Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Prinz Proxymus und Lympida
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

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DER VIERTE THEIL.

WAnn ich alle die vnderschidliche Gattungen der grossen Glückseeligkeiten betrachte / mit denen Myrologus von Gott dem Allmächtigen begabt war / so muß ich mich verwundern vnd bekennen das mir zuentscheiden vnmüglich / welche vnder denselbigen die gröste: herrlichste vnd vornembste gewesen! dann sein ohnerschrockener Heldenmut vnd Tapfferkeit im Krieg: sein darin erworbener Preis vnd Ruhm: sein Auffrichtigkeit vnd Gottes Forcht: sein hoher Verstandt vnd andere schöne Qualiteten mehr hatten ihm als des Kaysers höchste Gnad zuwegen gebracht / gleich wie ihm seine holde Miltsamkeit vnd leüthseeliges Weesen die Gunst vnd Liebe des gantzen Volcks zustellet vnd vnderhielte! beydes die Kriegs Leüthe vnd haußhäbliche Vnderthanen / deren Beambte vnd jehner Officier hielten ihn vor ihren Vatter? darneben war er einer ansehnlichen Leibs gestalt / darbey so vermöglich als einer auß dem reichen Adel in Constantinopel: mehr milt vnd freygebig als streng vnd karg / vnd eines frölichen doch gravitetischen Humeurs vnd Ansehens? weswegen er dann von jedermeniglichen von hohen vnd nidern / reichen vnd armen / grosen vnd kleinen geehrt / geliebt / gelobt vnd geprisen wardt.

Uber diß alles hatte ihm die Güte Gottes die allertugentreichste Hapsam die ein Ertzaußbundt aller fleissigen Haußhalterinnen gewest zur Ehegemahlin zugesellet; warhafftig den Vollkomnesten Spiegel aller vollkommenen Damen ihrer Zeit? mit derer er auch in seiner glückseeligen Ehe so fridtsamb / einig vnd vernügt lebte / das jederman gestehen vnd sagen muste / es wäre immer Schad gewesen / wan das eine oder das ander auß ihnen mit einem andren Ehegemahl als mit ihnen selbsten solte versorgt worden sein? dann es schiene allerdings / als wan der sonst variirenden vnd spielenden Natur ein seltener Lust ankommen wäre / etwas rars zukünstlen vnd der Welt zuweysen das sie durch anlegenden Ernst vnd Fleiß auch wol ein gleiche vnd allerdings vntadelhafftes par Ehevolck zur Verwunderung vorstellen könde.

Auß diser glückseeligen Ehe: auß disem gleichen par? auß disen Verwunderungs würdigen zweyen Ehegatten nun ist entsprossen die ausbündige Lympida / welche mit keinem andern vortrefflichen Original oder Exemplar geschweige mit einer Copey: sonder mit sonst nichts als einig vnd allein mit ihr selbst zuvergleichen? sintemahl ihre Schönheit weder durch den allerbesten vnd künstlichsten Mahler vorzubilden: noch ihre Vollkommenheit vnd Tugenden durch den aller Sinnreichsten Concipisten oder Poeten genugsamb zubeschreiben müglich: wessentwegen sich dan dessen meine albere Feder auch nicht vnderstehet / sonder allein vermeldet das dise unvergleichliche Schönheit damahls als ihr Herr Vatter auß dem Persischen Krieg mit Lorberkräntzen bekrönet heim kam / eine Dame von fünffzehen Jahren gewesen.

Sie war neben den frawenzimmerlichen Exercitiis / denen sie bisweilen beyder zur Ergötzung vnd Vermeidung des Müssigangs ein par stunden gönnet / eintzig dem Gottes Dienst ergeben; warzu sie dan auch von ihren gottseeligen Eltern von Jugent auff allein: vnd zwar dermassen vorsichtiglich erzogen: vnd vor allen besorglichen ärgernussen weißlich bewahrt worden / das sie gleichsamb die Tag ihres Leben kein schandtbar Wort hören reden / geschweige etwas lästerlichs sehen begehen! dannenhero war sie gantz himlisch gesinnet! ihr Hertz vnd Gemüt war nur auff Gott vnd göttliche Sachen gerichtet in allen andern weltlichen Dingen aber war sie so unerfahren vnd schlecht bericht als ein Lamb! darvon zu discurirn / so einfältig als eine junge Daube / vnd also zu allen Sachen / die nicht zu sonderbarer Ehr Gottes angesehen / so fertig vnd geschickt / als wan die liebliche Nachtigall das vngehewre grummen der Roetrommel miteinstimmig überschreyen solte; derentwegen lebte sie frey von allen so wol innerlichen Regungen vnd Affecten als ander werts vnd auserhalb hinzihlenden Begirden: eüßerlich herrührenden Anfechtungen: vnd allen den jenigen Anmutungen welchen etwan die irrdisch gesinnte Menschen vnderworffen zu sein pflegen.

