Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. III. Buch
Karl Gutzkow

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29 2.

Zur selben Stunde klopfte es im Kattendyk'schen Hause auf das allerheftigste an jene Thür, hinter welcher Trendchen Ley heute nur zwei Stunden hatte schlafen können. Denn schon um sechs Uhr glaubte sie aufstehen zu müssen. Gut und gern hätte sie sich bei dem Befinden ihrer Herrschaft und bei der reichlich gestatteten Freiheit ihrer Mitdienenden noch eine Stunde gönnen dürfen, um die durch ein Misverständniß verlorene Nachtruhe wenigstens um noch einen Traum mehr nachholen zu können.

Freilich war sie mit einem Traum erwacht, nach dem sie nie wieder anders hätte träumen mögen. Sie hatte geträumt leibhaftig ihre Mutter zu sehen – nicht etwa als Lebende, wie sonst, sondern als Todte, Erstandene, als seligen Geist und wirklich vom Jenseits her sie anredend und begrüßend. Eben als sie der Thurmschlag der sechsten Stunde, wie sonst die Thurmuhr der alten braunen Stadtkirche zu Kocher am Fall, weckte, sprach die Mutter mit ihr wie aus einer sie verklärenden Wolke heraus, streckte förmlich ihr die Arme dar und lachte fast, unter Thränen und vor Wonne, sie nun gleich mit einer einzigen und nur noch ein wenig weiter auszudehnenden Bewegung umfangen zu können. Und sie selbst hatte gerade das Wort: Mutter –! wir einen Jubelton auf den Lippen, wollte gerade in dem ganzen Ueberschwall des Herzens mit den Armen die geliebte, 30 seltsamerweise nur im Oberkörper sichtbare Gestalt umfangen, den freundlichen, lebenswarmen Mund an ihre Lippen drücken – da gerade erwachte sie und – erwachte auch vielleicht nicht; sie war vielleicht vorher schon wach und dieser Traum hatte als die ganz wirkliche Erscheinung eines seligen Geistes stattgefunden. Trendchen war glücklich in der sich immer mehr befestigenden Ueberzeugung, daß die Mutter in irgendeiner Form leben und wach sein und ganz dicht um sie und über ihr und über ihren Geschwistern schweben konnte, die im Waisenhause der Stadt waren. Die Pein des Fegfeuers mußte sie also glücklich und schnell überstanden haben, dank der gründlichen Versehung mit den letzten Heilsmitteln durch den geliebten Priester, der täglich und stündlich von ihr und ihrer hochverehrten Freundin und Beschützerin Lucinde Schwarz erwartet wurde. Nachdem sie sich eben aus ihrem Danaë-Zustande – Danaë muß blond gewesen sein, weil ihre Schönheit Jupitern auf den Gedanken brachte, sie gerade in ihrer eigenen Gestalt, als Goldregen, zu überraschen – in die erste nothwendigste Kleidung geworfen und ihr auch Jupiter-Piter's Zudringlichkeit dabei, nicht mit allzu grellem Schrecken, eingefallen war, fuhr sie nur zusammen bei dem schnellen Ersteigen der Treppe draußen, das sie hörte, und bei dem Klopfen an ihre Thür. Sie öffnete – Ihr Besuch war das so liebe gute, herzige Fräulein Lucinde! Diese kam in ihrer, täglich jetzt an ihr gewohnten, schwarzseidenen, sehr vornehmen Tracht, die ihr gerade stand als wollte und könnte sie alle Tage Aebtissin werden.

Kind! rief Lucinde, heute in einem ganz weltlichen Tone, den sie noch gar nicht an ihr vernommen hatte. Das Aller-Allerneueste – ich komme schon aus der Frühmette –

Trendchen konnte nichts Schlimmes erwarten; denn Lucinde war zwar erglüht vor Aufregung, aber nicht wie über einen Unglücksfall.

31 Die ganze Stadt ist in Bewegung – fuhr jedoch Lucinde, sich erst etwas erholend, fort. Denk' nur! Diese Nacht ist ja die Frau, bei der du dienen solltest, ermordet worden!

Nun freilich stand Trendchen starr. Daß das ein sehr »ängstlicher Dienst« gewesen wäre, wußte Trendchen schon von dem Stadtpfarrer Hunnius, der unbedingt auf Lucindens Verlangen die Aenderung des Schnuphase'schen Engagements getroffen hatte. Schnuphase hatte auf dem Lande ein anderes Opfer suchen müssen, ein Opfer, bei dem allerdings so zu sagen zwei Fliegen, ja oft drei mit Einer Klappe getroffen wurden: eine Magd für die gottselige Testatorin, die Frau Hauptmännin von Buschbeck; eine Nähterin entweder für die Schwesterschaft zu den Nothhelfern oder für seine eigenen heiligen Gewand-Stickereien oder für einen mysteriösen heiligen Weißwäsch-Handel seiner Töchter; und zuletzt drittens, da alle diese Institute ohnehin schon über die Sprachgitter der Klöster hinausführten, manchmal auch noch eine der von Rom so dringend verlangten Bräute des Himmels für diese Klöster selbst. Aber die Freude, die Genugthuung, die Lucinde über dies traurige Ende zu empfinden schien, konnte sie ihr denn doch nicht nachfühlen.

Ich komme die Straße daher, erzählte Lucinde und raffte sich aus ihren jetzt ganz lebendig gewordenen und um sie her wie in einem Krebskorb drängenden Kindheitserinnerungen, den Zwetschenkernen, den Tauben, den Mäusen auf; ich komme die Straße daher und will zur Kathedrale! Da hör' ich das lebhafte Reden der Menschen, sehe das Rennen nach einer bestimmten Gegend hin, und an einem Platz, wo ich, seitdem ich hier bin, täglich zu den Fenstern habe aufschauen müssen, weil ich wußte, da wohnt der schlimme Drache, erfahr' ich, was dem Weib begegnet ist! Es hat sie einer umgebracht! Hinauf durft' ich nicht, aber ich höre, sie liegt – kalt in der Küche am Feuerherd – 32 am – Lucinde erzählte mit sichtlichem Behagen. Zuletzt bekam sie einen Schauer, als überliefe sie Eisesluft. Da, wo sie einst meinen Tauben den Hals umdrehte! rief ein ganzer Chor von schadenfrohen Dämonen in ihrer Brust und die schüttelten sie – Doch drückte sie ihre Erinnerungen hinunter. Wer es gewesen ist. schloß sie, weiß man noch nicht! Schildwache und Polizei stehen am Hause! Trendchen! Trendchen! Wenn du nun unter solchen Umständen bei ihr gedient hättest!

