Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Capitel.

Verständigungen.

In diesen sechs Wochen hatte Dankmar Wildungen nur der gesetzlichen Einleitung seines großen Unternehmens gelebt.

Die gewaltsame Untersuchung seiner Wohnung erzeugte einen gerichtlichen Schriftwechsel, dessen Folge allerdings die Auslieferung der Papiere sein mußte, die sich Dankmar erlaubt hatte, aus dem von ihm entdeckten Archive im Tempelhause von Angerode sich anzueignen. Doch gab er sie gern hin, nachdem er und Siegbert Tage und Nächte damit zugebracht hatten, Abschriften zu nehmen und diese gerichtlich beglaubigen zu lassen.

Die Angelegenheit wegen des Bildes konnte er nicht weiter verfolgen. Siegbert hütete sich wohl, ihm zu entdecken, daß er in der Rückwand desselben Schriften gesehen, die Bezug auf ihre eigenen Anverwandten hatten. Er fürchtete, das leicht erregte Gemüth des Bruders nur zu neuen Unternehmungen, deren Ende und Gefahr nicht abzusehen war, zu entflammen, und besprach sich mit Rudhard, dem die Verwickelung seiner ihm in dieser Sache noch kurz vorher möglich geschienenen Mission außerordentlich schmerzhaft war, ein anderes Auskunftsmittel zu finden, das den Verdacht des Prinzen über die stattgefundene Unterschlagung ablenken sollte... Denn darin waren sie einig, daß eine verwegene, böse Handlung hier im Spiele war, eine Intrigue, die sie Alle getäuscht hatte. Als Schlurck die Bilder ablieferte, wußten sie es mit Louis Armand's Beihülfe während der Krankheit des Prinzen dahin zu bringen, daß Egon, im Fall er das Geheimniß der Öffnung des Medaillons entdeckte, sich nicht ganz getäuscht fühlen konnte. Alle diese Unternehmungen aber schwanden vor der Größe der Aufgabe, die sich Dankmar dadurch stellte, daß er gleichsam dem Staate und der am meisten bei der Johannitererbschaft betheiligten Kirche den Fehdehandschuh hinwarf und für die einzige freie Persönlichkeit einer Familie eine Überlieferung der Jahrhunderte in Anspruch nahm. Verjährt konnten seine Ansprüche nicht genannt werden. Denn der Staat hatte durch Proteste, die sich von Menschenalter zu Menschenalter wiederholten, diese Entscheidung als eine offene aufrecht erhalten. Er fand keine Narbe, sondern eine Wunde vor. Der Staat, von welchem wir reden, war einer von denen, die sich ohne Umwälzungen in einer ruhigen Entwickelung allmäliger Vergrößerung und leidlich rechtlicher Begriffe gebildet hatten. Hier konnte ein Proceß vom siebzehnten Jahrhundert her noch unentschieden sein, wie Friedrich der Große im Jahre 1740 einen alten Proceß des Dreißigjährigen Krieges aufnahm und Schlesien eroberte. Da aber die Berechtigung des Streites zugestanden war und für die Commune immer nur der Titel des Besitzes gegolten hatte, so war die Mitbewerbung eines Dritten zwar ein unvorhergesehenes, aber völlig begründetes Ereigniß. Es kam nur darauf an, daß die Unparteilichkeit der Richter die Ansprüche der Familie Wildungen auf Grund jener Urkunden anerkannte.

Das Aufsehen, das diese merkwürdige Wendung eines vom großen Publikum bisher nur gleichgültig beobachteten Streites machte, war nicht gering. Einige nur in der Gesellschaft, nur in kleinem künstlerischem Kreise bisher genannte Namen kamen plötzlich in Aller Mund. Jedermann sprach von den beiden Söhnen einer armen Predigerwitwe in Angerode, die in der Lage waren, Besitzer eines, wie dies natürlich sogleich geschah, übertriebenen Vermögens zu werden. Man vergrößerte nicht nur die Summen, um die es sich handelte, sondern auch die Rechtsgründe, deren schlagende Triftigkeit doch erst zu erweisen war. Man nahm Partei, erst für das Wunderbare in dieser Sache an sich und gab Denen unbedingt Recht, denen das hier auf dem Spiele stehende Glück gleichsam aus den Wolken in den Schooß fiel. Bald aber zertheilte sich die erste günstige Meinung. Bedenken, Zweifel wurden laut und wo die gründliche Prüfung schwieg, stellte sich das verletzte Interesse ein. Besonders war es die städtische Kirche, die in Zorn und Eifer gerieth. Hatte sie schon gefürchtet, in die Botmäßigkeit des Staates zu kommen und der patriarchalischen Verwaltung ihrer Pfründen und Institute entkleidet zu werden, so hatte sie jetzt nicht nur das schöne, noch dazu zeitgemäß stutzbare Princip der »Selbstregierung« zu verlieren, sondern sah auch der völligen Einbuße ihrer reicheren Dotation entgegen, wenn die Häuser, die alten Grundgerechtsame und Zinse der St.-Johanniterverlassenschaft in die Hände jener Familie kamen. Dem Zorne und Poltern der verletzten Interessen folgte, wie dies immer in solchem Falle zu geschehen pflegt, auch bald das Aufstellen scheinbar parteiloser und doch nur im Interesse der Parteien gemodelter Principien. Der Eine verlangte die Verjährung, der Andere räumte nur dem Staate und nur ihm als Universalerben jedes verjährten Rechtes den Besitz ein. Freimüthige Seelen und solche, die am Neuen und Seltenen Gefallen fanden, stellten dem Staate und der Gemeinde die Persönlichkeit gegenüber und ihr ewiges unverjährliches Recht, fanden in dieser materiellen, handgreiflichen und nur mit Geld und Gut auszudrückenden Verhandlung eine höhere Symbolik und erklärten, diese durch zwei Jahrhunderte herrenlos gebliebene, nur dem Stärkeren anheim gefallene Hinterlassenschaft eines geistlichen Ritterordens wäre ja ein Bild der Verwirrung unserer Zeit überhaupt, die auch so das Unrecht und die Gewalt in den Alleinbesitz der großen Verwaltung des Menschheitideales gebracht, überkommen hätte und sich jetzt entschließen müsse, diesen Alleinbesitz an das ursprüngliche Menschenrecht umsomehr wiederherauszugeben, als die an dem unrechtmäßig erworbenen Eigenthum haftenden Pflichten des heiligen Streites für jenes Ideal, das dem Mittelalter das Land war, wo der Erlöser wandelte, und der neuen Zeit das Ideal eines höhern Tempels der Freiheit und der Glückseligkeit ist, von diesen gewaltthätigen und eigenmächtigen Usurpatoren nur zu sehr hintangesetzt würden.

