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Dreizehnter Brief.

Paris, den 30. März 1842.

Das Palais Luxemburg ist ganz den Kindern gewidmet. Vorn in dem schwerfällig verwickelten Gebäude versammeln sich die Pairs; hinten im Garten spielen die Bonnen mit ihren Zöglingen, dicht gegenüber wohnt Jules Janin.

Ich wollte aber heute das Pantheon sehen, das die Franzosen der Unsterblichkeit gewidmet haben. Aux grands hommes la patrie reconnaissante. Man muß bergaufsteigen, um in die Nähe der Unsterblichen zu kommen.

Endlich erblicke ich das Gebäude. Sonderbar, auch hier noch Schuppen um den vor achtzig Jahren begonnenen Bau, auch hier noch nicht Alles fertig. Wie beim Arc de l'étoile noch Staub von den letzten Steinmetzen, die hier meißelten. Die Franzosen fingen an, ihrer Unsterblichkeit Tempel zu bauen, da sie noch Gelegenheit hatten, unsterblich zu werden. Jetzt in ihrer Pygmäenepoche werden die Tempel erst fertig: jetzt, wo es so leicht ist, berühmt, und so schwer, unsterblich zu werden.

Das Pantheon war ursprünglich die erste Kirche von Paris. Auf der Stelle, wo es später erbaut wurde, stand eine uralte Kapelle. Das Christenthum ist also hier dem Cultus des Genius erlegen. Das große, in der That imposante Gebäude, mit seiner Riesenkuppel, seinen großartigen, freien, innern Räumen, wurde von Lufflot auf Befehl des funfzehnten Ludwig erbaut. Es sollte eine Kirche der pariser Schutzheiligen, der heiligen Genoveva, werden. Genoveva, das duldende Weib, das Weib des Gehorsams und der Liebe, wich vielleicht gern den Männern. Die Jacobiner wollten ihre Unsterblichen in diese Kirche bringen. Die Altäre wurden weggeräumt, die Reliquien der Genoveva wurden mit denen Marat's vertauscht. Auch aux grandes femmes hätte man es der Genoveva zu Liebe widmen sollen. Die heilige Dulderin Genoveva würde Charlotte Corday mit ihrem Geisterkuß begrüßt haben.

Die Führer geleiteten uns aus den erhabenen Räumen dieses Tempels in die Gewölbe. Als die Bourbonen zurückkamen, gaben sie diese Räume wieder der Genoveva; als Louis Philipp kam, fielen sie wieder den großen Männern zu. So streitet jetzt der Cultus des Glaubens mit dem Cultus des Genius! Wer weiß, ob nicht die Heiligen einst hieher zurückkehren! Wenn in einer Zeit, wo Alles nach Größe strebt, die großen Männer zu sehr überhand nehmen, wird man anfangen, wieder den guten Menschen zu opfern. Wir stiegen in die Gewölbe hinab. Wie feucht, wie kalt ist es in der Nähe der Unsterblichkeit! Warum da unten in den trüben, dunkeln Räumen! Ihr habt Rousseau und Voltaire dort hingelegt. Voltaire würde nie diese dunkeln Gewölbe für seine Gebeine als Ruheort gewählt haben. Voltaire wollte Licht im Leben, er würde auch Licht im Tode gewollt haben. Rousseau hätte allerdings das Dunkel gesucht, aber das Dunkel eines verschwiegenen Parks, einen stillen, schattigen Blätterhain. Fröstelnder Gedanke, hier unsterblich zu liegen! Lieber seiner Zeit, der Mitwelt genügen, und dann gebettet, wie Uhland singt, in Gras und Blumen, oder vergessen.

Rousseau, der arme, gute, schwache Rousseau, liegt im tiefsten, feuchtesten Dunkel. Aus seinem Sarkophag langt eine Hand heraus, die eine Fackel trägt. Es soll dies bedeuten, daß er noch im Grabe leuchtet. Man findet diese Idee sehr sinnig. Mir war sie schauerlich. Meine alte Mutter fiel mir ein, die mir oft sagte: Wer Vater und Mutter nicht ehrt, dem wächst die Hand aus dem Grabe. Auch an Rousseau hat sich die alte Sage bewährt. Rousseau ehrte seine Eltern, aber der Vater ehrte nicht seine Kinder. Im Pantheon wächst ihm die Hand aus dem Grabe.