All ihr Heiligen! So würd' es vielleicht nicht geschehen sein! sagte Trendchen und klagte sich nun sogar an.

Was? Es hätte dich mittreffen können! berichtigte Lucinde den naivehrlichen Sinn und streichelte die Fülle des goldenen Haares, die sich Trendchen, bei alledem ihr Anziehen nicht vergessend, mit einer kühnen Schwenkung um den weißen Nacken warf.

Trendchen fand sich in die Auffassung ihrer Gönnerin.

Und was wirst du nun heute beginnen? Wie war die Nacht? Ist dein Nachbar fort, der junge Herr? fragte Lucinde in Eile und den Tod der Buschbeck gleichsam wie ein fertiges und bereits gebundenes Buch in die Bibliothek ihres Lebens stellend.

Ich will sehen, daß ich meine Geschwister im Waisenhause besuchen kann –! erwiderte Trendchen, die über die Erwähnung der Nacht und des Nachbars über und über erröthete.

Lucinde bemerkte aus den hervorgestotterten Antworten nichts besonders Auffallendes und es drängte sie ja auch mit Macht, jetzt zu sagen: Der Pfarrer von St.-Wolfgang ist angekommen! Und auf den freudigen Ausruf Trendchen's fuhr sie fort: Ich erfuhr es schon gestern Abend bei der Commerzienräthin. Alle Domherren sprachen davon. Wirst du hingehen, ihn zu begrüßen? Ich dächte doch! Thu' es ja! – – Wie gern hätte Lucinde gesagt: O, ich will es selbst thun!

33 Ich hoffe, Madame Delring läßt mich ein Stündchen ausgehen!

Indem klingelte es einige Zimmer weiter und sogar zweimal. Lucinde war schon auf dem Sprunge zu gehen.

Aber Trendchen sagte: Das gilt den Bedienten! Einmal geklingelt, das bin ich! Dreimal, ist unten die Kathrine, die Köchin! Doch will die Herrschaft von jetzt an allein zu Mittag speisen! Das Treppensteigen wird Madame zu beschwerlich.

Lucinde schüttelte den Kopf, als wollte sie sagen: Die vielbesprochene Hoffnung der in gemischter Ehe lebenden Frau Delring ist nicht der Grund! Aber sie hielt an sich und ließ Trendchen Zeit aufs neue zurückzukommen auf das Erlebniß mit der ermordeten alten Frau. Ihrem größten Triumphe konnte Trendchen's Beschützerin gar nicht einmal Worte geben: Wem gönnte sie diese Demüthigung mehr als Petronella von Gülpen, der Herrin der Dechanei zu Kocher am Fall? Hätte sie nur die Verwandtschaft noch ein wenig bestimmter gewußt! Der Name »Fräulein von Gülpen« für die Hauptmännin von Buschbeck schien hier niemanden so geläufig zu sein, wie ihrem Stadtamtmann damals in jener Stadt, wo sie bei der Ermordeten gedient hatte. Selbst Schnuphase, durch den die ohne Zweifel erst von der äußersten Noth und Verzweiflung abgerungenen frommen Spenden der geizigen Hauptmännin gingen und den die Schwesterschaft zu den Nothhelfern in Bewegung setzte, um zur Erwerbung des ausgesetzten Legats mitzuhelfen, hatte nichts gewußt von dieser ursprünglichen Herkunft und so nahen Verwandtschaft seiner Schutzbefohlenen mit jener hochverehrten Dame in der Dechanei.

Aber auch wenn Lucinde über die Verwandtschaft ganz sicher gewesen wäre, hätte sie ihren innern Jubel, der jede Leidenschaft natürlich, Liebe wie Liebe und Rache wie Rache nahm, vielleicht 34 gemäßigt. War doch ihr fester Vorsatz, in diesem Hause, das ohnehin so wirr und geräuschvoll auf sie einstürmte, und überhaupt in ihrem ganzen Benehmen sich so zu sagen auf ein Nichts zu stellen. Dein bischen Verstand willst du an die Kette legen. Das hatte sie sich schon gesagt, als ihr Schnuphase zur Seite saß und in seinem von ihm selbst geführten Wägelchen genugsam ihre Satire herausforderte. Du willst nicht lachen über die Devotion des Mannes, nicht über seine Sprechweise, nicht über den Durst seines Gaules, der immer auch mit dem seinigen zusammentraf, wenn er auf ihrer fast einen Tag dauernden Reise unaufhörlich abstieg! Sie ließ ihn erzählen und erzählen von den Bienen, von seinen Töchtern, von allen offenen und geheimen Schwesterschaften und Bruderschaften, von Gespenstern und Geistern und Wundern, von Rückkehrenden aus dem Jenseits, die berichteten, welchen Vorzug dort oben die Rechtgläubigen genössen, von den Nonnen, die wieder die blutenden Male des Erlösers zu zeigen anfingen, von allem ließ sie ihn reden und staunen und hütete sich wohl ihrer Art so den Zügel schießen zu lassen, wie etwa über die Heiligenbilder Napoleone Biancchi's oder die alten Münzen und die seltsame Production der Jahrhunderte beim Wirthe zum Weißen Roß am Fuß der Maximinuskapelle. Sie entzog keiner Behauptung ihren andächtigsten Glauben, glaubte an die Frömmigkeit der Frau Hauptmännin, an die andächtigen Lieder, die diese abendlich zu ihrer Guitarre mit zwei Saiten singen sollte. Sie glaubte an das Glück aller der Mädchen und der jungen Männer, die Herr Maria schon überredet hatte ins Kloster zu gehen. Sie glaubte an einen Krieg, den Oesterreich erklären würde, wenn dem Kirchenfürsten nur irgendein Härchen gekrümmt würde. Immer nur hörte sie und blinzelte mit den Augen und nahm sich vor, durch Denken, Urtheilen. Aufblicken niemanden in der Welt mehr aufzureizen. 35 Auch im Hause der Kattendyks, vor der unruhigen, ewig agitirten Frau Commerzienräthin, vor der anspruchsvollen noch ledigen Tochter, vor der eiteln Frau Procurator Nück, vor den Hausfreunden, blieb sie sich in dem System, ungefährlich zu erscheinen, gleich. Sie antwortete nur, wenn sie gefragt wurde. Und gewiß war es ein eigener Eindruck, die hoch aufgeschossene Gestalt mit dem so ausdrucksvollen schwarzäugigen Kopfe, mit der vorgeneigten Stirn, den behenden ebenmäßigen Gliedern, mit einer durchaus weltkundigen Art des Benehmens, doch in dem Hause so an den Wänden entlang schleichen zu sehen, jedem ausweichend, niemanden ansehend. Und diese Rolle war nicht ganz Verstellung. Sie hatte in tiefster Ueberzeugung die Ansicht gewonnen, daß in ihr (besonders für die Frauen) etwas Herausforderndes und Verletzendes läge und daß sie es jetzt ganz gut, ganz klug treffen würde, wenn sie sich jeden nur irgendwie auffallenden Effect lieber gleich selbst nähme. Dabei galt ihr Bangen Bonaventura's Ankunft und – ihrer und Bonaventura's möglichen Begegnung mit dem Mönche Sebastus! Diese Furcht mehrte nicht wenig die Angst und Sorge ihres in der That eingeschüchterten und bitter vergrämten Gemüths.

