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Achtzehnter Brief.

Paris, den 6. April 1842.

Das Wetter ist ganz so, wie Balzac neulich gesagt hat, »perfide«. Man hat die Sonne, aber die Sonne ist ohne Wärme. Es sind wahre Mamertustage, die Bäume und Sträucher in dem schützenden Viereck des Palais Royal grünen schon, aber die Nächte können durch Frost dem Frühling noch sein Spiel verderben. Ich wollte nach Versailles, aber es ist zu kalt. So irrt man in den Straßen von Paris, berechnet die Entfernungen, berechnet die Stunden, wo man Jemand hoffen darf, zu Haus zu finden. Es ist dies eine der schwersten Rechnungen, die wir oft zehnmal ansetzen, ehe sie einmal aufgeht. Ich sagte einer geistreichen Frau: »In Paris muß man Tage säen, um Stunden zu ernten.« »Und doch, antwortete sie, können wir Die, die wir gern hatten, nie haben, und haben Die immer bei uns, die uns langweilen.«

Es ist nicht Sommer, es ist nicht Winter. Diese unglückliche Zwischenzeit macht, daß sich keine Physiognomie der Tagesordnung dauernd ausprägen kann. Heute stellt man den Schirm vor den Kamin, um ihn auf immer zu schließen. Morgen muß man ihn wieder fortnehmen, weil wir erfrieren würden. Für das Vergnügen der Promenaden ist Paris bei schlechtem Wetter zu groß, bei gutem zu klein. In der That, wenn die Sonne scheint, ist Paris sehr klein. Der fashionable Theil der Boulevards, der Vivienne, der Rue Richelieu, das Palais Royal, in diesem Bereich ist man bald so heimisch, daß man jedem Boutiquier bekannt sein wird. Immer dieselben Eindrücke. Am Tage oft nüchtern, erfreulicher am Abend, wenn die Gasflammen glänzen. Die Kunst des blendenden Scheins ist hier zu großer Vollkommenheit gediehen. Die gewöhnlichste Schenke ist auf Täuschung des Auges angelegt. Durch Spiegelwände, die die rechts und links aufgestellten Waaren reflectiren, erhalten alle diese Locale eine künstliche Ausdehnung, beim Lampenschein eine phantastische Größe. Sähe man sich selbst nicht an den Wänden vervielfältigt, man würde alle diese Schinken, diese Würste, diese Backwaaren angreifen und sich verwundern, daß es nur Reflexionen eines gar kleinen Krames sind. Noch immer wählt man unter den Restaurants, ißt bald hier, bald dort, und lernt die Geheimnisse der Speisekarte ergründen. Alle complicirten Speisen fängt man preiszugeben an. Man hält sich an die Devise au naturel, bei der wir wenigstens sicher sind, kein Katzen- für Kalbfleisch zu bekommen. Im Palais Royal ist Alles, was man kaufen möchte, unerhört theuer, nur die Diners sind wohlfeil und die Langeweile hat man umsonst. Seitdem die glänzenden Passagen durch die Straßen gebrochen sind, hat das Palais Royal verloren. Manche sagen, seitdem es tugendhaft geworden ist. Die einst so übel berufenen kleinen cabinets particuliers sind jetzt die Rauchzimmer der Kaffeehäuser geworden. Jedes Kaffeehaus hat ein Rauchzimmer, das man Divan nennt. Die Gallerie Orleans ist noch der besuchteste Theil des Palais Royal. Man zieht hier alle fünf Minuten seine Uhr, denn man erwartet einen Freund, oder zählt die Minuten zum Diner. Unsre Eitelkeit läßt uns dicht an den Läden hinstreifen, um an den verschiedenen Spiegeln, wenn sie gereinigt sind, unsre heutige Toilette zu bewundern.

