindestens ganz so muthig fühlendes Bewußtsein schließen ließ, wie es allen katholischen Priestern, von Sr. Heiligkeit dem »Knechte der Knechte« an bis zum untersten Dorfpfarrer, eigen ist.

Auch Bonaventura zog sein Brevier und setzte sich an ein Fenster des großen Zimmers, das auf die jenseitige Straße ging.

Wenn hohe Würdenträger kamen, standen die Geistlichen und Klosterfrauen auf. So vor dem Generalvicar, der aufgeregt und verstimmt eben vom Kirchenfürsten zurückkehrte. Man wußte, daß mit jenem sowol der Letztere, wie der Syndikus der Curie und diejenigen einflußreichen Glieder des Kapitels, die sein »gewaltiges Vorschreiten« misbilligten, im Streite lebten. Auch vor dem Regens des Seminars erhob man sich, der gleichfalls wie nach einem Wortwechsel vom Kirchenfürsten kam.

Bonaventura erfuhr die Namen. Einige der streitigen Punkte kannte er ja. Die Seminaristen, angesteckt vom neuen Geiste der römischen Opposition, hatten beim Kirchenfürsten Vorschub gefunden in gewissen Auflehnungen gegen die vom Staat beliebte und vom Regens vertretene Ordnung des Seminars. Einige Professoren der Universität, die eine von Rom verurtheilte Dogmatik gelehrt hatten, traten in besonders gedrückter Stimmung ein und stellten die Bitte, den Kirchenfürsten sprechen zu dürfen. 176 Bonaventura kannte sie und war fast der einzige, der sie grüßte. Einige von ihnen waren zugleich Lehrer eines Seminars. Denen war es gar geschehen, daß sie plötzlich keine Schüler mehr hatten. Im Beichtstuhl hatten die Alumnen auf Befehl des Kirchenfürsten geloben müssen, ihre Vorträge nicht mehr zu besuchen.

Michahelles kam zurück, trat verbindlichst zu Bonaventura und zog ihn zu sich an eine Fensterbrüstung. Sie werden sogleich vorkommen! flüsterte er und setzte mit leiserer Stimme hinzu: Ich freue mich, von Eminenz schon die Erlaubniß zu haben, Sie mit seinem Vorhaben bekannt zu machen! Wenn Sie die angenehme, von ihm seit lange genährte Erinnerung an Sie wieder erneuern und Sie noch einige Tage der nähern Prüfung und Verständigung werden zu Ihren Gunsten überstanden haben, so ist es seine Absicht, Sie ganz und mit wichtigen Aufgaben an uns zu fesseln!

So stand das Gefürchtete wirklich in Aussicht.

Ein Diakonat an der Kathedrale und eine Domherrenstelle sind offen, fuhr Michahelles fort und setzte mit noch gedämpfterer Stimme hinzu: So könnten Sie auch Hoffnung gewinnen, sich wieder Ihrer Heimat zu nähern, denn das wechselnde Besetzungsrecht des Archipresbyteriums St.-Libori bei Witoborn, das mit dem erledigten Vicariate eine jeweilige Visitation der dortigen Pfarrei verbindet, fällt diesmal an uns, d. h. an unsern Vorschlag. Die Lutheraner haben leider, wie immer, die Entscheidung –

Diese mit einer seltsamen Schärfe vorgetragene Mittheilung erschütterte Bonaventura. Er mußte nach dem angedeuteten, ihm unbekannten Verhältniß noch einmal fragen. Michahelles erklärte: In die alte Kirche St.-Libori bei Witoborn sind fast sämmtliche Dorste'schen Besitzungen eingepfarrt. Seit urdenklichen Zeiten steht über dem Pfarrer derselben ein Archipresbyter, der bald einmal von der diesseitigen, bald von der jenseitigen Kirchenprovinz bestimmt 177 wird. Sie würden sicher zuweilen gern bei Westerhof leben, wo gegenwärtig Gräfin Paula in so schwierige Verhältnisse verwickelt wird! Daß Comtesse auch seit kurzem wieder von ekstatischen Zuständen begnadet ist, wird Ihnen wol bekannt geworden sein! Es würde zu den erfreulichsten Zeichen unserer Tage gehören, wenn sich das Beispiel der gottseligen Emmerich wiederholte und uns wieder eine Seherin und Prophetin erstünde –! Und mit einer nicht mehr zu bewältigenden Macht drängten sich auf Bonaventura's Herz die Gedanken: Deshalb beruft man dich? Du sollst es sein, der wieder eine »Nonne von Dülmen« ins Leben rufen hilft? In deiner Nähe sieht Paula den Himmel offen, in deiner Nähe heilt sie Kranke und sagt die Zukunft voraus? . . . Und noch ehe der lächelnde, aber die wohlwollendste Ermuthigung sprechende Blick des Kaplans diese Ahnung bestätigt hatte, mußte dieser abbrechen und zu einem eben Eingetretenen eilen.