So ungefähr wurde die erste Nachricht von dem Proceß der Gebrüder Wildungen aufgenommen; denn eine weitere Parteinahme, als für das erste, blendende Gerücht, war noch nicht möglich. Erst vor vierzehn Tagen hatte Dankmar seine selbstverfaßte Schrift eingereicht. Aber nicht nur die Kunde der Thatsache selbst, sondern auch das nicht ungünstige Vor-Urtheil des Gerichtshofes über die mit großem Verstande und seltner Rechtskenntniß abgefaßte Schrift verbreiteten sich so rasch, daß Dankmar und Siegbert, von dem Andrang der Theilnahme, die sie so plötzlich über sich hereinbrechen sahen, fast erdrückt wurden. Da wollte Jeder Glück wünschen, Jeder staunen, guten Rath geben und im günstigen Falle wol auch Theil haben an dem großen Erfolg. Wo die Brüder früher nur durch ihr Talent, ihre liebenswürdige Persönlichkeit sich geltend machen konnten, waren sie jetzt so gesucht, so gepriesen, daß sie Noth hatten, sich vor dem allgemeinen Sturme der Liebe und Freundschaft nur selbst zu bewahren. Weise und sich selbst beherrschend, wie diese Jünglinge früh erzogen waren, begnügten sie sich mit den Beziehungen, von denen sie ahnten, daß sie ihnen auch ohne den gehofften Sieg treu bleiben würden, und beschränkten sich im Übrigen fast noch mehr auf sich selbst als früher. Sie mußten Dies schon darum thun, weil der Proceß bedeutende Geldmittel erforderte, von denen sie kaum voraussahen, woher sie ihnen zufließen sollten. Vorläufig glaubten sie bestens das Ihrige zu thun, wenn sie fleißig und redlich arbeiteten, um neben ihrem Unterhalte auch noch die Mittel für ihren Proceß zu erübrigen. Siegbert sah sich in der ihm unangenehmen Lage, nachdem das Bild der Majorin Werdeck sehr gefallen hatte, viel zu portraitiren, und Dankmar, der sich in eine andere Abtheilung des Obergerichts hatte versetzen lassen, arbeitete auf Diäten, schrieb auch unter fingirtem Namen juristische Compendien, die nur Erinnerungen seiner eigenen Kenntnisse waren, in Eile geschrieben nichts Neues bringen konnten, aber als gangbare Artikel bezahlt wurden.

Eben erst im Beginn dieser nun neu von ihm angelegten Thätigkeit hatte Dankmar alle seine früheren Verwickelungen mit Personen und fremden Verhältnissen von sich abzustreifen gesucht. Er hatte dem Justizrath Schlurck die von Melanie gewünschte Entschuldigung über das Vorgefallene geschrieben, aber den so heißen Drang, Melanie ganz für sich zu gewinnen, doch wieder mit jener stoischen Selbstüberwindung, die jungen Gemüthern so leicht möglich wird, bezwungen. Er hörte auch, daß sich Melanie mit dem Stallmeister verlobt hätte. Freunde versicherten ihm, daß sie in der Umgegend der Stadt reite, fahre, immer umgeben von einem Schwarm von Verehrern. Er bekämpfte sein Herz. Der Ernst seines jungen Lebens erfüllte ihn zu sehr und was er immer gesagt hatte, Melanie wäre von den Frauen Eine, die man nur liebe, wenn man sie sähe, bestätigte sich vollkommen an ihm selbst. Er wurde gegen Frauen um so schroffer, als bei der ersten Nachricht von der ihm und seinem Bruder lachenden Möglichkeit einer glänzenden Zukunft sogleich ein ihnen widerliches Drängen bemerkbar wurde, gerade das weibliche Geschlecht in ihre Nähe zu bringen. Von mancher Familie, wo die Absicht zu grell hervorstach, zogen sie sich wie in ihren zartesten Fühlfäden verletzt zurück.

