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Sechszehnter Brief.

Paris, den 2. April 1842.

Dicht an das Hôtel der auswärtigen Angelegenheiten stößt ein altes Gebäude, das Archiv. In den Höfen dieses Institutes, mitten unter den kostbaren hier aufgeschichteten alten Denkwürdigkeiten, mitten unter zahllosen ungedruckten, ja selbst noch ungelesenen archivalischen Schätzen wohnt Mignet.

Mignet gehört zu den wenigen jüngern Gelehrten Frankreichs, die die Wissenschaft nicht benutzt haben, um durch sie zur Politik zu kommen. Mignet war zuweilen im Begriff, auf die Arena zu treten. Freund, Jugendgenosse Thiers', hat er aber den Freund und Genossen steigen, fliegen lassen von Bahn zu Bahn: Mignet ist nicht geflogen, Mignet ist auch nicht gestürzt. Mitten in den Wechselfällen der Politik hat sich Mignet auf seinem Posten erhalten. Er ist Vorsteher sämmtlicher königlicher Archive. Er bewacht sie nicht nur, er benutzt sie auch. Er erschließt sie Andern. Man behauptet, Fremde bekämen die Materialien noch leichter, als die Einheimischen. Alle deutschen Historiker, die in Paris Studien machten, sind Mignet für seine Zuvorkommenheit verpflichtet.

Ich traf einen noch jugendlichen Gelehrten mit einnehmenden Gesichtszügen und gefälligstem Benehmen. Mignet hat auch im Aeußern die saubre Grazie seines Styles. Wer hat nicht diesen Mignet'schen Styl bewundert? Ich sagte dem Verfasser der Revolutionsgeschichte mit voller Ueberzeugung: »Ihr Buch ist in einem Styl geschrieben, der mit dem des Tacitus verglichen werden kann. Was Johannes von Müller bei uns erstrebte, haben Sie erreicht. Müller ahmte Tacitus nach und sah in Tacitus nur das Rauhe, Spröde und Abstruse. Sie haben gezeigt, daß Tacitus auch wohlklingend ist. Ihr Werk ist bei uns sehr verbreitet und hat in dem verstorbenen geistreichen I. Weitzel einen Uebersetzer gefunden, der des Originalautors würdig ist.« –

Mit vieler Bescheidenheit lehnte Mignet das Lob seines Buches ab und fand die Theilnahme, die ihm geworden, nur in seiner Darstellungsweise begründet.

Mignet arbeitet gegenwärtig an einem Werk über Frankreich im Zeitalter der Reformation. Es ist derselbe Gegenstand, den Ranke bei uns in Beziehung auf Deutschland behandelt hat. Mignet bedauerte, daß Ranke nicht Zeit genug fand, sämmtliche pariser Materialien zu studiren. »Bei Ihnen ist die Hauptbewegung der Geister jetzt eine historische,« sagte er und wunderte sich, als ich dies verneinte. »Vor fünf Jahren,« antwortete ich, »hatten Sie Recht. Seitdem hat die Philosophie wieder den Vorsprung vor der Geschichte. Unsere Historiker in allen Zweigen, in den Begebenheiten, in der Natur, im Rechtsfache, in der Theologie, sind in den Hintergrund getreten. Alles spricht wieder von Philosophie, Alles wird wieder auf Principien zurückgeführt.«

Er staunte über diesen schnellen Umschwung des öffentlichen Geistes, fand ihn aber durch das große Aufsehen, das Schelling neuerdings noch gemacht hätte, sehr bewiesen. Er stimmte mir bei, daß es traurig wäre, wenn die reine historische Wissenschaft sich in die Polemik des Tages mischt. Leo's historische Schriften, in denen die Vergangenheit zur Kritik der Gegenwart gemacht wird, verfehlen nicht nur ihren polemischen Zweck, sondern werden auch ihren wissenschaftlichen verfehlen.

Mignet sprach über Savigny und fand die Bevorzugung des Gelehrtenstandes vor der bloßen Beamtenroutine sehr ehrenvoll für Preußen. Es war ihm nicht unbekannt, daß Savigny in dem Widerspruch wäre, unsrer Zeit den Beruf zur Gesetzgebung abgesprochen zu haben und nun in der Nothwendigkeit zu sein, selbst Gesetze zu machen. »Es ist traurig,« sagte er, »daß man so viel Furcht vor den Consequenzen der französischen Revolution hat. Sie ist dagewesen, wie die Reformation da war. Ihre Nachwirkung aufhalten heißt das Gute, das sie wirken muß, aufhalten. Keine Zeit ist so berufen zur Gesetzgebung, wie die unsere, denn keine Zeit wußte die Geschichte so richtig zu würdigen, wie unsere Zeit.«

