Anastasius Grün
In der Veranda
Anastasius Grün

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In Veldes.

1. Ausblick.

                Du grünendes Tal, du kristallener See,
Du liebliches Eiland mit blinkendem Kirchlein,
Ihr trotzigen Felsen, ihr lauschigen Forste,
Die ihr mir Aug' und Sinne umstrickt,
O löst mir das Rätsel und nennt mir das Wunder,
Womit ihr das Herz auch in Wonnen berauscht,
Den Geist auch in fesselnden Zauber mir bannt?

Dort ragt er empor hoch über den Seinen
Triglav, der uralte, das heilige Dreihaupt,
Mit weithin leuchtender Zackenkrone,
Der erste, der morgens den Purpur trägt,
Der letzte, der abends ihn fallen läßt,
Der Urahn eines Geschlechts von Giganten,
Vom Silberbart die athletische Brust,
Von eisigen Locken die Schultern umwallt,
Die Stirne getaucht in sonnige Glorie,
Doch auch umflort von ziehenden Wolken,
Wie von den Schatten tiefernster Gedanken.

Und wie zum festlichen Rate versammelt,
Umstehn den Altvater die Hünengestalten
Von Söhnen und Enkeln und Enkelkindern,
Die Berge und Hügel, in faltigen Mänteln
Der Wälder mit blumengesticktem Saum;
Darunter schon Greise mit Schnee auf den Häuptern,
Doch Knochen von Marmor und Mark von Erz.

Am Seestrand wacht ein Jüngrer der Sippe,
Der Fels mit der Burg, ein Krieger in Waffen,
Zum Hüter bestellt dem geheiligten Becken;
In glattem Panzer, in steinerner Rüstung,
Das Haupt mit dem Ritterschloß behelmt,
So ragt er steil und starr und senkrecht;
Und um die Brust ihm flüstern und schauern
Die Todeslüste des schwindelnden Abgrunds.

Das Eiland doch mit dem schimmernden Kirchlein
Inmitten des blinkenden, flimmernden Sees,
Das jüngste wohl ist's der Enkelkinder.
Es breiten die Wellen sich ihm zum Teppich
Wie blinkendes Linnen, wie flimmernde Seide,
Drauf kniet das Kindlein, die Hände gefaltet
Zu stillem Gebete in gläubiger Andacht;
Dann wieder erhebt es ein Singen und Klingen
Mit reiner silberner Glockenstimme.

Am Ufer liegen die Stätten der Menschen
Zerstreut wie sein fallen gelassenes Spielzeug,
Wie farbiger Tand nürnbergischen Schnitzwerks
Von Häusern und Hütten und zierlichen Villen.
O Tal der Zauber, voll Größe, voll Anmut,
Erhaben, wie in den Wolken der Donnrer,
Liebreizend, wie die erblühende Jungfrau;
Das Menschenherz hat wiedergefunden
In dir sich selbst, sein Streben, sein Lieben;
Denn weil es zu Kleinerm sich niedergebeugt,
Und weil es zu Höherm empor sich schwingt,
Belebt es das All mit dem eigenen Sein.

Hier unter des Landmanns ärmlichem Strohdach,
Aus dem ich hinaus in die Landschaft blicke,
Hier lebt es und webt es, den Herzen näher,
Das heilige Band, mit welchem umschlungen
Mein Geist die gigantische, steinerne Sippe.
Hier sitzen in traulicher Tafelrunde
Der Ahn, die Söhne und Enkel versammelt,
Da fehlt auch nimmer der jüngere Krieger;
Hier kniet auch das betende Enkelkind,
Andächtig die kleinen Hände gefaltet,
Und spielt und klingelt und singt dazwischen
Und nennt mir das Wunder und löst mir das Rätsel.

 
2. Liebfrauenkirche.

            Tönend fließt im See die Welle,
Kähne schaukeln in den Kieden,
Auf der Insel die Kapelle
Blinkt aus grünem Waldesfrieden.

Ihre Glockenrufe gleiten
Zitternd über Wellenkreise,
Ringen tönend in die Weiten,
Sterben dann verhallend leise,

Daß die Schwalben, die da fliegen,
In Musik die Schwingen baden,
In Musik sich lieblich wiegen
Schifflein auf den Wellenpfaden.

Bald wie Sehnsucht, bald wie Klagen
Kommt der Glockenton gezogen,
Jetzt ein schüchtern stockend Fragen,
Jetzt der Hoffnung voll'res Wogen.