Die allererste Gemüts Beunruhigung entstunde in ihr / als sie ihren aignen Herren Vattern des edlen Jünglings Proximi ohnglaubliche Tapfferkeit / die er im Persischen Krieg erwisen / erzehlen: vnd mit höchsten Lob vnd Rhum erheben höret! als welchem sie: weil er (wie sie auß Myrologi Discurs verstanden) ihren gedachten Herren Vattern auß der allergrösten Gefahr durch seine ritterliche Faust errettet vnd beym Leben erhalten / alles Glück vnd Heil: zeitliche vnd ewige Wolfarth hertzlich angewünschet / vnd Gott inniglich bat / das er ihme solche ihro vnd ihrem Herren Vattern erwisene Wolthat gnädlich belohnen wolte; dise allererste Anwehung vnd vngefehr hergeflogene Hertzens Bewegung aber / wäre bey weitem nicht genugsamb gewesen / den standthafften Sinn der Lympidæ ferners zuberucken / noch an ihrem Hertzen zuhafften / welchen ihre stete Gewohnheit allein mit himlischen Gedancken zu handtieren / derselben also gleich den Paß verlegt / abgeschnitten vnd ihr also den Abscheid gegeben würde / dafern nicht dise allein Gott ergeben Seele in Gegenwardt ihrer Frawen Mutter von ihrer frommen Seügammen Basiliæ auch die gottseelig Tugenden beydes des gedachten Proximi vnd seiner Eltern erzehlen hören: dan sihe? alsdan verlangte sie ererst / auch den jenigen als ein seltenes Weltwunder zusehen / der nicht allein von den berühmbtisten Kriegshelden der Welt gelobt vnd ihnen vor ihnen selbst vorgezogen würde / sonder auch (wie sie sich dan selbst billich beredete) sie / so wol von Ardt: als Aufferziehung wegen / in der Liebe Gottes: in dessen eyfrigem Dienste vnd übung deren ihme wolgefälligen Wercken vnd Tugend übertreffe? diß nun / geehrter Leser / war die erste Hatz / so die vnbefleckte Seele der schwerlich genugsamb belobten Lympidæ von vnserer menschlichen allgemeinen Schwachheit wegen außzustehen hatte.

Dann das täglich so vil vornehme Standts Personen vnd Cavalier / ja die aller vortrefflichste in Constantinopel von ihrenwegen ihrem Herren Vattern auffwarteten / sie selbst besprachten / wan sie anders das Glück hatten / vnd ihro so heimlich als offentlich inbrünstiglich bezeügten was sie in ihren Hertzen hägten; das gab ihr so wenig zuschaffen als der hitzige Sonnenschein im Julio oder Augusto dem jenigen thun mag / der in einer kühlen Grotten ruhet; so gar hatte sie sich vor allen Anfechtungen sicher zu sein / in ihrem Gemüt vnder die Flügel-Schatten der göttlichen Gnade rettirirt / geflehnet vnd verborgen.

Aber ach? was ists mit vnß? waß ists mit vnseren schwachen Kräfften? was ist mit vnserem geringen Widerstandt / wan wir wider vnser aigne Natur: wider den Willen des höchsten (der vns so weit verborgen ist / so weit er etwas ins künfftig zuthun beschlossen vnd ihm allein zuwissen vorbehalten) kämpffen vnd streitten wollen? diser oder jehner göttlichen Vorsehung zuentgehen?

Mitten in der lustigen Zeit des Jahrs nemblich im Frühling war es / als Lympida in ihres Herren Vattern Lustgarten der hinder dessen Pallast vmbmauret lag / Gelegenheit krigte ihrer Ammen Basiliæ zuoffenbaren / wasmassen sie sich über die überhaüffte Tugenden des Proximi verwundere / weil sie eben ohngefehr seiner vnd seiner Eltern gedachten / in dem sie von Gott vnd himlischen Dingen ihrer täglichen Gewonheit nach miteinander redeten; Basilia bediendte sich solcher Gelegenheit / der Lympidæ Liebe zu Gott noch inbrünstiger / vnd ihrer Gewohnheit in übung der Tugent ohne Jrrgang vnd Verfallung zuwandtlen sey; endlich als sie ihre Rede beschlossen / henckte sie daran / sie hette wegen des Proximi stillen eingezogenen Lebens: wegen seiner angebornen Clemens: wegen seiner Demut / vnd lieblichen Leüth-Holtseeligkeit nimmermehr geglaubt noch sich bereden lassen / das in ihme / als der Fromkeit selbsten / auch ein solch helden Hertz vnd unglaubliche Tapfferkeit verborgen stecken solte / wan sie es nicht von ihrem Herren Vattern dem allerglaubwürdigsten Obristen vnd berühmbtisten Helden in Waffen gehöret.

