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Viertes Capitel.

Der Luxus des Geistes.

Sie sind schon länger hier? fragte Egon, als der gute Heunisch gegangen war und beide Zurückgebliebenen an einem Fenster Platz genommen hatten.

Durchlaucht, begann Guido Stromer mit einiger Feierlichkeit und den letzten Wohlgeschmack des Gaumens mit der Zunge überstreifend, Durchlaucht, ich gestehe, daß die Veranlassung meiner Reise mit der Anhänglichkeit, die ich an Sie, Ihr Haus, Ihre edle Mutter haben sollte, in keinem vollkommenen Einklang zu stehen scheint.

Sie sind wahr, wie Heunisch! sagte Egon. Das freut mich, Herr Pfarrer!

Ich sehe da das Bild der theuren Frau! Ihre herrliche Mutter! fuhr Stromer fort. Mag sie mir vergeben, wenn ich dem Sohne, den ich nun so stattlich, so geistesreif, so anschauungsklar vor mir erblicke, wie ich es vor einer Reihe von Jahren schon aus des Knaben Briefen ahnte, die alte Treue nicht halte und vor ihm nicht im günstigen Lichte der Dankbarkeit erscheine.

Sie wollen sich doch nicht verändern, Herr Pfarrer? sagte Egon, der nun plötzlich mitten in seine kleinen Regierungssorgen eintrat. Aber freilich, wer verdenkt Ihnen Das? Sie haben Ansprüche auf eine bessere Pfarre. Sie sind übergangen, vielleicht zurückgesetzt worden. Sie werden nicht erleben, daß ich Ihnen zürne, wenn Sie Ihre Lage verbessern können..

Durchlaucht sprechen Das, was ich auf dem Herzen habe, nur zum Theil aus, antwortete Stromer. Ich will von meiner bisherigen Stellung nicht ganz ausscheiden. Ich will mir den sichern Rückzug auf ein festbegründetes Leben nicht ganz abschneiden. Ich habe ein Weib. Ich habe fünf Kinder. Allein...

Was möchten Sie?

Wenn Ew. Durchlaucht die Gnade hätten zu gestatten, daß ich meine Pfarre von einem Verweser besorgen lasse, einem jungen, erprobten Candidaten, den ich schon gefunden habe...

Und Sie selbst?

Ich selbst, Durchlaucht, kann einem welterfahrenen Denker wie Sie wol aufrichtig eingestehen, ich selbst bin in einer eigenthümlichen Krisis befangen. Ich möchte, staunen Sie nicht, ich möchte noch einmal den Versuch wagen, dem Leben eine andre Seite abzugewinnen, als sie sich mir bisher in meinem Wirken am Fuße des Schlosses Hohenberg darbot...

Sie wollten...

Ich bin ein Geistlicher, der...

Stromer stockte. Egon half ihm nach mit den Worten:

Ein Geistlicher von einer sehr strengen Auffassung des Christenthums. Ich weiß Das. Meine gute Mutter schenkte Ihnen ihr ganzes Vertrauen...

Ich war so glücklich, in meiner früheren Seelenstimmung mit der edlen Verklärten auf einen Ton zu erklingen. Wir ergänzten uns. Wir genügten uns gegenseitig...

Es war eine Seelenfreundschaft; ich weiß es...

Die reinste und edelste von der Welt! Diesen Bund schloß die himmlische Liebe.

Und Sie sind mir darum doppelt werth, Herr Pfarrer. Soll ich Sie wirklich missen?

Ein Geständniß, Durchlaucht! Ich finde, daß ich zu früh abgeschlossen habe. Ich stehe im Anfange meiner vierziger Lebensjahre und bin in einen so nagenden Zweifel über meine bisherigen Auffassungen der Welt und der göttlichen Ordnung gerathen, daß ich der unglücklichste Mensch sein würde, sollt' ich auf meiner Pfarre in der Ergebung in mein früheres Denken und Glauben zu Grunde gehen.

Doch kein Apostat?