Sie hatte Klingsohr noch nicht entdecken können, nur täglich hörte sie von ihm; seine Flugschriften und die Aufsätze, die er in die Blätter streute, wurden bewundert und schon hatte sie sich spottend gesagt: Mit dem Wandeln, den Topf in der Hand, wie Beda Hunnius geschildert, mag es doch wol nicht so weit her sein! Aber kaum entdeckte sie, daß sie vor dem silbernen Theeservice der Commerzienräthin bei einem solchen Einfall über des Mönches Heiligkeit wahrscheinlich in bedenklicher Weise ihre Miene verzog, so unterdrückte sie auch schon den Zweifel und horchte und lauschte nur und schien überhaupt nur still vor sich hin – zu »beten«. Die Gesellschaft der Commerzienräthin staunte 36 über so viel Frömmigkeit. So oft von dem Domvicariate, das zu besetzen war (von Bonaventura's möglicher Designation schien man noch keine Ahnung zu haben) die Rede ging, ergoß sich über ihr ganzes Sein ein warmer Strom, in ihren Adern fing es an zu rinnen und merkte das denn doch z. B. der alte Ex-Schauspieler Pötzl, der eigentlich nur die Aufsicht über zwei Bologneserhündchen der Commerzienräthin zur einzigen Lebensaufgabe hatte, und sagte dergleichen, so war es »nur ihre Theilnahme für den neuen Glauben«. Ach, ihr neuer Glaube war: Hier in dieser großen Stadt erhört dich Bonaventura endlich vielleicht doch und nennt nur dich, dich seine einzige und wahre Liebe! Als sie den Domherrn Taube und sogar im Tone des Zweifels berichten hörte, daß Gräfin Paula von Dorste-Camphausen zu Westerhof bei Witoborn neuerdings wieder Visionen gehabt hätte und so zu sagen Wunder verrichtete, und dann im Gegentheil der Medicinalrath Goldfinger, vom Standpunkt einer gotterleuchteten Naturwissenschaft, gar nicht im mindesten hieran zweifelte und auch die Commerzienräthin die Hände faltete und alle Schäden ihres Leibes und ihrer Seele überlegte, die sie vielleicht der »Seherin von Westerhof«, wie man den Titel schon feststellte, zur Begutachtung und Heilung vortragen könnte (von Piter's Reise gerade dorthin, auf Witoborn zu, konnte nicht gesprochen werden, da Piter nicht mehr »der Mann« war, über seine Schritte im Hause irgendjemanden Rechenschaft zu geben), da erwachte die alte glühende Eifersucht in Lucinden. Sogar ihr, der Aufgeklärten, ihr, die zu Trendchen's Erzählung, sie hätte eben ihre Mutter gesehen und mit ihr gesprochen, tief überzeugt entgegnen konnte: Kind, die Todten sind todt! ihr stand fest, daß bereits Paula die örtliche Annäherung Bonaventura's in ihren Lebenskreis merkte und in Ekstase gerathe – nur durch das von ihr geahnte Näherkommen des Mannes, mit dem sie unbestreitbar im magnetischen 37 Rapport stand. Lucinde blieb auch Trendchen gegenüber bei den Schleiern, die sie über ihr ganzes Wesen deshalb ziehen zu müssen glaubte, um nicht in ein Herz, das ihr für neue Täuschungen keine Kraft mehr zu haben schien, neue »Dolche gestoßen« zu bekommen.

Als es nun unten im ersten Stocke lebendiger zu werden anfing und Lucinde leise auf den Corridor hinaustrat, um über Piter's lustige Treppe auf den Schauplatz ihres Wirkens zurückzukehren, sagte sie noch: Kind, die Commerzienräthin möchte gern manches von dem wissen, was Madame Delring thut und treibt! In welchen Büchern sie liest? Ob sie betet? Ob sie lange mit ihrem Mann allein spricht? Die Frau will ihr Kind im Glauben ihres Mannes taufen lassen, der ein Protestant ist! Ein großer Kummer für die Familie! Gib darauf Acht, was dir etwa ketzerisch erscheint! Sag' es aber immer erst mir, damit ich sehe, ob man es wieder berichten soll! Auch verlange fest und bestimmt, daß du alle drei Tage in die Messe gehen müßtest! Die Commerzienräthin will es! Sage nur, du wärst's einmal so gewohnt und hättest sonst keine Ruhe! Ich soll dir das sagen!

