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Elfter Brief.

Paris, den 27. März 1842.

Dichter in Paris zu sein, ist schwerer, als in der Provinz. Dichter in Frankreich zu sein, ist schwerer als in Deutschland. Mitten unter diesen politischen Debatten, dieser Witzjagd der Journale, dieser haarscharfen Verstandesbildung, mitten unter diesen Leidenschaften, dieser Sucht nach Effekt, mitten in diesem unruhigen Paris, diesen kalten poesie- und glaubenlosen Kirchen, mitten in dem Krämergeist mit seinen Boutiken, seinen Schaustellungen, seinen gesellschaftlichen Ansprüchen – die elysäischen Felder und der Bois de Boulogne reichen nicht aus, um da der Ermüdung Schatten, der Melancholie Trost zu geben.

Es gehört in Paris zum Dichter großes Genie und große Entsagung. Sich all' diesen Schimmer und all diesen Schmuz vom Auge bannen und es nur heften können auf die Springbrunnen, die Blumen und die Sterne, die auch hier am dunkeln Nachthimmel strahlen, das vermag man nur durch eine große Einbildungskraft oder durch ein moralisches Selbstbewußtsein, das starken Geistern große Ueberwindung kostet, genügsamen von der Natur gegeben ist. Ich sehe zuweilen im Gewühl der Massen, die sich durch die Straßen drängen, einige Jünglinge abbiegen in die engern, einsamern Gassen. Ich sehe schweigsam ernste Lustwandler am Quai des Augustins, am Quai du Louvre, am Quai Voltaire. Sie blicken in die immer bewegte, dunkle Seine, sie verfolgen die gelben Lichter, mit denen die scheidende Sonne die letzten Spitzen der Thürme vergoldet; sie stellen sich an einen der unzähligen Büchertrödel hin, die zu beiden Seiten der Seine aufgeschichtet sind. Sie behandeln ein altes vergessenes Buch. Es ist ihnen zu theuer. Sie schreiten weiter, blasse Mienen, ein tiefliegendes Auge, das Haar lang und schwarz, eine trübe, finstere Erscheinung, die mich fesselt, seitdem die Passagen und die Boulevards mit ihrem ewigen Einerlei mir langweilig sind. Diese einsamen Träumer sind die Dichter, die Denker Frankreichs, die eine Zukunft haben werden, weil sie sich vorbereiten durch Entsagung. Es gibt in Frankreich viel Talente, die es verschmähen, der Mode des Tages zu huldigen, Talente, die sich für eine neue Epoche aufsparen. Ja, nicht einmal alle die Namen, die wir am Fuße der Feuilletons treffen, schwelgen in jener behaglichen Existenz die wir in Frankreich mit der Führung der Feder zu verbinden pflegen. Die bedeutenderen Kräfte der französischen Literatur, die Träumer, die Dichter sind arm, wie in Deutschland.

– – Gérard, der Uebersetzer des Faust, der Verfasser jenes wunderlichen Studentendramas Leo Burckart, das vor zwei Jahren auf der Porte St. Martin so viel Glück machte, Gérard wurde von der Direction des zweiten Theater Français, dem Odéon, aufgefordert, in der deutschen Literatur Stoff für die französische Bühne zu suchen. Es ist eine unglückliche Sache mit diesem Odéontheater! Es liegt drüben jenseits der Seine, nahe dem Quartier Latin, es ist der Tummelplatz der muthwilligen Studenten. Alle seine Stücke fallen durch. Nun will man, um nicht immer die französischen Autoren zum Fall zu bringen, die deutschen vorschieben. Man will Schiller, Goethe, Lessing, besonders aber die neuesten Dichter des deutschen Theaters, Raupach, Blum, Devrient, die Birch-Pfeiffer, vor den französischen Studenten durchfallen lassen. Da die Mission des Odéons das Fiasco ist, so ist es Nationalsache Frankreichs geworden, das Odéon der Literatur des Auslandes zu widmen.