Kein Apostat, Durchlaucht! Ich stehe noch immer auf meinen bessern alten Standpunkten und glaube, daß dieses Leben eine Vorbereitung himmlischer Freuden oder ewiger Verdammniß ist. Christus ist noch mein Mittler. Aber ich fühle, daß ich nicht durch den rechten Zweifel zum Glauben gekommen bin. Ich fühle, daß ich zu rasch überwand. Den Feind umging ich, ich bekämpfte ihn nicht. Ich fand das gläubige Gemüth Ihrer verklärten Mutter. Die edle Frau war glücklich in den Anschauungen, die ihr als die letzten, die besten, die dauerndsten nach vielen Irrthümern und Gaukelbildern der Phantasie und des Herzens geblieben waren. Ich nahm diese Anschauungen ungeprüft an, weil sie für eine vortreffliche Frau von unumstößlicher Wahrheit waren. Ich war glücklich, mit einer reinen Seele mich auf einen Accord stimmen zu können, und glaubte rein zu klingen, weil ich wie sie klang. Sie starb und die gleichgestimmte Terz fehlt nun. Die Harmonie ist hin und ich bin nicht glücklich.

Guido Stromer sprach diese Worte nicht ohne Bewegung und Egon hörte sie voller Theilnahme. Er hatte in der Schweiz Gelegenheit genug gehabt, zu sehen, wie frömmelnde Richtungen sich oft weltlich entpuppten, hatte Rafflard's charakterlose Metamorphosen erlebt und hier zeigte sich eine Umwandlung, die eine wirklich reine, eine geistige schien. Stromer's Auge blitzte; es lag ein zehrendes Feuer in den Blicken, die seine Worte begleiteten. Es war unfehlbar doch ein Denker, der mit ihm redete.

Mein Herr Pfarrer, sagte Egon, wenn Sie es vor Ihrer Familie verantworten können und einen geschickten, würdigen Ersatz aufzuweisen haben, so würde es sehr eigensinnig von mir sein, in Ihre innere Entwickelung eingreifen zu wollen. Ich wünsche, daß Sie recht zur Klarheit über sich selbst kommen mögen, wenn Ihnen nicht dieser Wunsch im Munde eines jüngeren Mannes vorlaut scheinen sollte.

Durchlaucht sind sehr gnädig, sagte Stromer, sichtbar erleichtert von der freundlichen Aufnahme seiner Wünsche bei dem neuen Kirchenpatrone, vor dem er, in Erinnerung alter Irrungen, Beklommenheit genug gefühlt hatte...

Sie werden also in der Residenz bleiben wollen? fragte Egon.

Sie selbst haben sich in der Welt getummelt. Sie kennen das Leben vielleicht mehr als ich... sagte Stromer verlegen.

Sie wollen beobachten? Oder ziehen Sie vor zu reisen?

Zu einer Reise fehlen die Mittel... Ich werde ohnehin schon Mühe haben, eine doppelte Existenz zu bestreiten. Ich denke also hier zu bleiben. Manches Haus hat sich mir bereits erschlossen. Manche bedeutende und einflußreiche Persönlichkeit ist mir zuvorkommend schon entgegengetreten. Ich habe mit Erstaunen bemerkt, daß die Erscheinung eines Menschen, der nur lernen, nur auffassen, richtig beurtheilen will, etwas Neues in der Gesellschaft ist.

Wenigstens Der, sagte Egon, der eine solche Absicht von sich offen eingesteht.

Die Menschen finden es sonderbar, fuhr Stromer ermuthigter fort, daß man nicht mit ihnen streitet und darum doch nicht ganz ihrer Ansicht ist. Ich finde, daß die Sucht, Alles in Parteien zu zerklüften, uns den Kern der Dinge raubt und nur die Schale läßt. Sie bewundern zuviel, sagte man mir schon. Sie geben jedem Irrthum eine zu gefällige Entschuldigung! O welche Unduldsamkeit! Der Geist wirft durch das Prisma des Lebens alle Farben des Regenbogens. Wie kann ich eine Mischung der Strahlen über die andre setzen?

Guido Stromer sprach diese Worte mit einer gewissen schmiegsamen Grazie.

Da können Sie ja der Verkünder eines neuen Evangeliums werden, sagte Egon lächelnd und theilnehmend. Das alte, auch das christliche, ist sehr exclusiv.