Trendchen, die diese Anleitung zur Rechtgläubigkeit in der Ordnung fand, hätte auch gern einige Winke gehabt für ihr Verhältniß zu ihrer so nahen Nachbarschaft, zu Piter und seinen Freunden, und würde, wenn Lucinde ihre schüchterne Andeutung nicht verstehen wollte, das Erlebte selbst erzählt haben; aber Lucinde huschte schon davon und flüsterte nur noch, indem sie Trendchen über das Geländer etwas Geld in die Hand steckte: Wenn du den Pfarrer besuchst, kauf' ihm Blumen! Hörst du? Am Dom stehen so wunderschöne! Ist er nicht zu Hause, so stelle sie selbst ins Zimmer! Nicht etwa durch die Damen Schnuphase – verlang' es, daß du es selbst thust! Sie gönnen 38 dir's nicht und geben ihm deine Blumen nicht! Einen großen mächtigen Strauß kaufe und mit Orangenblüten – man verkauft sie so. Vergiß es nicht! Aber um Himmels willen, sprich nicht von mir!

Nun war Trendchen allein und beeilte sich die Windungen ihres Haares zu befestigen – ihr schwarzes Merinokleid hatte ihr schon vorher Lucinde hinten geschlossen – und die selbstgestickten Pantoffeln vertauschte sie mit Schuhen vom besten, etwas derben kocherer Leder. Und so beim Ueberbeugen zur Erde – was machte da nicht alles die Brust eines noch so jungen Lebens schon so schwer! Die gestrige Scene mit dem »jungen Herrn«! Nun der Mord der Frau, bei der sie hatte dienen sollen! Die Ankunft des Pfarrers und die Blumenspende! Die Aufsicht über die ketzerischen Gesinnungen ihrer Herrschaft! Ihre Geschwister unter den Waisen! Wäre nicht der volle Nachhall der Erscheinung ihrer Mutter gewesen und diese noch so in ihr lebendig, als hörte sie deutlich das glückliche Wort: Trendchen! das die Mutter sprach, und ihr eigenes angstvoll seliges: Mutter! sie würde nicht so ruhig hier am Spiegel haben stehen und ihren übergelegten Kragen ordnen können. In Lucindens Blumengruß an den Pfarrer konnte sie nichts Auffallendes finden. Gute katholische Seelen wissen es, daß sie nichts zu verabsäumen haben, was nur irgend dazu dienen kann, einem Geistlichen Freude zu machen. Sind die Geistlichen ausgeschlossen von den gewöhnlichen Freuden des Lebens, haben sie das zu entbehren, was andern Trost und Erhebung gewähren kann, eine Familie, Gattin, Kinder, Liebe und Hingebung, so ist es Pflicht, so lernt man, aller derer, für welche sie diesen heiligen Lebenswandel führen, ihnen eine stete Aufmerksamkeit zu widmen und ihnen, soweit thunlich, den Genuß dessen zu gewähren, was es außerhalb des Glücks der Hingebung, besonders eines weiblichen Herzens, sonst noch in der Welt Wohlthuendes 39 geben kann. Dies Lieben mit der Seele, dies Umwerben und Umschmeicheln eines Geistlichen mit steter Huldigung soll, wie man sagt, zu den besondern Glückseligkeiten katholischer Priester gehören.

Und Trendchen war so aufgeregt, daß es ihr jetzt vorm Spiegel war, als spräche die Hasen-Jette hinter ihr. Nun, was ist, Trendchen! Bist alle halbe Jahre 'mal hübscher geworden! Wirst auch jetzt um die Trauer nicht zurückgehen! Kinder von Metzgern, Trendchen, sind immer schön! – Eine Ansicht, die die Hasen-Jette am wenigsten um ihren David zurücknahm – Und auch Nachbar Grützmacher's Stimme hörte sie: Ei, potz Blitz! Hätt' ich nicht schon mein Bündel da – (er bekam von diesem Bündel, seiner Ehehälfte, bei solchen Scherzen immer einen vertraulichen Schlag auf den breiten Rücken), so würdest du noch die Frau Wachtmeisterin werden können, Trendchen!

Trendchen wartete auf das einmalige Klingeln. Es erfolgte nicht. Sie trank ihren Kaffee. Er war so stark, daß ihre ganze Familie damit ein Sonntagsfrühstück gehabt hätte. Die Mitmägde, die Bediente musterten ihre blonde Schönheit. Es gibt zweierlei Blondinen. Solche, die wie eine Maiblume blühen und duften können, aber auch ebenso schnell mit einem einzigen Mai verwelken, und solche, die man Kern- oder Dauerblondinen nennen könnte, weil sie noch als Greisinnen so anmuthig sind wie herbstlich geröthete Aepfel. Trendchen gehörte zu letztern. Wie schön stand ihr das schwarze Merinokleid zur hellen Farbe ihrer Haut! Fast zu schmuck machte sich in den goldgelben Windungen ihres Haares der Florbesatz! Und nun lag zum Ausgehen gar schon der von ihr selbst zum Begräbniß gefertigte schwarze Sammethut da, in den sich ihr Kopf zurücklehnte wie auf eine Folie, die den Glanz nur noch erhöht! Die kostbare schwarzseidene Mantille, die ihr schon gestern gleich bei ihrer Ankunft Madame Delring als eine »abgelegte« geschenkt hatte! Eine abgelegte 40 und noch so neu und glanzvoll! – – Madame Delring war eine eigene, vielleicht sehr reizbare, vielleicht höchst wunderliche Frau; sehr vornehm, sehr stolz – aber gegen Trendchen war sie weich und milde. Lucinde hatte das Trendchen gleich vorausgesagt: »Frau Delring wird dich in ihr Herz schließen!« Nach zehnjähriger kinderloser Ehe war Frau Delring in die Hoffnung gekommen. Wenn Trendchen die Augen ihrer Herrin so eigenthümlich umflort sah, so wußte sie erst jetzt, daß vielleicht die ernste blasse Dame, die in Glück und Glanz zu leben schien, an die Kämpfe dachte, die mit dem theuern Keim ihres Herzens ihr würden mitgeboren werden. Es handelte sich schon seit Monden im täglichen Gespräche nicht nur ihres Hauses, sondern der ganzen Gesellschaft um die »Religion« des erwarteten Kindes.