Des Abends verläßt man kaum die Boulevards. Man geht hundert Mal auf und ab und verwundert sich, daß Landsleute, die nach uns ankommen, Paris so großartig finden. Es fehlt hier überall an dem wahren Reiz des Volkslebens. Keine Heiterkeit, keine Lust an freiem, offnem Ergehen. Nirgends auch nur ein einziger musikalischer Laut. Wie ist es dagegen in Italien so froh und erquickend! In Venedig dieselben Passagen und Quais, dieselben engen Straßen, dieselben tausend Lichter und Glaskronen und Spiegel, alle Zauber der Insel Murano an den Wänden ausgebreitet. Eine wogende Volksmenge. Bunte Trachten, Moden und Costumes. Türken, Armenier, Griechen und moderne Elegants. Die Frauen in Toilette, schöne, häßliche, zahme, wilde, Alles bunt durcheinander. Dazwischen Musik, wandernde Sänger, Sängerinnen, die von Café zu Café mit einer Stimme ziehen, die noch immer an einem deutschen Hoftheater dritten Ranges lebenslänglich angestellt werden könnte. Spielbanden, die Straußische Walzer geigen, mitten auf dem Markusplatz zwischen den Procuratien jeden Abend großes Concert des Militairs. So in Verona, so in Mailand. Von der bunten und froh hinströmenden Menge wird man dort fortgerissen und erheitert. Hier in Paris kehrt man ermüdet, durch das tägliche Einerlei gelangweilt, in sein Hotel zurück.

Meist flieh' ich daher das kleine Paris in diesem großen und suche mir die dunkeln Gegenden auf. Ich irre von Gasse zu Gasse, ohne fesselnden Eindrücken zu begegnen. Je weiter man kommt, desto weiter die Zwischenräume der Laternen, desto länger die Schatten.

Ich durchwanderte neulich am Tage die Boulevards von der Madeleine bis zu der Julisäule, eine Strecke, zu der man mehr als zwei Stunden braucht. Wenn die wenigen Bäume, die noch auf ihnen stehen, blühen werden, bekommen sie ein noch freundlicheres Ansehen. In einer Wanderung von der Madeleine bis zur Julisäule liegt die ganze Gegenwart von Paris, liegt die Geschichte der Vergangenheit. Von den Prachtgebäuden oben, den Theatern, den glänzenden Hotels der Börsenregenten bis hinunter zu jenen mit so vielem Blut getränkten Stellen, wo dieser Glanz, dieser Friede erkauft wurde, welch ein Absturz! – Von der Porte St. Denis und Porte St. Martin, an den zwei Triumphbogen aus Ludwig XIV. Zeit und drüber hinaus verliert sich das Großstädtische der Boulevards. Sie werden gemüthlicher, ländlicher. Die Pracht der Boutiquen und Cafés schwindet. Der Luxus weicht dem Nützlichen, der Comfort zuletzt dem Nothwendigen. An der Wasserkunst, an dem Knie der Boulevards, wo ihre Verlängerung einen rechten Winkel bildet, stehen drei, vier Theater beisammen, Gaité, Theater du Temple, das Circustheater; man ist hier mitten in einer neuen Bevölkerung. Hier ist der Weg zum Père Lachaise. Hier fielen die Opfer der Fieschi'schen Höllenmaschine. Aus einem dieser kleinen Häuser entlud sich der mörderische Hinterhalt. Aus welchem? Ich will nicht fragen. Paris hat seine Revolutionen vergessen.

Weiter hinab leuchtet die Freiheitsgöttin auf der Juliss Säule. Warum dieser schwebende Tänzerpas? Das in der Luft schwebende Bein der Freiheit scheint mir ein großes Kunststück des Bildners zu sein, aber es ist würdelos und fordert den Sturmwind heraus, der schon einmal vom Pantheon die Freiheitsgöttin wegwehte. Auf der Säule sind die Namen der Julihelden eingegraben.