Gérard fragte mich nach deutschen Schlachtopfern. Mit mehr Eitelkeit hätt' ich mich mehr großmüthig zeigen können. Ich hielt mit meinen eignen Stücken zurück. »Zuvörderst Emilia Galotti von Lessing.«

»Ist schon gegeben.«

»Goethe.«

»Ist schon übersetzt.«

»Schiller.«

»Ist schon gedruckt. Maria Stuart ist auf dem Theater Français. Kabale und Liebe ist bekannt als la fille du musicien. Auch die brigands sind schon gegeben.«

»Kotzebue.«

»Hat das Meiste aus dem Französischen genommen, und Das, was ihm eigen ist, wurde schon übersetzt. Manches, was ursprünglich französisch, wurde deutsch und kam deutsch-französisch wieder nach Frankreich zurück.«

»Iffland.«

»Seine Welt wird in Frankreich nicht verstanden.«

»Raupach.«

Isidor und Olga wurde im Süjet erzählt. Gérard kannte es schon als les deux frères polonais. »Die Geschwister« ist dem Französischen entlehnt: l'incendiaire. Vormund und Mündel. Der englische Roman, aus dem Raupach schöpfte, ist auch im Französischen benutzt. Die Lustspiele Raupach's sind zu deutsch.

»Die Verirrungen, von Devrient.«

»Müßten auf drei Acte gekürzt werden.«

Vieles wurde noch aufgezählt, aber das Meiste war in dieser und jener Form schon einmal dagewesen. Auch Friedrich den Großen, in allen möglichen Lagen, hat man schon nachgehustet, nachgehinkt, nachgeschnupft, ganz so, wie ihn Töpfer und Seydelmann bei uns spielten. Ich empfahl Daniel, den Wändekratzer, im Erbvertrag. Das Wort, »nach Hoffmann« elektrisirt jeden Franzosen. Aber auch hier wollte man schon etwas Aehnliches besitzen. Alle unsere Hofräthe, Husarenrittmeister, unsere treuen und treulosen Gatten und Gattinnen, alle unsere Thränen und Rührungen sind in Frankreich schon einmal ausgelacht worden. Es ist schwer, diese Demüthigung, die früher nicht bemerkt wurde, jetzt, wo sie ein System werden soll, noch einmal neu in Scene zu setzen.

Um mich von den unglücklichen Folgen dieser Germanisirung des Odéons doch zuletzt nicht ganz auszuschließen, entwickelte ich Gérard den Inhalt meines »Werner.« Dieser und Robert's »Macht der Verhältnisse« schienen anzusprechen. Aber eine neue Schwierigkeit! Beide Stücke sind auf den Unterschied der Stände begründet. Werner tritt aus dem Adel in den Bürgerstand zurück, Eduard Weiß erschießt einen Adeligen, weil er ihm Satisfaction verweigert. »In Frankreich,« sagte Gérard, »hat man keinen Adel.« »In Frankreich,« fügte er hinzu, »verweigert kein adeliger Officier einem bürgerlichen Schriftsteller Satisfaction.« Das Letzte geb' ich zu, das Erste nicht. Frankreich hat den Unterschied des Adels von der Bürgerklasse bis zur klaffenden Wunde, bis zur höchsten Spitze der Anomalie, aber das geb' ich zu, man will diesen Unterschied nicht auf der Bühne sehen, man darf ihn dort nicht zur Voraussetzung einer ernsten Intrigue nehmen, man würde das Factum des Unterschiedes verspotten, noch ehe es sich entwickelt hat. So sind wir in allen Voraussetzungen der geselligen Grundlagen des Dramas gegen die Franzosen zurück und werden wol auf die Ehre, sie mit unsrer Bühne bekannt zu machen, verzichten müssen. Bei dem unglücklichen Privilegium des Odéon jedenfalls ein Erfolg, zu dem wir uns Glück wünschen können.

Die Rivalin der Rachel, Dem. Maxime, hört' ich in einer Soiree des Phrenologen La Corbière. Es ist hier Sitte, daß Alles, was in der Oeffentlichkeit eine Geltung erstrebt, in den Salons den Grundstein dazu legt. Dem. Maxime, in dem Bewußtsein, die baldige Nachfolgerin der Rachel zu werden, sprach eine Scene aus der Andromaque. Sie sprach sie nicht, sie deklarierte sie nicht, sie spielte sie. Mitten im Zimmer wurde ein kleiner Cirkus gemacht, auf dem sie sich wie auf den Bretern bewegte. Sie sprang hin und her, rang in ihrem Schmerze, schoß bald vorwärts, bald rückwärts, wie auf der Bühne. Um den Effekt zu erhöhen, las ein Anderer (sie spielte einen Dialog) mit monotoner, ängstlich unbedeutender Stimme die Gegenworte ab, ohne auch im Geringsten in Affekt zu kommen. Ich kann nicht leugnen, daß Dem. Maxime einige Stellen hübsch sprach, mehr Natur als die Rachel zeigte und von der Musterkarte der vielen ausgebotenen Affekte besonders gut ein freilich schon etwas zu weitgehendes Weinen traf, glaube ihr aber keine große Zukunft versprechen zu können. Sie ahmt die wilde Leidenschaft und den Ton der Georges nach, aber ihre Stimme ist rauh, zu männlich, zu belegt. Ihre Figur ist klein, untersetzt, und ihr Vortrag, bei der Kürze ihres Halses, dadurch sehr gestört, daß man sie nach jeder Phrase beklemmend laut Athem schöpfen hört.