Nun, da nicht geklingelt wurde, ging Trendchen von selbst an ihre Aufgabe, die vordern Zimmer zu putzen und in ihnen aufzuräumen und abzustäuben. Da gab es so viel des Kostbaren und Zerbrechlichen zu schonen, daß sie ihre Gedanken zusammennehmen mußte! Inzwischen vermißte sie etwas. In dem kleinsten, dem wohnlichsten der reich ausgestatteten Gemächer hatte gestern Abend noch, wie sie flüchtig vorübergehend und sich schnell verneigend gesehen, mitten in einer kleinen Laube von Epheu ein niedlicher Altar mit einer Mutter Gottes von Gold, Silber und Edelsteinen gestanden. Heute fand sie das Bild nicht an der Stelle, wo sie es suchte, um, in aller Stille und noch von niemanden belauscht, zu ihm ein Gebet zu verrichten.

Sie suchte und suchte – das Bild war nicht zu finden. Vielleicht war es so kostbar, daß es des Nachts verschlossen wurde, dachte sie. Sie stand am Eingang der Laube, in der Hand den Staubwedel. Der kleine Altar mit einem Weihbecken – es war völlig wasserleer und sogar ein Stecknadelbehälter geworden – war derselbe, wie gestern; die Gottesmutter fehlte.

41 Nun sah sie sich darnach um im Gemach. Da stand ein schwellender Divan, mit grünem und in Streifen gesticktem Sammet überzogen, darüber her wie zu einem Thron erhob sich ein Baldachin von demselben kostbaren Stoff und mit schweren goldenen Fransen besetzt. Da standen kleine Fußschemel von demselben Aussehen. Auf einem Tische mit langer grüner, golddurchwirkter Decke lagen Bücher und Musikalien, Näharbeiten, ein angefangenes kleines Kinderhemd mit köstlichen Spitzen. Trendchen sollte sich nach den Büchern erkundigen, hatte sie soeben von Lucinden vernommen. Sie konnte aber nicht denken, daß es ketzerische waren. Noch gestern Abend hatte hier Madame Delring mit ihrem Gatten so traulich und lieb gesessen. Er hatte ihr vorgelesen. Sie horchte zu und nähte dabei. Und darüber her gab ein bronzener Kronleuchter von drei gedämpften Flammen in Glasglocken ein eigenthümlich schönes Licht. In einem Winkel, mehr dem von Vorhängen ganz verdeckten einzigen Fenster des Zimmerchens zu, stand ein Pianino geöffnet. Noch lagen die Noten auf dem Pulte und seltsam genug erschien ihr schon gestern dies Instrument, das mit dem in der Dechanei keine Aehnlichkeit hatte; hier gingen die Saiten in die Höhe. Und so klein das Instrument war, doch hatte Frau Delring, kurz vor dem daß sie zu Bette ging, noch einige Minuten lang gestern darauf sanft, zart, volltönend gespielt. Nirgends fand sich aber das Muttergottesbild.

Endlich – da entdeckte sie es beim Abstäuben – auf dem Fußboden! In einem Winkel stand es, das kostbare Heiligthum! Wie entthront und wie von seinem Altar gestürzt! Es stand in einem Winkel, an einer kleinen Etagère, die mit bunterlei Dingen besetzt war, kleinen Spinnrädchen von Elfenbein, kleinen Bauerhäuschen von Holz, kleinen goldenen Papageien in Ringen und mit Edelsteinaugen, ja mit einem niedlichen ausgestopften 42 bunten Vögelchen, das sie, nach den Reminiscenzen der kocherer Stadtschule, ganz richtig für einen Kolibri erkannte. Da stand die Mutter Gottes mit dem Kinde auf dem Teppich des Fußbodens! Gerade, als gehörte auch noch sie auf die Mahagonibretchen hinauf zu dem – Spielzeug!

Ihre bescheidene, von ihrer Herrschaft nur das Beste voraussetzende Seele faßte den letztern Gedanken nicht in voller Klarheit. Sollte sie das Bild jetzt erheben und wieder auf den Altar setzen? Es war still um sie her. Nur auf der Straße lärmten und rasselten die Wagen. Kirchenglocken läuteten. Sie beugte sich zu dem Bilde nieder, kniete und betete. Sie kannte so manche Anrufung, so manche Umschreibung des Englischen Grußes. Was sie aber auch jetzt vor sich so hinmurmelte, es sollte Dank, Bitte, Hoffnung für sich und ihre Geschwister sein.

Wie sie einige Minuten so gelegen und geflüstert hatte, unbekümmert die Hände sogar um den nicht fortgelegten Staubwischer faltend, hörte sie ein leises Geräusch hinter sich. Erschrocken wandte sie den Kopf und ließ vor Ueberraschung den Staubwischer fallen. Sie sah Madame Delring hinter sich, ihre Herrin im Morgenkleide, mit großer spitzenreicher Haube und fliegend hängenden Rosabändern. Auf den Teppichen, die durch die Zimmer gingen, war sie eingetreten, während sich Trendchen in ihrem Gebete verloren hatte.

Trendchen wollte sich rasch erheben. Aber Madame Delring hielt sie nieder und bedeutete sie fortzufahren. Als Trendchen verlegen zögerte und dennoch aufstehen wollte, rückte Madame Delring mit dem Fuße selbst eines der kleinen Bänkchen näher, fuhr mit der Hand über ihre weiten und bauschigen gestreiften Musselinkleider, die ihre Gestalt einhüllten, und versuchte, sich selbst zur Erde niederzulassen. Diese Bewegung war so schwer, so ängstlich, daß sich Trendchen nicht hielt, sondern aufsprang 43 und ihre Herrin unterstützte. Nur langsam ging es, aber es ging. Madame Delring kniete auf dem niedrigen Fußschemel.