Was stand einst an dieser Stelle? Ich lese drüben an einer kleinen Barrake: Weinschenke zur Bastille. Hier stand die Bastille. Hier stand die Geburtsstätte der französischen Freiheit, der Freiheit der Welt. Auf diesem jetzt kahlen Platze stand die Zwingburg, die durch Jahrhunderte in ihren düstern Mauern die Verbrechen der Tyrannen, die Gewaltthaten des Despotismus erzählte, ohne daß die Welt mehr davon als dunkle Sagen erfuhr. Am 14. Juli 1789 wurd' es lichter Tag. Die Bastille wurde zerstört, kein Stein blieb von ihr übrig. Es ist ein schauerlicher Anblick, diesen Platz zu sehen, der jetzt so kahl und einst so dunkel beschattet war, einst so grauenhaft wirklich! Die Julisäule verschwindet in der Vorstellung Dessen, was einst hier war. Noch immer hat der Platz keine Abrundung, noch immer sieht man, daß diese kleinen Hütten und Barracken sich einst unter den schwarzen Wällen, Thürmen und Brücken dieses Staatsverließes duckten. Hier beginnt die Vorstadt der Arbeiter, die Vorstadt St. Antoine, die die Faust der Jacobiner war. Alles scheint hier barscher, kräftiger aufzutreten. Es ist eine Art frankfurter Sachsenhausen. Durch die Straße St. Antoine kommt man wieder in das Innere der Stadt zurück, in ihre gewerbsfleißigen, ihre handelsthätigen Theile. Ich liebe diese Wanderungen durch die wochentägige Luft der Städte. Ich ziehe sie den sonntäglichen Spaziergängen, den Promenaden auf den Trottoirs des Luxus vor. Es ist wahr, jede dieser verwickelten schmuzigen Gassen hat einen besondern, oft garstigen Geruch. Da wohnen die Seifensieder, dort ist ein Schlachthaus, hier in der Rue des Lombards duftet es von Gewürzen und Droguerien. In den Unterbauten der Häuser stehen mit aufgekrämpten Armen die Stößer vor großen eisernen Mörsern und stampfen Schwefel und Pfeffer und hundert Gewürze, ein Lärm, ein Geruch, wie bei den Theriakstößlern auf dem Rialto in Venedig. Und auch hier mitten in diesen Engpässen und Schluchten treten uns historische Erinnerungen entgegen. Dort die zerschossene Kapelle St. Méry, wo vor acht Jahren vierhundert Republikaner gegen die ganze bewaffnete Macht von Paris kämpften, sich in die Klöster verschanzten und durch Geschütz zur Uebergabe gezwungen werden mußten.

Die heutige Opposition in Frankreich macht es sich bequemer. Sie dinirt und opponirt mit Toasten, wie in Deutschland. Das Knallen der Champagnerkorke kostet kein Blut. Geschriebene Reden, ein Journalartikel, sogar ein Toast auf die Ordnung, ein Toast gegen tentatives insensées – es wird lange dauern, bis eine solche Opposition ihren Zweck erreicht.

Dies soll nicht ganz gegen das große Diner der Fourieristen gesagt sein, das jährlich am 7. April zum Gedächtniß ihres Meisters wiederkehrt. In der Straße St. Honoré, im Saale Valentino, in denselben Räumen, wo nur der Göttin des Tanzes sonst geopfert wird, opferte man heute den Manen eines Weisen, der in einem Zeitalter, wo Alles sich abstößt, die Lehre von der Anziehung (der Attraction) verkündigte. Man opferte mit einem Diner, mit Toasten und einer längern Rede Victor Considerant's, des gegenwärtigen Hauptes dieser Schule.

Ich trat in einen großen Saal, an dem ich festliche Ausschmückung, ja ich bekenne meine Schwäche, wieder die Musik vermißte. Alles Schöne hat seine Pausen und die Musik ist dazu erfunden, diese Pausen auszufüllen. Ich weiß freilich nicht, welche Stelle die Musik in Fourier's System hat. Die Blumen haben eine Stellung in ihm. Fourier liebte die Blumen, auf jedem Tische sah man seine Lieblingsblume, die Kaiserkrone. Kaiserkronen zu lieben, ist etwas monarchisch empfunden. Fourier hatte eine Tendenz zum Monarchischen, wenigstens zum Aristokratischen. Das System Fourier's ist aristokratischer als der Socialismus. Die Socialisten wollen keine Revolution, sie wollen die Gesellschaft gleich machen, so aber, daß sie den Besitzenden ihr Besitzthum abkaufen. Die Fourieristen lehren dieselbe friedliche Ausgleichung mit dem Eigenthum. Fourier's Schwäche ist die, daß er an die Gebrechen der Gesellschaft anknüpft, daß er die Privilegien nicht blos schont, sondern sicher stellt, daß er Jedem Das läßt, was er hat, auch wenn er es gegen das Wohl des Ganzen hätte. Wollen wir denn doch einmal auf dem Papiere neue Gesellschaften erfinden, so ziehe ich den Socialismus vor, der sich in seinen Principien reiner erhält, und die faule Rente, das faule Erbe und die Börse nicht, wie Fourier, unter den unmittelbaren Schutz der Philosophie stellt.

