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Funfzehntes Capitel.

Eine Hexenküche.

Der Vorfall zwischen den königlichen Herrschaften und dem Fürsten Egon von Hohenberg auf Schloß Solitüde hatte allgemeines Aufsehen erregt. Alle Welt sprach von der rührenden Scene, dem Choral und den Thränen der Königin... Drommeldey hatte eine Anekdote gewonnen, die mit seinem Wagen die Runde bei all den vornehmen Herrschaften machte, die in chronischen Fällen homöopathische, in acuten allopathische Behandlung verlangten... Die Trompetta war dem Vorfalle so nahe gewesen, daß sich diese Nähe bald im Munde der Wiedererzähler in wirkliche Anwesenheit verwandelte. Hatte sie doch Ursache, vom Hofe eine Entscheidung über ihr Gethsemane zu erwarten! Warum sollte sie nicht dabei gewesen sein, als jene zarte Überraschung eines Sohnes mit den Andenken seiner Mutter vorfiel? Sie gab dem Solitüder Vorfalle erst die mystische Abrundung und Beleuchtung, denn sie war es, die bei ihrer großen Beweglichkeit Hunderte von Urtheilen darüber hörte und diese Urtheile in Thatsachen verwandeln konnte. Man pries das Herz des Monarchen, man bewunderte den Takt seiner Gemahlin. Man stritt darüber, welchem Gefühle die Scene am wohlthuendsten müsse gewesen sein, und kam darin überein, daß die junge Fürstin wohl die reinste Freude dabei genossen hätte; denn sie war es, sagte man mit der eigenthümlichen Sentimentalität jener Regionen, die den König glücklich sah! Lauschte man doch von allen Seiten in des Königs Umgebung auf Momente, wo eine innere Freude aus seinem durch die Zeitverhältnisse eingeschüchterten Gemüthe drang! Der König hat gelacht! Ein solches Wort flog oft mit Blitzesschnelle bei einer Cour durch den Mund von hundert Menschen und die »kleinen Cirkel« endeten dann noch einmal so gut; denn die Hoffnung auf eine Lösung der Wirren, die die Krone bedrohten, schimmerte dann doch etwas leuchtender. Man hoffte dann wieder auf energische Befreiung von einem Ministerium, das die Noth des Augenblicks dem Regentenhause aufgedrängt hatte. Es war aus entschieden lästigen Bestandtheilen, aus Kaufleuten, Fabrikanten und ähnlichen »Emporkömmlingen« zusammengesetzt. Einige renitente Beamte, besonders aus der Richtersphäre, hatten die Verwirrung, die in den höchsten Kreisen herrschte, nur noch vermehrt. Das Vertrauen auf die alte unbedingte Hingebung der Bureaukratie war auch schon bei Hofe untergraben. Man sah sich da wie auf dem stürmenden Meer nach einem rettenden Ufer, einem Leuchtthurm, einem Lootsen um. Das Drängen um die Ehre des Steuerruders war so groß, daß Keiner es besonders kräftig erfassen konnte. Eine allgemeine Rathlosigkeit lähmte den ganzen Staatsorganismus, der neue Formen sich aneignen sollte und noch nicht die Seele für diese Formen hatte. Der bevorstehende Landtag, weit entfernt, einen Halt, eine rettende Planke für die Schiffbrüchigen zu bieten, war voraussichtlich nur die Veranlassung neuer Verwirrungen, neuer Stürme. Man konnte schon jetzt mit Bestimmtheit prophezeien, daß sich das so nothwendig sich dünkende Ministerium ihm gegenüber nicht würde behaupten können. Und zu militairischem Druck, zu Gewaltmaßregeln allein, schämte man sich, jetzt schon zu greifen. Man wollte doch so gern den Schein der Gedankenfreiheit behaupten und manche Idee verwirklicht sehen, die ohne Unterstützung der Überzeugungen keine Dauer versprach.

Niemand war von allen diesen Wirren mehr ergriffen als eine vornehme Dame, die wir zwei Tage nach dem im Vorangehenden geschilderten Septemberdonnerstage am Samstag Abend bei trübem und regnerischem Wetter schon um sechs Uhr Abends auf ihrem gelben Sopha bei gedämpfter Beleuchtung einer großen Lampe ausgestreckt, die Füße mit einem Shawl belegt und melancholisch genug erblicken.

Pauline von Harder befand sich in ihrem ostensiblen Boudoir, dem uns bereits bekannten Zimmer Gelb in Blau. Sie schlug die Arme zusammen und sah auf eine Schreibmappe nieder, die mit einer Feder auf ihrem Schooße lag. Das Dintenfaß war in der Schreibmappe selbst angebracht.

Eine andere Dame, die alte Ludmer, breitete ihr den Shawl auf den Füßen auseinander, damit sie sich des Frostes erwehrte, der sie bei dem trüben und plötzlich sehr herbstlichen Wetter überschauerte. Auch die Ludmer hatte eine Art Schreibanstalt vor sich an dem runden Tische von Mahagony. Auf einem Blättchen notirte sie mit einem Bleistifte.

Wie kalt es ist... Es ist sechs Uhr und schon finster! seufzte die Geheimräthin.

Der Herbst kommt dies Jahr so früh... schnarrte die alte Gesellschafterin.

Der Sommer war zu schön und wie wenig hab' ich ihn genossen.

Die Ludmer antwortete mit einer aufrichtigst zustimmenden Geberde.

Ein Bedienter trat eben ein und ließ die Vorhänge nieder. Es war Franz.

Bei den Wäsämskoi's drüben auch schon Licht? sagte Pauline.

Stichdunkel! antwortete Franz.

Hat der alte Herr von drüben wieder unser Haus so oft angeglotzt? fragte die Ludmer.

Franz antwortete:

Heut früh ging er wohl zehnmal vorüber und schien Lust zu haben, zu klingeln. Immer besann er sich wieder und wandte sich dann nach der Stadt...

Sollt' er die kühle Visite der Fürstin gut machen wollen? fragte die Geheimräthin.

Was? sagte die Ludmer, die vielleicht jemand Anders im Sinne hatte. Ach, du meinst den alten Hauslehrer?

Franz wußte darauf keine Antwort und ging mit der Bemerkung, der Alte heiße Rudhard, aus dem Zimmer.

Die Ludmer begann jetzt zu plaudern, zu berichten, zu unterhalten. Sie erzählte von dem jungen Maler, der fast den ganzen Tag dort drüben bei Helenen's Schwester und ihren Kindern wie eingebürgert verweile. Sie erzählte von dem stadtbekannt gewordenen Rendezvous in Solitüde, von großen Scenen zwischen der Mutter und Tochter...

Erinnere mich nicht an diesen Tag! sagte Pauline leidend. So sich in seinem eignen Manne prostituirt zu sehen! Gegenstand des Spottes in dem Menschen, der unser natürlicher Schutz, Beistand, unsre Ehre sein sollte! Ich kann mir denken, daß in allen Gesellschaften nur von Henning's stupider Miene gesprochen wird!

Die Ludmer richtete ihre stechenden Augen auf die Geheimräthin und sagte voll tiefster Besorgniß:

Ja, ja! Zu unserm Dienstag-Diner haben der Oberhofmarschall und Graf Franken absagen lassen...

Es sollte mich gar nicht wundern, wenn wir in eine förmliche Ungnade fielen, erwiderte Pauline.

Nur wegen der Solitüde? sagte die Ludmer mit schärferem Blicke zu ihrer Freundin und Gebieterin hinüberschielend und ihre Dose anschlagend.

Ich weiß, was du sagen willst, antwortete Pauline. Man erklärt mein Haus jetzt für den Sammelplatz der Opposition. Man sagt, ich machte Partei... Laß sie! Laß sie! Das freut, das ermuthigt mich. Siehst du! Ich thue in der That nichts, gar nichts, was diesen Vorwurf verdiente und man kann von einer intelligenten Frau nichts Schmeichelhafteres sagen, als daß sie intriguire, während sie doch nichts thut. Ihre Intelligenz ist schon Intrigue! Null, Null soll man sein, ja noch unter Null und zu Weihnachten nur für den Frauenverein sticken oder eine Boutike halten. Das ist Alles.

Nichts thut, Beste? sagte die Ludmer und nahm eine Prise. Ist nicht auch Werdeck wieder zum Dienstag eingeladen? Bist du nicht in offener Ausstellung auf dem Kunstverein in Ekstase gerathen über das Bild seiner Frau, und hast diese Person wieder an dich gezogen, trotzdem, daß sie Jedermann flieht und du seit ihrer Spionage in Bielau ihr mistraust...

Wie kommst du auf diese Zufälligkeit? In Bielau? Spionage? warf die Geheimräthin ein. Welches Interesse könnte diese Frau, die aus Polen stammt und in mir ganz fremden Verhältnissen aufwuchs, veranlassen, sich um unsere Vergangenheit zu bekümmern?

