Anastasius Grün
In der Veranda
Anastasius Grün

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Vorboten.

März 1848.

 
    Sinne denn selbst, o König auf Rat und hör ihn von andern,
Nicht wird dir verwerflich das Wort sein, welches ich rede.
Ilias.
I.
                    In kühler Grotte sitzt Merlin und lebt ein selig Lauschen,
Er horcht dem Quell, den Wäldern ab ihr süßgeheimstes Rauschen;
Jetzt bebt er auf: ein grauses Wort vertraut die Erd' ihm leise,
Die Vöglein zwitschern's ängstlich fort, aufflatternd irr im Kreise.

Der Blumen Wange färbt es bleich, die tief ins Herz erschrocken,
Der Wolf schleicht zitternd aus der Schluft, die Quellen wimmernd stocken;
Da stürzt Merlin zum Königssaal, verstört, ein finstres Bildnis,
Hoffähig machte die Gefahr sein rauhes Kleid der Wildnis.

Er schleudert in den Wonnebann der Flöten und der Geigen
Das rasche Wort: »Entflieh' wer kann!« – Das löst und sprengt den Reigen;
Die Gäste flohn, jetzt bebt der Grund, mit Krachen stürzt die Halle;
Oft redet auch der treuste Mund mit rauh unsüßem Schalle.

So fliegt, aus grüner Siedelei zur Kaiserburg zu klimmen,
Das waldesfrohe Lied herbei, gewarnt von leisen Stimmen,
Und spricht: »Die Zeichen trügen nicht, vor Abend wird's gewittern,
Bewahre, Herr, dein Haus und dich, wenn Säul' und Balken zittern.«

Vom Söller überblickt der Fürst sein Heer in grünen Reisern,
Der Kampflegionen Donnergang, die Männer schön und eisern,
Der Glieder festgeschloßnen Keil zu ehrnem Guß gequollen,
Wie die Ideen der neuen Zeit, die sie besiegen sollen.

Ein schönes Heer, ein starkes Heer, Geschwader an Geschwadern!
Es beben dem Kartaunenzug verweichlicht rings die Quadern;
Stahlblank und schillernd ringelt sich die erzgeschuppte Schlange
Von Dniester bis zum fernen Po ruckweis' in festem Gange.

Gleich schwarzen Schwänen zieht im Strom der Schiffe dunkle Kette,
Wie sträubendes Gefieder starrt der Bord voll Bajonette,
Der Chor der Schlacht schwebt auf der Flut in vollem Stimmenklange:
Die Schwäne singen! Manches Ohr lauscht eignem Grabgesange.

Dort braust im Eisengleis heran der Wall von Waffenscharen,
Jetzt tobt's dahin, jetzt dröhnt's vorbei, ist meilenweit entfahren;
Das war ein guter Stoß des Aars, ein prächtig Flügelrühren,
Des Adlers Kralle scheint gesund und weiß das Schwert zu führen.

Doch ist auch so gesund das Herz, der Lenker seiner Flüge?
Noch trägt es treu dein Wappenschild und deine Namenszüge,
Doch frage, Herr, uns Mann für Mann der großen Volksgemeinde:
Ziehn alle Herzen mit dem Heer? Steht manches nicht beim Feinde?

O frag' dein Heer! Der Fahne folgt manch zweifelnd Herz mit Leide,
Treu blieb die Eisenhand allein, die dir geschworen Eide;
Verkrüppeln muß des Ruhmes Baum, besprengt von Bürgerblute,
Den schwertgewohnten Mannesarm entnervt die Schergenrute.

Herr, du bist schwach in deiner Kraft, wehrlos in deinen Waffen! –
Dort steht ein Greis, den will sein Geist in ferne Zeit entraffen,
Er sah ein Heer einst, das gesprengt, feldflüchtig und geschlagen,
Doch stärker blieb als dieses ist in seines Glanzes Tagen.

Im Jahr des Unglücks war's und Ruhms! Dein Vater stand am Fenster,
Vorüber zog es bleich und stumm, zähnknirschende Gespenster,
Gedämpften Trommelschlags, das Haupt gebeugt, in düstern Rotten,
Barfuß, in Fetzen des Gewands, der Krone Sansculotten.

Ach, ohne Fahnen kehrten sie, zu denen sie geschworen,
Die fern zum Invalidendom sich irren Flugs verloren;
Tieftraurig Volk und Kriegerschar und wer es nur sah wallen,
In seiner Burg der Kaiser war der traurigste von allen.

Doch groß und stark war Volk und Heer, wie eines ehrnen Gusses,
Eins durch das Elend, eines auch im Lodern des Entschlusses!
Das Volksherz schlug in Kaisersbrust, des Kaisers Herz im Volke,
Elektrisch an den Schwertern brach gelöst die Donnerwolke.

So sprich auch du das rechte Wort, das alle Stämme bündet,
Das längst auf allen Lippen bebt, dir alle Herzen zündet;
Gedörn umrankt Josephs Panier, das deinem großen Ahne
Im Tod entsank, doch Oesterreichs Schutzgeist bewacht die Fahne.