Es war die oberste Persönlichkeit der weltlichen Behörden der Stadt selbst, ein mit Orden bedeckter Präsident. Er kam feierlich, in erregter Haltung und, wie es schien, mit einem officiellen Auftrage. Von einem Wartenlassen war hier keine Rede. Sogleich öffneten sich zum Kirchenfürsten alle Thüren.

Michahelles flüsterte im Vorübergehen in Bonaventura's Ohr: Der längst angekündigte eigenhändige Brief des Königs –! Michahelles folgte erwartungsvoll.

Alles war vor dem Präsidenten aufgestanden. Auch aus dem Generalvicariat waren Geistliche und Weltliche getreten, die ohne Zweifel die feierliche Auffahrt des Präsidenten beobachtet hatten. Alles schien in höchster Spannung. Bonaventura wußte, daß es eine Entscheidung über die gemischten Ehen galt. Sein Sinn war getheilt, sein Herz im Kampf. Ihn hatte man ausersehen, den Kampf um Paula's Erbe mitzukämpfen! Ihn wollte man in die Nähe eines Wesens senden, das ihm unendlich theuer war, 178 wie ohne Zweifel von früher her Manche dies wußten – –! Dem Kloster, der Kirche, dem Kampfe der Parteien sollte er eine große Eroberung gewinnen.

Die Gedankenreihe auszuführen in allen ihren Folgerungen – in ihren seligen, in ihren tiefschmerzlichen – behielt er nicht Zeit . . . Der Präsident kehrte nach kurzer Weile zurück, ebenso feierlich und bestimmt, wie er gekommen. Er grüßte die sämmtlich sich Verneigenden. Dem Generalvicar drückte er die Hand. Diesem entschlüpfte ein bedeutungsvoll aufgeschlagener Frageblick – jenem ein Achselzucken. Alles war nur ein Moment.

Bonaventura mußte voraussetzen, daß der Brief des Königs kurz und bündig übergeben und ebenso von dem Priester Immanuel entgegengenommen worden war und daß der täglich erörterte Streit heute von beiden Seiten ohne weitere Wiederaufnahme blieb. Wie sehr mußte er da annehmen, den Empfänger in einer Aufregung zu finden, die seine kleine Sache in den Hintergrund drängte!

Michahelles kam, fertigte die Professoren ab, sagte laut und schonungslos, daß sie Se. Eminenz vor völliger Unterwerfung unter das Breve Roms, das ihre Lehre verwarf, nie empfangen würde, winkte Bonaventura und ließ diesen eintreten.

Bonaventura mußte zwei Zimmer durchschreiten. Au einer kleinen Thür stand ein greiser Diener in alter verschossener graugrüner Livree. Er öffnete.

Bonaventura stand vor dem Kirchenfürsten.

Nicht mit einer leisesten Bewegung verrieth Priester Immanuel, ob es ihn aufgeregt, eben von seinem Landesherrn ein eigenhändiges Schreiben empfangen zu haben. Auf einem grünen Tische lag dies Schreiben noch – Es trug die blaue Farbe der Cabinetsbriefe – Mehr noch! Das Siegel war unerbrochen –

179 Priester Immanuel war derselbe, der als Graf Truchseß-Gallenberg, als Generalvicar und Domherr in Bonaventura's Erinnerung lebte. Mager, starkknochig, länglichen Antlitzes, hart, ernst. Kein Strahl einer besondern Freude, den jungen Mann, den er als Studenten und Soldaten gesehen, nun als Priester des vorzüglichsten Rufes zu begrüßen, brach aus seinen Augen. In einfachen Worten erinnerte er sich der Scenen von früher. Er freute sich zu hören, daß Bonaventura von seiner Mutter wenig wußte und über die Lebensverhältnisse des Stiefvaters nur oberflächlich unterrichtet war. Bonaventura sah, daß Benno's Voraussetzung, er sollte bei der erwarteten außerordentlichen Mission seines Stiefvaters zur Vermittelung gebraucht werden, eine unbegründete war.