Kind! Du weißt nicht, wie sie dich Alle umschleichen und belauschen! Daß zum Dienstag die Trompetta, die Flottwitz, Niemand vom Bundesrath gebeten ist, gibt sogleich Gerede. Bist du nicht ein Herz und eine Seele mit der d'Azimont, die die zweifelhaften politischen Gesinnungen des Fürsten Egon beherrscht und was ist alles Das gegen... deine neueste Grille...

Pauline lachte mit der Überlegung eines starken Geistes über einen schwächeren.

Du sprichst, sagte sie, von meinem Ankauf eines gelesenen Journals! Wer allein nennt Das Grille, als eine Natur wie die deinige, die sich um öffentliche Dinge nicht kümmert!

Ich dächte, wir hätten an unsern geheimen genug – sagte die Ludmer scharf und sah auf ihr Papier, während sie den Bleistift probirte und aus einem Futteral, das neben ihr lag, eine Brille zog, die keine Bügelbrille, sondern aus alter Gewohnheit ein einfacher sogenannter Nasenquetscher war.

Pauline schwieg eine Weile und kam dann durch eine leicht erklärliche Ideenassociation auf Heinrichson.

Wie selten sich seit einiger Zeit Heinrichson macht! sagte sie seufzend.

Deine Schuld, gutes Kind! antwortete die Ludmer jetzt durch die Brille näselnd. Wie konntest du in dem Grade jugendliche Leidenschaften verrathen, daß du mit ihm eine Scene spieltest, als das abscheuliche Ding, die Auguste, ihn in unsern Zimmern wie rasend anfiel?

Pauline schwieg eine Weile und stützte das Haupt auf.

Ich hatte mein Alter vergessen! sagte sie seufzend. Sonst, wenn ich entdeckte, daß meine Freunde treulos waren und nicht Farbe hielten, hob ich Dolche empor. Wo sind diese Zeiten hin!

Heinrichson ist doch aufmerksam und weiß, was du ihm bist und wie du ihm nützest. Aber mit ihm zu boudiren...

Um eine Leda!

Du hast es nun! Er nahm die Scene für Affectation und kommt seltener. Diese Männer wie Heinrichson fürchten sich vor Scenen.

Doch ist er ja wärmer, zärtlicher, als sonst...

Franz... hat ganz Recht –

Franz! Lässest du nie dies Spioniren, Charlotte! Franz sieht, was er merkt, was wir gesehen wünschen.

Die Visiten Heinrichson's bei der d'Azimont kann Keiner erfinden!

Verleumdung! Heinrichson arbeitet an ihren Erinnerungsblättern. Soll ich mich vor Helenen fürchten? Dann wäre Treue und Glauben aus der Welt gewichen. Schwelgt sie nicht in dem Entzücken ihrer endlichen Aussöhnung mit Egon! Sie lag heute weinend an meiner Brust! Diese Freudenthränen! Dieser Herzensjubel! Die Glückliche!

Ah! setzte sie nach einigen Augenblicken hinzu, ich will meine Tagebuch-Notizen machen.

Und ich den Speisezettel für Dienstag, ergänzte die Ludmer trocken und schüttelte den Kopf und behielt die Gedanken, von denen sie sah, daß sie keinen Anklang fänden, für sich.

Sonnabend den 20. September, sagte Pauline halblaut und schrieb seufzend Notizen auf, die sie theils wiederholte, theils nur flüsternd für sich hinsprach... Elf Uhr... Besuch Helenen's. Glücklich und entzückt... Rückfahrt von Solitüde... Überraschung... Dunkelheit... Kindliche Hingebung...

Die Ludmer sprach aber auch gern etwas laut, wenn sie dachte, und schrieb nachdenklich, als wenn ein Feldherr seinen Operationsplan gegen einen gerüsteten und kriegskundigen Gegner entwirft, über das bevorstehende große Dienstagsdiner folgende Ideen nieder:

Pürée von weißen Rüben mit Filets von Enten und Parmesan-Croutons...

Egon's Eindruck bei Hofe – fuhr wieder ihrerseits Pauline fort... Mein Lächeln fällt Helenen auf – Ich lächle über mich – Warum? – Weil ich mir manchmal wie die Sibylle vorkomme, die in einer Höhle sitzt und die Menschen in ihrem Wahne sich durchkreuzen sieht, während ich im Buche ihrer Schicksale lese –

Spanische Pasteten von Rebhühnern, sagte die Ludmer und fügte still für sich, aber mit Nachdruck hinzu, von Rebhühnern en Salbicon –

Wüßten alle Menschen, was ich weiß – wüßten sie, wie ich auf meinem Dreifuß sitze, der Priesterin von Delphi gleich – ich lächle und warte meine Zeit ab –

Die Ludmer in der Hoffnung, den Pflegling ihrer Liebe von diesen quälenden Träumereien und Tagebuchsschmerzen abzubringen, flüsterte:

Rinderbrust, glacé, mit Chalotten...

Helene fürchtet für die Zukunft... ließ sich Pauline nicht irre machen... trotzdem daß sie den Augenblick besitzt. Egon will die politische Carrière beginnen. Nichts ist den Frauen gefährlicher als der Ehrgeiz der Männer. Ein Mann, der den Ruhm liebt, opfert ihm gewöhnlich zuerst sich selbst und dann auch Alle, die ihn lieben. Helene fürchtet die Umgebungen Egon's und hofft, daß Rafflard sein Versprechen, sie sämmtlich zu entfernen, das ganze Nest aufzuheben, wahr macht.

Die Ludmer hörte etwas hinüber zu den ihr nicht ganz gleichgültigen Thatsachen, die die Geheimräthin niederschrieb – und sagte dann freudiger notirend:

Gänse à la Broche mit farcirten Gurken à la Sauce...

.. Die Geheimräthin hatte aber trotz ihrer idealen Anschauung gleichfalls nicht unterlassen, auch auf die Ludmer manchmal hinzuhören und zu prüfen, was die erprobte Erfindungsgabe der Freundin zusammensetzte. Sie nahm jetzt das Blättchen und las die schriftstellerischen Produkte der Ludmer. Die Ludmer nahm eine Priese.

Ist Das der erste Gang? fragte Pauline.

Der erste Gang!

Ich vermisse, sagte die Geheimräthin, die gleichfalls gastronomische Phantasieen hatte, eine Kennerin der Tafelfreuden und längst zu der Erkenntniß gekommen war, daß man sich viele und gerade die geistreichsten Menschen dauernd und wahrhaft treu leider nur durch Diners und die sinnige Wahl ihrer Leibgerichte verbindet; ich vermisse, sagte sie, ein Hochepot von Wurzeln à l'Anglaise für meinen guten Justizrath, der seine Frugalität immer drollig genug zu beweisen sucht, daß er nach Gemüsen verlangt und von guter Hausmannskost spricht.

Ist der Justizrath denn eingeladen?

Schlurck? Ich denke doch? Der Vater und die Tochter! Ich bin sehr undankbar gegen den ehrlichen Menschen und hab' ihm seit seiner edlen Aufopferung für meine Interessen viel zu wenig Aufmerksamkeit erwiesen.

Er war gestern hier, um dich angelegentlichst zu sprechen...

Wovon man mir nichts sagte? erwiderte die Geheimräthin entrüstet.

Ich mochte nicht... Der Mann wird alt... Er zeigte sich ängstlich!

Ängstlich? Worüber? Ein Schlurck ängstlich... du sprachst ihn also?

Es kämen, sagte er, Anfragen, Vorwürfe wegen der übereilten Haussuchung bei den Gebrüdern Wildungen – man setze ihm mannichfach zu, wolle Auskunft über Dies und Jenes – er quengelte mehr, als ich je von dem Manne erwartet hätte –

Dann lad' ihn nicht ein! erklärte die Geheimräthin entschieden. Furchtsame Menschen stören unsern Lebensmuth. Man wird nie von Paulinen sagen, daß sie ihre Freunde vernachlässige; aber nur keine Entmuthigung da, wo man Stärke erwartet!

Von seiner Tochter sprach Schlurck auch, berichtete die Ludmer.

Sie ist verlobt mit Lasally –

Noch nicht förmlich... sagte er. Auch bräche sie solche Verhältnisse ab, wie sie sie anknüpfe. Sie wäre vorgestern gleichfalls, wie es scheint die ganze Welt, in Solitüde gewesen und hätte sich, nach Hause gekommen, so gegen Lasally gebehrdet, daß diese Verbindung jetzt wieder weniger Möglichkeiten für sich hätte als früher...

Sie hat den Prinzen wieder gesehen, Dankmarn, Siegbert Wildungen – die alten Leidenschaften regen sich – Wir wollen Schlurck und Melanie doch einladen. Vergiß es nicht!

Und Werdeck und die Deputirten?

Werdeck und die Deputirten! Justus vor Allen!

Was? Justus? Den Heide...

Die Ludmer machte eine Miene, als röche es plötzlich nach Dünger. Sie hatte für Politik wenig Sinn und schüttelte den Kopf und drückte wieder die Brille, die sie beim Sprechen abgenommen hatte, auf die gequetschte Nase, daß sie im Sprechen einen schrecklich schnüffelnden Ton bekam.

Die Deputirten! näselte sie.