Dise Verwunderung der Basiliæ vnd das billiche Lob das sie dem Proximo gab / bewegte das stille vnd in ihm selbst ruhige Gemüt der gottseeligen Lympidæ noch ein mehrers? dan Sihe? hatte sie sich zuvor nur plöslich vber die Tugenden des edlen Jünglings verwundert? so wünschte sie jetzunder auch die jenige Persohn zusehen / die so einen hauffen lobwürdiger vnd herrlicher Gaben: ja gleichsamb widerwertige Tugenden fassen besitzen vnd zugleich üben könde? dann sie hatte noch nit bedacht das es möglich wäre / zugleich den Freünden ein angenehme Wollust: vnd den offentlichen Feinden im Krieg erschrecklich zu sein.

Solches ihr Verlangen gab sie der Basilia zuverstehen / welche wie behütsamb vnd vorsichtig sie auch gewesen / dannoch diß Ordts nicht so schlau war / zubesorgen / das auß solchem anschawen villeicht der Lympidæ keüsches Hertz mit Liebe beunruhigt werden möchte; Ja sie gedachte nicht einmahl daran / das sie ihr anvertrawtes Frewlin vor aller Gefahr / dardurch sie in dergleichen Labyrint gerathen konde / bewahren solte / so fest und ohnbewöglich wuste sie derselben Sinn und Gemüt auff die göttliche und himlische Ding gerichtet sein.

Aber wer mag (wie oben gedacht) dem unveränderlichen himlischen Rathschlus entgehen? Basilia andwortet ihr / gnädigs Frewlin / ohnzweiffel hat sie Proximum vorlängst in der Kirchen gesehen / ob sie ihn gleich nicht kennet / wie redet ihr? sagte hierauff Lympida mit einer schamhafften Rede / vermeinet sie dan wol ich habe jemahl / sonderlich an einem so heiligen Ordt das alleinig zum Dienst Gottes gewidmet / auff die Manns Bilder geschawet? gleichsamb als wan ihr nicht wistet / das ich mich auch deren im geringsten nichts annemme / die täglich vmb meinetwillen meines HErren Vattern Hauß besuchen? nein meine Augen seind auff den jenigen gerichtet / den wir in diser Zeitlichkeit mit unsern leiblichen Augen zwar noch nit zusehen vermögen? gnädigs Frewlin andwortet Basilia / sie beliebe mir gnädig zuvergeben / ich habs so böß nicht gemeinet / sintemahl ich ein bessers von ihr waiß: ich habs / deßhalber gesagt dieweil sich Proximus schwerlich sonst anderwerdts als in der Kyrchen antreffen lassen wirt; vornemblich dieweil er jetzunder sonst keiner andern übung als dem Gottes Dienst vnd seinem bethlägerigen Herren Vatter abzuwarten pflegt / weßwegen ich ihn dan auch jetzt sonst nirgent als entweder in der Kirch oder bey seines Herren Vattern Bethe zusuchen und zufinden getrawte / an deren örtern einem ihn auch mein gnädigs Frewlin nur zusehen bekommen kan.

Also kam zum hertzlichen Verlangen der Lympidæ Proximum zusehen auch eine ohnzweiffenliche Hoffnung das sie ihn bald sehen würde; welche beyde Passiones sie mit Ungedult trug / biß die Statt Constantinopel das frewdenreichen Fest der Auffarth des triumphirenden Erlösers mit einer ansehenlichen Procession gantz herrlich celebrirte / bey deren sie den vollkommenen Tugentspiegel Proximum nicht allein ihres Hertzens Wunsch nach sahe / sonder ihn auch wider ihren willen vnd Gewohnheit von dem Scheitel an biß auff die Fußsolen genugsamb betrachtet / vnd damit gantz unvermerckt zu Belohnung ihres Vorwitzes / in das bitter süesse Netz / welches man die Liebe nennet / geriethe? es gieng ihr wie einem vnschuldigen jungen Stück Wilt / welches in dem es sich in einer groß- vnd Blumenreichen Aw / als in seinem ihme von Gott vnd der Natur zugeaigneten Narungsplatz waidet / ohnversehens von dem hinder dem Bosch versteckten Schützen gefält wirt! dann eben auff disem Schlag hatte der tausentlistige Schalck Cupido vnder die Kleydung des allerkeüschesten Proximi seine Pfeile verborgen / vnd durch solchen tückischen Vortel das eben so keüsche: Ja sonst unüberwindtliche Hertz der Lympidæ verletzt.

