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Vierzehnter Brief.

Paris, den 31. März 1842.

Nun weiß ich, wie es eigentlich gekommen ist, daß wir die Schlacht bei Leipzig gewonnen haben. Die Franzosen sind an die Preußen verrathen worden und den Verräther hab' ich gestern kennen gelernt.

Es ist ein Mann, nahe an den Sechzigen, ein Mann, der sich vermittelst seiner Halsbinde noch ein Ansehen von Vierzigen zu schnüren weiß. Er trägt feine Wäsche, einen gefärbten Backenbart und hat die Manieren mehr eines Maklers, als eines Soldaten. Er ist Spanier von Geburt, dann in Frankreich naturalisirt, zu verschiedenen diplomatischen Aufträgen verwandt worden, sehr reich und bewirbt sich jetzt um den Gesandtschaftsposten an einem der ersten Höfe Europas. Dieser Mann heißt gewöhnlich Herr Fontenay; seit einigen Wochen nennt man ihn Marquis de Lormias. Er gibt täglich offne Audienz am Börsenplatz, in dem eleganten Theater Vaudeville.

Indessen Herr Fontenay ist an der Bedeutung, die er für die Geschichte des Jahres 1813 gewonnen hat, sehr unschuldig. Arago und Vermond, die das kleine Drama: » Die Memoiren des Teufels«, geschrieben haben, sind es, die ihn mit einem so bedeutenden Gewicht in Scene setzten. Der Moment, wo es herauskommt, wie eigentlich die Schlacht bei Leipzig verloren ging, macht täglich im Vaudeville außerordentliches Glück. Die Franzosen nehmen ihn für eine authentische historische Aufklärung und schmettern diesen Verräther, Marquis von Lormias, mit einem Beifallssturm nieder, für den sich der Teufel, der ihn entlarvt, zu bedanken hat. Die Bewandtniß mit dem Teufel des Vaudevilles und der Schlacht bei Leipzig ist diese: Eine Dame hat ihren Gatten und unter Anderm auch die Papiere verloren, die sie als die rechtmäßige Trägerin seines Namens bestätigen. Verwandte brauchen diesen zweiten Verlust und nehmen ihr und ihrer Tochter die großen Reichthümer, die sie eben als ihre Erbschaft antreten will. Verfolgt, verarmt, wird sie auch von einem Schlosse vertrieben, das im Munde des Volks für den Sitz allerhand Spukes gilt. Mitten in der Erzählung dieser Unheimlichkeiten erscheint ein junger Mann, der sich bereit erklärt, die Ansprüche der verfolgten Witwe geltend zu machen und sich dafür die Hand der Tochter bedingt. Auf einem Ball erscheint er unter der Maske des Teufels, raunt allen Verfolgern seiner Clientin wunderbare Antecedentien ins Ohr und erreicht den Zweck, diese Leute durch seine Allwissenheit so einzuschüchtern, daß sie ihre Ansprüche aufgeben, vollkommen. Auch finden sich die Papiere wieder. Sie sind eingemauert, von der Hand einer originellen Figur, einer spukhaften Erscheinung, die im ganzen Stück fast nichts als Ja und Nein sagt und über die Wucht ihres Geheimnisses halb wahnsinnig geworden ist. Es ist wirklich Hoffmann's Daniel, der Wändekratzer aus dem Erbvertrag, mit dem wir doch nun zu spät kommen! Die Piece wird vortrefflich gespielt, mit Grazie im Dialog, einfacher Zurückhaltung in den Bewegungen, mit Gefühl in den rührenden Stellen. Der allwissende Teufel ist ein junger Advocat, der durch seine Praxis gewisse Geheimnisse noch genauer kennen lernte, als sie in der Gazette des tribunaux stehen. Er wird von einem Herrn Felix mit außerordentlicher Virtuosität gespielt. Sollte man dies Stück in Deutschland heimisch machen, so dürfte man die Musik nicht aufgeben, die das Ganze sehr sinnig begleitet und die dämonischen Neckereien mit dem Teufel und der Hölle, die sich nachher natürlich auflösen, anschaulicher und greller herausstellt.

Marquis von Lormias muß in der Uebertragung eine andere Verrätherei an Frankreich begangen haben, als folgende, die ihm Robin vorhält:

L'armée ennemie vous a payé les secrets de l'armée française, dont vous étiez un employé superieur. … Le prix a été d'un million … cette somme, vous l'avez reçu dans le village de Lutzen le 14 octobre et le 16 notre armée était detruite sur les bords de la Saala.