Es waren wol über 400 Theilnehmer des Banquets. Die Hälfte kam sicher nur aus Neugier. Viele kamen halb zweifelnd und gingen halb gewonnen. Ich kam zweifelnd, ich blieb zweifelnd, aber ich ging gerührt. Die edelsten Gesinnungen gaben sich in den Reden kund, man huldigte vielen flachen Allgemeinheiten, vielen leeren Worten, Worten, die schon in der Epoche der französischen Revolution ausgesprochen wurden, damals, als sie neu waren und durch Thaten noch unterstützt wurden. Dennoch fühlte man lebhaft, daß für Frankreich jede Selbstbeherrschung, jede Zähmung seines Egoismus ein unermeßlicher Fortschritt ist. Hier war in der That jener trostlose Parteienkampf vergessen, vergessen diese Streitigkeiten um nichts; es war ein allgemeineres Feld gewonnen, ein Feld für die Entwickelung der Humanität. Man ließ die Kinder leben, die durch Fourier leichter buchstabiren lernten, man ließ die Frauen leben, die durch Fourier von der Nothwendigkeit, sich prostituiren zu müssen, befreit würden. Das war lächerlich. Aber man rief auch die schönsten Wahrheiten des vorigen Jahrhunderts zu Vorbildern für das unsre auf, und das war erhaben. Fast alle Toaste waren allgemein und nur einer galt einem besondern Verhältnisse, dem Bunde Deutschlands und Frankreichs. Venedey, ein edler biederer Charakter, hatte den neunzehnten Toast. Er brachte ihn aus im Namen der petite phalange allemande, die sich an dieser Tafel befände. Schon dieser Eingang wurde mit Jubel begrüßt. »Fourier,« fuhr Venedey fort, »ist im Vaterlande Kant's und Hegel's noch nicht gewürdigt. Die Basis seiner Wirksamkeit würde bei uns eine andere sein, als in Frankreich. Wir Deutsche sind nicht gekommen, um uns für Fourier's System verantwortlich zu machen, wohl aber für eine der schönsten Anwendungen desselben. Fourier hat den Egoismus der Massen bestritten, Fourier hat den Haß der Völker aufgehoben. Wir Deutsche sind zu diesem Fest gekommen, weil Fourier's Schüler die Einzigen sind, die nicht den Ruf um Besitz des linken Rheinufers ausgestoßen, die Einzigen, die ihn bekämpft haben. Auf Deutschlands Bruderbund mit Frankreich, auf Frankreichs Bund mit Deutschland.« – Kein Toast wurde mit gleichem Enthusiasmus aufgenommen, Alles verließ die Sessel und drängte zu den Deutschen hinüber, um sie zu umarmen. Der Gang des Festes war unterbrochen. Die Beweise von Freundschaft und Hingebung wurden Scenen, die rings die Augen edler Männer von Thränen glänzen machten. »Das ist das Frankreich, sagte ein geistvoller Landsmann, welches unsre Blätter seit einigen Jahren täglich herabsetzen, dasselbe Frankreich, an dessen Demüthigungen sie sich mit ohnmächtiger Schadenfreude ergötzen!« Wahr! und doch konnte das Ganze vielleicht nur die Frucht eines elektrischen Momentes sein. Dies Fourieristische Frankreich ist nicht das Frankreich der Journale und der Kammern, es sind Philosophen, die gelernt haben, sich selbst bekämpfen.