Mit stummer, leidverklärter, durchgeistigter Miene bedeutete sie Trendchen, in ihre frühere Stellung zurückzukehren, neben ihr zu knieen und im Gebete fortzufahren. Als dies Trendchen mit klopfendem Herzen und voll Verlegenheit nicht wagte, sagte ihre Herrschaft leise und fast unhörbar: So bete doch!

Trendchen begann aufs neue den Englischen Gruß, mehr aber für sich.

Lauter! sprach Madame Delring sanft –

Trendchen betete lauter, jedoch mit zitternder Stimme.

Recht, recht laut! sagte Madame Delring. Sie hatte dabei die Hände gefaltet und schien der Vorbetenden wörtlich zu folgen. Als Trendchen zu Ende war und schwieg, sagte die tief in Gedanken Verlorene und wie von einem unendlichen Leid Gedrückte und als wenn sie noch wenig von all den Worten gehört hätte: Bete!

Nun wandte sich Trendchen erstaunt und bemerkte, daß die Augen ihrer Herrin feucht waren. Eine große und schwere Thräne rollte von den Wangen der nicht schönen, aber würdevollen und durch Haltung und Wuchs einnehmenden Frau.

Da ergriff es denn Trendchen mit geisterhafter Ermuthigung. Alles, was ihr von ihrer Firmelung und ersten Beichte und ersten Communion her an wohlgefügten Sprüchen und Versen in Erinnerung geblieben war, sprach sie jetzt ungeordnet durcheinander und mit lauter Stimme. Sah sie sich um und fand, daß die Mitbetende mit Entäußerung ihres Standes wie eine Schwester, wie eine Mutter ihr folgte, so begann sie aufs neue und betete inbrünstig den Himmel auf die Erde herab. Alle nur möglichen Sünden, Eitelkeit, Hoffart, Unglaube, Geiz, Falschheit, alles, was nun einmal in den Gebeten so formulirt ist, wurde von ihr 44 für sich und ihre Herrin bekannt. Auch die einzelnen Fürsprecher unter den Heiligen wurden aufgerufen, sodaß auch jeder gerade denjenigen Fehler dargebracht bekam, auf den er gleichsam das Vorrecht hat, ihn allein Gott zur Vergebung zu empfehlen; dabei der Gottesmutter ganz zu geschweigen, die zuletzt, wenn nichts half, mit ihrer Zauberhand Schloß und Riegel am Schatz der Gnaden sprengte und das Kind Jesu auf ihrem Arm in die Fülle hineinlangen und Juwelen und Blumen und alle himmlischen Freuden der Vergebung auf die vor ihnen Knieenden niederschütten ließ.

Erschöpft von ihrem, sie wunderbar überkommenden Priesteramt schwieg endlich Trendchen. Sie hatte gebetet wie in klarer Vorstellung vom Streit der »gemischten Ehen«. Madame Delring erhob sich, indem das junge Mädchen aufsprang und ihr behülflich war.

Daß Trendchen das kostbare und schwere Metallbild jetzt wieder unter die Epheulaube auf den Altar setzte, schien sich ihr von selbst zu verstehen. Es wurde auch von Madame Delring nichts weiter dagegen eingewendet, als nur soviel die Schwere betraf. Trendchen brachte es aber vollkommen und wie triumphirend zu Stande.

Madame Delring sammelte sich jetzt von ihrer Aufregung. Sie verbarg ihr feuchtes Taschentuch. Sie sah sich um, klingelte zweimal und bestellte mit gelassener Stimme ihr Frühstück. Sie wußte, daß ihr Gatte schon unten im Comptoir war.

Mein Bruder ist ja verreist? fragte sie dann beklommen, sich auf den Divan zum Frühstück setzend.

Trendchen sprach ein verlegenes: Ja! Sie kehrte dabei zum Ordnen in die Nebenzimmer zurück. Die Thüren blieben offen.

Du wirst zu deinen Geschwistern gehen wollen! sagte Madame Delring.

45 Ich wollte darum bitten.

Und in die Messe! Wie oft hörst du sie? Außer Sonntags? – –

Trendchen sollte sagen: Alle drei Tage! Aber sie konnte jetzt nicht, vielleicht niemals, lügen. Nur Sonntags. sagte sie.

Immer, wenn du ausgehst, komm' erst zu mir und frage, ob ich Bestellungen habe!

Ja, gnädige Frau!

Was ist die Uhr?

Halb neun!

Um neun kannst du gehen –!

Die Empfindungen Trendchen's, als sie dann ging und bis neun in ihrem Zimmer allein blieb, ließen sich nur mit denen einer freudig sich dahingebenden und sieggekrönten Aufopferung vergleichen. Sie fühlte, wie man für jemand sterben könnte, nur um ihn vom Uebel zu erlösen. Die Gottesmutter war die Siegerin geblieben! Es war ihr so leicht, so himmlisch beschwingt zu Muthe, daß sie dem ganzen Hause hätte rufen mögen: Ich habe eine abtrünnige Seele gewonnen!

Um neun Uhr kehrte sie dann zurück, um sich, wie sie sollte, ihrer Herrschaft noch einmal vorzustellen. Sie hatte nachgedacht, ob sie die wieder in Gedanken verlorene und tief noch betrübt scheinende Frau nicht durch die Mittheilung des in der Nacht geschehenen Mordes unterhalten sollte und von dem Glück sprechen, daß sie nicht in dies grauenhafte Haus, sondern hier bei ihr hätte eintreten können; doch überlegte sie, und mit Zustimmung der andern Dienstboten, die Trepp auf Trepp ab liefen, daß bei dem gegenwärtigen Zustande ihrer Gebieterin Eröffnungen dieser Art nur von ihrer Familie kommen dürften.