Erfaß, o Herr, umschling den Schaft mit neuen frischen Bändern,
Schreib auf das Banner: »Geist ist Kraft!« Schwing's über allen Ländern!
In Eins zum Volke schmilzt dein Heer im Schmuck der grünen Reiser,
Dann bist, wie nie und nimmermehr, du unser starker Kaiser!

 
II.
O Ferdinand, dem's fast gelang durch Milde zu versöhnen
Mit deines Namens düstrem Klang, vererbt den Habsburgsöhnen,
Wie einer grausen Ahnentat noch ungesühnte Kunde,
Wie des zerrißnen Vaterlands fortblutend offne Wunde.

So übergroß ist deine Huld, so fremd dem heutg'en Tage,
Als kläng' aus alter Märchenzeit die rührend zarte Sage:
Im Zauberstrahl der Dichterwelt begegn' ich deinem Bilde,
In einem Land, in einer Zeit, die wie dein Herz so milde.

Dort thronst du im Provencertal, genannt Rene der Gute,
Dem lieblich wie ein Rebenkranz sein Reich zu Füßen ruhte,
Da schmiegt sich auch so rebengleich dein Volk zu deinem Throne
Und gießt sein goldnes Traubenblut zum Golde deiner Krone.

Gesetze blühn als Blumenschrift und klingen als Gesänge,
Von Milch und Honig fließt die Trift, von Wein und Öl die Hänge,
Das Meer spült Perlen an den Strand, der Berg treibt Silberblüte,
Als ob dein Herz nur rings im Land fortklänge, sproßte, glühte!

Dein Zepter ist ein grüner Zweig, dran weiße Lilien wallen,
Dein Königsmantel blütenweiß wie Schnee, der frisch gefallen;
Der Römer warb im weißen Kleid um Stimmensieg beim Wählen,
Du Kandidat auf goldnem Thron wirbst um die Huld der Seelen.

Wohl sinnen andre auf dem Thron, die Völker zu erdrücken,
Dein Haupt doch sinnt erfindungsreich, die Herzen zu beglücken;
So wird die Muße dir zum Ruhm, Festspiele deine Kriege,
Und deine Güte Heldentum, Wohltaten deine Siege.

Weil alle Wirklichkeit zu arm für deinen Drang zu helfen,
Verliehen deinem Königsarm Heilkräfte milde Elfen;
Ein offner Kelch ward deine Hand, drein güt'ge Feen gießen
Die Wellen Golds, die dann vom Rand verschwendrisch überfließen.

Es taumelt der Geschichte Strom berauscht durch deine Grenze
Und lallt nur deine Lieder nach und trägt nur deine Kränze;
Wallfahrer schickt dir Nord und Süd, die Leidenden und Kranken,
Bis dir, vom Geben, Segnen müd, erschöpft die Arme sanken.

Einst schreiben sie auf deinen Stein und schreiben schön eintönig
Die Grabschrift auch den Herzen ein: »Hier ruht der gute König.« –
So hat dich fromm ein Dichterherz entrückt in Vorwelträume,
Daß es dich Besten deines Stammes den Glücklichsten auch träume.

Umsonst! umsonst! Ein Wehschrei tönt empor aus deinem Volke,
Rasch auf den Grund der Gegenwart senkt sich die goldne Wolke;
Da spritzt ein Tropfen Bluts auf dich vom fernen Weichselstrande,
Der zu gemeinem Königsrot dir färbt die Schneegewande.

Und deinen Thron nicht mehr umstehn lichtfrohe Feen und Elfen,
Ein leidend Volk nur blieb zu flehn: an dir ist's, Herr, zu helfen!
Zufriedner ist's als andre nicht, geduld'ger nur und treuer,
Doch in den Herzen knirscht sein Zorn und tobt sein strafend Feuer.

Leg auf sein Haupt die Königshand heilkräftig noch zur Stunde,
Senk an sein Herz dein lauschend Ohr, da pocht dir solche Kunde:
»Ich knirsch im Zorn ob deines Reichs unrühmlichem Verfallen,
Das ragen könnte hoch und stark, der Stolz und Preis von allen!

Ich knirsche, weil der Väter Blut, die Wetter der Geschichte
Ich jetzt an deinen Räten seh verloren und zunichte;
Für Größres wahrlich galt der Kampf als für die eine Sippe,
Als für ein alternd Kaiserhaupt und für Cimburgas Lippe.

Hut ab, und sei's ein Königshut! vor diesem Volk, dem edeln,
Das nie das Lieben, doch verlernt das Schmeicheln hat und Wedeln,
Und das sein kostbar Blut nur schätzt nach wahrem Preis und Werte,
Wenn's vom vergeßnen Zahler jetzt voraus den Sold begehrte.

Ich knirsche, weil den Frieden selbst sie zum Vampir erzogen,
Der, wie ein Alp auf unsrer Brust, ihr Mark und Blut entsogen;
Weil statt des eignen Panzergolds Maid Austria zum Reigen
Die Urim-Tumim umgeschnallt, geborgt Hebräereigen;

Weil allzugern den Landesaar zum Kapphahn sie verschnitten,
Weil sie das böse Mausern sind, dran seine Schwing' entglitten;
O des Popanzes, der ein Spott den Vögeln ward und Schnittern,
Und nur herbei die Raben lockt, die werdend Aas schon wittern!