Dise gute Fräwlin wurde ihrer empfangenen Wunden nicht ehender gewar / vnd wuste ihre gefährliche Verletzung selbst nicht / biß sie solche auch selbst zu Hauß mit stetigem angedencken an Proximum vergrösserte; als dann sahe sie ererst aber vil zuspat / das sie ihre Freyheit verlohren hatte vnd in das Gefängnus der Liebe gerathen war; anfänglich zwar vermeinte sie noch lang nit / das sie eine solche gefangne wäre; dann sie schmeichelt ihr / vnd wolte sich bereden das sie Proximum nur vmb seiner berühmbten Tugenden willen oder vilmehr seine Tugenden in ihm liebte; aber die vnaußsetzliche Begirden ihne mehrers vnd öffters ja stätigs zusehen / gaben ihr bald besser zuverstehen / was sie vor einen gifftigen Angel geschluckt / ob er gleich mit heiligen Tugenden überzuckert vnd angeködert gewesen.

Bey so gethaner spaten Erkandtnus ihrer aignen Beschaffenheit vnderfienge sich dise tugentreichste vergeblich ein Helden Hertz zufassen vmb des vnüberwindtlichen Cupidinis grossen vnd starcken Kräfften (welche / wie die alte Poeten geschriben / beydes Götter vnd Menschen bezwingen) zuwiderstehen: sie suchte auß der reichen Schatz- vnd Rüstkammer ihrer Gottes Forcht allerhandt Wehr vnd Waffen herfür ihren Verletzer mit trutzigem Gemüt hinwider zubestreiten; ihre empfangene Wunde vermittelst ihrer gewonlichen Diæt der Gottseeligkeit mit Gebrauch und Aufflegung des allerheylsambsten Balsambs / den wir das Gebett nennen / widerumb zuheilen und also endlich noch ihren überwinder zuüberwinden und den Sig darvon zubringen; aber sihe? je ernstlicher sie sich hiermit bemühete je mehr verwickelt sie sich in dem Netz ihrer Gefangenschafft? je mehr Artzney sie gebrauchte / je kräncker sie würde? und demnach sie sich schämbte / sich als eine überwundene zubekennen / und ihr selbst vor eine grosse Schand zurechnete / wann man innen würde / das sie sich under der verliebten Fahnen der eitelen Thorheit zwingen lassen / als hielte sie disen ihren wider sich selbst führenden Krieg sehr heimlich / ja auch vor der Basilia selbsten so verborgen als wan dieselbige niemahlen ihres jungfrewlichen Hertzen innerster Heimlichkeiten getrewister Secretarius gewesen wäre / und eben diß war keine geringe Ursach desto weniger zugenesen.