Wie dann Trendchen wieder in die vordern Zimmer eintrat, lag Madame Delring auf dem Kanapee ihres kleinen Boudoirs. 46 Von rechts und links waren noch die Thüren offen und brachten Licht, das durch das noch immer verhangene Fenster nicht einfallen konnte. Sie stützte träumerisch das Haupt und hatte in der andern Hand ihr kleines Kinderhemdchen. Willst du ausgehen? sagte sie gelassen, als hätte sie das Besprochene schon wieder vergessen . . .

Trendchen trat näher. Sie hatte ihren schwarzen Hut auf und fürchtete fast, nicht genug einem Dienstboten ähnlich zu sehen.

Freundlich aber zog Madame Delring sie näher. Sie lobte den Hut, band ihn jedoch dem hocherröthenden Mädchen ab, weil sie meinte, er säße nicht genug im Nacken. Nun deutete sie auf den Fußschemel von vorhin und ließ Trendchen vor ihr niederknieen, um ihr selbst den Hut aufzusetzen. Dann begann sie noch an Trendchen's Haar zu ordnen. Wie schön dein Haar ist! sagte sie sanft und löste einige der Flechten und hielt sie lange in der Hand, fast ihre Schwere wiegend und dann sie gegen das Licht haltend. Wie Gold glänzt es! . . . fuhr sie fort. Nun band sie die Flechten anders. Halt nur still! sagte sie. Ich selbst darf mir ja nicht das Haar machen – wenn du zurückkommst, ist es Zeit genug dafür – aber dir darf ich's schon. Geh' an den Dom! In das Gewölbe von Herrn Schnuphase! Ich lasse die Damen bitten – meine Aussteuer nicht zu vergessen! Es währt eine Ewigkeit –

Trendchen wußte, daß die Aussteuer für das erwartete Kind gemeint war, und auch das wußte sie, daß sich ihre Mutter, als sie mit dem jüngsten ihrer Geschwister ging, beim Haarmachen und sonst vor allem Binden und Verknüpfen in Acht nehmen mußte –

Weißt du denn auch das Gewölbe? fragte Madame Delring.

Ich finde es schon. Ich suche das Haus ohnehin, weil ich 47 den Pfarrer von St.-Wolfgang. Herrn von Asselyn, begrüßen will. Er hat meine Mutter »versehen« und wohnt dort –

Möglich, Kind, fuhr Madame Delring fort. daß dich die Schnuphases in die Klostergasse schicken, wo die Schwesterschaft zu den Nothhelfern eine Nähanstalt hat! Sage da nicht, daß du so gut beten kannst! Oder könntest du in ein Kloster gehen?

Trendchen warf ihre großen blauen Augen zur seltsamen Fragerin empor und blieb die Antwort schuldig.

Madame Delring kam von ihrer Frage wieder ab, wie sie diese lichten, hellen, reinen Augen sah, die allerdings denen einer Heiligen glichen. Sie fuhr mit den Fingern über Trendchen's nicht zu volle, etwas röthliche Augenbrauen und zeichnete sie gleichsam in ihrer Länge über die Stirne hinweg nach. Dann kam sie auf die Schwestern zu den Nothhelfern zurück und sagte: Es ist ein Verein, der junge Mädchen zum Nähen anhält und Gutes thun soll! Ich weiß nicht – manche von den Mädchen, die dort arbeiteten, gingen ins Kloster. Laß dich nur in keines verlocken, Kind! Sie wissen es so geschickt zu machen und so prächtig erst einzurichten, daß manche Novize anfangs glaubte, in Ewigkeit keinen Mann nöthig zu haben, und um alles in der Welt lieber den Schleier nahm – hernach aber – Besonders wissen die Damen da von der Gasse – wie heißt sie? Doch schon unterbrach sich Madame Delring selbst und zog aus dem nächststehenden Tisch ein Kästchen hervor, das über und über mit Schmuckgegenständen gefüllt war. Nach kurzem Suchen nahm sie eine Rosette von schwarzem Stein an einer goldenen Nadel hervor, um sie in Trendchen's Haar zu stecken.

Wie Trendchen diese Freundlichkeit, die sie noch kaum für ein Geschenk halten konnte, bemerkte, wollte sie dieselbe ablehnen; aber Madame Delring sagte: Kind, da schenk' ich dir einen ganz werthlosen Stein! Es ist geschnittene Lava!

48 Aber die Nadel – sagte Trendchen hocherglüht.

Die ist gut! Laß aber nur – es steht dir ja! So! . . . Jetzt – und sieh – du trägst Ohrringe –! Weißt du, daß man keine Ohrringe mehr trägt? Aber auch ich habe noch die Löcher dafür und weiß wie heute, wie mich's schmerzte, als sie gestochen wurden – ich war schon fünf Jahre – das sind jetzt fünfundzwanzig! . . . Eigentlich aber lieb' ich Ohrringe und mag sie leiden! Man sagt, es sähe unnatürlich aus; lieber Himmel, was ist an unserer Tracht natürlich? Im Ohr ist noch lange nicht in der Nase, wie die Ringe von den Wilden getragen werden.

Nun lachten beide Frauen ganz herzlich um die Wette.

Madame Delring nahm die kleinen, allerdings echten, aber unscheinbar und dünn gewordenen Ringelchen aus Trendchen's Ohren und suchte, ob sie nicht zwei andere kleine, nicht zu auffallende und mit einem Stein geschmückte Berlocquen fände. Die Frauen, sagte sie, wollen gar nicht mehr Sklavinnen sein, was diese Ohrringe mögen bedeutet haben! Aber ich denke mir das gerade schön, seinem Manne zu – dienen! Warum denn ihm ganz gleich sein wollen! Wenn man die Sorgen und Noth bedenkt, die unsre Männer haben! Wär' ich hübscher, ich würde mich ganz gern schmücken, um meinem Mann als seine Sklavin zu erscheinen! Die meisten Frauen haben Zeit genug, das Gefallen zu bedenken, das an ihnen ihr Mann haben sollte! Lieber Himmel, die Männer in der Türkei dürfen immer jung bleiben und sich so viel Frauen nehmen, wie sie wollen! Wir sagen freilich: Wir gehören dir auch mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele! Wie oft thun wir's aber auch nicht!