Ich knirsche, weil sie – o der Schmach! – den Laurer vor den Türen,
Den Moskowiter, nun ins Haus als Gast und Helfer führen;
Die Hand die Lebensurnen wahrt, schlägt sie auch leicht zu Scherben,
Ein Volk schafft sein Geschick sich selbst, sonst ist's nur reif zum Sterben!

Ich knirsche, weil sie hinter Schloß und Wand des Richtens pflegen,
Wie Münzer, die im Nachtverlies mit falschen Stempeln prägen;
Mit Ketten droht ihr Strafgericht des Waisenguts Vergeudern,
In goldnen Ketten prunken stolz, die Völkergut verschleudern.

Ich knirsche, weil den Weg zu dir sie deinem Volk vertraten,
Daß Wort allein – o lausch' ihm nur! – dir helfen mag und raten!
Denn Rettung bringt's, die jene nie ergrübelt und erschrieben,
Weil's längst schon weiser ward als sie und ehrlicher geblieben.

Sie lassen eines Toten Hand das Schwert und Zepter führen,
Drum ist nur Moderstaub im Land, Verwesungshauch zu spüren;
So taten sie in kurzer Frist, was Krieg und Pest und Sterben
Und Türk' und Korse nicht vermocht: dein Östreich zu verderben.« –

O könnt' an Fürstenmilde noch ein Völkerherz gesunden,
Genesen wäre schon dein Volk und längst vernarbt die Wunden,
Seit du den Ahnenthron bestiegst in lieblichem Geleite:
Die Gnade rechts, Verzeihen links an schöner Herzensseite.

Doch Gnad' ist wilden Ehbunds Kind; um seiner Mutter wegen,
Die Willkür heißt und häßlich blind, bringt auch das Kind nicht Segen.
Ein freigeboren stolz Geschlecht besieg' der Zeit Gebreste:
Das offne Wort, das gleiche Recht, die Tat, die rasche, feste!

Drum schare, Herr, um deinen Thron, in deiner Fürstenhalle
In schöner Gliedrung deines Volks Vertreter alle, alle;
Dann weht im Baldachin ob dir ein Säuseln und ein Mahnen,
Als steh' die heil'ge Linde hier, wo einst getagt die Ahnen.

 
III.
Zur Möwe ward mein Lied und kommt mit schrillem Ruf geflogen,
Ihr Fittich streift unsteten Flugs die noch empörten Wogen,
Durchs Zucken ihres Flatterns geht ein tiefer Zug von Treue,
Dem sturmbedrohten Schiffe folgt sie nimmermüd' aufs neue.

Es war ein schönes starkes Schiff; jetzt wankt es durch die Klippen,
Unheimlich ächzt und bänglich stöhnt's durch Takelwerk und Rippen,
Der stolze Namen »Austria« steht golden am Altane,
Die Wimpel prasseln windgepeitscht, wirr flaggt die Kaiserfahne.

Doch prunkt's mit welken Kränzen noch, die Bord und Maste krönen;
O werft den Flitter in das Meer, Sturmgötter zu versöhnen!
Am Schnabel glänzt des Kaisers Bild, des toten, firnishelle,
Mich dünkt, das alte starre Bild empört noch mehr die Welle.

Im Raum der Sklavenballast sehnt, in Ketten, sich nach Landung;
Mich dünkt, die Arme wären gut, zu rudern aus der Brandung!
Das Steuer hält ein greiser Mann, fast mumienhaft verwittert;
Ihr meint: er steure, doch ist's nur ein Ruck der Hand, die zittert.

Zum Kompaß ist sein Haupt gebeugt, als prüf' er Wind' und Richtung,
Doch schlief er ein, ihn selbst besiegt Erschöpfung und Vernichtung.
O armes Schiff, wer führe dich im Sturm, dem ungeheuern?
Weh, soll nur jener Schmachpilot »das blöde Glück« dich steuern!

Vor Schmerz aufschrillt der Möwe Schrei; die Seheraugen schauen
Mit Trümmern schon besät die Flut, o Bild voll Schmerz und Grauen!
Die Brandung donnert; taumelnd stößt der Kiel in Felsenrippen,
Das Krachen des Zerfallens dröhnt weithin durch öde Klippen.

Das Schiffsvolk bricht mit wilder Kraft der Todesangst die Ketten,
Der springt ins Boot, dem helf' ein Brett das Jammerleben retten;
So treiben sie dahin, doch nicht wohin die Herzen zielen,
Nur wie des Windes Laune will und wie die Wellen spielen.

Seefahrern gibt ein Ruderstück vom Wrack noch späte Kunde,
Der stolze Namen »Austria« ist eingebrannt dem Funde.
Es war ein schönes mächt'ges Schiff aus kerngesunden Eichen
Und könnte noch auf freiem Meer mit vollen Segeln streichen!


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