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Sechster Brief.

Paris, den 19. März 1842.

Guizot hat wegen eines häuslichen Krankheitsfalles mehrere Tage nicht empfangen. Gestern war zum ersten Mal wieder im Hotel des Capucines jener Salon geöffnet, den hier jede politische Renommée unterhält, um an dessen Besuch den Grad zu zeigen, auf welchem sein politischer Thermometer steht. Guizot's Salon war nicht sehr gefüllt; theils Militairs, theils Gesandte, einige Deputirte und Gelehrte. Die Charwoche hat begonnen. Die in der Nähe von Paris auf dem Lande wohnenden Staatsmänner machen sich Ferien.

Ich wurde Guizot vorgestellt. Für einen Ketzer eigenthümlich genug, nach dem Gesandten des Papstes. Guizot ist klein, von Figur gedrungen, ein angehender Sechsziger. Auge und Haltung lebhaft, der Vortrag sehr bestimmt; die Lebhaftigkeit schien sich fast der Reizbarkeit zu nähern; es lag eine gewisse Spannung, eine gezwungene Elasticität in seinem Wesen. Wenn ich seine gegenwärtige Stellung bedenke, wenn ich nichts vergleiche, als nur die polemischen Artikel der Oppositionsblätter von heute früh, die Drohung, daß sich in allen Seehäfen der Kaufmannsstand eines nicht gegebenen Gesetzes wegen gegen ihn erheben würde, die triumphirende Hinweisung auf das Resultat der bevorstehenden Wahlen, so ist es nicht zu verwundern, daß Guizot's Innerstes über sein Aeußeres hinauszulangen scheint. Sein ganzes Wesen schien mir wie galvanisirt.

Frankreichs Allianz, sei's nun unter Guizot mit England oder unter Molé mit Rußland, wird schwerlich etwas Aufrichtiges und Dauerndes sein. So hat Frankreich denn allerdings das größte Interesse, sich mit Deutschland zu verständigen. Unglücklicherweise ist aber Deutschland ein Land, das einer bestimmten politischen Sympathie nicht fähig ist. Man kann von den Sympathien des Rheins sprechen und hat nicht die Sympathien der Donau. Die Stimmung des Volks ist nicht die der Gelehrten. Die Regierungen haben wieder ihr System für sich und hängen von Preußen und Oesterreich ab, zwei Staaten, deren Politik sich noch immer nicht hat entschließen können, rein und ausschließlich deutsch zu sein. So ist es außerordentlich schwer, irgendwie für die Stimmung Deutschlands gut zu sagen.

Vor zehn Jahren, noch unter Casimir Perier, der zuerst anfing, die Julimonarchie ihres revolutionairen Ursprungs zu entkleiden, war die französische Politik darauf bedacht, in den westlichen und südlichen kleinern Staaten Deutschlands die alten Rheinbundsideen zu nähren. Die Stimmung des deutschen Volkes war beinahe reif, sich von einem Regierungssystem loszusagen, das die Protokolle von 1832 gegeben und in jenen unglücklichen Verhaftnahmen und Verfolgungen das einzige Mittel erblickte, Deutschland zu beruhigen. Später haben sich alle diese Dinge geändert; Vieles, was Andre ihrer Weisheit zuschreiben werden, muß man der Erschöpfung zuschreiben. In Frankreich geschieht Alles durch die Personen, in Deutschland geschieht Alles durch die Umstände.