Odillon Barrot war in demselben Salon, den zuweilen auch Lamennais und Thibeaudeau besuchen. Odillon Barrot ist ein Fünfziger; stark, behaglich in seinem Aeußern, viel älter und minder sanguinisch, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Man kann Odillon Barrot's Augen nicht sehen, da sie hinter einer Brille versteckt sind. Sein Wesen verräth den etwas pathetischen Advokaten, der hinter seinem Barreau die Angelegenheiten Anderer vertheidigt, ohne sich selbst an ihnen zu betheiligen. Es muß für bequeme Gemüther ein eignes wohliges Gefühl sein, einen auf den Tod Angeklagten zu vertheidigen, ohne selbst hingerichtet zu werden. Odillon Barrot hat wenig Intriguantes in seiner Art: man gewöhnt sich hier in Paris, Das, was uns Vertrauen einflößt und nach Gutmüthigkeit aussieht, deutsch zu nennen. Odillon Barrot's Stellung zur Gegenwart Frankreichs ist nicht mehr so bedeutend, wie vor zehn Jahren. Er hat sich den Ministerien zu oft genähert und zu viel Phrasen gesprochen, um noch in der Kammer von großem Gewicht zu sein. Er war zuweilen daran, Minister zu werden. Wär' er es geworden, er hätte das volle, lange Haar nicht mehr, das ihm noch vom Scheitel fällt. Es wäre grau wie Guizot's, weiß wie das Haar des noch jugendlichen Thiers.

Wie hier ein Theil der Presse gegen die Minister steht, zeige beispielsweise folgende sogenannte makaronische Umschreibung des jetzt so viel besprochenen Stabat mater.

LE STABAT
DE LA PRESSE.

 

Stabat pressa dolorosa
Près de Martin lacrymosa,
Dum pendebat mandatus.

Cujus boursam, per amendam,
Très platam et de ssechatam,
Pertransivit le fiscus.

O quam tristis et saignata,
Fuit illa carottata,
En attendant l'obitus.

Gemi Stabat, et pleurebat
Et tremblabat quand videbat,
Echarpam commissairi.

Qui proletaire non fleret,
Pauvram pressam quand videret,
In tanto guet-à-pento.

Qui pourrait non contristari,
Pauverettam contemplari,
Contristantem payso?

Pour les péchés grandae gentis,
Vidit libertatam noiris,
Condamnata jugibus.

Vidit dabord Populairum,
Moduam et Nationalum,
Deboursantes noyautos.

Hélas! Pressa, pauvra beta,
Pressurata, ruinata,
Comme crachas Philippos!

Fac Martinus, cum mendatis,
Au Corsaire songe gratis,
Et noyautibus idem.

Fac ut Pasquierus simarré,
Hebertus et Frankus-Carré
Nos ménagent ibidem.

Virgo virginum praeclara,
Justitia non aveugla
Glaivum tuum rengaina.

Epargna nos Pélagiam,
Forçam, Conciergeriam.
Et Micheli vincula.

Quando Systemus crevera,
Corsairus chachucharera
En chantant alleluja!

 

Bemerkenswerth ist am Schluß die Zusammenstellung, daß der Corsaire, wenn das »System« »verrecken« sollte, Halleluja singen und dabei die Cachucha tanzen würde.

Diese Mischung der Religion mit dem Ballet, diese infernalischen Ironien sollen früher in den Musardbällen gefeiert worden sein. Jetzt ist Musard in London und hat nichts zurückgelassen, als in der rue Vivienne alle Tage ein langweiliges Konzert, wo man still und andächtig ein Programm von allerhand schlechter Modemusik herunterspielen hört. Das Palais Royal moralisch, keine Spielhäuser mehr, kein Cancan, kein Musard. Die Einen behaupten, Paris wäre sittlicher geworden. Die Anderen, welche diese Sittlichkeit an Paris sehr langweilig finden, vertrösten auf den Bal Georges, auf die Chamière, auf den Fasching im Freien.


 


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