Ich dringe in die innern Beziehungen der hiesigen Verhältnisse immer tiefer ein. Der Zugang zu den bedeutenderen Faktoren der Ereignisse erleichtert sich. Nicht eine Begegnung, die nicht zu den mannigfachsten Betrachtungen anregte. In Paris sind selbst geringere Talente von Einfluß, wenn sie der Zufall auf einen guten Platz stellte. Was das Genie sich hier nicht zutrauen darf, setzt der Faiseur durch. Die Journale werden wie Eroberungen betrachtet. Wer sie inne hat, behauptet sie mit einer Hartnäckigkeit, die sich oft auf nichts gründet als die Gunst des Zufalls. Als ich neulich Dem. Maxime deklamiren hörte, dacht' ich, daß es dem anwesenden einflußreichen Odillon Barrot unmöglich sein würde, über sie einen Artikel in die Journale zu bringen. Ueberall würde man ihm gesagt haben: Wenden Sie sich an den Redakteur des artistischen Theiles und der Redakteur des artistischen Theiles wacht hartnäckig über die Unabhängigkeit seiner Domäne. Er kennt Niemand für einflußreicher an, als sich, höchstens daß man sich mit ihm verständigt, d. h. daß man ihm einen Artikel gibt und, wenn er bezahlt wird, ihm das Honorar dafür überläßt. Victor Hugo kann hier nichts beschützen, nichts empfehlen, nichts durchsetzen, er müßte sich denn an die Journale wenden, die ihn zu Beiträgen aufforderten; und auch diese werden nur solche Sachen von ihm nehmen, die sie von dem Dichter der Orientalen voraussetzen können. Um Einfluß auf die Kritik zu haben, müßte er ein eignes Journal stiften. Daher kommt es, daß hier unbedeutende Köpfe, solche z. B., die die beiden Revuen de Paris und des Deux Mondes herausgeben, einen so seltsamen Einfluß haben. Um diesen Potenzen die Spitze zu bieten, muß sich jede Kraft, die sich in Paris unabhängig von einer Partei geltend machen will, ihr eigenes Organ schaffen. Die bedeutenderen Deputirten haben ihre Journale. Auch Pagés de l'Arriège hat sich jetzt eine Zeitung geschaffen: la Patrie. Odillon Barrot hat den Siècle und den Courrier Français. Doch sagte mir Leon Faucher, Redakteur des Courrier Français: »Odillon Barrot braucht uns, wir nicht ihn. Wir werden nicht von ihm inspirirt, sondern inspiriren ihn.«

Außerordentlich schwer ist der Zugang in das innere Familienleben. Manche Reisende, die nie darin eindrangen, behaupten deshalb auch, daß die Franzosen kein Familienleben hätten. Es ist wahr, Alles drängt in Paris über die häuslichen vier Pfähle hinaus. Man gibt dann und wann eine Gesellschaft, aber der Blick ins Innere der Familien, vollends die Aufnahme in den häuslichen Cirkel, ist meist eine Sache der Discretion, öfter ein Vertrauen, als eine Gunst, eine Bitte um Nachsicht, als eine große Belohnung. Der Fremde beklagt nichts so sehr als daß seine Empfehlungsbriefe wenig über die Antichambre hinaus dringen. Er vermißt nichts so sehr als eine Gelegenheit, seine Abende im traulichen Kreise bei einer Familie, die ihm Vertrauen schenkt, zuzubringen. Wer sich nicht selbst eine Häuslichkeit begründet, wird in Paris nicht dazu kommen, eine zu haben. Dies ist auch das Geheimniß der Grisetten.

Der Engländer versteht die Bedürfnisse des Deutschen noch eher, als der Franzose. Es war ein Engländer, dem ich den ersten Einblick in die pariser Häuslichkeit verdankte. Mr. Crow, Redakteur des Morning-Chronicle, ist seit Jahren auf dem Continent heimisch. Im Schoß seiner liebenswürdigen Familie gab es einen traulichen Abend, wo Engländer, Franzosen und Deutsche ihre Vorurtheile auf den Altar der Häuslichkeit niederlegten. Professor Roßew St. Hilaire spricht artig deutsch, Crow versteht es, ohne es zu sprechen. Die Sprache, die Alle verstehen, ist ja Musik. Man sang die Lieder der Heimat. Die Engländer ihre Balladen, die Franzosen ihre chansons, die Deutschen ihre Studentenlieder. Es gibt für die Fremden nichts Poetischeres, als der Begriff eines deutschen Studenten. Sie finden diese göttinger und heidelberger Sitten so romantisch, wie die alten Trümmer unsrer Burgen. Sie geben Alles auf, wenn sie ein deutsches Studentenlied singen hören können. Und so sangen wir denn die Grabeshymnen der deutschen Freiheit, die Marseillaisen unsrer Jugend, das klagende »Wir hatten gebauet« und Körner's Schlachtlieder, die mehr in die Kirche als in den Kampf zu locken scheinen. Unsere Freiheitslieder sind alle in Moll gesetzt.