Während sich Siegbert fast ganz und ausschließlich auf sein Atelier, die nähere Beziehung zu dem anregungsreichen Leidenfrost und die ihm plötzlich fast seine zweite Häuslichkeit gewordene Familie der Fürstin Wäsämskoi beschränkte, lebte Dankmar noch zurückgezogener. Der sonst lebensfrohe, überall sichtbare junge Mann war ein Einsiedler geworden. Er las, er studirte mehr denn je. Sein kleines Stübchen bei der Frau Schievelbein, die bescheidene kleine Aula, war jetzt für ihn heimischer und traulicher als die Kaffeehäuser, in denen er früher mehr als in seinen vier Wänden lebte. Stöße von Akten lagen um ihn her. Bücher las er bis in die späte Nacht. Besonders hatte er auf Philosophie und Geschichte sein Augenmerk gerichtet. Sogar die Politik, die er früher leidenschaftlich trieb, war ihm durch ihre Monotonie, die Unfruchtbarkeit der Debatte und die geringe Bedeutung der meisten elenden, nichtssagenden Persönlichkeiten, die sie in den Vordergrund der Tagesgespräche drängte, zum Ekel geworden. Der neue Reichstag sollte nun abgehalten werden, die Wahlen waren im Sinne des schroffsten Gegensatzes der Parteien ausgefallen und als er auch den Heidekrüger und Deputirten Justus eines Tages als eben angekommen und bereits als Mittelpunkt einer »Fraction« angegeben fand, mußte er auflachen, warf die Zeitung weg und beschloß nur noch solche politische Schriften zu lesen, die von Köpfen herrührten, die der Menschheit neue Gedanken brachten. Er las Macchiavell, Montesquieu, Hume, die Briefe des Junius, Leibnitz, Herder und vertiefte sich mit ernstem Nachdenken in die neueren staatsökonomischen und socialistischen Schriften, aus denen er sich manche Stelle auszog und manchen befruchtenden Gedanken merkte, wenn er auch für die Ideen neuer Gesellschaftsformen nicht wie Siegbert gewonnen werden konnte und überhaupt fern war aller modernen Geniehascherei, aller auf den Universitäten und in den Residenzen jetzt grassirenden Titanenhaftigkeit, allem übermäßigen Anpreisen einer neuen Zeit, die erst ihre Neuheit zu beweisen hatte, aller Anbetung eines vaguen, leeren, wie Kraft sich gebahrenden Schreiens und Tobens, in Schrift und Sprache, in Prosa und Poesie allem gesuchten und manierirten Treiben, in welchem sich talentlose Menschen wie Fauste gebehrden und noch nicht einmal reif sind, bei einem rechten Faust ein Wagner zu sein.

Eine Dankmarn wahrhaft tröstliche und erquickliche Aussicht war die der ersten Begrüßung des Prinzen Egon von Hohenberg.

Daß sein Gefangener im Thurme von Plessen der Prinz war, unterlag keinem Zweifel mehr, und doch will der Mensch auch das Gewisseste und durch Gründe Erwiesenste zuletzt erst durch ein handgreifliches Erfassen, durch die Berührung der Nägelmale, wie bei jenen Jüngern des Herrn, bestätigt haben. Die Frage: Wie werd' ich den dort so schnell gewonnenen Freund nun wiederfinden? Wie ist er aus dem Thurm entkommen? Wie verschweig' ich ihm alle die Wirren, die sich an das Bild knüpften, das wir gut thun werden, ihm als etwas Unverfängliches und Überschätztes darzustellen? Diese Fragen gingen immer wieder in das Ende über: Und wird es wirklich Prinz Egon sein..? Siegbert war einmal bei Louis Armand im Palais gewesen und hatte sich einigermaßen mit ihm über das Bild verständigt. Sonst war noch keine weitere nähere Annäherung und Nachfrage erfolgt. Es befremdete ihn fast, daß Egon nicht seiner längst selbst gedachte und es war wirklich nur Zufall, daß ihm der Förster Heunisch, eben von Egon kommend, staunend über seinen Irrthum, begegnete und von einer so weit vorgeschrittenen Genesung des Prinzen, für den er Dankmarn gehalten, unterrichtete, daß er sich entschloß, sogleich zu ihm zu gehen. Er eilte nach einigem Geplauder mit Heunisch nach Hause, kleidete sich flüchtig so, wie er glaubte, einer so hochgestellten Persönlichkeit aufwarten zu müssen und betrat in einer sonderbaren, aber ihm doch wohlthuenden Erwartung und Spannung das Palais des Prinzen... Wie er hier die stolze Treppe, die Statuen, die bronzenen Candelaber, die Teppiche und Malereien mit dem neben seinem Einspänner einherwandernden Blousenmann und dessen Wiedersehen in dem vergitterten kleinen Thurmgemache zu Plessen verglich, kam ihm eine wahrhaft befremdliche, abenteuerliche, ja durch die schon in ihm verklungenen Erinnerungen an jene romantische Reise elegische Stimmung. So ungleichartig der elektrische Leiter seiner Erinnerungen war, auf diesen steinernen Stufen, wo das Echo seiner Schritte an den marmorirten Wänden widerhallte, war's ihm plötzlich, als schlüge die Nachtigall in der Mondnacht im Schloßgarten von Hohenberg, als hörte er das Rauschen des Waldes, den er an Selmar's Seite durchwandert war, und als stünde er unter jener Eiche wieder, unter deren gezackten Wipfeln er durch Ackermann veranlaßt wurde, über ein schöneres Walten auf dieser Erde und einen lebendigeren Zusammenhang der guten und reinen Geister zu träumen.

