Johann Christian Guenther
Gedichte
Johann Christian Guenther

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An die Phillis

        Ich verschmachte vor Verlangen,
Meine Phillis zu umfangen.
Harter Himmel, zürnst du noch?
Faule Stunden, eilet doch!
Eilet doch, ihr faulen Stunden,
Und erbarmt euch meiner Not!
Wird der Riß nicht bald verbunden,
Blutet sich mein Herze tot.

Liebste Seele, laß dich finden!
Ich spaziere durch die Linden,
Durch die Täler, durch den Hain
In Begleitung süßer Pein;
Ich durchkrieche Strauch und Höhlen,
Such in Wäldern weit und nah
Die Vertraute meiner Seelen,
Dennoch ist sie nirgends da.

Ich beschwöre selbst die Hirten
Bei den Herden, bei den Myrten,
Die vielleicht der Liebe Pflicht
Um die bunten Stöcke flicht:
Wißt ihr nicht der Phillis Spuren?
Habt ihr nicht mein Kind erblickt?
Kommt sie nicht mehr auf die Fluren,
Wo wir manchen Strauß gepflückt?

Die ihr alles hört und saget,
Luft und Forst und Meer durchjaget,
Echo, Sonne, Mond und Wind,
Sagt mir doch, wo steckt mein Kind?
Soll sie schon vergöttert werden,
Bet ich sie vielleicht herab,
Oder ziert sie noch die Erden,
O so reis ich bis ans Grab.

Sage selbst, entrißne Seele,
Welcher Weinberg, welche Höhle,
Welcher unbekannte Wald
Ist anjetzt dein Aufenthalt?
Sage mir, damit ich folge,
Wär' es auch des Nilus Strand,
Wär' es auch die kalte Woge,Nil und Wolga
Zög' ich gern durch Eis und Sand.

Weiß mir nichts Bericht zu geben?
O was ist das für ein Leben,
Das ich jetzo ohne sie
Als mein Joch zur Bahre zieh!
Himmel, laß dir nicht erst fluchen,
Ich begehre sie von dir -
Bin ich nicht ein Tor im Suchen?
Phillis lebt ja selbst in mir.

 


 


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