Der Kirchenfürst rauchte aus einer kurzen Meerschaumpfeife. Er machte den Eindruck eines Oberjägermeisters alten Stils oder, wenn man erwog, daß er den Brief eines Königs unerbrochen liegen lassen konnte, eines jener kleinen deutschen Herren, die, wenn auch nur über wenig Quadratmeilen gebietend, von Kaiser und Reich sich wenig anhaben lassen, sobald sie auf irgendeinem in ihrer Souveränetät begründeten Rechte glauben verharren zu dürfen.

Wir müssen aus dem Geiste leben! sagte er im Anknüpfen der ersten Begrüßung an die frühere Begegnung und in den Intervallen des Rauchens. Jede Geburt und Wiedergeburt bringt Schmerzen! Ist eine Mutter ein großes Wort, so ist der Geist ein noch größeres! Unsere Mutter ist die Kirche –! . . . Und dann, als wäre die ganze Welt in Frieden mit ihm und keine andere Wolke für ihn zu zerstreuen, als die aus seiner Meerschaumpfeife, erkundigte er sich nach Bonaventura's Bildungsgang. Auf- und abgehend, wünschte er von den Ergebnissen seiner Seelsorge zu hören, kam auf das nahe gelegene Kocher am Fall, vermied des 180 Dechanten zu erwähnen, rühmte aber den dortigen Aufschwung der Gemüther und deutete offenbar die Bestrebungen des Stadtpfarrers an, wenn er sagte: Nur ist es dann unsere Pflicht, bei solchem Festhalten an dem Felsen, auf dem der Herr seine Kirche gegründet wissen wollte, Seltsames und Auffallendes zu vermeiden! Es sind mancherlei Gaben und mancherlei Aemter. Nur pflege und warte man jener ebenso im Geiste der Mäßigung, wie dieser im apostolischen Sinne! Die Grenzlinie erlaubter Bewährung eines Talentes, wo sie plötzlich Ruhmsucht wird, ist bald überschritten. Ich sag' es nicht zuerst: Selig sind die Armen am Geist –! – Mit diesem Seitenblick auf Hunnius' schriftstellerische Thätigkeit forderte er Bonaventura auf, sich zu setzen.

Da er es selbst nicht that, verhielt sich auch Bonaventura zögernd und blieb stehen. Der Kirchenfürst eröffnete ihm jetzt, daß er ihn an die Kathedrale zunächst als ersten Vicar berufen, demnächst aber auch für die erledigte Domherrenstelle vorschlagen wolle. Von Widerspruch konnte nicht die Rede sein. Er hoffe, fuhr der Kirchenfürst fort, daß Herr von Asselyn den Geist besäße, den jetzt die Kirche brauche, nicht Hirten allein, auch Reisige. Wir haben schon Großes errungen und werden noch Größeres erringen! sagte er und blickte dabei ruhig auf das rothe Siegel des uneröffneten Königsbriefes.