Pauline fuhr abbrechend fort in ihren Notizen:

Egon läßt sich wählen – Dankmar Wildungen macht dabei den Vermittler – Helene fürchtet diesen Entschluß, fürchtet die Wildungen, fürchtet Louis Armand's Einfluß – fürchtet Alles, was sie von Egon trennt – Nachrichten aus Paris – d'Azimont wird immer kränker – Egon spricht viel von der Nothwendigkeit und dem Glück legitimer Verhältnisse – sie klagt mir's...

Die Ludmer hatte eben sehr aufmerksam zugehört und fragte, was legitim wäre?

Pauline lächelte und sagte:

Legitim, liebe Charlotte, heißt, wenn nicht sittlich, doch gedeckt durch die Sitte. Du guter Egon! Wenn du wüßtest, was sich Alles legitim nennt! Du willst für die legitimen Verhältnisse auftreten! Ärmster! Kenntest du die Memoiren deiner...

Pst! sagte die Ludmer und schrieb satyrisch grinsend und lachend:

Filet von Seezungen à la maître d'hôtel! Ha! Ha! Ha!

Um zwölf Uhr Rafflard's Besuch – er soll nun doch kein Jesuit sein – seitdem Helene ihn erkannt haben will – sie nimmt ihre Verleumdung zurück – Rafflard soll ein Herz haben, das edelste... ich finde ihn ergeben, gut aus Erschöpfung, böse zu sein; aber nicht zuverlässig – sein Blick ist nicht offen – er sagte: Madame, der größte Herrscher ist der Schein des Dienens – Eine Reminiscenz, die er wol nicht selbst erdacht hat, aber gut befolgt. – Seine Absichten sind in Dunkel gehüllt – er war bei Hofe – er verkehrt mit Voland von der Hahnenfeder – er verbindet diesen Zauberer mit dem Propste Gelbsattel – er ist überall und nirgends – Rafflard will den Bund sprengen, der den Prinzen Egon von Hohenberg umstrickt hält – er fürchtet viel von einer Annäherung Egon's an jenen Rudhard... eine Aussöhnung, die Helene noch nicht einmal erfahren hat, weil sie Rudhard haßt und Egon sie wahrscheinlich damit zu kränken fürchtet... Louis Armand, Egon's böses Princip – Rafflard wird in Egon's Umgebung aufräumen und ihr den Alleinbesitz ihrer Liebe sichern... sein dunkles Wühlen... Pariser Aufträge... Rafflard scheint mir fähig zu sein, die Rolle selbst eines Banditen...

Maccaroni à la Bechamelle... sagte die Ludmer, aber wie in der Zerstreuung, so erschrak sie vor dieser Charakteristik des Herrn Sylvester Rafflard, der die Geheimräthin so interessirte, daß sie im Notiren fortfuhr:

Rafflard hat eine gute französische Aussprache und corrigirt Andere ohne zu verletzen... Er ist räthselhaft. Um ein Uhr – eine Zumuthung der Flottwitz – abgelehnt – ein Besuch der Trompetta nicht angenommen. Buchhändler Schröpfer besucht mich auf meinen Wunsch und gibt mir Details über das politische Journal: »Das Jahrhundert«, das ich kaufen will...

Pauline! unterbrach die Ludmer halb vorwurfsvoll diese letzte Tagebuchnotiz, die die Geheimräthin mit einiger Schalkhaftigkeit aussprach, nur prüfend, nur forschend, welchen Eindruck sie auf die Erfinderin ihres nächsten großen Küchenzettels machen würde.

Nun? sagte die Geheimräthin, den Kopf aufrichtend und lächelnd. Schröpfer... das Jahrhundert... Guido Stromer...

Pauline!

Die Ludmer dirigirte einen langen schmerzlichen Blick auf ihre Freundin und langjährige Pflegebefohlene... und da diese sich nicht irre machen ließ, sondern nur sagte: Nun? Nun? so stieß sie über diesen Rückfall in die ihr verhaßte Literatur einen ihrer tiefsten Seufzer aus und sagte, indem sie notirte, mit betrübtestem Ausdruck und gen Himmel blickend:

Ach! Kalekut – Hirschziemer – mit Salat – Kirschengratin – Gelée von Citronen und geschlagener Sahne mit Marasquino und Biscuits!

In diesem feierlichen Augenblicke, den nur das schadenfrohe Lächeln der Geheimräthin etwas profanirte, trat Franz herein und übergab der Ludmer einen Brief.

Durch das Gartenamt vom Schloß; sagte Jener. Der Geheimrath hatte ihn vergessen. Er ist schon heute früh abgegeben.

Die Ludmer betrachtete das Siegel und erbrach es. Der Brief war an sie gerichtet.

Die Geheimräthin fragte bei dieser Gelegenheit, wo Excellenz wäre?

Im Theater! hieß es.

Franz, dem dann nichts Weiteres geheißen wurde, ging und die Geheimräthin zog naserümpfend den Mund. Im Theater! sagte sie für sich. Er hat gewiß wieder ein kleines Verhältniß, das mit irgend einer moralischen Niederlage, wie im Möbelwagen, endigen wird! Die gute Lehre, die ihm Melanie gegeben, hat nicht lange gefruchtet. Eine wirkliche Schauspielerin wird es verstehen, ihm noch eine längere Nase zu drehen als diese Dilettantin in der Komödie.

Indem bemerkte Pauline, daß die Ludmer durch die Lectüre des eben empfangenen Briefes in große Aufregung versetzt war.

Was hast du? fragte sie, als die Ludmer die Brille abnahm und aus ihren schwarzen Augen einen stechenden, erstaunenden Blick auf sie richtete.

Das sind schöne Sachen! sagte die Ludmer. Lies!

Pauline nahm den Brief, dessen Äußeres etwas Unförmliches hatte und fast wie ein Dienstrapport aussah.

Von wem ist er denn? fragte sie.

Sieh nur! Das sind schöne Sachen!

Pauline sah zuerst auf die Unterschrift! Sie lautete »Mangold, königl. Garten-Inspektor«.

Ist Das wegen – fragte sie...

Wegen Augusten's! sagte die Ludmer und ging schon zornig im Zimmer auf und ab.

Pauline las:

Meine liebe Madame Ludmer! In meiner Jugend hab' ich so unter der Herrschaft meines Blutes gestanden, daß ich auf Vieh und Menschen zuschlug, wenn mir etwas zu tückisch und nicht nach meinem Willen entgegentrat. Für jede Beleidigung hatt' ich sogleich mit fünf Fingern einen Habedank! zur Hand. Das waren meine jungen Zeiten und aus den Händeln kam ich nicht heraus! Wie ich aber einmal eine Frau, die mich auf jede Weise chikanirte, die Frau meines Lehrherrn, eines Gärtners, in einem Zornanfall fast mit Füßen trat und vor der Rache ihres Mannes nicht entfloh, sondern ihn, weil er die böse Frau in Schutz nehmen wollte, mit der Peitsche durchhieb und dabei einem armen unschuldigen Kinde, das in der Nähe stand, ein Auge ausschlug, bin ich in mich gegangen und ein anderer Mensch geworden. Ich flüchtete jetzt und kam durch allerhand Irrwege nach Holland und England, wo ich die Gärtnerei im Großen studirte, die richtige Art der Parkanlagen, besonders aber Ruhe, Selbstbeherrschung und Mäßigung lernte. Nach meiner frühern Art glaub' ich wohl, daß ich in Ihrer Nähe, liebe Madame Ludmer, jetzt wieder einem Kinde zufällig ein Auge ausgeschlagen hätte; nach meiner jetzigen Art sag' ich Ihnen aber nur, daß es ein Irrthum von Ihrer Seite ist, liebe Madame Ludmer, wenn Sie geglaubt haben, daß ich zu dem verlornen Rufe Ihrer Nichte, Auguste Ludmer, wie zu einem Brunnen den Deckel hätte abgeben können. Ich frage nicht: Wie konnten Sie wagen, Frau, einem ehrlichen, unbescholtenen Manne zuzumuthen, eine Auguste Ludmer zu heirathen? Wie konnten Sie es wagen, auf meine Leichtgläubigkeit, Dummheit und von den Städten zurückgezogen lebende lebendige Einfalt hin, mir eine Partie vorzuschlagen, die ewig meine Ehre würde gebrandmarkt haben? Wie konnten Sie so hinterlistig Veranstaltungen treffen, um mich und meinen guten Namen in diese schändliche Falle zu locken? Ich sage das Alles nicht auf alte Art, weil ich... möglicherweise ein in der Nähe befindliches Kinderauge fürchte. Lassen Sie sich denn also mit der einfachen Nachricht genügen, daß ich jenes schöne und in vieler Hinsicht angenehme Mädchen vom Grund meiner Seele aus bedaure, daß ich selbst über einen gewissen Beweis menschlicher Schwäche und die Erbärmlichkeit eines gewissen herzlosen großen Künstlers in dummer Einfalt hinweggekommen wäre, allein die Wahrheiten, die ich sah, als mir ein Ehrenmann, Namens Dankmar Wildungen, auf dem Café Richter gestern die Schuppen von den Augen nahm; diesen Überfluß der Schande und des Elends kann ich in keinen Wald der Welt mitnehmen, in keinem Sansregret der Welt verbergen, das Laub würde darüber verderben und die Jahreszeiten könnten mir in Unordnung gerathen. Ich hab' es dem Mädchen noch am selben Abend in Ruhe gesagt. Ein alter Verehrer von ihr stand dabei. Eine schwarze Binde an seinem Auge erinnert zwar nicht an Amor, den blinden Gott der Liebe, aber er soll reich sein... er mag sie trösten! Sie sah mich starr an und lachte.. Da sie nichts erwidern konnte, sagt' ich ihr ein ruhiges Lebewohl und ging – wohin ich vor zwanzig Jahren nicht gegangen wäre, nicht zu Ihnen – sondern nach Hause, in mein Kämmerlein und dankte Gott, daß er mich vor ewiger und zeitlicher Gefahr behütet hat. Leben Sie wohl, Madame Ludmer, und suchen Sie sich andre Deckel für Ihre unsaubern Töpfe aus! Es gibt Viele, die so dumm sind wie ich und nicht sehen was darin ist. Aber es gibt nicht zuviel, die, wenn sie einmal gesehen haben, nicht gern dumm bleiben wollen... Ihr ergebenster u.s.w.