Wundersames, eignes Klingen,
Als ob Fühlen im Metalle!
Um zu Herzen so zu dringen,
Pocht ein Herz wohl in dem Schalle.

Nicht des Glöckners Hände führen
Taktgerecht die Glockenstränge;
Gläubig an das Seil zu rühren,
Drängt sich hier die Pilgermenge.

Denn die Sage kündet's allen:
Wem vergönnt, dies Seil zu schwingen,
Was er bei der Glocke Hallen
Wünschen mag, es soll gelingen!

Ruhlos tönt das Glöcklein immer,
Tönt zu allen Tageszeiten;
Denn die Wünsche schlummern nimmer,
Pilgern ruhlos in die Weiten.

Ob die Klänge voller schwellen,
Ob im Wind sie leis vergehen,
Immer über diesen Wellen
Schwebt des Geistes mächtig Wehen.

Und du fühlst, vom Hauch getroffen,
Durch die eigne Brust die Fluten
All der andern Leid und Hoffen,
Fremde Schauer, fremde Gluten;

Fühlst, was Herzen kann bedrängen,
Was sie sporne, was sie quäle;
Denn es tönt in jenen Klängen
Durch das All die Menschenseele.

 
3. Glockenruf.

              Es keimt ein Saatkorn künft'ger Taten
In jedem Wunsch; – drum wünsche nur!
Doch streu auf deine Lebensflur
Nur gutes Korn und reine Saaten.

So will auch ich die Glocke wiegen,
Daß weit ihr Aufschrei widerhallt,
Und daß, solang' ihr Ton mir schallt,
Zum Himmel meine Wünsche fliegen:

»Aus der Betäubung dumpfer Träume,
Mein Heimatland, mein Volk, wach auf!
Sieh deiner Nachbarn Siegeslauf!
O Schmach, wer da im Wettkampf säume!

Den wüsten Schlaf reib aus den Augen,
Die noch umflort, obschon es Tag!
Blick in den Glanz! – Lichtscheue mag
Dem Olm in deinen Grotten taugen.

Bist scharfen Blicks, geweckten Geistes,
Bist klug, wie schon dein Dichter sang;
Der Schlaftrunk doch wirkt stark und lang,
Den man im Kelch kredenzt, du weißt es!

Von Berg zu Berg das Feuerzeichen
Rief einst zur Nacht in Türkennot,
Der Sklaverei, die dir gedroht,
Zu wehren mit des Schwertes Streichen.

Doch Greise jetzt und Neugeborne
Umschnürt ein andres Sklavenband:
Kaftan und Kutte sind verwandt,
Sowie Beschnittne und Geschorne.

Von Haupt zu Haupt des Lichtes Zeichen,
Das auch die neuen Türken bannt,
Laß flammen jetzt durchs weite Land
Und diese Flammen nie erbleichen!

Das Licht, entquollen einst in Strahlen
Dem Lämpchen jenes Bergmannssohns,
Es flog vom Schacht zu Höhn des Throns
Und leuchtet' einst auch diesen Talen.

Gesalbte Schergen doch zertraten
Mit plumpem Fuß den Funkenrest;
Die Finsternis begann ihr Fest,
Und Geistesnacht reift' ihre Saaten.

Sie heimsen ein; welch lustig Treiben!
Hei, wie der Peterspfennig springt!
Doch wo des Tetzels Büchse klingt,
Wird auch nicht fern der Luther bleiben. –

Vom öden Karst, von eis'gen Tauern
Umschlossen ist dein Wunderland;
Die Berge sind nicht Kerkerwand,
In Einsamkeit dich einzumauern.

Doch Zinnen sind's, und die erklimme!
Halt Umschau! Sieh, wie dir die Welt
Den Eisenarm entgegenhält,
Dir zuruft mit des Blitzes Stimme.

Tritt in des Weltmarkts offne Hallen,
Du siehst, was Menschenkunst ersann,
Was dir das Sein verschönern kann,
Hörst aller Völker Sprachen schallen.

Aus allen tönt wie eines Mundes
Die Losung, die auch dich erfaßt;
Du bist nicht mehr ein fremder Gast,
Ein treuer doch des Völkerbundes.

Wach auf, wach auf! Vom Leibe raffe
Die Lappen finstrer Dienstbarkeit!
Für hohe Ziele kämpft die Zeit,
Umgürt auch dich mit ihrer Waffe!