Doch nicht! sagte Guido Stromer. Auch die Christuslehre will keine objective Wahrheit. Sie will nur eine persönliche Wahrheit. Warum ist der Herr für uns gestorben? Warum sollen im Leib seines Lebens und Blut seines Todes unsre Herzen leben? Der allmächtige Zauber der ergriffenen Persönlichkeit, heißt Das, ist die Gewalt, die selig macht; der todte Buchstabe, die objectiv sein wollende Wahrheit ist es nicht.

O Das ist ja herrlich, Herr Pfarrer! rief Egon in seiner nach allen Seiten hin heute so glücklichen Anregung und dabei immer gespannt das Bild im Auge behaltend, auch manchmal wie auf Helene d'Azimont's Nähe lauschend. Predigen Sie doch ja hier überall diese Lehre! Sie thut der ganzen Welt so noth, daß ich gern ertrage, wenn Sie sie noch einige Zeit den Bewohnern von Plessen vorenthalten! Wie lange wollen Sie, daß ein Vikar dort für Sie eintritt?

Gestatten Sie mir ein Jahr, Durchlaucht! sagte Stromer bestimmt.

Sprechen Sie mit dem Justizdirektor darüber! Haben Sie schon Ihren Ersatzmann?

Propst Gelbsattel, in dem ich einen Freund und Förderer gefunden habe, wird mir einige Vorschläge machen. Ein gewisser Oleander, ein sanftes, dichterisches Gemüth, von Rechtgläubigkeit und nicht unerfahren im Schulfach, möglicher Schwiegersohn des Propstes, gefiel mir...

Gut! Aber Ihre Familie? Wäre es nicht besser, wenn Ihnen diese...

Nachzöge? meinte Stromer gedehnt. Ich kann es nicht wünschen. Ich habe mir eine nicht geringe Aufgabe gestellt und gerade Das, was sie allein lösen kann, ist die Freiheit meiner Person. Es mag Manchem bedenklich erscheinen, wie ich so Weib und Kind von mir gleichsam abschüttele, aber ich werde später, wenn ich mein Ziel erreicht habe, sie um so inniger an ein stärker gewordenes Herz ziehen.

Egon nahm keinen Anstand seinen Beifall zu geben, gestattete ohne Weiteres, jenen Oleander zu wählen und sagte nur noch:

Um dieses Ziel? Welches ist es, Herr Pfarrer?

Stromer gerieth in einige Verlegenheit. Er schien mehr gesagt zu haben, als er wollte. Egon nahm daher Veranlassung, sich noch lebhafter in seine Gedankenreihe zu versetzen und äußerte rasch:

Fast merk' ich etwas. Sie werden vielleicht weder nach Plessen, noch je überhaupt auf eine Kanzel zurückkehren wollen? Sie suchen einen ganz neuen, eigenthümlichen Lebensweg. Nicht wahr?

Durchlaucht, daß ich es offen gestehe, fuhr Stromer, nun ganz mit der Sprache herausgehend, fort. Ich kann mich in dieser doppelten Existenz nicht behaupten, wenn ich nicht an eine neue Erwerbsquelle denke. Meine Art zu urtheilen fiel in einigen Salons auf und Propst Gelbsattel war es vorzugsweise, der mich ermuntert hat, die Feder zu ergreifen. Ich werde schreiben...

Ah! Das war für Egon eine ganz neue Perspective. Er hatte also einen werdenden Autor vor sich! In diesem Augenblick verstand er Guido Stromer's Weise, seine Sprechart, sein Äußeres, seine hohe Stirn, seine zurückgestrichenen Haare, die weit geöffneten Augen, dieses eigenthümliche Etwas, das über des Mannes ganzer Erscheinung lag. Und weit entfernt, ihn wegen dieses Geständnisses für geringer zu achten, schenkte er seinem Besuch eine im Gegentheil sich steigernde Hochachtung. Nur eine Art beklommener Scheu kam jetzt doch über den jungen Fürsten, eine gewisse Verlegenheit, ja wenn er ganz aufrichtig sagen wollte, was ihm geschah, so mußte er eingestehen, ein gewisses Mistrauen regte sich in ihm, und ein wenig auf dem Stuhle rückend, gleichsam als wollte er abbrechen, sagte er:

Und nach welchem Gesichtspunkte denken Sie zu wirken?