Madame Ludmer war von diesem Briefe sehr geärgert. Sie zerknitterte ihn, wie sie den Schreiber hätte zerknittern mögen. Ihre Gebieterin lachte fast und nahm die Sache leichter. Sie begriff nicht, warum ihre Führerin und langjährige, auch im Dienen nach Rafflard's Theorie herrschende Freundin sich über diesen Ausbruch einer gereizten Stimmung so aufregen konnte.

Wer ist nur dieser Alte mit der schwarzen Binde? sagte die Ludmer. Mit ihm ist sie arretirt worden – Rafflard erzählte uns, daß er nach einem Besuche im Gefängnisse diesen Engländer für einen der unternehmendsten und schlauesten Bösewichter halte, die jemals die Aufmerksamkeit der Behörden in Anspruch genommen hätten – wird sie nicht in Gemeinschaft mit einem solchen Beistand Alles unternehmen, um sich für diesen Affront, den ihr Mangold anthut, zu rächen? Seit sie in deinem Verehrer einen Menschen erkannte, den sie haßt, hat sie ja angefangen, uns empfindlicher als je zu quälen. Kann es mir recht sein, daß mein Name von ihr im Schmuz herumgezogen wird? Ist nicht selbst vorauszusehen, daß ihre nach Rache gierige Wuth sich allmälig bis in die Erinnerungen ihrer Kindheit zurückwühlt und mit Hülfe männlichen Beistandes bis zu den Tagen ankommt, wo wir in Bielau, wie du weißt...

Schweige doch! rief Pauline und richtete sich nun groß und lang auf. Welche düstern Phantasieen! Ist es das Wetter, das dich so aufregt oder was? Ängstigen dich die Kastanien, die im Regen draußen von den Bäumen platzen? Der Brief soll uns nicht gleichgültig sein. Ich erstaune sogar, wieder den Namen Dankmar Wildungen, den jungen Mann, der jetzt soviel Aufsehen erregt, in Angelegenheiten genannt zu sehen, die mich berühren. Ich wünschte, Stromer beruhigte mich über diesen wie es scheint gefährlichen Charakter, der so sonderbar immer in der Nähe von Dingen ist, die sich auf uns beziehen – Was Stromer lange bleibt! Es ist bald sieben! Laß diese Grillen! Denke, wie glücklich die Angelegenheit mit den Denkwürdigkeiten Amanden's abgelaufen ist. Wir erwarteten Rache, Verleumdung, Wahrheit sogar. Und was fanden wir? Die mächtigste Waffe in der Hand Dessen, der den Muth nicht verliert! Wenn ich einst diese Waffe schwänge – wenn ich diese Memoiren hingäbe und sagte: Da! Les't sie! Ich weiß, es sind Dinge darin, die auch mich vernichten würden, aber ich hätte die triumphirende Genugthuung, daß in meinen Sturz ich eine allgemeine Verwirrung hineinzöge und Die, die mich gedemüthigt glaubten, vielleicht selbst ihr Haupt nie wieder erheben könnten.

In dem Augenblicke meldete Franz Herrn Guido Stromer... Doktor Stromer, nicht mehr Pfarrer Stromer.

Soll willkommen sein! sagte Pauline.

Die Ludmer hielt Franz zurück...

Noch ein Wort! Franz... Sie besann sich und wie einen Entschluß fassend sagte sie: Was ist für Wetter?

Die Bäume triefen wie Regenschirme!

Wie nasse, willst du sagen, meinte die Ludmer. Nimm zwei trockne, Franz, du mußt sogleich in die Stadt...

Könnte nicht Ernst... sagte Franz verdrießlich. Der Doktor ist in einer Droschke gekommen.

Ernst oder Franz, polterte die Alte, die wol einmal, aber nie zwei mal schmeichelte; Einer geht sogleich nach der Königsstraße und erkundigt sich, was sie treibt! Ob sie wieder mit dem Manne in der schwarzen Binde gesehen wird, wie damals auf der Fortuna oder...

Sie geht mit Mangold –

Mit Mangold ist's nichts mehr! Franz... geh' selber zu ihr... Mangold ist dahintergekommen. Sie ist bösartig gegen Euch! Ernst hat nicht Muth genug. Geh' Fränzchen!

Franz, so cajolirt, sagte, er wollte selbst gehen. Die Geheimräthin lobte ihn für seinen Eifer. Die Ludmer knitterte ihren Brief zusammen, nahm den Bleistift und ihre culinarischen Notizen und entfernte sich durch das Schlafzimmer und das hintere Boudoir, um einige Anstalten für den Thee zu treffen... Diejenigen Bedienten, die sich treu erwiesen, hatten es gut in diesem Hause.

Guido Stromer war seit einigen Wochen schon fast der tägliche Hausfreund der Geheimräthin von Harder. Er verdankte seine Einführung dem Justizrath Schlurck und einem artigen Schutzbriefe, mit dem ihn Melanie selbst empfohlen hatte. Melanie hatte gesagt: Hier ist ein Mann, gnädige Frau, der in die Residenz kommt und nach Geist dürstet! Er hat die Thorheit, diese Quelle in meiner Nähe zu suchen und schöpft und schöpft und schöpft vergebens. Ich hab' ihm gesagt, ich will ihm den rechten Waldgrund zeigen, wo es in der Tiefe mächtig rauscht und siedet und gährt und siehe! so kommt er zu Ihnen.

Seitdem hatten Guido Stromer's Aufsätze im »Jahrhundert«, einer großen, einflußreichen Zeitung, schon Manchem gefallen. Zwar hatte man ihm für seine etwas verworrenen Anschauungen erst nur noch das untere Stockwerk, das Feuilleton, eingeräumt, allein für andre Leser, wie Pauline, war Dies gerade eine Auszeichnung. Man sprach allgemein davon, ob Guido Stromer nicht steigen, in die politischen Spalten avanciren würde, aber es fehlte ihm noch die Grundlage positiver Thatsachen, wie er's nannte, Kenntnisse, wie Dankmar es genannt haben würde. Er war reich in Principien, arm in praktischen Fingerzeigen. Zufällig waren unter den Eigenthümern des »Jahrhunderts« Differenzen entstanden, die sich am Besten ausgleichen ließen, wenn irgend eine bedeutende politische Macht etwas daran wagen und das Blatt kaufen wollte. Guido Stromer interessirte Paulinen für diese Idee. Ein Blatt zu haben, ohne daß man ihr dies Eigenthum, das auf einen andern Namen geschrieben werden mußte, nachweisen konnte, jeden Morgen eine Parole austheilen, jeden Abend in der Welt seine sichere Wirkung zu haben, abweisen, annehmen, voraussehen, drohen, belohnen, etwas wissen zu können, was Andere nicht wußten... sie war entzückt von diesem Plane und hatte dafür nur Stromern, Heinrichson und die Ludmer zu Vertrauten. Heinrichson versprach ihr, über die künstlerischen Bestrebungen so viel geheimes Material zu geben, daß sie im Feuilleton unter einem angenommenen Namen selbst als eine feine Kennerin der Kunst auftreten konnte. Sie schwelgte in dem Gedanken, über die öffentliche Meinung eine Herrschaft zu gewinnen, die ihr einen Ersatz für die »kleinen Cirkel« bieten sollte, von denen sie mit so hartnäckiger Consequenz ausgeschlossen blieb.

Guido Stromer trat ein, wie immer mit dem Bewußtsein, in welchem Goethe seinen Tasso sagen läßt: Und wie der Mensch nur sagen kann: Hier bin ich! Daß Freunde seiner schonend sich erfreun; so kann ich auch nur sagen: Nimm mich hin!