Sei wie dein Strom, der in die Klüfte
Des Höhlendunkels jäh verschwand,
Den Weg zum Licht doch wieder fand,
Und funkelnd grüßt die sonn'gen Lüfte.« – –

Das war mein Wünschen, währenddessen
Der Glocke Klang die Luft durchschnitt,
Bis müd' mein Arm vom Seile glitt; –
Mein eigen Selbst hatt' ich vergessen.

Doch ohne Klage will ich tragen
Das Leid, das meine Brust verschließt,
Wenn Glück und Ruhm dies Land umfließt
Und drüber hellre Sterne tagen.

 
4. Seebild.

                Durch die Wellen steuert ein Schwan so einsam,
Hell und blank, wie die schimmernde Wasserlilie,
Wie im Azur die ziehende Silberwolke,
Blume der Erde zugleich und Bote des Himmels.
Von Balkonen herab und Blütenterrassen
Streuen ihm weiße Hände nährende Brotsaat.
Feierlich schwebt er heran, fast ohne Regung,
Stete Bewegung, doch in seliger Ruhe,
Gleich dem rückenden Zeiger auf dem Uhrblatt,
Gleich dem reifenden Mondesnachen im Äther.

Wie du feierlich stolz, o Schwan, dahinziehst,
In dem flimmernden See ein einsamer Segler,
Unter dir die glänzenden Spiegelbilder
Blühender Ufer, goldener Himmelswölbung,
Mächtiger Berge, die Natur rings türmte,
Freundlicher Stätten, die der Mensch hier geschaffen,
Wird des See's kristallener blanker Spiegel
Mir zum Spiegel der Zeiten und Geschicke,
Wirst du selbst mir ein hehr und mahnend Sinnbild.

Wenn der Sturm den schneeigen Flaum emporsträubt,
Weithin flattert sein schwarzer Wolkenmantel
Und die Wellen wie drohende Fäuste sich ballen
Sieh, dann liegt der Spiegel zerschlagen, in Splittern,
All die glänzenden Bilder sind zerstoben
Und versunken in die chaotische Brandung.

Doch auch wenn in sonniger Ruhe lautlos
Über dir tiefblau der Äther sich breitet,
Seines Lebens wollusthauchender Atem
Leise, leise, wie Blumenduft, den See streift,
Der so glatt und blank, wie metallgegossen,
Daß er sich sanft zu regen beginnt und zu kräuseln;
Da auch über den Spiegel wallt ein Zittern,
Wellengeriesel und glitzernde Flimmerlichter
Reißen tanzende Furchen in seine Flächen,
Und die Risse durchziehn der Bilder Konturen,
Daß ihr Band sich löst in Stücke zerfallend,
Daß der Berge Säulen querüber gespalten,
Wie geborsten die Gletscher, durchsägt die Wälder,
Wie geknickt und zerpflückt die Blumen des Ufers.
Auf den Höhen die Burg, im Tal die Hütte,
Neben dem Römerstein der schimmernde Kirchturm,
Altes und Neues, sowie die Menschlein dazwischen
Alles zerschwankend, zerbröckelnd und zerfließend!
Aber feierlich über den Bildertrümmern,
Ueber dem Schwankenden ziehst du, einsamer Lotse,
Deine Bahnen dahin, in beseligter Ruhe,
Blank und rein, wie die schimmernde Wasserlilie.
Leuchtend, wie im Azur die Silberwolke,
Blume der Erde zugleich und Bote des Himmels.

Also nagen und rütteln an allem Dasein
Selbst die sonnigsten Stunden, wie spielende Wellen;
Durch den lauschenden Weltraum knistert und rieselt
Still und stet ein Verwittern und Verfallen,
Körnlein Sandes im Stundenglase verrinnend.
Aber das Dulden und Wünschen, Ringen und Hoffen
Hingesunkner Jahrhundert' und Menschengeschlechter
Lebt noch fort und fort in geläuterter Klarheit.
Über dem Wellenspiel der fliehenden Stunde,
Über den Völkertrümmern und Zeitenschutte,
Über den Urnen aschegewordener Herzen
Zieht der Wahrheit ewiger Lichtgedanke
Unaufhaltsam die Bahn in beseligter Ruhe,
An der Weltenuhr der weisende Zeiger,
In der Erdennacht die strahlende Leuchte,
Hell und rein, wie du, sein liebliches Sinnbild.


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