Im Vorzimmer fand er den Justizdirektor von Zeisel, den er vom Thurme her und seinem Verhöre sogleich wieder erkannte.

Die lange hagere zerstreute Figur entsann sich seiner offenbar nur dunkel, stellte sich aber als kluger Weltmann, den die lange Abgeschiedenheit und Isolirung des Landlebens in gewissen Höflichkeitsgesetzen nur noch ängstlicher und übertriebener gemacht hatte, über Dankmar vollkommen orientirt. Er kam in bänglicher Erwartung. Schlurck war seiner früheren Functionen enthoben, ein neuer Administrator mit großen Vollmachten hatte das Ruder der Verwaltung ergriffen, die Aussicht, vom Patrimonialverhältnisse in die allgemeine Landesgerichtsverwaltung in gleichem Rang, gleicher Besoldung wie bisher aufgenommen zu werden, verdüsterte sich und er wäre gern in seinem früheren bequemen Verhältnisse geblieben. Mit großer Besorgniß dachte er an die Resultate dieser ersten Begegnung mit dem Sohne des alten Fürsten, der ihn einst hatte schalten und walten lassen wie er wollte. Seine Frau, die bei Schlurck's seine Rückkehr erwartete, hatte ihm Muth zugesprochen. Eine Reihe von Vorstellungen und dienstlichen Nachweisungen war wie an der Schnur in seinem Haupte aufgezogen. Er hoffte, daß der junge Fürst diese Schnur anziehen, er selbst aber sich bei dieser Vorstellung gut behaupten würde, selbst einem so sonderbaren Manne wie Egon gegenüber, von dem man so Vieles zu erzählen, so Unglaubliches zu fabeln wußte!

Brachte den Justizdirektor nun schon Dankmar in Verwirrung und lenkte sein Gedächtniß auf eine Begegnung, die außerhalb der Administrationsgrundsätze über das Fürstenthum Hohenberg und jener Schnur lagen, so mußte er vollends das Gleichgewicht seiner Geltung verlieren, als nach der Meldung beider Namen Egon die Thür aufriß und mit der liebenswürdigsten Freundlichkeit von der Welt rief:

Ist es denn möglich, mein Großinquisitor und mein Posa, zu gleicher Zeit? Willkommen! Willkommen, Ihr Beide!

Wie der Justizdirektor sah, daß der Prinz dem jungen Manne, der sich Dankmar Wildungen nannte, eine stürmische Umarmung zum Gruße, ihm dann bieder die Hand bot und Dankmar dem freundlichen Empfänger lachend folgte und dabei immer rief: Doch! Doch! Ich glaubte nicht daran! Doch! Doch!... da schwindelten ihm förmlich alle Sinne und er fragte verlegen:

Durchlaucht haben mich schon gesehen? Wo hätt' ich die Gnade gehabt...

Gibt es denn soviel Verbrecher in meinem Ländchen, Justizdirektor, rief Egon, daß Sie unter der Menge nicht eine Physiognomie behalten können, die Ihnen den Thurm, aber auch ihre glückliche Befreiung verdankt?

Und während der Justizdirektor starrte und sich nun umständlich besinnen konnte, umarmte Egon Dankmarn nochmals und zog ihn auf eine Ottomane neben sich nieder, während der Justizdirektor sich nach einem Stuhle umsehen sollte und umsehen mußte, um sich aufrecht zu erhalten.

Wildungen! rief Egon. Ich bin's! Vom Tode erstanden durch jenen Freund, den ich in Lyon fand... Du entsinnst dich meiner Erzählung?

Dankmar aber, der nicht gleich in den vertraulichen Ton hinein konnte, sagte:

Wir wissen Alles, Prinz, wir kennen Ihre ganze Geschichte, die Stadt kennt sie, wir wissen, wer Louis Armand ist, und unter dem gewissen Kronenleuchter im Pavillon Ihres Vaters würd' es sich ergeben, daß ich schon orientirt bin; aber daß Sie im Thurme zu Plessen saßen, als ein Handwerksgesell, den die Bedienten des Geheimraths von Harder für einen Dieb erklärten...