Er idealisirte sich nämlich von Tage zu Tage mehr. Der Blick seines Auges wurde immer freier und strahlender, die Art, den Kopf auf seinen Schultern zu heben, wurde beweglicher, sein ganzes Wesen erschien wie elektrisirt und im ganzen Gehaben fast überreizt. Eine gewisse Pedanterie war dabei freilich nicht zu vertilgen. Die mangelnde feinere Erziehung, die ihm Fürstin Amanda, die auf den innern geistigen Kern blickte, völlig nachsah, war durch feinere Wäsche und eine wie aus einem Handbuche studirte Eleganz nicht zu verdecken. Die Grazien waren in seiner Nähe, aber sie neckten ihn nur, sie spielten mit ihm Versteckens, sie wohnten nicht in ihm selbst. Dieser feine Kopf aß jetzt an vielen vornehmen Tafeln, aber er wiegte sich so sonderbar in diesen Genüssen, athmete so den Duft seiner Einladungen ein und aus, wiederholte so sehr Alles, was ihm begegnete, in der Erzählung sprach er so geräuschvoll und nachdrücklich, daß das ganze persönliche Interesse, das Pauline an diesem so urplötzlich aufgetauchten Autor genommen hatte, dazu gehörte, um durch ihn in ihren Nerven nicht empfindlich gestört und verletzt zu werden.

Meine gnädige Frau, sagte Guido Stromer, gleich im Eintreten, während er Paulinen die Hand küßte, ich komme in Sturm und Regen und muß in weiter Ferne von Ihnen bleiben, denn ich bringe eine Atmosphäre mit, die leicht den Katarrh nach sich zieht.

Nun, bester Freund, begrüßte ihn Pauline und bat ihn Platz zu nehmen, wo es seiner diätetischen Sorgfalt für ihre Gesundheit nur beliebe. Was bringen Sie über das »Jahrhundert«?

Vor allen Dingen die heutige Nummer! sagte Stromer, griff in den neuen schwarzen Frack, dessen Hyper-Modernität ihm beinahe komisch stand und breitete das von der Druckerei noch nasse Blatt aus, das Pauline gierig ergriff und durchflog.

Im Büreau war ich nicht, fuhr Stromer fort, nachdem Pauline sich etwas orientirt hatte... denn zu sprechen, während Jemand etwas vielleicht – von ihm las, dazu war er zu – taktvoll... Das Büreau ist zu entlegen. Einem kleinen Mädchen kauft' ich es an einer Straßenecke ab. Das Kind stand im Regen da wie der zitternde Strauch auf einsamer Heide... Ich weiß, Ihr Exemplar kommt erst später.

Schröpfer war da! warf Pauline im Lesen und blätternd fast neckisch und wie zur Anregung hinein.

Ah, gnädige Frau, sagte Stromer, ich wußte es, ich hab' ihn selbst gesprochen. Die Sosier sind keine Freunde der Aktienunternehmungen, welche Zeitungen stiften. Auch die kleinen Buchhändler auf der Straße sollen weggeschnappt werden. Kind! fragt' ich das kleine Mädchen, das die Blätter feil bot, liest du denn schon und verstehst du auch, was du verkaufest? Meine Schwester erzählt es uns manchmal; sagte das Kind. Hast du eine Schwester, kleine Proletarierin? fragt' ich. Welchen Schriftsteller liebt sie denn am liebsten in dem Blatt, das du da verkaufst?... Stromer hielt inne; denn die Geheimräthin war so vertieft, daß sie sowol sein Bild von dem auf der Haide im Sturme fröstelnden Strauche, wie seine Unterredung mit der kleinen Line Eisold überhört hatte. Er wartete, bis sie sich gesammelt hatte.

Ah, sagte sie dann und blickte zu Stromer, um ihn zum Weiterreden zu ermuntern.

Denken sie sich, gnädige Frau, fuhr dieser fort, wie man populair wird! Und dein Ruhm wird ertönen auf der lauten Gasse! Jesaias würde mich beneidet haben, wenn er Das gehört hätte. Wohl weiß ich, daß auf der Gasse nicht blos Glocken tönen, sondern auch Schellen klingeln und alte Töpfe krachen, die man in Scherben zerwirft, aber auch ein solcher Polterabendruhm klingt einem Ohre süß, das bestimmt schien, nur im Umkreise eines ländlichen Nachtwächterhornes seinen Namen bekannt zu wissen.

Im Umkreise eines ländlichen Nachtwächterhornes! wiederholte das Bild anerkennend Pauline, indem sie weiter blätterte und nicht ganz bei der Sache war. Wovon sprachen Sie denn?

Diese kleine fliegende Buchhändlerin sagte mir, der liebste Schriftsteller, von dem ihre Schwester sich etwas abschriebe, wäre ihnen Guido Stromer! Gnädige Frau, Das so zu hören im Sturme eines nassen Herbstabendes, an einer Straßenecke unter Wagengerassel, wie Macbeth sein Schicksal am Wege von den Hexen zugerufen bekommt. Poesie mitten in der Alltäglichkeit!

Nun erst sammelte sich Pauline von Harder. Sie hatte das Blatt durchflogen, sich über den Stand der Parteien orientirt, die neuesten telegraphischen Depeschen gelesen, einige kleine durch Stromer besorgte Notizen von eigener Hand gefunden... nun erst hörte sie halb, was Guido Stromer sprach und fragte:

Also was sagte Schröpfer? Merkte er unsere Absicht?

Guido Stromer war doch stark betroffen, daß die gnädige Beschützerin seiner Zwischenreden so wenig Acht gehabt hatte. Er hatte in solchen Fällen die Gewohnheit, den Ton ganz leise einzusetzen und mit gezogener Empfindlichkeit und einem gleichsam nur seinem eigenen Genius genugthuenden gelinden Strafverfahren so wie hier zu wiederholen:

Was.. Herr.. Schröpfer.. gesagt... hat?

Ja, Sie sprachen doch...

Wohl! sagte Stromer seufzend und gelassen, wie ein angeschmiedeter Prometheus; wohl! Frau von Harder will zur Literatur zurückkehren, sagte der edle Sosier, sie will vielleicht ein Blatt begründen! Aber vom »Jahrhundert« war keine Rede.

Ah! Ich habe mir, begann Pauline die Arme übereinander schlagend und den einen Fuß auf ihr Sopha legend, ich habe mir Mancherlei von den Einrichtungen einer solchen Unternehmung erzählen lassen, von Druck, Papier, Versendung, Abonnentenzahl und dergleichen mehr. Ich glaube, daß die dreitausend Abnehmer des »Jahrhunderts« ungefähr nach allem Kostenabzuge einem Capitale von 10.000 Thalern gleich kommen.

Höher nicht? fragte Stromer, der wie alle überfliegenden und haltlosen Naturen auch in solchen praktischen Verhältnissen von dem Werthe der eigenen Thätigkeit chimärische Begriffe hatte.

Finden Sie die Summe so unbedeutend?

Das Capital ist bedeutend. Die Rente klein... antwortete Stromer, und eigentlich müssen wir hinzufügen, daß ihm Capital und Rente neue Begriffe waren, die er nicht ohne einige Genugthuung seinem bisherigen üblichen Sprachgebrauche einverleibt hatte.

Es ist mir nicht um die Rente, sagte Pauline, die in Geldsachen geläufigere Praxis hatte, sondern um den Einfluß, um die Unterhaltung und manchen nützlichen Gedanken, der sich wird fördern lassen. Durch wen besorgen wir nur den Kauf? Wer leiht seinen Namen her, um den unsrigen zu decken?

Ich habe an Herrn Schlurck gedacht... meinte Stromer.

O sehr gut! Schlurck! Er ist...

Doch zuverlässig?

Wie Gold! Aber... seit der Hohenberger neuen Generalpacht scheint er mir etwas en décadence.

In der That? Man speist doch bei ihm wie bei einem Lucullus.

Seine verlorene Curatel der Hohenbergischen Güter hat ihm in der großen Welt geschadet. Es ist erstaunlich, wie ansteckend das Glück und wie noch ansteckender das Unglück ist. Beim Glücklichen versucht sich Jeder, den Unglücklichen flieht man. Das soll mich aber nicht veranlassen, diese Thorheit mitzumachen. Ich will Schlurck bestimmen, das »Jahrhundert« für meine Rechnung anzukaufen...

Indem trat die Ludmer ein, hinter ihr folgte sehr bald Ernst mit dem Theeservice... Stromer hörte das Klappern von Tassen schon seit Jahren außerordentlich gern. Es wurde ihm dann immer so behaglich, daß er sogleich anfing, Streckverse über das Sieden eines Theetopfes, über das Singen eines gebundenen Wassergeistes und den angenehmen Zusammenhang zwischen einem kalten Septemberabend und einer Tasse braunen Peccothees zu jeanpaulisiren, wobei er nicht fürchtete, sich zu wiederholen. Er hatte ähnliche Empfindungen an dieser Stätte schon mehrfach ausgesprochen, sprach sie aber heute wieder aus...