Nach dem Toaste Venedey's wollte nichts mehr ansprechen, bis endlich angezeigt wurde, Victor Considerant würde sprechen. Dies führte Aller Blicke auf das Festcomité. Ich sah dort hinter den Kaiserkronen eine Reihe von scharf ausgeprägten Physiognomien. Es war der engere Ausschuß der Lehre, die Mitarbeiter des Blattes La Phalange, der engere Kreis der Apostel Fourier's. Sie hatten meist den Apostelzug. Sie hatten in ihren Mienen jene Mischung von Schwärmerei, etwas sinnlicher Phantasie, Herzensgüte und Selbstgefühl, die sich in dem Auge und auf der Stirne jedes Sektirers ausgeprägt findet. Es waren Denkerstirnen und Augen, die weinen konnten. Es lag etwas Verklärtes auf diesen Mienen, etwas Prophetisches. Victor Considerant las mit Gefühl, in jenem rührend elegischen Tone, in dem die französische Sprache sich so schön ausnimmt, eine geschriebene Rede vor. Sie verrieth ein großes Talent. Mit wahrhaft poetischen Schönheiten ausgestattet, erhob sie sich zuweilen zur Inspiration. Er begann mit der Erbsünde und dem Sündenfall, mit der Voraussetzung, daß der Mensch zum Unglück geboren wäre, mit den Erzählungen der Bibel und den Lehren des Dogmas. Aus den Schönheiten der Natur und den Reizen der Kunst, aus den Fortschritten der Erfindungen und dem philosophischen Bewußtsein der Denker leitete er die Ueberzeugung her, daß wir nicht zum Unglück geboren sind. »Die Humanität widerspricht, sagte der Redner, sie widerspricht im Herzen und durch ihre Handlungen. Die Industrie erweiterte sich, die Wissenschaft machte Wunder möglich. Die Kunst sang das Leben: der Geist der Dichter und Künstler zauberte die Schöpfungen der Schönheit: es gibt eine Zauberwelt, die im Menschen stets das Bedürfniß des Glückes nährt. Christus kam und lehrte die Erlösung der Welt von dem Uebel, die Erlösung durch die Liebe.« Die ascetische, nazarenische Lebensansicht widerlegend, ging der Redner zu den Leiden der Gesellschaft über. Er verglich mit Fouriers Worten den redlichen, aber unglücklichen Fleiß der Arbeitsamkeit mit dem eigenthümlichen Blütenleben der Kaiserkrone, er ging zu Fourier und seiner dornenvollen Lebensbahn selber über. Thränen erstickten seine Worte, bis er sich männlich emporraffte und den Sieg seiner Lehre in prophetischer Ahnung aussprach. Die augenblickliche Wirkung war hinreißend. Ich widerstand ihr nicht. Ich mußte mit den Andern die Hand des begeisterten Redners drücken.

Die meisten Anhänger Fourier's, ihre Zahl ist nicht groß, sind geblendet von den Resultaten seiner Lehre. Kann man eine glänzendere Aussicht in die Zukunft geben, als die, welche verwirklichen zu können dies System sich anheischig macht? Fragt man den Fourierismus, was er geben will, so antwortet er: Friede der Welt, Bruderbund allen Völkern! Liebe und Huld für Alle, vom Armen, der nur arbeiten kann, bis zum Reichen, dessen Schätze die Industrie beleben, bis zum Gelehrten und Künstler, dessen Geist denkt und erfindet! Einträchtige Ernte vom Boden der Erde! Luxus selbst, harmonisches Familienleben, Liebe und Freundschaft! Allen Anreiz einer würdigen Ehrbegierde: ein Leben voll Schönheit, ein Leben voll Abwechselung und Begeisterung! Eine freie, eine glückliche Erde! Eine glückliche Vorbereitung zum höheren Glück des Himmels!

Welche Verheißungen! Auch die Glücklichen werden davon überrascht werden und wie viel Unglückliche gibt es nicht! Ueberall bietet das Leben gescheiterte Hoffnungen, überall Trümmer, überall Schmerzen. Wer zählt die Tausende, die nicht der Misgunst des Geschickes fluchen, sondern den gehässigen Formen der Erde, dem Egoismus der Gesellschaft! Ein Platz, den ich nehmen wollte, da nimmt ihn ein Anderer! Ein Besitz frei, er gehört nicht Dem, der ihn würdig zu genießen versteht, er gehört dem Zufall, einem Erben, Allen, er gehört nicht mir! Bedürfniß der Familie und kein Herd! Bedürfniß des Ehrgeizes, keine Stellung! Wo man hinblickt, verfehlten Beruf; kein Wille frei, kein Entschluß fest; Alles Ketten, Alles Sklaverei und die größte Sklaverei die sogenannte Freiheit unsrer Gesellschaft, unsre Civilisation.