Durchlaucht? fragte Herr von Zeisel erstarrt und schlug sich vor den Kopf. Sie wirklich Der, Der... den...? Herr von...

Ja, ja, Herr von Zeisel, ich! Ich! Aber ich habe mich überzeugt, Sie üben milde Justiz. Sie entlassen die Gefangenen wie Sie sie aufnehmen und geben ihnen nichts mit, als höchstens das Todesurtheil durch ein Nervenfieber, das man von seiner Alteration und der abscheulichen Hitze in dem eisernen Käfig davonträgt.

Zeisel konnte sich nur allmälig fassen. Er war sprachlos. Er dachte: O Gott, warum hat deine Frau diesen Fall für die Schnur nicht vorausgesehen! Du bist auf ein Verhör über Finanzreductionen gefaßt und sollst über ein exceptionelles Abenteuer Auskunft geben, bei dem du ohnehin noch die Rolle eines bequemen und willkürlichen Rechtsverschleuderers im alten spanischen Komödienstyle spielst!

Sagen Sie mir nun aber um's Himmelswillen, Prinz, fragte Dankmar, wie sind Sie frei gekommen?

Egon rückte einige Schritte zurück, ließ die Arme von Dankmar's Schulter, die er umschlungen hielt, sinken und sagte:

Kein Wort weiter! Ein undurchdringlicher Schleier falle über das Vergangene, wenn mein theurer Freund Dankmar Wildungen in diesem Ceremoniel fortfährt! Wildungen, war denn Das nur ein Traum, daß ich einen herrlichen, lieben Menschen auf dem Heidekruge mit Schlurck reden hörte, auf der Landstraße und im Walde einen herablassenden Gefährten, einen treuen Tröster im Thurme, ein mitfühlendes Echo meiner Klagen fand, als ich mein Leben erzählte bis zu dem Augenblick, wo ich versprach, unter leuchtenden Blumen und Flammen einst von einer gewissen elften Stunde zu sprechen, wo mir ein theures Herz brach, ein unvergeßliches... Nein, nein, Wildungen, das Wechselwort der Liebe, das ich dir damals anbot, bleibt! Bleibt? Nicht wahr?

Dankmar konnte zur Antwort auf diese liebenswürdige, herzliche Anrede nichts Anderes thun als gerührt schweigen und seine Hand in die Hand Egon's von Hohenberg, wie eines Bruders, legen.

Schlagen Sie unsere Hände durch, Justizdirektor, rief Egon, zum Zeichen, daß sie ewig verbunden sind! Sie haben mir diesen Freund gegeben, Sie milder Richter Sie! Sagen Sie mir aber nun doch, warum ließen Sie mich plötzlich frei? Kam ein höherer Gedanke über Sie oder ein Befehl? Ich suchte, wie mir angegeben wurde, auf der Stelle das Weite und durfte nicht erst lange fragen, wem ich meine Rettung verdanke.

Durchlaucht, sagte endlich Herr von Zeisel, die gute Laune des Fürsten benutzend und sich in dem Falle, auf den er sich jetzt erst besann, zurechtfindend. Durchlaucht, Sie verdanken sie – meiner Frau!

Bin ich das Schooßkind der Damen! Ihrer Frau?

Das hängt so zusammen, Durchlaucht! sagte Herr von Zeisel. Frau von Zeisel ist eine sehr charmante Person. Dreizehn Jahre macht sie das Glück meiner Ehe aus, aber wenn ich – wir sind unter uns – durch Geduld und Sanftmuth vielerlei kleine Mucken in ihrem lebhaften Temperamente überwunden habe, so steckt doch ein Übel unausrottbar in ihrem so höchst soliden Charakter: der Ehrgeiz, Durchlaucht. In wilder Überrumpelung zwang man mich, den eigenen Herrn und geliebten Erben, den Alle voll Sehnsucht erwarteten, in den Thurm zu werfen. Dies Versteckspiel des tollsten Zufalls, seh' ich nun wohl, ist irgend einem bösen Kobolde, der uns zuweilen im Leben neckt, gelungen. Aber daß Sie frei wurden und Ihr Freund, der Herr da, wahrscheinlich vergebens die Leiter an das Thurmfenster stellte, die wir später fanden –

Wildungen, ist es wahr?

Die Eisenstäbe hätten uns doch Mühe gemacht, sagte Dankmar, den Vogel aus seinem Käfig zu befreien. Daß es also leichter geschah, Herr Justizdirektor –

War die Folge eines Ärgers meiner Frau, sagte Herr von Zeisel jovial. Meine Gattin ist eine geborene von Nutzholz-Dünkerke, seelengut, ein braves Weib, aber etwas reizbar im Punkte der Ehre. Zwei Nutzholz-Dünkerke's sind bereits aus Point d'honneur im Duell gefallen. Mein gutes Weib fand sich etwas zurückgesetzt durch die Behandlung der Frau Justizräthin. Man lud sie an jenem verhängnißvollen Tage nicht mit der Förmlichkeit ein, die sie durch ihre Geburt gewohnt ist. Und als vollends Herr von Harder, der mit einem Nutzholz-Dünkerke in die Schule gegangen ist, sich auf dem Schlosse wie der König selbst gebehrdete, kaum einem Menschen das Unschuldigste, nämlich einen guten Tag gewährte, und an dem Tage, wo das beklagenswerthe Misverständniß mit Ew. Durchlaucht vorfiel, die einzige auf's Schloß geladene Hauptperson schien und allen andern Bekannten, die sonst der Frau Justizräthin gut genug waren, fast angedeutet wurde, sie möchten sich heute nicht auf's Schloß incommodiren, da stellte mir meine ahnungsvolle, aber höchst zornige Gattin vor, wie wenig begründet Ihre Gefangenschaft wäre und...