Die Ludmer hatte seit Jahren ein Zeichen, das ihr sagte, ob sie ein tête-à-tête oder eine größere Gesellschaft der Geheimräthin durch ihre Anwesenheit störte oder nicht. Fand sie das feine battistene Taschentuch Paulinen's in ihrer linken Hand, so durfte sie bleiben; fand sie es in der rechten, so hatte die Gebieterin Ursache, ihre Entfernung zu wünschen. Da sie das Taschentuch heute in der linken bemerkte, so blieb die Ludmer und sorgte für den Thee, scheinbar dem Gespräche nicht folgend und doch sehr bei ihm interessirt. Denn sie war keine Freundin der literarischen Bestrebungen Paulinen's. Sie fand in dem Umgange mit Schriftstellern nichts ihrer Würdiges. Sie hatte auch Scharfsinn genug, sich zu vergegenwärtigen, daß diese Art von geistiger Thätigkeit zuletzt eine Unsumme von Verlegenheiten bereitet und sie wußte dann, was die nächsten Umgebungen der Geheimräthin zu leiden hatten, wenn die Schwierigkeiten wuchsen und sich alle Ausgänge verstopften und die Rückzüge sich versperrt fanden. Sie bereitete den Thee, schwieg, hörte aber mit scharfem Ohr auf jedes Wort, das hier gesprochen wurde.

Man erörterte die Stellung, die künftig das »Jahrhundert« in den Fragen der Zeit, dem Wirrwarr der Parteien einnehmen sollte. Pauline tadelte die schwankende bisherige Haltung dieses Blattes, das zwar sehr leserliche, aber wenig entschlossene Artikel brächte.

Irgend etwas muß gesagt werden, erklärte sie. Die Artikel müssen auf eine gewisse Pointe zurückkommen. Jeder Gedanke muß seine eigenthümliche Spitze haben. Werdeck müssen Sie versuchen für die Artikel über Militairreform zu gewinnen, Justus, den Heidekrüger, für gutsherrliche und bäuerliche Verhältnisse, Schlurck kennt die Mängel unsres Gerichtsverfahrens, Gelbsattel ist sehr verstimmt, sehr, sehr, der Hof nimmt keine Rücksicht mehr auf die alte Tonangabe, die man ihm in früheren Zeiten gestattet hatte; das Alles sind Elemente, die Sie gewinnen müssen und woraus man eine Zeitschrift für Misvergnügte bilden kann. Glauben Sie mir, die würde großen Anklang finden!

Stromer nippte an seinem Thee und brockte Zwieback. Wenn er aufrichtig war, mußte er sich gestehen, daß er in keiner Weise für solche Unternehmungen der Mann war. Es fehlte ihm jede Unterordnung unter fremde Denkweise. So sehr er eine Aufgabe daraus machte, alle Menschen in ihrer Art gelten zu lassen, so war es ihm dabei doch nur um eine gewisse Kunst der Charakteristik und den Schein der politischen Milde zu thun. Zu objectiven Wahrheiten vollends wußte er sich nicht zu erheben.

Dürft' ich nicht eine Ansicht äußern, gnädige Frau? sagte er jetzt in seiner alten Art, die wir von Hohenberg kennen, in jenem leisen, vorbereitenden, die Aufmerksamkeit erzwingenden Piano.

Sprechen Sie! sagte die Geheimräthin.

Die Ludmer horchte.

Ich gestehe doch aufrichtig, sagte Stromer, daß ich mir eigentlich gedacht habe, ob man nicht in dem »Jahrhundert« jede Parteiung umgehen könnte. Wo man hinhört, wird der Haß gepredigt. Wenn nun einmal Einer aufstünde und das Evangelium der Liebe predigte? Ich verlange Schonung für jede Ansicht, unter der Bedingung, daß sie sich nur geistig ankündigt.

Ah! Ah! rief Pauline ablehnend. Sie fallen in den Ton zurück, der meiner guten Freundin, der Fürstin Amanda, so sympathisch war! Unsere Zeit verlangt Farbe.

Sagen Sie Das nicht so entschieden, gnädige Frau! Unsere Zeit verlangt den Regenbogen des Friedens... Und im Regenbogen sind alle Farben vereinigt.

Gelb und Roth herrschen vor. Krieg! Krieg! Bester Pfarrer!

Für unser Auge, für unsere dunstige Atmosphäre, gelb und roth. Aber an klaren Tagen sieht man mehr das Roth und Grün hervorstechen...

Ohne eine Partei, ohne eine Gesinnung hält sich keine Zeitung! Nein, nein, Stromer!

O fern sei es von mir, zu sagen, flüsterte Stromer erregter, daß ich keine Gesinnung hätte! Das aber eben ist meine Gesinnung, daß ich die Extreme verabscheue. Nur der Willkür und der Gedankenlosigkeit wollen wir den Krieg erklären, Das aber, was sich in einer Form der Schönheit und einer gewissen individuellen Nothwendigkeit ankündigt, Das müssen wir gelten lassen, wenigstens eine Zeitlang prüfen. Vom Berge Sinai kommt der Bote des Herrn, der Gesetzgeber seines Volkes. Wie er aus den Wolken tritt, siehe da! sein Herz ist bekümmert. Sein Volk tanzt um ein güldenes Kalb. Der Gott, den ihnen Moses aus den Wolken bringen sollte, zögerte ihnen zu lange. Sie zwingen Aaron, ein güldenes Kalb zu gießen, das sie faute de mieux ihren Gott nennen. Moses, voll Entrüstung, nimmt die Tafeln des geschriebenen Gesetzes, das er mit sich herunterbringt, und wirft sie nach dem Götzenbilde. Die Tafeln zerspringen und alles Volk eilt herbei, die Scherben zu sammeln. Jeder hat nun einen Theil der Wahrheit, Jeder hat nun ein Stück des Gesetzes und jetzt bedarf es der Mäßigung, Ruhe, der Verständigung, um die Scherben wieder aneinander zu setzen und aus den Trümmern wieder des Herrn lebendiges Wort zur Auferstehung zu bringen.

O das ist ein Mythe! rief Pauline. Das ist sehr poetisch, Pfarrer! Ein solches Gleichniß an die Spitze des Jahrhunderts gestellt, als Einleitung des neuen Programmes – als Ankündigung kann Das Glück machen; aber...

Dennoch fühl' ich, fuhr Stromer fort, daß wir im Vorhofe solcher Allgemeinheiten nicht dürfen stehen bleiben. Ja wir müssen uns an die Thatsachen wagen. Aber noch heute nahm ich Veranlassung, zu Gelbsattel zu sagen: Warum streiten wir nur über die Frage, wer regieren soll? Ist es erhört, daß unsere Zeit den Königen nur das Regieren überhaupt zu- oder abspricht und Niemand denkt mehr daran, wie regiert werden soll? Das Schiff fährt dahin über die Wogen. Der Mann am Steuerruder lenkt seine Bewegung. Er hat doch ein Ziel! Er hat doch entweder nach Kolchis zu segeln, um das goldene Vließ zu holen oder er trägt schon eine Beute und will zurück zu der Heimat Strand. Einst gab es Könige, die nicht an's Regieren überhaupt dachten, sondern nur daran, daß sie gut und groß regierten. Ihr Minister und Volkshäupter streitet über das Regieren. Wer regiert! Ei, so halte dich nicht auf, du Mückenseiher, ei so tummle dich doch in der Bahn und zanke nicht, wie sie gezogen sein soll! Ich will regieren, sagt der Fürst. Regiere nur! Aber rasch, groß, bedeutsam! Was ist Das für ein Staatenleben, wo es immerdar nur heißt: Wir leben in einer Maschine, wo das Recht des ersten Druckes Dem, das Recht des Gegendruckes Dem gebührt! Ist der Staat ein wiederkäuend Thier, ein jämmerlicher Selbstzweck? Sind die Könige nur da, um Könige zu sein? Mein Seherauge lehrt mich aus meinem Scherben am Fuße des Sinai eine tiefe Wahrheit enträthseln. Ich lese etwas von dem Satze in der ewigen Offenbarung: Die Könige regieren! Aber sie sollen regieren, gut, weise, groß und schaffend! Sie sollen regieren nicht um der Ewigkeit ihres Stammes, sondern um dessen Zeitlichkeit willen! Sie sollen regieren, um die Völker reif zu machen, sich selbst zu regieren! Die Könige sind die einzigen berufenen legitimen Apostel der Republik.

Vortrefflich! rief Pauline und reichte dem geschickten Gedanken-Eskamoteur, diesmal im Style von Hamann, die Hand, daß er sie ergriff und küßte.

So weit ihr Verstand reichte, war ihr Das neu und im Grunde nicht sehr gefährlich. Es nützte allen Parteien.

Was sagte Gelbsattel? fragte sie dringend, zum Entsetzen der alten Ludmer, die über die Art, wie ihre Freundin auf ihre alten Tage da so in der Politik schwamm und plätscherte, in Verzweiflung gerieth und sich nur helfen konnte, indem sie an die Zubereitung der Schüssel: Filet von Seezungen à la maitre d'hotel dachte.