Die Gährung des Geistes, sagte Stromer, diese nur so hingeworfene Frage festhaltend, kündigt sich nach allen Richtungen an. Kein Feld des menschlichen Wissens, wo nicht ein alter Glaube neuer Prüfung unterworfen ist. Das religiöse, mir verwandteste Gebiet ist mit der Weltlichkeit in eine bisher ungeahnte Beziehung getreten. Wie fordern die vielen kirchlichen Regungen nicht selbst die Politik der Staaten heraus, und wie nahe tritt die Religion überhaupt jetzt wieder dem Leben, dem täglichen Zusammenhange unseres Ichs mit dem Nächsten, dem Natürlichsten, was unsere Existenz bedingt! Weit entfernt, darin eine Entweihung des Gottesgedankens zu finden, sollen wir die Möglichkeit eines neuen Triumphes für ihn anerkennen. Alles will neugeboren werden, in einem neuen Lichte wandeln, die Taufe des Geistes empfangen, die Feuertaufe der freien Überzeugung. Nun wohlan! Da mag geirrt, blindlings getastet, das nächste Endliche und Oberflächliche zu schnell als Beantwortung einer tiefen Menschheitsfrage genommen werden; aber es ist doch ein Drang, ein Streben, eine mächtig wirkende Wahrheit des Gemüthes da. Ich sehe hier ein Chaos von Principien, ein wildes, sich bäumendes Trotzen auf seine Endlichkeit, ein Prahlen sogar mit seiner Verzweiflung an der Unmöglichkeit, über die Schranken des Diesseits hinauszublicken; allein selbst im Extrem, selbst in der Caricatur muß ein Denker staunen, wie doch der Sinn der Menschheit an Idealität zugenommen hat. Ich habe hier sogenannte freie Gemeinden besucht, deutschkatholische Zusammenkünfte, ich war unter jungen Philosophen, die etwas wild und zügellos das Nichts ihres Geldbeutels auf das Nichts des großen Alls bezogen, ich stehe staunend und verwundere mich über die Vermessenheit der Ohnmacht, und doch hat dies Sehnen und Schmachten der Creatur nach Freiheit und Erkenntniß einen unendlichen Reiz für mich, einen größeren, als früher mein allzuschroffes Verdammen jeder Richtung, die nicht zu meinem nächsten Ziele führte. Man sagte mir, daß meine Analyse dieser Erscheinungen neu sei und deshalb will ich anfangen zu schreiben, so alt ich schon geworden bin.

Und Ihr eigentliches Princip? fragte drängender Egon, den die Zuversichtlichkeit dieses Tones bei der großen Unsicherheit über Das, was man jetzt für Wahrheit nehmen soll, fast erschreckte.

Ich gestehe fast, sagte Stromer, daß ich gegen diese Forderung eines Principes überhaupt bin. Man soll nicht mehr fragen, was ist Wahrheit? Man soll den Menschen allein nehmen und die Wahrheit individuell nur auf ihn allein beziehen. Gott, diese Fülle der Erscheinungen ist ja so interessant! Wie lieblich ist der Trieb zur Schönheit, wie himmlisch, wie göttlich das Schwelgen in äußerer Form, in der Harmonie der Theile, im Belauschen der Feiermomente der Natur! Andererseits acht' ich, ehr' ich den einsamen Denker, der beim Lampenlichte mit dem grünen Schirm auf dem blöden Auge ein zweiter Faust aus pergamentnen Schriften Erkenntniß sucht. Jede Freude an der Erscheinungswelt, auch wenn sie mich ganz erfüllt, ganz entzückt hat, wie lange dauert sie denn? Da kommen die Humboldt's und zerstören mir alle Märchen der Schöpfungsgeschichte; da lösen die Liebig's alles Feste und Majestätische in Wahn und kleine Täuschung auf, und die Mechanik, ist die vollends nicht ein ungeschlachter Riese, der mit der furchtbaren Keule seiner mathematischen Gesetze Alles zertrümmert und fast die Erde aus den Angeln ihrer bisherigen Vorstellung über ihre Kräfte gehoben hat? Ja, Durchlaucht, was ist da Wahrheit? Der Mensch ist die einzige Wahrheit, die wir begreifen können; der Mensch in seinem Sehnen, Bedürfen, der Mensch in seinem Haß und seiner Liebe, der Mensch in seiner Größe und seiner Ohnmacht, und wenn der Schriftsteller jetzt einen Beruf hat, so ist es der, die Ästhetik der Wahrheit zu lehren, d. h. das Fühlen und Empfinden, das Zittern und Jauchzen, das Verzweifeln und das Triumphiren des denkenden Ichs. Ästhetische Weltanschauung, Durchlaucht, diese wird uns zur Vermittelung der Extreme führen. In diesem Sinne hoff' ich, wenn die Feder mir den Dienst nicht versagt, segensreich zu wirken.