Auf der entgegengesetzten Seite liegt Voltaire. Als hätte der eitle Mann es bestellt, sein Sarkophag ist vergoldet und aufgeputzt. Seine Statue blickt sarkastisch auf seine irdischen Ueberreste herab. Dieser ganze dunkle Winkel ist eine Ironie. Voltaire, der war, bezweifelt den Voltaire, der einst sein wird. Dieser Winkel, der Voltaire gewidmet ist, ist keine Apotheose, sondern ein Epigramm. Das grinsende Lächeln des Philosophen von Ferney, durch Marmor verewigt, ist an dieser Stelle fast eine Blasphemie.

Auch das Modell des Pantheon haben die Franzosen ins Pantheon gesetzt. Es mag der Sarkophag seines Erbauers sein. In den übrigen Räumen, dunkeln, unheimlichen Kammern, sind steinerne Särge in beträchtlicher Zahl aufeinander geschichtet. Sie enthalten die Gebeine vieler Unsterblichen, von denen man in den Jahrbüchern der Geschichte und Wissenschaft einst vergebens nach bedeutendern Spuren suchen würde. In Ermangelung großer Männer, hat Talleyrand gesagt, setzt man Beamte ins Pantheon. Und in der That, diese Bureauchefs, diese Akademiker, diese Divisionsgenerale haben ihre Unsterblichkeit wohlfeil erkauft. Nicht daß Frankreich arm an Ruhm wäre, aber selten, daß die Mitwelt den Ruhm der Zeitgenossen zu schätzen weiß und die Nachwelt Zeit findet, an die Vergangenheit zu denken. Die wahren Größen Frankreichs wird man im Pantheon vergebens suchen.

Diejenigen Männer, die immer das Hergebrachte thun, können niemals groß werden. Um unsterblich zu werden, muß man wenigstens einmal in seinem Leben einen großen Irrthum begangen haben. Ich bin unsterblich, denn ich habe mich im Pantheon zwei Mal verirrt. Mit Schrecken denke ich an meine überstandenen Gefahren zurück. Ich verirrte mich einmal unten bei den Gräbern und das zweite Mal oben auf der Kuppel. Der Führer eilte, den jungen Rekruten, Studenten, Grisetten, die sich hier die Möglichkeit ansahen, so berühmt als Napoleon's Generale, so unsterblich wie ein Akademiker, so keusch wie die heilige Genoveva zu werden, die Gräber ihrer großen Urbilder zu nennen. Mich, den gefühligen Deutschen, den bei jedem Schritt auf historischem Boden historische Wehmuth überkommt, mich hielt es länger in den Todtenkammern zurück, als die Andern. Plötzlich war ich im Dunkel allein. Ich höre den Zug der Vorangehenden, höre die Stimme des Führers, taste aber an feuchte Wände, abgeschnitten von den Uebrigen, die mich nicht vermissen. Schrecklicher Gedanke, hier mit den französischen Unsterblichen eingeschlossen zu bleiben, vergessen zu werden an der Stätte der Erinnerung, verirrt in dieser Finsterniß. Ich greife hier, greife dorthin. »Quatre marches«, hatte der Führer an vielen Orten gesagt. Quatre marches! Ich konnte nichts sehen und fürchtete jeden Augenblick, von quatre zu quatre marches hinunterzustürzen. Vier Schritte bis zur Ewigkeit! Hungertod war eine Idee, die mir oft im Angesicht der französischen Speisezettel, im Angesicht der armseligen pariser Cotelettes, im Angesicht der Zweifrankenmahlzeiten des Palais Royal schon eingefallen war; wie konnt' ich sie hier zurückhalten, hier, wo es keine andere Nahrung für mich gab, als das sardonische Lächeln dieses boshaften Voltaire! Ich resignirte in allem Ernst darauf, das Tageslicht für heute wiederzusehen. Denn so viel Ehrfurcht hatte ich vor den Todten, daß ich nimmermehr gewagt hätte, hier, wo die Gebeine der Unsterblichen ruhen, einen kläglichen Hülfeschrei auszustoßen. Endlich, endlich erblickte ich in weiter Ferne den Schimmer eines Lichts. Er kam näher, wurde heller, ich fand mich zurecht und eilte mit dem Zuge hinaus aus diesen schreckhaften Gewölben zu einem neuen Abenteuer.