So wichtig uns die französischen Memoiren für die Geschichtschreibung sind, diese Memoiren des Teufels werden es nicht werden.

Man kann in Paris nicht von Antecedentien sprechen, ohne an die Politik zu denken. Antecedentien war hier noch vor einigen Jahren ein furchtbares Wort. Jetzt hat man sich daran gewöhnt, weil Jeder die seinen hat. Antecedentien! Man las sie aus dem »Dictionnaire der Windfahnen« heraus, in welchem die Staatsmänner Frankreichs aufgezählt sind und geschildert nach ihren Eiden. Talleyrand war der Oberceremonienmeister der Antecedentien. Er hatte mehr als dreizehn Eide geschworen und alle gebrochen. Die Andern folgten der Reihe nach. Es war eine schreckliche Polemik, damals, als man sich die oft drückenden Nothwendigkeiten der Vergangenheit zu Vorwürfen für die Gegenwart machte. Die, die nichts erlebt hatten, wühlten nach den Inconsequenzen der Greise. Man vergaß den gewaltigen Umschwung der Begebenheiten, man vergaß die menschliche Schwäche.

Und doch waren Viele zu schwach! Es ist ein kalter Gedanke, zurückzublicken auf die Vergangenheit, ihren Glauben, ihren Glanz und Die, die diesen Glanz anbeteten, diesen Glanz verriethen. Zu schnell flohen sie von dem Besiegten zum Sieger, zu schnell bückten sie sich unter das Joch der Nothwendigkeit. Wenige sind da, die mit der sterbenden Sache gestorben wären, Wenige, die sich in die Fahne hüllten, die sie einst trugen, einst vertheidigten, in die Fahne, um sich still zu verbluten! Wie lockten die neuen Sterne und Ehrenbänder, wie lockten die goldnen Schlüssel und Grafenkronen! Es ist traurig, daß in Frankreich die Greise nicht das Ehrwürdigste sind.

Im Palais Luxembourg sitzen die Pairs. Das Local ist neu, neuer als die Erfindung dieser Würde. Eine Rotunde. An den Seiten die Tribünen der Zuhörer, die sich aber nicht zahlreich einfinden. Gegenüber in einem Einbau der Präsidentenstuhl, die Sitze der Secretaire. Unten die Lehnstühle der Pairs, rothe und grüne Polster, davor Tische und auf ihnen Schreibmaterialien. Die Einrichtung ist bequem. Die Lehnsessel gestatten die gefälligste Erholung, für die allzubetagten Gesetzgeber sogar den stärkenden süßen Schlaf. Der ganze Raum ist mit Malereien, Draperien, Vergoldungen überladen. Die Sonne scheint freundlich auf die überwiegend grünen Farben. Es liegt viel Behaglichkeit, viel Vornehmheit in dem Gesammteindruck, und so gedenkt man unwillkürlich der unglücklichen Verirrten, die vor diesen Richtern schon so oft gestanden haben, um heute gerichtet, morgen guillotinirt zu werden. Es ist sehr grausam, von diesen kostbaren Teppichen auf das Blutgerüst schicken.

Der Herzog von Broglie präsidirte. Der eigentliche Kanzler, Herr Pasquier, studirte wahrscheinlich an seiner akademischen Antrittsrede. Eine nüchterne Sitzung. Ein Gesetzentwurf, der verlesen wurde und schon angenommen war, ehe man noch über ihn abstimmte. Man brachte die Kugeln, man zählte sie, schüttete sie aus einem Korbe in den andern, es hatte etwas von Taschenspielerei, etwas von Escamotage. Dabei statteten sich die alten Herren Visiten ab und unterhielten sich von Dingen, die ihnen lieber waren, als die langweilige Tagesordnung. Die Pairs tragen alle eine gestickte Uniform, die mit ihren meist greisen Häuptern nicht gut harmonirt. Viel bedeutende Namen auf den grünen Sesseln. Viel Ruhm unter diesen Perücken, manche Unsterblichkeit! Gelehrte, Staatsmänner, Krieger von großer Auszeichnung. Die, die nichts waren, als treu ergebene Beamte, schienen mir die vorlautesten zu sein.