Er ist verdrießlich, antwortete Stromer, Gelbsattel ist verstimmt, hat häusliches Leid, er mag nichts Neues mehr denken. Der alte Apparat, der so viele Jahre bei ihm gehalten hat, ist ihm zu bequem geworden. Paßt eine neue Denkform nicht in diese alten Modelle seiner Dialektik hinein, so weiß er nicht mehr viel mit ihr anzufangen und hat gleich seine Bezeichnungen wie: Unpraktisch! Mystisch! Naturphilosophisch! zur Hand und glaubt die Sache damit abgethan. Wenn ich noch erwähne, daß ihn der berühmte Proceß wegen der Johannitererbschaft verdrießlich stimmt, so thu' ich Das mit Bedacht, weil ich dadurch veranlaßt werde, noch einer möglichen Verbesserung unseres »Jahrhunderts« zu gedenken. Sie kennen Dankmar Wildungen, gnäd'ge Frau?

Nur dem Namen nach! antwortete Pauline gespannt und die Ludmer horchte auf.

Dieser junge Mann, fuhr Stromer fort, interessirt alle Welt. Wo man ihn sieht, zeigt man nach ihm und Viele wetten, daß er den merkwürdigen Proceß gewinnen wird –

In der That?

Schlurck, Gelbsattel, sind nicht umsonst so verstimmt; das Ministerium verfolgt die Schritte der Gebrüder Wildungen nicht umsonst mit so scharfem Auge – ist doch sogar eine Haussuchung bei ihnen vorgenommen.

Die Ludmer und Pauline schlugen die Augen nieder.

Ich lernte Dankmar, sagte Stromer, in Hohenberg kennen. Man hielt ihn für den Prinzen Egon und durfte es, wenn Unternehmungslust, Feuer, edle Haltung von dem Wesen einer in der Gesellschaft hervorragenden Erscheinung unzertrennbar sind. Ich nahm schon damals an ihm Interesse und habe kürzlich, vorgestern, an einem öffentlichen Orte, auf's neue seinen Scharfsinn, seine hervorstechende Eigenthümlichkeit bewundert.

Vorgestern? fragte Pauline lächelnd. Im Café Richter?

Woher wissen Sie –

Wir sind allwissend, lieber Stromer.

In der That! Es war acht Uhr. Wildungen sprach lange in einem einsamen entlegenen Zimmer mit einem mir unbekannten Manne...

Mit röthlichem Bart? In grünen Kleidern?

Wohl! Wohl! Ei!

Fahren Sie fort...

Ich habe nichts zu sagen, als daß er nach der lebhaften Unterhaltung mit diesem Manne, der sich bieder, doch in großer Aufregung ihm die Hand schüttelnd, bald entfernte, in die besuchteren Zimmer kam und so angeregt war, so sprühend und lebendig sich über die Angelegenheiten des Tages äußerte, daß ich die alte Bekanntschaft mit ihm gern erneuerte und ihn veranlaßte, sich gleichfalls dem neuen Aufschwunge des »Jahrhunderts« zu widmen.

Mein Freund, rief Pauline entzückt. Sie werden praktisch!

Die Ludmer sah auf Pauline bedeutungsvoll ängstlich hinüber, doch nahm diese keine Notiz.

Was antwortete er? fragte sie.

Es gab erst ein Misverständniß. Er sagte, dem Jahrhundert leb' ich wohl und möcht' es aus seinen Angeln heben; ich fühle alle Schmerzen der Zeit und ringe, sie zu heilen. Da kam die Aufklärung, daß nur von der Zeitung die Rede war. Er lächelte, schien aber völlig bereit, ganz einverstanden und theilte mir offen mit, daß er bis zur Erledigung seines Processes sich durch literarische Arbeiten die Existenz fristen müsse, ohne darum mit Goethe zu sagen: Wer nie sein Brot in Thränen aß... ich fand einen Charakter, einen Mann in ihm.

Die Ludmer rümpfte die Nase, als wollte sie sagen: Welch' ein Umgang! Nichts als Lumpen!

Die Geheimräthin aber, in dem Zuge, in dem sie nun einmal war und der Tage gedenkend, wo sie einen Heinrich Rodewald liebte, von dem sie oft sagte: Titan, du spielst mit der Weltkugel Fangball! rief:

Fahren Sie fort! Fahren Sie fort!

Und nun, fuhr Stromer fort, kam ein Vorschlag Wildungen's zur Sprache, über den ich doch erst die Ansicht meiner verehrten Gönnerin vernehmen muß. Der junge, leidenschaftliche und von allen Verhältnissen unterrichtete Advokat machte mich darauf aufmerksam, daß der ihm, wie doch auch mir so nahestehende Prinz Egon sicherlich eine bedeutende politische Rolle spielen würde. Der an drei Orten gewählte Volksmann Justus hätte sich sogleich erboten, die Wahl des ihm benachbarten Prinzen für einen der Wahlorte, den er refüsiren müsse, zu beantragen und man könne gewiß sein, daß nun Prinz Egon von Hohenberg in die Kammer träte. Er wäre von einer seltenen politischen Reife, besäße Kenntnisse, außerordentlich neue und befruchtende Grundgedanken und wenn man ihm noch den Nachdruck gäbe, daß er eine Partei bilden dürfe, daß er eine Zeitung, immerhin das »Jahrhundert«, zur Verfügung bekommen könnte...

Hier brach Stromer ab, denn die Geheimräthin schien in der größten Aufregung. Schon seitdem Dankmar Wildungen genannt war, fingen ihre Gedankenräder sozusagen zu schnurren an. Die Ludmer hatte dafür ein außerordentlich feines Ohr. Sie kannte Paulinen, wie sie grübelte und kombinirte, wie sie der Zerstreuung, Anlehnung an lebendige Naturen bedurfte, wie sie ihr Ohr an das Sausen und Brausen der Zeit zu legen liebte. Als aber Egon genannt wurde und sie ihr Lächeln, ihre Spannung, ihr Interesse bemerkte, hätte sie mit irgend einem andern Gegenstande das Gespräch unterbrechen mögen und wäre es das Niederwerfen der Tassen gewesen. Eben wollte sie wenigstens in die Verwunderung der Geheimräthin persönlich miteinstimmen, als diese in ihrer Unruhe sich von der kalten, nur horchenden, nur ihre Glut dämpfenden Horcherin so belästigt fühlte, daß sie das Taschentuch mit Entschiedenheit aus der linken in die rechte Hand warf und diese rechte Hand weit über den Tisch streckte. Das war das ominöse Zeichen! Ein Signal, daß sich die Ludmer entfernen sollte! Mit welchem Widerstreben ging sie! Mit welchem durchbohrend warnend Blicke! Nun sollte sie gehen! Jetzt! Jetzt, wo vielleicht eine furchtbare Thorheit eingefädelt wurde, eine Quelle bittrer namenloser Reue angebohrt für eine nur noch kurze Zukunft, jetzt...

Aber... sie ging.

Als die Geheimräthin und Stromer allein waren, sagte jene:

Ich freue mich, Stromer, daß Sie so praktisch werden und so ernste Anstalten für unsre gemeinschaftliche Sache treffen. Allein mit Prinz Egon hat es seine Bedenklichkeiten. Ich schätze sein Verdienst. Nach Dem, was ihm in Solitüde begegnete, sind Aller Augen auf ihn gerichtet. Aber ich habe keine Beziehung zu ihm, und wenn eine Beziehung, schwerlich eine günstige.

Ich war darauf vorbereitet und habe deshalb Sorge getragen, mich genauer zu unterrichten; antwortete Stromer, der die Verfeindung zwischen Pauline und Egon's Mutter kannte und einst in Hohenberg dem Geheimrath von Harder die Ursachen derselben bitter genug angedeutet hatte.

Sie haben mich doch nicht schon genannt? unterbrach Pauline die etwas verlegen stockende Rede.

Gnädigste! Was denken Sie von mir! Ich bin ein Neuling in dieser papiernen Welt, aber nicht in der wirklichen. Vollends weiß ich, daß Sie mit dem Prinzen gespannt sein müssen...

Mit ihm? Warum mit ihm? Mit seiner Mutter war ich's. Warum mit ihm?

So rasch gehen Sie über die Empfindungen eines Sohnes hinweg? Ich muß leider der Wahrheit gemäß berichten, daß ich mir selbst manchmal, wenn ich hier bei Ihnen sitze, wie ein Mensch vorkomme, der sich als seinen eigenen Antipoden fühlt. Die Fürstin würdigte mich derselben Theilnahme wie Sie, gnädige Frau und bei allem milden Sinne Amanden's muß ich gestehen –

Daß sie mich haßte?

Ich kenne die Veranlassungen nicht und fürchte, daß sie die Abneigung auf den Sohn vererbte.

Haben Sie davon Proben?

Da ich vorgestern von Wildungen eine so beachtenswerthe Idee empfing, war ich heute in der Frühe beim Prinzen. Ich wollte discret sein und war es. Er empfing mich nicht freundlich. Er hat seinen alten Lehrer Rudhard wiedergefunden, drüben bei der Fürstin Wäsämskoi...