Bald bemerkte Bonaventura, daß der Kirchenfürst noch mehr auf dem Herzen zu haben schien, irgendetwas, das er noch Anstand nahm sofort auszusprechen. Offenbar wollte er den Geist ergründen oder bestärken, der seine weitern Aufträge vernehmen und ausführen sollte. Wenn ich zurückdenke an meine Jugend! begann er, ruhig fortrauchend und auf- und niedergehend, während Bonaventura stehen blieb und nur auf die Lehne des von ihm ergriffenen Sessels sich stützte. Als ich in Ihrem Alter war, 181 Herr von Asselyn, welche Zeit, welche Welt damals! Bonaparte haßte die Kirche! Er haßte sie mit dem Ingrimm eines tückischen Italieners, für den das Heilige seinen Zauber verloren hat, da der Italiener diesem Zauber zu nahe steht! Bonaparte trug alle Merkmale des Antichrists! Aus der Revolution und dem Atheismus hervorgegangen, hatte er den ganzen Hochmuth der Vernunft gegen die Lehren des Christenthums eingesogen! Und hervorgegangen aus der Schule Robespierre's besaß er dann wieder auch die tolle Neigung dieses Scheusals, aus dem Zerstörten Neues aufbauen zu wollen! Das Fest des höchsten Wesens, das man wieder einsetzte mit Fahnen und Trommelpyramiden, Janitscharenmusik und Kanonensalven, das war so recht schon im Charakter seines Schülers Bonaparte! Beide besaßen diesen gefährlichen Aberglauben des Atheismus, der zuletzt, weil Mangel aller Religion im Menschenherzen eine reine Unmöglichkeit ist, irgendetwas doch wieder zum Halte haben, zum Gotte machen muß, seinen eigenen Schatten, ein golden Kalb, ein geschmücktes Nichts, ein Philosophem. Diese Ironieen des Satan, wie sie neulich eine schriftstellernde Feder nicht unpassend nannte, sind deshalb gefährlich, weil sie sich wie der erhabene Ernst Gottes selbst geberden. Wäre dem babylonischen Tyrannen zuletzt nicht das Bedürfniß nach Ruhe gekommen, noch hätte er den ganzen Voltaire, der in ihm lebte, ausgetobt in seinen mit den Waffen gestützten Institutionen. Bonaparte war das im Großen, was Friedrich der sogenannte Große nur auf kleinem Gebiet, mit Bonmots und Epigrammen war. Bonaparte würde, hätte er sich zuletzt nicht elend und krank gefühlt und den Bruch mit den Franzosen, die ihr Blut und ihr Vermögen nicht länger opfern konnten und mochten, klug gewittert, den Krieg mit Rom viel länger und viel lieber geführt haben als den mit den Königen. Er brauchte Verbündete und so schloß er mit heuchlerischer Freundschaft Frieden 182 mit einer Religion, die er erst mit Füßen getreten und dann in armselige, vom Theater erborgte Lumpen kleiden wollte! Das aber, mein lieber Herr von Asselyn, das war nun das böse Beispiel, das damals der Gewaltigste seiner Zeit den andern Gewaltigen gab! Diese elenden Späße ahmten diese Menschen ihm nun nach! Die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts hatte die Kirchen entvölkert; der Beichtstuhl stand leer; die äußere Veranstaltung, die noch vom kirchlichen Leben vorhanden war, war so auf den Schein gerichtet, daß selbst die Priester mit dem Geist der Verneinung buhlten, selbst die sich schämten, den ewigen Gott und die große Veranstaltung des Erlösungswerks in schuldiger Ehrfurcht zu bekennen. Auf der Kanzel und in ihren Schriften schmückten sie sich mit einem dem Protestantismus und der Philosophie abgeborgten Schaugepränge. Und vorzugsweise war es unser Deutschland, wo die Kirche am Abgrunde des Verderbens stand! Eine Literatur, die man zur classischen gestempelt hat, noch bei Lebzeiten jener maßlos vergötterten Herren von Goethe und Schiller, drang bis tief in die untersten Volksschichten und erzeugte dies noch immer andauernde Doppelleben unserer Nation, politisch und kirchlich sowol als moralisch, letzteres in einer mühsam behaupteten positiven Welt und in einem sogenannten idealen Weltbürgerthum. Auf diese Art sah man überall unsere Entwürdigung! Und der Staat, mit Verzweiflung kaum sich selbst behauptend in dem großen Revolutionssturm Bonaparte's, der rächte sich dann auch seinerseits bis zur Schamlosigkeit gegen die schwachen Untergebenen, zunächst gegen die Diener Gottes. Die kleinen Fürstenthümer, die entweder selbst unter geistlicher Hut standen oder nur unsern Glauben bekannten, waren an sich leider schon dem Fluch der Lächerlichkeit verfallen. Wilde, zerstörende, neuernde Gedanken, die von Aufbau sprachen und den Riß ihrer Pläne nach Modellen der Phantasie entwarfen, 183 blieben damals ohne alle Rücksicht auf das Gegebene. Nichts galt für geistvoll, nichts für schön, für groß, was nicht dem Wesen des Freimaurerthums entsprach. Ich will von dem Elend nicht sprechen, das bekenntnißtreue französische Bischöfe in der Verbannung auf englischem Boden zu Bettlern machte; im eigenen Vaterland konnte man ja erleben, daß die Mittel fehlten, dem äußern Gottesdienst den letzten Rest seiner Würde zu erhalten. Ja, ja – aber wie ist das nun alles mit Gottes Beistand doch so wunderbar anders und herrlich geworden! So groß, so einzig, mein lieber Herr von Asselyn, und kaum nach einem einzigen Menschenalter! Und wodurch? Lediglich durch die gewaltige Widerstandskraft, durch die firmamentfeste Vis inertiae des römischen Princips, das zuzuwarten und seine rechte Zeit zu erkennen versteht.