Wenn es Frankreichs Interesse ist, von Richelieu bis Thiers bewiesen es alle seine Staatsmänner, Deutschland uneinig zu wissen, so hätte es den Moment der kölnischen Wirren benutzen können, um die drohende und damals wirklich eingetretene Spaltung weiter aufzureißen. Frankreich ist aber solchen umgreifenden Unternehmungen nicht mehr gewachsen. Den innern Parteiungen, die das Land zerfleischen, preisgegeben, geleitet von einer Politik, die nur die Befestigung der Dynastie Orleans einzig und allein im Auge hat, hätte es auch, wie es jetzt ist, nicht die moralische und religiöse Weihe besessen, um der katholischen Sache in dem Sinne sich anzunehmen, wie Graf Montalembert und die ihm ähnlich gesinnte Partei vielleicht die Grundzüge dieses Schutzes würde entworfen haben. Frankreich wird nur noch von administrativen Ideen regiert. Es ist die Regierung einer absoluten Polizei. Frankreich hatte den legitimistischen Principien des Romanismus gegenüber eine andre Weltanschauung, die rein liberale, fest begründen können. Seitdem es sich aber vor dieser Weltanschauung selber fürchtet, sind ihm auch die Zügel der Weltregierung entfallen. Frankreichs Regierung ist kein Organismus mehr, sondern nur noch Administration. Von Ministerium zu Ministerium, von Kammersitzung zu Kammersitzung befestigt man nichts, als die Centralisation. Hatte es doch selbst eine Fehde mit dem Erzbischof von Paris, wie konnte es den Erzbischof von Köln in Schutz nehmen!

Auch die deutsche Politik ist mehr administrativ und polizeilich, als organisch. Es liegt dies in der Furcht vor der Revolution. Als man sahe, daß die liberale Partei mit ihren constitutionellen Wünschen sich in die kirchliche Fehde mischte und der Zwiespalt zwischen deutschem Norden und deutschem Süden immer bedenklicher wurde, beeilte man sich, das kirchliche Gebiet zu verlassen, die schwebende religiöse Frage wie nur irgend möglich beizulegen und das locker werdende Band des Zusammenhanges am Bundestage enger wieder als je zu knüpfen. Die Festungen sind ihrem Ausbau näher gebracht worden, die eben ausbrechende Krisis der orientalischen Frage erlaubte, unter einem guten Vorwande, den Kriegszustand aller deutschen Territorien zu prüfen und zu verbessern, die Rheinfrage mit ihren poetischen und musikalischen Accidenzien kam hinzu, und so hat sich Deutschland im Augenblick eines Zusammenhanges, einer Einigkeit zu erfreuen, die ihm plötzlich eine seit lange nicht behauptete Stellung gegeben hat. Die französische Politik ist in diesem Augenblick Deutschland nicht gewachsen.

Die Thatsache dieses unsres Aufschwunges kann für jeden Deutschen nur erhebend sein. Wenn die Regierungen so verständig sind und dem revolutionairen Princip dadurch zuvorkommen, daß sie die Versprechungen desselben zu ihren eignen Leistungen machen, so wird Deutschland zunehmen an Kraft, an Kraft des Widerstandes, an Kraft, dulden zu können, an Kraft der Neutralität. Eine handelnde Kraft kann aus Deutschland nicht werden, so lange sein Zusammenhang ein Mechanismus ist. Mechanisch lassen sich sechszig Hände zu zwei Händen vereinigen, aber nicht dreißig Willensmeinungen zu einem Willen. Doch hindert das nichts. Schon als europäischer Schwerpunkt ist Deutschland groß, und wenn unsre Regierungen nicht zu schroff dem Volksleben sich entziehen, wenn nicht so unzeitige Erbitterungen, wie die von Seiten der ministeriellen Partei in Baden und der dynastischen in Hannover das zunehmende Vertrauen stören, so könnte wol eine Zeit kommen, wo die Frage: Monsieur est Allemand? in einem politischen pariser Salon an uns gerichtet, uns nicht in Verlegenheit setzt, sondern mit einer kräftigen Bejahung stolz beantwortet werden kann.