Bravo, Justizdirektor, rief Egon lachend, ce que veut une femme...

Ce que veut une femme, Durchlaucht...

Par dépit...

Par dépit... um zu zeigen, daß wir nicht die Untergebenen der jetzigen Schloßbewohner sind und...

Die Nutzholz-Dünkerke's schon vor einem Jahrhunderte mehr galten als die Harder's...

Sie treffen es Durchlaucht! Ha! Ha! Par dépit wurden Sie in Ermangelung triftiger Indicien freigelassen und nur bedeutet, augenblicklich das Fürstlich Hohenbergische Gebiet zu verlassen!

Ein Glück, daß Herr Pfannenstiel, mein Wächter, ein gutes Herz hatte und mich am Abend noch auf die Sägemühle führte, wo ich übernachtete. Von da wollt' ich, obgleich ich mich krank, von der Hitze im Thurm erschöpft und übermüdet fühlte, mich über Schönau zu Fuß auf die Reise begeben, war aber so angegriffen, fühlte mich so elend, daß ich auf der Landstraße einen Bauer ansprach, der mit einem Soldaten an mir vorüberfuhr und übermüthig in seine starken Gäule hieb. Auf Fürbitte des Soldaten nahm mich der grobe Bauer, er hieß Sandrart, auf und hinten im Korbe des Wagens streckt' ich mich müd' und matt auf ein Bund Stroh neben den mit Eßwaaren überfüllten Kobern. Der Vater fuhr seinen zum Sergeanten beförderten Sohn selbst in die Residenz zurück, wo dieser bei der Garde steht. Gegen Abend kam ein Regen, der mich bis auf die Haut durchnäßte. Schon schlief ich in einer Herberge halb im Fieber. Mühsam schleppt' ich mich am frühen Morgen wieder auf den Korbwagen und kam halb todt gegen Abend hier am Thore an. Ich stieg ab, dankte dem Bauer und seinem Sohn und schlich mich still in mein väterliches Haus. Das ganze Abenteuer schien misglückt und die Folge war, daß ich in ein elendes Nervenfieber verfiel, von dem ich erst seit einigen Tagen zum lichten Bewußtsein zurückgekehrt bin.

Der Justizdirektor erschöpfte sich in Betheuerungen seines innigsten, freudigsten Antheils und fragte, ob man den Bauer Sandrart so glücklich machen könne, ihm zu sagen, wem er so hülfreich sich erwiesen hätte.

Vielleicht besser, sagte Egon, der Grobe erfährt es nicht. Er hat mir wol zehnmal zugerufen, ich sollte seine Schinken und Eier unberührt lassen, auf die ich in der That keinen Appetit hatte...

Es ist einzig! sagte Herr von Zeisel künstlich humoristisch. Diese Menschen! Der Schornstein hängt ihnen voller Würste und Speck, das Geld lacht aus allen Truhen und grob, grob sind sie und so unterdrückerisch... meine Frau sagte oft, so schlimm könnten die Nutzholz-Dünkerke's nicht im Mittelalter gehaust haben, wie sich solche reiche Freibauern gebehrden. Der Sohn ist ein charmanter Mensch...

Er wird das Geld seines Vaters unter die Grisetten bringen...

Es entspannen sich nun zwischen dem Justizdirektor und Egon einige nähere Verständigungen über Gegenwart und Zukunft des Fürstenthums Hohenberg. Wegen letzterer war Herr von Zeisel hier. Egon versprach in diesen Tagen ihm über Alles genauere Auskunft zu geben. Vorläufig wäre er umsomehr entschlossen, das väterliche Erbe wirklich anzutreten und trotz der großen Schuldenlast nichts zu veräußern, als er ja in dem amerikanischen Agronomen Ackermann einen so gerühmten und alles Vertrauens würdigen Verwalter gefunden hätte.

Ja, wandte er sich zu Dankmar, jener Amerikaner, von dem du mir im Thurm erzählt hattest und dessen Namen ich auf meinem Krankenbett im größten Drang meines Elends wohlbehalten hatte, der erhielt auf sein Ersuchen die Verwaltung meiner Güter.

Ich erfuhr diese angenehme Wendung leider zu spät, sagte Dankmar, und bedauerte, vor der schnellen Abreise des trefflichen Mannes und seines Sohnes nicht noch einmal ihn begrüßen zu können.