Bonaventura wagte es, auf eine in solchem Grade herablassende Vertraulichkeit zu erwidern. Er wagte den in die Tiefe gehenden deutschen Geist selbst zu nennen als Das, was hier dem römischen Princip die stärkste Hülfe gebracht hätte. Ja er wagte, da der Kirchenfürst schwieg und seine Pfeife ausklopfte und sie aus einer gewöhnlichen, mit grüner Schnur besetzten Tabacksblase neu füllte, die Literatur und die Kunst zu nennen und ließ die Namen einiger Geister fallen, die man in dieser Verbindung zu nennen pflegt.

Der Graf hörte ruhig zu, rauchte wieder und ermunterte durch sein Schweigen fortzufahren. Ob vielleicht im Vorzimmer noch jemand wartete, ob ein Brief seines Königs unerbrochen auf dem Tische lag, das alles schien ihm jetzt völlig unwesentlich zu sein.

Das gedemüthigte deutsche Vaterland, sagte aber Bonaventura, mußte sich aus seiner Gegenwart flüchten und neue Kraft sammeln in der Erinnerung an seine Vergangenheit! Fehlende deutsche 184 Treue, Tapferkeit und Muth lagen nur noch in den Beispielen unserer alten deutschen Tage! Aus den gebrochenen Burgen auf unsern Bergesspitzen erhoben sich im Dämmerschein der Dichtung die Geister der abgeschiedenen Zeiten, aber zur glücklichsten Vorbedeutung; dann fielen die Nebel und die Welt, die wir vergessen wollten, ja die wir vergessen mußten, lag nun nicht mehr vor uns; eine neue hatte sich aufgethan, es war die Welt, die uns die Forschung errungen. Die Rosen in den bunten Domesfenstern fingen wieder an zu glühen; die steinernen Bilder an den Kreuzwegen sprachen dem ermüdeten Wanderer wieder mit lebendigem Munde; eine Pilgerschar, die mit einer Fahne und dem Bilde des geopferten Lammes voraus durch goldene Saatfluren auf einen Berg mit einer wunderthätigen Erinnerung zog, war kein Zug von Narren mehr, die man verspottete. Künstler folgten und setzten sich auf einen Vorsprung des Berges und zeichneten die Scene voll Andacht und Hingebung. Kunst und Poesie verjüngten den abgestorbenen Glauben. Jene Zeit war angebrochen, wo man um jene Marieen, die mit dem Lilienstengel in der Hand, mit Myrte, Maßlieb im Haar sich der Verkündigung neigen, um Bilder alter Meister, die man früher verlacht hatte, jetzt goldene Rahmen zog, größere und prachtvollere, als die einfachen kleinen Bilder selbst waren –!

Der Kirchenfürst ging auf und nieder und ließ eine Pause beiderseitigen Stillschweigens. Dann erwiderte er: Sie waren gestern in Begleitung des Franciscanermönchs, des Frater Sebastus?

Ja, Eminenz! hätte Bonaventura sagen müssen; aber auf seinen Lippen erstarb das Wort, weil er diese Erwiderung nicht erwartet hatte, jedoch ahnte, was sie als Antwort sagen konnte.

Ich ließ den Frater durch Michahelles rufen! fuhr der Graf fort. Er wird jetzt, denk' ich, da sein! Ja, ich wünschte, daß 185 Ihr berühmter Name, Ihr edler Geist, Ihre großen Talente sich zum Heil der Kirche bewährten, Herr von Asselyn! Aber das Gebiet auch Ihrer Anschauungen muß sich erweitern oder vielleicht verengern, je nachdem. Das Leben des Volkes ist der wahre Tummelplatz eines Priesters, der dem Reich Gottes dienen will. In dem gesunden Gefühl der Völker, da lebt noch – Doch treten Sie dort hinüber! Hören Sie eine nothwendig gewordene Verhandlung mit diesem Mönche! Eine Scene, Herr von Asselyn, wird uns mehr verständigen, als eine Debatte, und Sie wissen, die Zucht des Priesters beruht – auf Gegenseitigkeit.

Noch begriff Bonaventura nicht, was der Kirchenfürst beginnen konnte.

Priester Immanuel hob einen Vorhang, der sich in dem Winkel befand, auf welchen er gedeutet hatte. Er sagte: Ich mache Sie nicht zum Lauscher! Keinesweges! Der Mönch wird selbst erfahren, daß Sie zugegen sind und gehört haben, was ich mit ihm verhandeln muß! Es sei ein Exercitium! Eines – für uns – alle – drei!

Perinde ac cadaver essetis! Gehorsam, als wenn ihr Leichname wäret! sagte eine Stimme in Bonaventura's Innern und sie klang – als wenn sie von den Lippen des guten Onkel Dechanten käme.

Er trat hinter den Vorhang.


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