Ich stieg nämlich mit meinen Studenten, Rekruten, Grisetten in die Kuppel hinauf. Eine Höhe von 500 Fuß über dem Spiegel der Seine. Ich sah das frische und in der That anziehende Kuppelgemälde von Gros, das in bunter Gruppirung alle bedeutenden Personen, die sich an die Idee des Pantheons in kirchlicher Hinsicht knüpfen, darstellt. Die heilige Genoveva gilt für ein Meisterstück und hat dem Maler von Karl X. den Adel eingetragen. Sie ist hübsch hingehaucht, luftig und schwebend, verklärt und heilig; nur etwas zu heilig, zu sehr Nonne mit dem Gelübde einer Keuschheit, das der liebenden Mutter des Schmerzenreich widerspricht. Noch höher hinauf steht man in der Kuppel. Drinnen an den Wänden eine Unmasse von Namen, die, mit Bleistift auf die Wand gezeichnet, auf ihre Weise ins Pantheon zu kommen suchen. Warum nicht? Präfekten, dort unten, Maires, Bureauchefs – warum hier oben nicht Commis, Epiciers und Champagnerreisende? Draußen das ungeheure Paris aus der Vogelperspective, dieses Paris, das so Großes erlebt hat, das Paris des vierten Heinrich, des vierzehnten Ludwig, das Paris der Jacobiner, Napoleon's, das Paris der Julirevolution. Notre Dame, die nächste dem Thron des Pantheon, der erste Pair dieses majestätischen Reichs. Welche Fülle berühmter Gebäude, diese Säulen, diese Triumphbogen, und dazwischen die gelbe Seine. Dort der Cimetière Montmartre, drüben der Père Lachaise, ein Pantheon, romantischer noch, als dieses klassische steinerne.

Ich mochte nicht länger oben bleiben. Der wollte wissen, wo Boulogne, der, wo Orleans liegt. Die wollte unten in der Stadt einen Winkel sehen, wo vielleicht in diesem Augenblick ihr Freund ihr untreu ist. Jeder langte sich seine Neigungen, seine heiligen Stätten aus dem Panorama heraus. Ich eilte die Stufen hinunter, wählte auf Gerathewohl von zwei Treppen die nächste, springe über Drathgitter weg, die ich für blinde Warnungen halte, hüpfe wohlgemuth auf den Vorsprung der Kirche, der etwa 200 Fuß tiefer ist, als die Kuppel, und will fort. Da fällt die Kuppelthür hinter mir zu. Ich suche eine neue und finde sie nicht. Ich finde sie, sie ist verschlossen. Ich warte auf den Führer. Er verschwindet mit seinem Zuge oben in den Lüften auf der Gallerie, ich zähle die Stufen, der Führer kommt nicht. Er ist die andere Treppe hinunter gegangen und ich bin hier wiederum allein. Vor und rückwärts kein Weg. Rings nichts als Quadersteine, Gallerien, vor mir das noch immer vogelluftige Panorama, die Entfernung in die Tiefe viel zu weit, um meine Stimme hörbar zu machen. Dreihundert Fuß hoch klettere ich auf der Gallerie herum. Ich winke und schwenke mein Taschentuch in die Luft mit großer Selbstüberwindung, denn von der schlechten pariser Wäsche hatte es ein großes Loch, das ich mich genirte, dreihundert Fuß hoch dem medisanten Paris zu zeigen. Eine halbe Stunde resignirte ich mich, hier oben auf dem Pantheon, wie einst Quasimodo drüben auf Notre Dame, zu leben. Ich sah mich, da es regnen wollte, nach einer Glocke um, um mich unter ihr zu bergen. Endlich aber erblickte ich auf einem andern Flügel des großen Baues eine kleine Figur. Es war dunkel geworden. Ich hielt es für einen Gnomen, für den finstern Golo, der noch immer Genoveva mit seiner Liebe und seiner Bosheit verfolgt, für einen Mitesser der Unsterblichkeit, der sich ärgert, daß Jemand, der mit ihm einst in einem Zimmer wohnte, unsterblich geworden ist und er nicht. Ich winkte dem schwarzen beweglichen Punkt. Er streckte ein Fragezeichen aus, einen schwarzen rußigen Besen. Es war ein Pantheonfeger, ein Decrotteur des Staubes der Unsterblichkeit. Er lachte, wie Voltaire in den Katakomben unter uns lacht. Er winkte mir Freiheit und Erlösung zu. Nach einer Viertelstunde öffnete sich die Thür. Für einen Franken entging ich der Gefahr, lebendig im Pantheon der Franzosen beigesetzt zu werden. Wenn ich den Eifer bedenke, mit dem ich nach diesem Doppelabenteuer im Hause des Ruhms auf die erste beste Carte du jour eines Restaurant im Palais Royal stürzte, so bin ich vollkommen der Meinung, daß der Hunger und der Ruhm Geschwisterkinder sind.


 


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