Egon, der auf Principien katonisch strenge hielt, ja etwas Stoisches in seinen Überzeugungen bewahrte, erschrak fast über diese vague, flimmernde Erklärung, obgleich er nicht im Stande war, sogleich die Gefahr zu erkennen, die aus einer zu üppig wuchernden Beweglichkeit des Geistes für den Charakter und die Reinheit aller Meinungskämpfe entstehen konnte. Dennoch sagte er nicht ohne Ironie:

Da will ich nur nicht wünschen, Herr Pfarrer, daß Sie der Sultan kommen läßt, Ihnen den Sonnenorden umhängt und den Auftrag ertheilt, über Muhamed's göttliche Sendung zu schreiben!

Guido Stromer war auch sogleich von der Vorstellung des Orients, von dem Sonnenorden und den Anschauungen des west-östlichen Divans so in seiner beweglichen Phantasie geblendet, daß er nichts erwiderte, sondern die Augen gewaltsam und mächtig aufschlug, als würde ihm eine neue verlockende Gedankenreihe eröffnet, eine Perspective in die Gärten von Schiras und Damaskus. Er blickte wie ein von Opium Berauschter und flüsterte nur:

Sonnenorden? Muhamed's göttliche Sendung?

Also Schriftsteller! unterbrach Egon sein Träumen, das sich noch im Echo seiner langen Rede zu wiegen schien. O da wünsch' ich von Herzen Glück! Sieh! Sieh! Wie überraschend Das ist! Herr Stromer, lassen Sie mich bald von sich hören! Schicken Sie mir das Erste, was Sie veröffentlichen! Wie begierig bin ich! Wie gespannt! Besuchen Sie mich oft und die nähere Einleitung Ihrer Wünsche treffen Sie mit dem Justizdirektor!

Diese Worte waren denn wohl einer Entlassung gleich.

Stromer, fast erstaunt, daß der junge Fürst eine solche Mittheilung über sein künftiges Wirken sichtlich doch etwas verlegen, ja ängstlich aufnahm, verbeugte sich. Es schien über sein bewegliches Antlitz der Gedanke zu fahren: Der arme junge Mann! Ich hab' ihn in Verlegenheit gesetzt! Ich bin ihm plötzlich zu hoch gewachsen, zu bedeutend überragte ich ihn!

Stromer ging mit vieler Förmlichkeit und dankte für die ihm widerfahrene Gnade.

Nicht ohne eine gewisse gemachte Empfindsamkeit warf er, als er schon die Thür in der Hand hatte, noch einen Blick auf die in einer Ecke des Zimmers aufgestellten mehrfachen Bilder der Fürstin Amanda.

Als sich Egon nach Louis umsah, trat dieser ausgerüstet mit Hut und leichtem Stocke herein, um auszugehen.

Es ist gut, sagte er, daß du nicht zugegen warst, lieber Freund. Eben hab' ich mich so albern benommen, daß man von meinen geistigen Kräften bald eine sehr geringe Meinung in Umlauf gesetzt hören wird. Dieser Mann, Geistlicher auf meinen Gütern, erklärt mir eben, daß er die Absicht hätte, die Feder zu ergreifen und unsere Literatur zu bereichern. Und statt dies Geständniß freudig zu begrüßen, statt ihn über die Pläne, die er auszuarbeiten gedenkt, zu befragen, gebehrd' ich mich wie ein Mensch, dessen Weisheit einem Schriftsteller gegenüber zu Ende geht.