Ich kenne den Alten – seine neugierigen Blicke auf mein Fenster belästigen mich genug – nun? Nun?

Die Folge dieses Wiedersehens sind Erinnerungen an die alten Zeiten gewesen. Ich konnte den Prinzen nicht in einen irgend wärmeren Ton gegen mich bringen. Wie sehr muß mich Das bekümmern, wenn ich daran denke, daß mein Urlaub von ihm abhängt, daß er die Wahl eines zeitweiligen Stellvertreters, den ich in einem jungen Manne, Namens Oleander, gefunden zu haben glaube, zu billigen hat! Heute tadelte er die Entfernung von meiner Familie; er verrieth in jedem Worte, daß Rudhard's strenger und unromantischer Rigorismus ihm wieder nahegekommen war. Er fragte dann nach meinem Umgang. Ich nannte aufrichtig Sie, gnäd'ge Frau. Ich wollte hören, was sich da für ein Widerhall von seinem Herzen würde vernehmen lassen. Ich gestehe Ihnen, es war der rauheste! Lächeln Sie nicht, gnädige Frau... er sprach in Drohungen gegen Sie –

Fahren Sie nur fort! antwortete Pauline gespannt und sehr ruhig.

Er sagte mir, er wisse, daß Sie ihm eine Feindin wären, seit er auf der Welt wäre –

Seit er auf der Welt ist? Da hat er Recht! sagte Pauline träumerisch, doch kalt.

Rudhard, fuhr er fort, hätte ihn auf's neue gewarnt...

Rudhard?

Dem alten Freunde seines Hauses wäre es gelungen, schlimme Dinge zu entdecken, die Sie gegen ihn unternommen hätten –

Ich gegen Egon?

Wohl verschweige ihm sein väterlicher Freund und Führer Manches, was ihm auf dem Herzen läge, aber es käme gewiß zum Vorschein, wenn erst zwischen ihm und diesem Edlen Alles klar und rein gelichtet wäre – noch lägen zuviel der Wolken zwischen ihnen –

Helene d'Azimont eine Wolke? Hoffentlich eine rosige Wolke!

Gnädige Frau, ich war nicht im Stande, die Saite länger zu berühren. Ich ergriff ein auf dem Tische liegendes Exemplar der Nachfolge Christi von Thomas a Kempis. Er sagte mir, daß er dies Buch liebgewonnen hätte, es wäre eine Erbschaft seiner Mutter. Ich entgegnete, um ein harmloses Gespräch zu beginnen: Durchlaucht irren wohl! Ich kenne alle Ausgaben dieses lieblichen Buches, die die selige Fürstin besaß, alle! Dies Exemplar war aber nie in ihrer Bibliothek! Ich glaub' es wohl, sagte er, daß Sie dies nicht kannten. Es befand sich hinter jenem Bilde! Damit zeigte er auf ein Pastellgemälde der seligen Fürstin in Medaillonform –

Pauline war schon längst erblaßt... ihre Lippen öffneten sich und blieben starr und unbeweglich stehen. Dann hauchte sie so hin:

In jenem Bilde...

Befand sich, behauptete der Fürst, fuhr Stromer, dem diese Unruhe und Änderung der Stimmung nicht besonders auffiel, fort, eine Verlassenschaft seiner Mutter, auf die sie ihn kurz vor ihrem Tode aufmerksam gemacht hätte. Er hätte Mittheilungen, Ermahnungen, Denkwürdigkeiten gehofft. Sein ganzes Leben hätte sich auf dieses Bild bezogen. Er hätte seine Ehre, Alles dafür gewagt und jenes Bild hätte dies Buch von der Nachfolge Christi enthalten. Er wollte mich mit Vorwürfen überhäufen, daß ich das Irrlicht seiner Mutter gewesen wäre. Ich drängte auf einen andern Gegenstand. Indem hatt' ich das Exemplar wieder angesehen und mußte ihm sagen – Durchlaucht –

Nun Durchlaucht?

Stromer horchte...

In dem Augenblicke, als Pauline auf's Äußerste gespannt, auf Stromer's Erzählung harrte, vernahm man einen rasch anfahrenden Wagen, der auf dem vom Regen knirschenden Kieselsande dicht vor dem Portale zu halten schien.

Sie bekommen Besuch, gnädige Frau? sagte Stromer, sich unterbrechend.

Nein, nein. Was sagten Sie dem Prinzen?

Durchlaucht, sagt' ich, das ist ja ein sonderbarer Vorfall! Diese Ausgabe des Thomas a Kempis ist niemals auch nur berührt worden von der Hand der seligen Fürstin; denn überzeugen Sie sich selbst, hier auf dem Titelblatt – Aber Sie bekommen Besuch!

An der äußern Glocke wurde eben außerordentlich stark geschellt.

Pauline, von Stromer's Erzählung auf's Äußerste gespannt, jede Unterbrechung verwünschend, war aufgestanden und wollte klingeln, um zu sagen, daß sie Niemanden empfange.

Aber sie war so begierig auf Stromer's Erzählung, daß sie selbst diese Weisung an ihre Diener nicht ausrichten mochte, sondern nur sagte:

Und? Und? Auf dem Titelblatt?

Überzeugen Sie sich, Durchlaucht, sagt' ich, fuhr Stromer, der gleichfalls aufgestanden war, fort; unter diesen Arabesken des Titelblattes steht ja ganz in Perlschrift die Jahreszahl des Druckes. Diese elegante Ausgabe des Thomas a Kempis ist ganz in der Art, wie die Fürstin solche Einbände liebte. Aber dies Exemplar ist erst ein Jahr nach ihrem Tode im Druck erschienen. Wie ich Das sagte –

Indem hörte man draußen Thüren gehen.

Wie Sie Das sagten? drängte Pauline.

Trat Rudhard ein... Egon entließ mich in einer mir allerdings erklärlichen Aufregung; denn wie konnte jenes Buch von der Fürstin selbst –

Weiter trug Stromer seinen Bericht nicht vor; denn die Thür wurde aufgerissen, die Ludmer, leichenblaß, stürzte herein und rief mit erstickter Stimme:

Prinz Egon von Hohenberg läßt sich melden!

Wie? sagte Pauline und hielt die Hand krampfhaft an die Sophalehne.

Er selbst! Er läßt sich nicht abweisen. Er will dich sprechen –

Pauline riß sich, wie von einer Natter gebissen auf, stürzte an die Thür und verriegelte sie.

Es war das Werk eines Augenblicks.

Welche Stunde! rief die Ludmer. Ist ein solcher Überfall erhört? Er ist ausgestiegen, dem meldenden Bedienten auf dem Fuße gefolgt – er wartet im Empfangzimmer.

In der Ferne hörte man durch die hallenden Zimmer her eine männliche Stimme sich räuspern und einen kräftigen Schritt auf und abgehen.

Pauline stand eine Weile unschlüssig... Jetzt war der Augenblick da, wo sie einer »Seherin« gleichen konnte. Sie begriff diesen Moment, richtete sich entschlossen empor und fragte:

Warum soll ich den Prinzen Egon von Hohenberg nicht empfangen?

Die Ludmer verstand einen gewissen Hohn in ihren Mienen, wagte aber nicht zu lächeln.

Pauline aber mit triumphirender Miene setzte hinzu:

Wohlan! Er mag kommen!

Schon klopfte Ernst an die verschlossene Thür und bat um Verhaltungsmaßregeln... der Fürst ließe sich nicht abweisen.

Wer sagt denn, daß man ihn abweisen soll? rief die Geheimräthin durch's Schlüsselloch. Ich bitte Durchlaucht einen Augenblick zu verziehen!

Diese Worte sprach sie mit gemachter Süßigkeit, als sollte Egon sie hören.

Adieu, lieber Stromer, sagte sie dann rasch, zitternd wol, aber gefaßt. Auf Morgen! Adieu! Adieu!

Stromer wollte reden, wollte Aufklärung haben, wollte... wurde aber durch das Schlafzimmer, dann das ächte Boudoir, zuletzt durch die Garderobe von der Ludmer fast gewaltsam hinauseskamotirt. Er war, so fortgezerrt, in diesem Augenblicke ganz so überflüssig geworden, wie Augusten's hochfahrende Tante wünschte.

Mit all' seinem Geist, mit all' seinen Seherblicken vom Berge Sinai, mit all' seinen Jeanpaulismen und deutschen Gedankenüberschwenglichkeiten stolperte er im Dunkeln über mehre Kisten und Koffer, daß er sich fast verletzt hätte...

Pauline folgte nach einem Moment. Sie gab Befehl, den Empfangssalon durch einige Armleuchter schnell zu erhellen. Mit Blitzesschnelle gab sie ihrer Toilette noch einige kühne Improvisationen und schritt dann fest und entschlossen durch das Zimmer hindurch, das ihr nun entriegeltes ostensibles Boudoir von dem inzwischen erhellten Empfangszimmer trennte.

Die Ludmer fühlte, daß es nothwendig war, in der Nähe einer so wichtigen und gefahrvollen Begegnung wenn nicht zu horchen, doch behutsam und auf Alles gefaßt zu wachen.


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