Gern hätte Trendchen auch wieder umgekehrt von der Geduld gesprochen, die eine Frau mit ihrem Manne haben müsse; doch verlor sie die Besinnung über die Freundlichkeit ihrer Herrschaft, 49 die in der That zwei kleine goldene Ringe jetzt gefunden hatte, die sie Trendchen einhängte. Sie gehörten zu einem größern alten Ohrschmuck, den sie als zu auffallend in zwei Theile zerlegte. Deine alten Ringe, sagte sie ganz gemüthlich, kann man noch angeben!

Trendchen's vornehmste Bekanntschaften waren bisjetzt Frau von Gülpen in der Dechanei und die Majorin Schulzendorf gewesen. Wenn diese Frauen nur je so mit ihr geredet hätten! Von den Geschenken ganz zu schweigen, die allerdings nur von einer reichern Frau kommen konnten. Sie verstummte vor Glückseligkeit und konnte nur der freundlichen, immer leidend gelassenen Frau die Hände küssen. Diese wickelte die alten Ringe in ein zerrissenes Briefcouvert und sagte: Auf der Mühlenstraße wohnt unser Juwelier – Modes heißt er – geh' bei ihm vor – oder besser, ich ließ' ihm sagen, er soll ein paar einfache Brochen schicken, da such' ich dir eine aus –

Gnäd'ge Frau! rief Trendchen und schlug die Hände wie ablehnend und bittend zusammen.

Nein, nein, sagte Madame Delring, wir geben deine alten Ohrringe dafür an! Solche kleine Handelsgeschäfte müssen Frauen immer machen! Dabei griff sie nach dem gestickten Schellenzuge neben ihr und zog zweimal. Der Bediente kam und erhielt in Gegenwart des vor Erstaunen halb bewußtlosen Mädchens den Auftrag, der Juwelier Modes möchte eine Anzahl einfacher Brochen zur Auswahl schicken.

Der Diener ließ Morgenblätter und den heutigen Theaterzettel zurück und meldete schon einen Besuch: Herr Medicinalrath Goldfinger!

Ich bin ganz wohl! sagte Madame Delring, indem sie plötzlich strenger blickte. Sie lehnte den Empfang des Arztes ab.

Während Trendchen sich erhoben und kaum den Muth hatte, 50 in einen dicht vor ihr hängenden viereckigen Spiegel mit goldenem Rahmen zu blicken und von Madame Delring gewinkt bekam, daß sie ihr auch noch den Hut aufsetzen wollte, sah die Herrin zugleich in den vor ihr aufgeschlagenen Theaterzettel und las halblaut und wie mechanisch: »Gastvorstellung von Madame Serlo-Leonhardi: ›Das letzte Mittel.‹ Madame Serlo-Leonhardi: Frau von Waldhüll. Im Zwischenacte Tanz: Cracovienne von Emmy und Flora Serlo« . . . Kinderballet! sagte sie. Ich mag die kleinen Affenkomödien nicht leiden – Und dabei band sie die Schleife an Trendchen's Hut, strich ihr noch einmal die Wange, zog und drückte ihr recht den Hut in den Nacken und gab, als sie sich überzeugt hatte, daß die schwarzen Trauerhandschuhe Trendchen's noch ganz neue waren und einen ferneren Beweis ihrer Freigebigkeit überflüssig machten, ihr die Hand, die diese mit überströmender Innigkeit an ihr Herz drückte und wiederholt küßte.

Inzwischen kam der Bediente zurück und meldete: Herr Pötzl!

Madame Delring schüttelte den Kopf und sagte: Nein!

Herr Kanonikus Taube!

Finster blickend ließ sie für alle Erkundigungen danken. Auch diese Besuche nahm sie nicht an.

Wol aber war ihr, als hörte sie einige Secunden später die Stimme ihres Gatten – Er war es denn auch. Herr Delring kam, weil der Medicinalrath und jetzt auch der Schauspieler und der Kanonikus nicht angenommen waren – alle drei hatten ihre Meldung von dem Zimmer der Mutter aus, wo er selbst den Morgengruß gebracht, nach oben ankündigen lassen –; er besorgte, seiner Gattin wäre vielleicht nicht wohl. Schon hörte man draußen seine Fragen nach ihrem Befinden.

Und ehe er noch da sein konnte, erhob sich Madame Delring und fuhr wie aus einem Traum auf. Ihre weitgeöffneten 51 Augen schauten ringsum. Ihr Blick suchte etwas, was sie beängstigte – da – auf dem wieder hergerichteten Hausaltar unter der Epheulaube stand eine Störung. Schnell deutete sie auf einen in den Zweigen und Holzverzierungen der Laube hängenden Gegenstand und winkte Trendchen, diesen ihr zu reichen. Trendchen, die so an den Mienen der freundlichen Herrin hing und sich in ihre Art schon gefunden hatte, daß sie jeden ihrer Winke verstand, reichte ihr das Angedeutete dar – Es war ein durchsichtiger großer Silberflor, wie man ihn über werthvolle Gegenstände, um sie vorm Staube zu schützen, zu breiten pflegt. Schnell! rief Madame Delring.

Diesen Silberflor ließ sie Trendchen jetzt anfassen und bedeckte damit rasch die Madonna auf dem Altare.

Inzwischen trat Herr Delring ein – wie immer, schon in weißer Halsbinde und schwarzem Frack, als Repräsentant des großen Hauses, der er früher gewesen, ehe ihn Piter entthront hatte – ein ernster, vornehmer Mann.

Die plötzlich ausbrechenden zärtlichen Grüße, den Kuß, die liebevollen Wechselreden der beiden Gatten hörte Trendchen nicht mehr. Sie war mit klopfendem Herzen schon von dannen geeilt.

Hinter ihr blieb ein Weib zurück, das ihre Religion und ihren Himmel in dem Manne ihrer Liebe fand.


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