Es zieht sich eine tiefe Verstimmung durch unser Leben, es nagt ein tiefer Schmerz an unsrer Gesellschaft. Die wachsende Bildung erhellt unsre Gedanken und der Gedanke steigert unsre Gefühle. Der Kenntniß des Schönen folgt die Begierde nach dem Schönen. Was die Phantasie sich ausmalt, will die Leidenschaft besitzen. Die arbeitende Hand träumt von der genießenden und die Träume verdüstern die Wirklichkeit. Die kleinen Freuden des Lebens reichen nicht mehr aus, um die großen Entbehrungen zu heilen. Die Last dieses Daseins erdrückt die Freude an ihm. Hat man sich endlich ein Leben geschaffen, so stirbt man. Und der Tod? Und das Jenseits? Trübe Nebel, die auf dem Jahrhundert ruhen!

Philosophen sind aufgestanden, um diesen Schmerz zu lindern. Nicht in Deutschland; nicht der egoistische Hegel, nicht der prahlerische Schelling. Diese suchen den Urgrund der Dinge, diese denken – an Gedanken, diese fühlten nichts für die Menschheit als einen fühlenden Organismus. Owen lehrte eine gesellschaftliche Philosophie in England; Fourier in Frankreich. Fourier war ein armer Kaufmann, der einem Stand leben mußte, den er haßte, er schrieb Werke, die man verlachte, oder, was in Frankreich noch gefährlicher ist, ignorirte, umfangreiche, styllose, verworrene Bände; er starb in gedrückter Lage, verzweifelnd, hoffnungslos, umstanden von wenigen Schülern, den 10. October 1837.

Ich glaube nicht an Fourier's That, aber ich glaube an seinen edlen Willen. Ich glaube nicht an seine Mittel, aber an seinen Zweck. Ich glaube nicht einmal an die Voraussetzung seines Systems, an die Bestimmung des Menschen, glücklich zu sein. Mich erschreckt sein Hedonismus, sein Entgegenkommen an das Bedürfniß der Bequemlichkeit. Unsre irdische Bestimmung ist, gut, nicht glücklich zu sein. Ich würde das Gefühl, das mich in ein Jenseits ruft, nicht verstehen, wenn ich schon hienieden glücklich wäre. Ich bin unglücklich und freue mich, daß ich, dem Geschick zum Trotz, gut sein, gut bleiben kann. Wir sind Geschöpfe der Natur und haben die Bestimmung, vom Geist – der Natur gleichsam abgewonnen zu werden. Wir sind von Natur schlecht, die Erfahrung, die Erziehung, das innerste böse Gelüst beweisen es. Daß wir gut werden, ist das Werk einer zweiten Schöpfung, einer Schöpfung aus dem Geiste, aus der Offenbarung Gottes in die Welt, aus der Geschichte. Fühlen wir diese Bestimmung in unserm ganzen Menschen nach, so werden wir vor dem Unglück, dem Wirrsal dieser Welt, werden wir vor der ungleichen Vertheilung der Güter nicht zurückschrecken. Alles, und nichts mehr, als das Unglück, wird uns zum Besten dienen. Diese trübe Ansicht des Lebens ist die der Stoiker und die des Christenthums. Wenn es sich um eine moralische Erziehung des Menschengeschlechts handelt, so weiß ich keine bessere.