Seines Sohnes? fiel Herr von Zeisel ein und lächelte fein, sogar gereizt. Sie wissen also nicht, daß dieser allerdings sehr ehrenwerthe Ökonom, der mit großen Plänen und excentrischen Entwürfen seine Aufgabe angetreten hat, damit anfing, uns in Betreff seiner Umgebung Alle zu täuschen?

Täuschen? Herr von Zeisel, Ackermann scheint mir zu Täuschungen nicht fähig zu sein, sagte Dankmar.

Vergebung für den Ausdruck! Sie schätzen diesen Mann nicht höher als ich selbst. Zwar sind die Meinungen über ihn getheilt. Die Mehrzahl hängt ihm gläubig und voll Verehrung an. Die Minderzahl, die wol an dem Fehler zu strenger Prüfung und ungläubiger Zweifelsucht leidet, fürchtet, sein leicht entzündetes Gemüth möchte zu sehr jenen Luftgebilden nachjagen, die wie Feuerwerke schön blenden, aber auch im Nu verprasseln...

Glauben Sie Das nicht, sagte Dankmar erregt. Aus wenigen Worten, die ich mit diesem Ökonomen wechselte, weiß ich, daß dieser Edle den Ernst des Lebens tief erfahren hat und nicht umsonst in Amerika die Schule der Selbstbestimmung seiner Schicksale durchmachte...

Ich wünsche nichts sehnlicher, sagte Herr von Zeisel mit einem furchtsamen Blicke auf Egon, als daß sich alle Versprechungen dieses Amerikaners erfüllen mögen...

Man muß ihm vor allen Dingen Zeit lassen und volle Freiheit gewähren, meinte Egon und sprach dies entschieden.

Volle Freiheit!

Herr von Zeisel war geschlagen und schwieg.

Aber die Täuschung, Herr Justizdirektor, welche wäre denn das? fragte Egon.

Das ist spaßhaft! war Herrn von Zeisel's einlenkende Antwort. Wir Alle sahen Herrn Ackermann nach Plessen, Randhartingen, Schönau – im Ullagrunde auf Sandrart's neuer Anlage wird er wohnen – zurückkehren und besannen uns, daß man diesen Mann, als er früher sich beobachtend und wahrscheinlich den Boden und die Verhältnisse erkundschaftend daselbst aufgehalten, gesehen, wie er ein liebes Söhnlein bei sich führte, ein Bürschchen mit zierlichem Mützchen, Handschuhen und leichtem Röckchen. Dies Söhnchen hat er nicht mitgebracht, wohl aber ein Töchterlein...

Dankmar hörte gespannt zu und verwünschte Herrn von Zeisel's humoristisch feinsollende naive Darstellung.

Und nicht etwa ein zweites Kind des Herrn Ackermann, sagte dieser, ist diese holde kleine Begleiterin, sondern...

Selmar wär' es selbst? unterbrach ihn Dankmar im wärmsten Antheil.

Selmar! so hieß die Kleine früher. Nun ist es eine Selma! Entpuppt und umgekleidet! Selma Ackermann, ein allerliebstes Wesen! Sie thut viel, um die etwas rauhe und abstoßende Außenseite ihres Herrn Vaters zu mildern.

Selma! sprach Dankmar vor sich hin und verglich seine Erinnerungen an jene ihm so liebe Begegnung mit dem Eindrucke, den ihm jetzt diese Metamorphose machte. Hatte ihm schon der Knabe ein so großes Wohlgefallen, eine brüderliche Empfindung erregt, wie mußte sich seine Theilnahme für die nun verwandelte liebliche Erscheinung steigern, wenn er sich jener, ihm immer noch räthselhaften Mondnacht auf dem Heidekruge erinnerte, wo nicht etwa Ackermann als Traum, als ein Bild seiner erregten Phantasie vor ihm mit dem Portrait, das er küßte, erschien, sondern dieser wirklich das Portefeuille öffnete, wirklich eine Locke von seinem Haupte schnitt... denn die Locke fehlte ihm! Und wie er noch so saß, mit Theilnahme von Egon betrachtet, der an seinem Interesse selbst sich interessirte, fiel Dankmar's Blick jetzt eben auch auf das Pastellbild der Fürstin Amanda, das er, seitdem es ihm durch ein »Misverständniß« genommen war, nicht wiedergesehen hatte. Da stand das goldene Vließ seines abenteuerlichen Argonautenrückzuges! Er gedachte der Medea-Melanie! Da der Prinz! Und Selmar Selma!

Der Erläuterungen des Justizdirektors über diese Metamorphose bedurfte es eigentlich nicht.

Dieser erzählte etwas von der Nothwendigkeit, ein junges Mädchen auf einer so weiten Reise von Amerika über England nach Deutschland allein schützen zu sollen, von der raschen Gewöhnung an die neue Tracht, von den wunderbar schnell angenommenen Manieren des Knaben, von der Beruhigung, die der Vater gehabt hätte, mit seinem Kinde vor jeder Verlegenheit und Nachstellung in den Gasthäusern sicher zu sein, von seiner endlich aber doch nun eingesehenen Pflicht, daß das Kind seinem Geschlechte zurückgegeben werden müßte...