Man würde in Paris des Abends verzweifeln, wenn man nicht das Theater hätte. Ich komme in meiner dramaturgischen Rundreise nun schon immer den Boulevards näher und war zuletzt in den Varietés. Diese Bühne dient nur der komischen Muse. Sie hat gute oder, was oft nur dasselbe ist, beliebte Komiker, sie hatte früher Odry und jetzt Levassor.

Ich traf es mit Odry sehr glücklich. Obgleich zurückgezogen, alterschwach, der Bühne entfremdet, kommt er doch noch zuweilen vom Lande herein, um einen alten Freund bei seinem Benefiz zu unterstützen. Odry spielte den Bilboquet in einer Farce, les Saltimbanques, die Seiltänzer. Es ist dies eines jener Sonntagsstücke, das vielleicht vor zehn Jahren sehr belacht wurde, aber in seiner Wirkung für heute sich überlebt hat. Auch Odry hat sich überlebt. Ein alter Mann, mit erloschenem Organ, erloschenem Glanz der Augen, ein geschminkter Greis, dem seine Lust nicht mehr natürlich entquillt! Es ist mehr Mitleid als Theilnahme, was man für die Wiederbelebung einer Leiche empfindet. Man sieht, was Odry in seiner guten Zeit war: einer jener passiven Komiker, die über die Sphäre der Parodie nicht hinauskommen. In Deutschland nennt man diese Art Schauspieler Possenreisser, und die Franzosen werden wol auch keinen bessern Namen dafür haben. Odry's Komik besteht besonders in Wortwitzen, karrikirten Verkleidungen, in Selbstpersiflagen und allen jenen Hülfsmitteln, durch die man auch in Deutschland ein Lokalkomiker werden kann. Da fehlen hundert Einlagen nicht, selbst nicht die Cachucha, selbst nicht die buntesten Travestissements, welche diesen Lieblingen der Volksgunst gestattet werden. Auch die Pauke schlägt Odry in den Seiltänzern ganz à la père de la debutante.

Befriedigter war ich dagegen von Levassor. Man spielt hier eine kleine Piece, die unsere Uebersetzer wahrscheinscheinlich bei Seite liegen lassen werden, die Ohrfeigennacht. Wenn die Franzosen recht lachen wollen, so müssen ihnen die Theaterdichter die Albernheiten kleiner beschränkter Großherzöge schildern. Die Grand Ducs haben in Paris das Privilegium, lächerlich zu sein. Dies Mal ist es ein Großherzog von Ferrara, der Ludwig XIV nachzuahmen sucht und in der That nicht mehr Verstand, als ein Affe hat. Levassor spielt diesen langen Großherzog Herkules von Ferrara mit köstlichem Humor. Im rothen silbergestickten Kleide, mit blonder Perrücke, lang und hager, schleicht Herkules im Schatten des Parks, über die Blumen-Teppiche seines Schlosses und sehnt sich nach Liebesabenteuern. Der Zufall will, daß er beim Mondenschein am Fußgestell der keuschen Diana, in seinem Garten von derber Faust eine Ohrfeige bekommt. Wir wissen, daß er eine bekommen wird. Er schleicht auf den Zehen heran, girrt mit süßer Stimme: il m'arrivera quelquechose, ah, il m'arrivera quelquechose und mitten in seiner Sehnsucht nach einem zarten Begegniß der Liebe trifft ihn ein solches in Gestalt einer Ohrfeige.

Die spätere Entwickelung kann ich nicht erzählen, bemerke aber, daß der Schluß allerliebst ist. Herkules wird so bearbeitet, daß er glaubt, die Ohrfeige käme von einer Dame. Sein gekränkter Stolz verwandelt sich in geschmeichelte Eitelkeit. Er fragt zuletzt einen Franzosen, wie sich wol Ludwig XIV in einer solchen Lage würde benommen haben? Dieser erzählt ihm einen solchen Fall, erzählt ihm jedes Detail, das Ludwig that und Herkules vor unsern Augen mechanisch nachahmt. Ich schildere die spaßhafte Situation, sollte aber Levassor's vortreffliches, wahrhaft komisches Spiel schildern.