Fourier baut seine neue Gesellschaft auf die Voraussetzung von zwölf menschlichen Leidenschaften, die er nach drei Seiten hin gruppirt. Er nimmt diese Leidenschaften, wie sie sind. Er sagt Niemanden, daß er die gefährlichen von ihnen vor dem Eintritt in seine neue Gesellschaft ablegen müsse, Niemanden, daß eine dieser Leidenschaften unwürdig wäre. Er nimmt den Menschen, wie er ist, und ihm ist er gut. Die Schmetterlingsleidenschaft, wie er es sinnig genug nennt dies Drängen nach Veränderung im menschlichen Gemüthe, diesen Trieb des Unbestandes, nimmt er für eben so vollgültig an, wie den Familismus, den Trieb, Familie zu bilden. Fourier, der nur edle und gute Menschen statuirt, bleibt uns schuldig, zu beweisen, wie zwischen Liebe und Schmetterlingstrieb die Ehe sich erhalten kann, das Band der Familie, die häusliche Erziehung, Lebensgüter und Lebensbedürfnisse, die er durchaus nicht leugnen, Ueberlieferungen, die er nicht zerstören will. Fourier will, daß die Menschheit sich in Familiengruppen je von 1800 Menschen theilen solle. Er nimmt in diese Gruppen, Phalanstère genannt, den Menschen auf, wie er ist, den Bürger, wie er ist, die Menschheit mit allen ihren Vorurtheilen. Er verspricht dem Fürsten seinen Comfort, wie dem Bauer sein gutes Schwarzbrot, er will einer Anomalie des Lebens, die man nur ertragen kann, wenn man sie nicht mit offnen Augen sieht, dicht nebeneinander betten, in der Front der Phalanstère die Reichen, im Hinterhof die Armen. Kann es eine in ihrer Idee naivere und in ihrer Wirkung grausamere Chimäre geben? Demselben Princip untergeordnet sein und doch keine Ausgleichung, einer Sekte angehören und doch, nur etwas wohlfeiler, dasselbe bleiben, was man außerhalb der Sekte war?

Fourier überblickte die Schöpfung und entdeckte auf ihr nichts als den Menschen. Er schälte sich den nackten Begriff des Individuums aus dem Gegebenen los, er isolirte diesen Begriff von Allem, womit Natur und Geschichte ihn umhüllt haben. Es gibt eine Bildung, die sich von der Natur, und es gibt Charaktere, die sich von der Geschichte emancipiren, aber zahllos sind jene Massen, die, zum Trost ihrer selbst, unbewußt und harmlos noch in der Schale des Gegebenen liegen. Man kann Volksaufklärung, Freiheitsdrang unter den Massen fördern, man kann die Masse zum Bewußtsein ihrer Menschenrechte bringen und doch ist noch ein ungeheurer Schritt übrig, sie von ihrer Heimat, ihrer Gegend, von ihrer Familie, von ihrer Ueberlieferung und tausenderlei Trostreichem, was der Schöpfer zur Linderung unsrer Leiden gegeben hat, abzulösen. Noch ist nicht Alles Fabrikarbeiter, noch ist nicht Alles pariser Proletair. Noch freut sich der Handwerker, wenn sich sein Laden öffnet und ihm eine Bestellung kommt, noch freut er sich eines guten Kunden, freut sich des Zahlungstages, freut sich des Werktages, wo ihm die Arbeit gut von Händen geht, freut sich des Sonntags, wenn er über Land mit den Seinen zieht und den unschuldigen Freuden der Natur leben kann – warum ihn mit utopischen Träumen reizen? warum ihm mit der Vorspiegelung einiger Ersparnisse die Wurzeln seines Lebens und seiner Zufriedenheit untergraben? Ich glaube nicht, daß wir nöthig haben, eine neue künstliche Gesellschaft zu erfinden, wenn wir nur nicht ermüden, für die Befreiung der alten zu streiten. Das bisherige Feld der gesellschaftlichen Debatte, der bisherige kirchliche und politische Gesichtspunkt unsrer reformatorischen Bestrebungen reicht vollkommen aus, um die Arbeit von ihrem Druck, den Lohn von seiner Uebervortheilung, das Erträgniß der Natur von ihren künstlichen Lasten zu erleichtern. Ich komme, wenn ich von den Communisten spreche, noch einmal auf diesen meinen festen und unerschütterlichen Glauben zurück.

Die Fourieristen (auch l'école humanitaire genannt) geben eine gutgeschriebene Zeitschrift, La Phalange, heraus, die jedoch in Paris nicht beachtet wird. Sie hat etwas über tausend Abnehmer. Es sind 400 000 Franken von verschiedenen Anhängern der Lehre zusammengebracht worden, von denen jährlich 40 000 Franken verausgabt werden. Victor Considerant und seine nächsten Freunde leben von der Phalange und diesem Capital. Man ist in Paris begierig, ob sich die Schule erhalten wird, wenn sie mit ihrem Capital zu Ende ist. Es verdient noch bemerkt zu werden, daß die Phalange die einzige pariser Zeitschrift ist, die den Beurtheilern deutscher Verhältnisse die Anlage eines deutschen Maßstabes erlaubt.


 


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