Oder vielleicht wie ein geborener Aristokrat! sagte Louis und suchte es trotz seiner Aufregung noch über sich zu gewinnen, den scherzenden Ton beizubehalten. So oft ich mit einem Maler zu einem reichen oder vornehmen Manne kam, merkt' ich immer, daß man die Schaffenden doch ängstlich und befangen behandelt. Ein Maler, der mich hier in meinem kleinen Comptoir besuchte, er heißt Leidenfrost, sagte mir, als ich diese Bemerkung machte: Mein guter Freund, Das geschieht, weil zwischen dem Genie und der Prärogative der Abstand so groß ist, daß die Reichen und Vornehmen ihn meist nur durch Insolenz glauben ausfüllen zu können. Das paßt natürlich auf meinen Freund Egon nicht, wohl aber auf viele Vornehme und vielleicht immer auf das Schicksal der Schriftsteller.

Wenn ich aristokratisch erscheine, sagte Egon, so ist nur mein Freund Louis Armand Schuld. Wer heißt dich denn in fremder Gegenwart mir die lächerlichen Ehren meines Standes anthun, mir Lüstre geben, sich zum Schemel meiner Würde machen?

Louis, der eben einen schwarzen Handschuh zuknöpfte, sah den jungen Fürsten mit einem von unten emporblickenden Auge voll Rührung an. Er sagte nichts, aber es lag in seinem fragenden Blick der ganze Schmerz ausgedrückt, daß dies seltene Verhältniß, das der sonderbarste Zufall und die Laune eines eigenthümlichen Charakters so gefügt hatte, nun wol nicht mehr lange in dieser Form bestehen würde.

Louis, sagte aber Egon gerührt, könntest du je an meiner Treue, an meiner ewigen Freundschaft zweifeln?

Louis schwieg und sah zur Erde.

Du bist gerettet, sagte er nach einer Weile, Louison's Schatten möge dich schützen! Ich bin nun dein Wächter nicht mehr, nicht der Pfleger des jungen Fürsten, den Alle verehren, Manche fürchten und nur Wenige wahrhaft lieben werden. Ich kehre nun zurück zu meinem kleinen Comptoir. Ich bin Louis Armand wieder, der Kunsttischler und Vergolder.

Egon drückte ihn gerührt an's Herz.

Mein Bruder! Mein Freund! sagte der junge Fürst. Ich danke dir mein Leben! Wenn ich je vergessen könnte...

Erinnere dich unserer glücklichen Zeit, sagte Louis bewegt, und habe nie umsonst gelebt im Schooße des Volkes! Einige Tage noch und du bist in die Herrlichkeit deines Standes so wieder eingeführt, daß du davon überflutet sein wirst. Die Sorge um dein Eigenthum hat dir ein kundiger, braver Mann in Hohenberg abgenommen! Du hast das Bild, dessen Geheimniß dir bald gelöst sein wird! Du hast die feurige Liebe wieder, in deren Umarmungen du die Poesie finden wirst, die eher für dich paßt als einst die Lyoner Idylle unter unsern alten Nußbäumen...

Nein, nein, Louis! Ich wollte, ich hätte mich getäuscht und diese Briefe wären von einer fremden Hand geschrieben, nicht von Helenen's.

Wir haben schon gesagt, Freund, unsere Zeit ist nicht darnach, Liebe von sich zu stoßen. Laß sie dein Glück sein, aber auch deine Zierde, dein Stolz, deine Erhebung!

Das kann sie nicht! sagte Egon düster. Eine solche Liebe, Louis, bleibt egoistisch. Sie klammert sich wie die zärtliche Umarmung der Schlingpflanze an uns an, will erst nur lieben, nur dienen, nur gehorchen und bald ist uns das Mark der Seele, das Wachsthum unserer Zweige ausgesogen, wir verdorren und sind nur noch der Schatten unserer selbst!

O möge diese Erfahrung nie kommen, mein Egon! sagte Louis besorgt.

Egon schwieg nachdenklich. Dann umarmte er mit stummer Rührung noch einmal den bescheidenen Fremdling, mit dem er schon so viel Frohes und Trübes erlebt hatte und der eben von ihm schied mit dem Gefühle, das er sich wol eingestehen durfte: Ich habe dich vom Tode gerettet! Wer weiß, ob mir noch länger dein Leben gehören wird.

Egon rief Louis noch nach, ja nicht bei Tisch zu fehlen und durchaus der heutigen Fahrt nach Solitüde sich anzuschließen.

Ich muß noch einen Arm haben, sagte er, der mich stützt, einen Fuß, der mit mir geht, einen Kopf, der für mich denkt, Louis! Glaube mir, es wird mir Alles schwer und ich denke, ich bedarf deiner wol für den ganzen Weg meines Lebens!