Im Zwischenakt trug Levassor im Costüme einen Scherz vor, den Bilderhändler. Es waren größtentheils Calembourgs, die sich nicht übersetzen lassen. Nach einem gesungenen Einleitungsverse zeigt der Bänkelsänger auf eine gemalte Leinwand und spricht: »Hier sehen Sie den berühmten Rückzug von Malborough!« – Nun spricht der Tabuletkrämer den bekannten Vers im Tone, wie Engländer das Französische sprechen, was sehr belacht wurde. Dann fährt er fort: »Hier ist zu sehen der große Triumphzug des Kaisers von China. Sa Majesté trés chinoise est complètement rasée, ce qui ne l'empèche pas d'être entourée de ses favoris.« Ein guter Calembourg, wenn man weiß, daß les favoris der Backenbart heißt. Ferner: »Hier ist zu sehen die Gnade des großen Schah (kann auch heißen: chat, Katze) von Persien. Ein unglücklicher Familienvater stürzt ihm zu Füßen und bittet um Gnade, weil des Schah Geburtstag ist, im Monat Mi-Août. (Miau.) Der große Schah lächelt aber (sourit, was auch mäuset heißen kann.) und es wird nichts daraus.« – Hier ist zu sehen die heilige Genoveva, wie sie den Attila aus Frankreich jagt mit 24 000 Franken, »Frucht ihrer Ersparnisse.« Ich setze den Schluß dieser Farce für Liebhaber wörtlich her:

Vous pourrez apercevoir sur une autre image l'élégant Phaeton fils d'Apollon sur le char de son papa le Soleil, qui le lui prête pour éclairer le globe, mais il perd la boule en se voyant rouler sur les cieux et se brise la tête en tombant sur les Pôles (les epaules). Pour changer voyez Jason jasant avec Médée sur son navire, en allant à la conquête de la fameuse peau de mouton dite oison d'or.... Ah! Médée viens Médée dit Jason au moment où pour s'emparer de la toison, il est près de l'atteindre en cochenille dans la Grèce. Vénons à Vénise, superbe ville d'Italie. Que de merveilles! Vous y distinguez les habitans qui se promènent sur la place St. Marc de café en café. C'est l'instant de la cérémonie du Doge qui va épouser en deuxièmes noces la mer Adriatique. Ils vécurent fort long temps et curent beaucoup d'ènfans. Ce qui suit est l'enlèvement d'Hélène par Paris..... Mais.... Nélas, qu'est son mari, veut en vain la retenir.... Le beau Paris se présente et lui dit en secret: File Hélène, ou crains ma colère!... aussi pour la dérober à tous les regards, voyez comme il la fait fuir, en douillette, de Troie. Passons au passage des Thermopyles, ainsi designé dans l'histoire parce qu'il mit un terme aux piles que recevaient les Grecs des Romains.

Voici la fameuse guerre actuelle de la Chine pour l'Opion. Admirez le commodore Napier, grand Amiral à la tète de l'escadre anglaise, voyez comme les militaires traitent les bourgeois de Pékin. Quelques uns des Chinois qui défendent la tour de porcelaine tombent en défaillance.... Distinguez les autres Tartares se précipitant avec leurs habits de Nankin dans le fleuve jaune.... Les Anglais les poursuivent à la nage et le Commodore n'a pied nulle part; c'est pourquoi, il aborde une galiotte Chinoise pour écrire à la Reine anglaise Victoire-y-a! Remarquez comme il fait jeter l'ancre de Chine pour se préparer à un grand thé Deum. Cette fois, c'est le portrait exact, mais cependant ressemblant, du célèbre Vaucanson auteur de l'automate dit le joueur de Flûte. Cet illustre mécanicien né à Carentan, en Normandie, est l'inventeur du canard aux tomates. Plaignez l'infortuné prince Eduard regardez le malheureux Roi.... il est en Ecosse la patrie des pois.... et mesure toute l'étendue de ses malheurs. Nous voici en palé.... en Paléstine, c'est la ville de Jérusalem prise d'assaut par les chevaliers dits les Preux.... Les Croisés y pénétrent par les fenêtres; la jalousie pousse Renaud à présenter la belle Armide à Godefroy de Bouillon ainsi nommé parce qu'il était le Capitaine le plus consommé!...

Ein Consommé ist Das, was wir bouillon nennen.


 


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