Es ist eine Lieblingswendung der Franzosen, Deutschland müsse mit Frankreich Hand in Hand gehen. Früher klang diese Phrase etwas nach der Klugheit des Löwen, der den Esel einladet, an der gemeinschaftlichen Beute Theil zu nehmen; jetzt liegt wirklich etwas Aufrichtiges darin. Die Franzosen räumen uns so außerordentlich viel ein, daß man mehr als mistrauisch wäre, ihren Versicherungen keinen Glauben zu schenken. Die Franzosen bedauern selbst, daß die Rheinfrage von einigen allzu sanguinischen Hitzköpfen, von einigen Radoteurs aufgeworfen wurde, die gern mit Phrasen paradiren. Die Franzosen sagen: Nehmt uns nicht übel, daß wir zuweilen an unsere Eroberungen denken; seid ihr doch zwei Mal in unserm Lande gewesen, im Revolutionskriege und am Ende der großen Tragödie Napoleon! Man sagte mir: »Nur die sinkenden Größen in Frankreich, Größen, die keine populaire Idee mehr zu verarbeiten haben, greifen nach dem letzten Rettungsbret, nach der Rheinfrage.« Es wären dies die Geister, die Frankreich selbst schon aufgegeben hätte.

Ich rathe allen Deutschen, die nach Frankreich reisen, dort im Gefühl ihrer Nationalität aufzutreten. Die Franzosen kennen an sich selbst keine andere Methode sich einzuführen und achten nur diese. Freilich muß sich ein unabhängiges, tief verstimmtes Gefühl überwinden. Aber ich mochte nicht grollen mit dem Vaterlande in einem Augenblick, wo man in Frankreich anfängt, bei der Frage: Monsieur est Allemand? den Hut abzuziehen.

Was gibt dem deutschen Namen in Paris dies Feierliche und Bedeutsame? Nicht der Bundestag, sondern der Geist unsres Volks! Unsre einst große Geschichte, unser Tiefsinn, unsre Poesie! Guizot stellte mir frei, deutsch zu reden; er behielt sich nur die französische Antwort vor. Ich wollte ihn nicht auf die Probe stellen, aber daß er es wagt, deutsch verstehen zu wollen, ist schon ehrenvoll für uns. Man schätzt jetzt in Frankreich mehr an uns, als nur den deutschen Sammlerfleiß. Man kauft mehr von unsrer Literatur, als nur unsre medicinischen, historischen, philologischen Werke. Man ist von unserm Fleiß auf unser Genie übergegangen. Man wird uns in Allem die Form absprechen und mit großem Rechte, in dem Meisten aber, vielleicht mit Ausnahme der socialen Philosophie, uns nur das Tiefste und Gründlichste zuerkennen. Es gilt in Frankreich für ein Mittel, sich einen Weg zu bahnen, wenn man eine specialité allemande ist. Unsre Musik ist uns zugestanden. Die Musik ist unsre Domaine. Auch die Malerei wird es werden, wenn der hiesige Salon sich von Jahr zu Jahr, wie es den Anschein hat, verschlechtert und aus der deutschen Kunst die unglückselige Heiligenjagd und Mysticisterei verbannt wird. Am weitesten zurück sind die Franzosen allerdings in der Anerkennung unsrer neuen Poesie. Und mit Recht. Denn unsre neuere deutsche Poesie ist zu sehr die Frucht der französischen gewesen. Es lag darin ein nothwendiges Gesetz, das wir befolgen mußten wider Willen. Die Zeit wird kommen, wo wir auch hier die Franzosen, die in der schönen Literatur weiter als wir waren, aber es jetzt nicht mehr sind, wieder einholen, vielleicht übertreffen.

Ich komme auf Guizot noch einmal zurück. Je vous reserve encore une heure du matin, ou nous causerons à notre aise. Wir werden wahrscheinlich über deutsche Philosophie sprechen. Es ist die gewöhnliche Kost, die die Franzosen den deutschen Besuchern vorsetzen. Guizot ist ein guter Philosoph. Dies hindert aber nicht, daß ihn heute die Kammer über den Runkelrübenzucker interpellirt und er wie ein Oekonom darauf antworten wird.


 


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