Darunter würd' ich selbst leiden! antwortete Louis künstlich lächelnd und suchte die schmerzliche Stimmung durch Scherz zu erleichtern. Du siehst, daß ich auch meine Wege habe und recht geheime, was du später hören sollst. Leb' wohl! Du bist erschöpft. Nimm keine Besuche mehr an! Ruhe dich auf diesen weichen Ottomanen des Nebenzimmers aus und träume!

Ich will es versuchen, sagte Egon, als Louis schon die Thür in der Hand hatte. Ich sah an diesem Guido Stromer, daß man des Geistes zuviel in sich fühlen kann; ich habe das Bedürfniß, jetzt arm daran zu sein. Ich will nicht denken. Ich will vegetiren. Mein Zustand erfordert es.

Eine Weile warf sich Egon, als er allein war, nun auf ein weiches, schwellendes Polster.

Er war furchtbar erschöpft.

Stromer's wühlerische, grübelnde, ziellose, weichliche Dialektik hatte ihm vollends die Nerven angegriffen. Er sank in die Polster, halb ohnmächtig...

Nach einer Weile fiel sein Blick, der erst langsam wieder Kraft gewann, auf das räthselhafte Bild... er sehnte sich nach Dankmar Wildungen...

Aber nur flüchtig... Er stieß mit Gewalt den Reichthum von Eindrücken, der ihn plötzlich überströmte, von sich...

Das war Alles so überwältigend, so voll, so mächtig! Helene, Dankmar, das wirklich eroberte räthselhafte Bild dort... das Testament seiner Mutter...

Er schloß die Augen.

Seine Knabenzeit überschlich ihn. Dies waren die Zimmer, die ihm einst verschlossen waren. Hierher ließ ihn der Vater niemals. Es waren die Zimmer des alten Fürsten, die Teppiche, die Statuen... wie geschmackvoll, wie weich, wie sanft, die Seele einlullend, den Sinnen sich einschmeichelnd!

Seine fürstliche Geburt hatte er noch wenig empfunden. In Hohenberg herrschte kein Luxus und vor den Entbehrungen in Lyon und Paris kannte er nur die bescheidene Bequemlichkeit des Pensionats in Genf.

Nur das mit Helenen verlebte Jahr hatte ihn verwöhnt und weichlich gemacht und vorbereitet, dies Palais seines Vaters doch schön zu finden...

Aber es hielt ihn nicht lange in dieser ausgestreckten Lage auf den Polstern, den Blick so auf die Bilder und die Blumen gewandt, die ihm der Aufseher des Gartens, um sich zu empfehlen, in die Zimmer zur Feier der Genesung gestellt hatte.

Er betrachtete die Züge seiner Mutter und wollte eben auf das Pastellgemälde nun zuschreiten, als ihm das Billet Helenen's zur Erde fiel. Da erschrak er. Er fühlte, daß er ihr in das Hotel, wo sie wohnte, jetzt endlich ein Wort des Grußes schicken mußte. Er öffnete, rasch sich ermannend, einen sauber ausgelegten Schrank, zog eine practicable Schreibplatte hervor und warf rasch die Anrede hin:

»Meine gute, liebe Helene!«

In diesem Augenblicke wurde ihm aber der Justizdirektor von Zeisel gemeldet... und der Referendarius...

Er sagte, die zweite Meldung überhörend:

Ein Andermal!

Dann sich besinnend:

Morgen!

Wie der Bediente ging, dachte er, daß doch sein erster Beamter die nächsten Ansprüche an ihn hätte und rief:

Ich bitte Herrn von Zeisel heute die Suppe bei mir zu essen, um zwei, weil ich ausfahren muß! Jetzt nicht! Fort! Fort!

Der Bediente meldete aber noch den zweiten Besuch durch die überreichte Visitenkarte.

Herr Referendarius Dankmar Wildungen! sagte er.

Eine Karte gab den vollen und richtigen Namen.

Da sprang denn Egon freilich von seinem Sessel empor, stieß das Papier rasch in die Schublade des Schreibtisches und ging mit dem Rufe: Das ist etwas Anderes! O! Endlich! Endlich!... freudig erregt beiden Angemeldeten entgegen.


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