Die französische Pairskammer ist ein durchaus verfehltes Institut. Als man die Pairswürde für nicht erblich erklärte, hob man auch den Begriff der Pairie in sich selbst auf. Noch entsinn' ich mich deutlich jener Kämpfe um die Erblichkeit der Pairie. Es war ein Streit, wo sich, wie oft, Liberalismus und Despotismus in ihrer äußersten Einseitigkeit begegneten. Die Liberalen wollten die Pairie nicht erblich, weil ihnen alle Privilegien und zumal die, die sich vererben, ein Greuel sind. Die Regierung wollte die Pairie nicht erblich, weil sie vorzog, die Macht, die sie controliren sollte, sich alle zehn Jahre selbst zu schaffen. So ist die französische Pairie als Körper dem Ganzen eine Last und für die Einzelnen, die ihm angehören, ein Privilegium der Unpopularität, eine Sinecure des Volkshasses.

Wenn es doch einmal zwei Kammern geben soll, so muß die eine das Princip der Bewegung, die andere das Gesetz der Trägheit vorstellen. Das Gesetz der Trägheit heißt es sehr misverstehen, wenn man es durch Greise wiedergeben will. Es muß zwei Principien im Staate geben, das Interesse des Neuen und das des Alten, die Veränderung und die Beharrlichkeit, den Fluß und den Stillstand. Aber das Alte muß nicht greis, das Beharrliche nicht eigensinnig, der Stillstand nicht der Tod sein. Die Pairie, erblich oder nicht erblich, scheint uns, da die Regierung selbst schon Princip des Widerstandes und der Trägheit genug ist, ein Uebel. Soll man aber von zwei Uebeln wählen, so nimmt man das geringere. Eine erbliche Pairie kann wenigstens Das vorstellen, was sie bedeutet. Eine erbliche Pairie stellt der Regierung gesunde, kräftige Elemente gegenüber. Sie wird nie zäh werden, ja sie kann zu Zeiten freisinniger sein, als die Kammer der Gemeinen. Was sind diese Schatten der französischen Pairie! Abhängige Würdenträger der Krone, die nichts repräsentiren, als die Zahl ihrer Dienstjahre. Kein Besitz, auf dem sie fußen, keine Erinnerung an alte Größe, die sie aufrecht halten. Die französischen Pairs sind eine der hohlsten Institutionen, die unsre in Staatsformen so erfinderische Zeit nur hat ersinnen können. Inzwischen sind sie dem allgemeinen Spotte geweiht. Ein Pair machte neulich in einem Anfall von Freimüthigkeit, den diese alten Herren zuweilen, wenn das Podagra zu arg ist, bekommen, den Antrag, ob denn die Regierung bei ihnen nicht die Opiumfrage vorbringen werde? Sie hätte ihm antworten können, daß die schläfrigen Verhandlungen der Pairskammer genug bewiesen, wie lange schon diese Frage von ihr verhandelt wäre.

Der Ausspruch Schiller's vom Werth des Einzelnen beim Unwerth des Ganzen bewährte sich mir wohl, als ich in Baron Degerando einen Pair kennen lernte, der an sich der größten Achtung würdig ist. Herr von Degerando ist ein Greis, der mitten in den flüchtigen und oft frivolen Bestrebungen der pariser Tagesordnung sich einen edlen, menschenfreundlichen, einen rein humanen Zweck erhalten hat. Früh Krieger, dann den Degen mit der Feder vertauschend, lebt er der Idee des Friedens, dem Wohle der Gesellschaft, der Erleichterung von ihren drückendsten Uebeln. Ich begrüßte ihn als »eine lebendige Anwendung der Ideen unseres Herder« und er gestand, daß er den Schriften Herder's seine besten Anregungen verdanke. Er war es, der Edgar Quinet veranlaßte, Herder's Ideen zur Geschichte der Menschheit ins Französische zu übersetzen. Degerando verhält sich zur Philosophie, wie der Mönch zum Theologen. Er bewegt sich nur im praktischen Gebiete der Wissenschaft, in ihren Anwendungen auf das Wohl der bürgerlichen Gesellschaft. Die Flüge der deutschen Philosophie sind ihm zu überschwenglich, er verlangt von der Metaphysik einen schnelleren Uebergang zur Moral, von der Moral einen schnellern Uebergang auf die Sittenpolizei, auf die Straf- und Besserungsanstalten, auf die Volkswirthschaftslehre, auf die Anlegung von Gesundheits- und Krankheitshäusern, auf die Warte- und Kleinkinderschulen. Einer Unzahl kleiner Gesellschaften, die diesen Zwecken gewidmet sind, präsidirt Herr von Degerando mit demselben Eifer, den er den Verhandlungen der moralischen Section des Instituts de France widmet.


 


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