Für Dankmar waren alle diese Erläuterungen nicht nöthig. Er bedurfte keines Wortes, um zu fühlen, daß Ackermann sehr weise gehandelt hatte. Aber er bedurfte noch weniger einer Erläuterung, weil sein Gefühl ihm sagte: Selmar mußte sich dir so enthüllen! Das war eine Aufklärung, die sich von selbst verstand! Wie konnte Selmar etwas Anderes sein als Selma!

Als Egon des neuen Freundes innere Erregung bemerkte und den Blick beobachtete, den Dankmar voll getheilter Überraschung auf das plötzlich von ihm entdeckte Bild gerichtet hatte, ließ er es sich angelegen sein, durch irgend eine geschickte und nicht verletzende Wendung den Justizdirektor zu entfernen. Es gelang ihm mit aller Gewandtheit. Herr von Zeisel war glücklich, seinem jungen Patrone schon unter so abenteuerlichen Verhältnissen nützlich gewesen zu sein. Er bat, ob er denn diese merkwürdige Geschichte und die wahre Aufklärung der plötzlichen Erkrankung, Alles, Alles, was er in dieser gnädigen Audienz gehört hätte, der Welt erzählen dürfe....

Wenn Sie nicht fürchten, sagte Egon mit feiner Betonung, daß man Ihre Justizverwaltung ein wenig zu patriarchalisch nennen wird!

Durchlaucht, rief Herr von Zeisel und drückte Egon's Hand, die er lebhaft ergriff, mit komischem Enthusiasmus an die Brust, Durchlaucht, Sie mögen nun vom Justizrath Schlurck urtheilen was Sie wollen! Dafür hab' ich ihm gestern gedankt, daß er mich in die Komödie schickte, um mir seine Lieblingswahrheit von einem vortrefflichen Schauspieler sagen zu lassen: »Wenn man das Leben auch gar zu ernsthaft nimmt, was ist dann d'ran?«

Amüsiren Sie sich noch ferner mit ihm! sagte Egon übereinstimmend und begleitete den zutraulich sich Empfehlenden an die Thür; ich denke, wir sprechen uns noch und Sie werden im besten Einverständniß mit meinen ferneren Verwaltungsmaximen nach Plessen zurückreisen...

Dies Wort war eigenthümlich, verfänglich fast... Zeisel stockte... Aber die Thür ging zu und er mußte diese Schlußworte unterwegs überlegen und so, wie sie gefallen waren, mit sich nehmen.

Dankmar und Egon waren nun allein.

Jener stand vor dem Bilde...

Ja, da ist es nun! Und ich zittre vor seinem Inhalte, sagte Egon. Hat es auch nichts bis jetzt zu Tage gefördert als unsere Freundschaft, Wildungen, so wollen wir zufrieden sein.

Noch einmal umarmte er den Freund.

Dankmar drückte ihm die Hand und erzählte alle seine Bemühungen, des auffallend schweren Bildes habhaft zu werden, verschwieg aber Melanie und jeden Umstand, der in Egon Verdacht erwecken konnte. Rudhard, Siegbert, Louis und er hatten sich das Wort gegeben, um den Prinzen nicht wieder zu beunruhigen, von dem Schicksal dieses Gemäldes nichts zu erzählen, als daß es durch Dankmar auf dem Schlosse noch rechtzeitig gerettet worden wäre und daß Schlurck ohne alles Befremden die andern Familienbilder so freiwillig übergeben hätte. Er wußte auch, daß man auf den Fall einer Öffnung der Hinterwand einen Gegenstand dort finden konnte, der ihn vollkommen beruhigen durfte.

Und das Geheimniß? fragte er.

Fand ich noch nicht! Ich wagte nicht zu jäh mein Räthsel zu lösen. Ich gehöre zu den Menschen, die ihre empfangenen Briefe dreifach genießen, erst im Empfangen, zuletzt im Lesen, in der Mitte aber in einem längeren Liegenlassen und erst allmäligen Eröffnen.

Dankmar nahm das Gemälde und wandte es von allen Seiten ohne auf das Glas zu drücken.

Es enthält etwas, ich fühl' es an der Schwere des Bildes... sagte er.

Er spielte die Rolle, die ihm die Sorgfalt der Freunde des Prinzen übertragen hatte. Er stellte sich neugierig, drückte, schüttelte, schob und klopfte an dem Bilde. Endlich – siehe da, es sprang auf!

Egon beklommen, mit der ganzen lastenden Schwere seiner Erinnerungen an die Mutter, an seine Erziehung, seine Jugend, griff erstaunt nach dem Inhalt.

Hier am Glase lag der Pfiff, sagte Dankmar so treuherzig, als wär' er selbst überrascht worden, zufällig streift mein Finger über diese Stelle, ich halte das Bild an ihr fest und es springt auf...

Egon langte aus der Kapsel ein Buch hervor. Es war schwarz eingebunden, mit in Gold gepreßtem Deckel und Rücken und mit Goldschnitt verziert.

Er öffnete das Buch und las:

Thomas a Kempis vier Bücher von der Nachfolge Christi...


 << zurück weiter >>