Einsmahls als ihre Gedancken die nimmermehr rühen sonder jederzeit etwas zuhandtieren haben wollen / ihr die seltene Tugenden so wol als die unvergleichliche Leibs Gestalt des Proximi vorzumahlen begundten / name sie solchen zuentfliehen ihren zuflucht abermahl zum Gebett und eilete selbigs desto andächtiger und ohngehinderter in stiller Einsambkeit zuverrichten in die Hauß Capell / welche in oben angeregtem Garten stundte / daselbst legte sie sich vor dem Altar auff die Knihe nider und gosse ihr gantzes Hertz auß wie Wasser / sie verklagte sich selbst vnd bekandt Gott / allen seinen Englen und allen Heiligen / das sie ihr Hertz zertrennet: ihre Trew zerbrochen und ein Theil von der Liebe / die sie allein und zwar vollkommenlich gegen Gott zutragen schuldig wäre ihme gestohlen und auff dessen Creatur verwendet hette / auch noch nit villeicht auß einer sonderbarer ihro anklebenden Boßheit / mit rechtem Ernst zuwiderkehren sich angelegen sein lasse / ach! seüffzete sie / wo ist deine Unschuld hinkommen / in deren du ehemalen deinem getrewen Gott allein dienetest? ô du leichtfertige Lympida! wo ist dein steiffer Vorsatz den du hattest deine Keüschheit Gott zu Ehren vnd gefallen zubewahren vnnd dem Exempel der heiligen Jungfrawen nachzufolgen? du abtrünnige! wie hat sich dein wanckelmütiger Sinn so gar verkehrt? sihe du bist todt in der Liebe Gottes / vnd scheinest allein noch darumb zuleben / damit du Gott noch mehr erzörnest! du verstockte / wilstu dann nicht einmahl wider in dich selber gehen vnd den ärgerlichen Weg den du wandelst erkennen? O Lympida kehre vmb? O Lympida gedencke an dein voriges gleichsamb Englisches Leben? kehre vmb O Lympida? lege einen eyferigen Fleiß einen standthafften Ernst an / herwider zubringen die verschertzte Gewissens Ruhe: des Hertzens zufridenheit vnd der Seelen heilige vnd wahre Frewdt / welche allein den jenigen gegönnet ist / die Gott auch allein lieben; aber ach? wie kan ich des Proximi vergessen / dessen wunderbarliche Tugenden mir in der Gottseeligkeit vorleüchten vnnd zugleich seine Englische Gestalt ins Hertz getruckt haben? vnd wie kan ich hingegen die Liebe zum theil ihme zu partiren / die doch allein meinem Schöpffer gebührt? O mein Gott ich leyde vnnd weiß mir nit zuhelffen? ich werde geträngt vnd geängstigt vnd weiß mich nicht auß meinen Nöten zuerretten; wohnet das angedencken Proximi noch länger in meinem Gemüt wie nun ein Zeit hero / so wirt deine göttliche Liebe geschwächt vnd verletzet / will ich ihn aber mit Gewalt außjagen (welches mir aber besorglich vnmüglich sein wirt) so müste ich zugleich dem angedencken aller Tugent Urlaub geben.

Lympida hatte noch vil dergleichen verwirrtes Gespräch / welchem allem Basilia vor der Capellen stehent zuhorchte / dan sie eben ein par Händtvoll allerhandt Blumen gebrochen den Altar damit zuziehren / vnd als sie die Lympidam gehöret / herausen stehn verbliben war / vmb ihr Fräwlin in der Andacht nicht zuzerstöhren als sie aber vernam (dan Lympida redet wider ihr Gewohnheit auß hefftigkeit ihres Anligens so laut / das Basilia alle Wort verstehen konde) wohin ihr Gebett oder vilmehr ihre betrübte Seüfftzen giengen / erschracke sie / das sie bey nahe nicht mehr auff den Füssen stehen konde / sie wuste und bedachte wol das Proximus höher von Adel war als Lympida / und sorgte dannenhero ihr Frewlin würde vergeblich mit so hefftiger Liebe gepeinnigt werden / vnd sich kein Heürath zwischen beyden jungen Leüthen schicken mögen / obgleich der Myrologus dem Modesto weder an Reichthumb noch grossem Ansehen etwas bevor gab; auch wurd ihr bang / daß sie ihr anvertrawtes Frewlin vor solchem Liebes Fewr vnd der Anschawung Proximi nit besser bewahret: sonder ihro vilmehr mit Erzehlung seiner Tugenden ihne zulieben Vrsach geben / wessen sie weder vor Gott noch ihrem fromen Herren Myrologo vnd seiner Gemahlin oder der Lympidæ selbsten auch nicht in ihrem aignen Gewissen (wiewol sie unschuldig in diß Gelag kommen) entschuldiget zu sein getrawte / und damit sie noch besser gequälet würde / und auch ihren Theil von der Lympidæ unschuldigen Leyden empfünde / sihe so überfiele sie eine newe Angst als sie sich erinnerte das sie beydes den Proximum und die Lympidam an ihren Brüsten geseüget / dan sie beredet sich selbsten das sie ihnen beyden villeicht mit ihrer Milch eine solche hefftige Liebe zusamen zutragen eingeflötzet oder eingepflantzet hette / derowegen schlug sie die Hände über dem Kopff zusammen / und seüffzete / ach du edler Proximus? wer weiß in was vor Liebes Fessel in was vor heimliche Pein und Qual dich villeicht auch meine Säugung gegen der Lympidæ gefangen gesetzt hat? damit wars ihr aber noch nicht genug / dan als sie der Sach noch mehrers nachgedachte / vnd dieselbige hin vnd her woge / fiele ihrem zarten Gewissen zu als einer allein Gott ergebenen Frawen / wan gleich auff ein oder andere weiß dise beyde durch Hilff und Schickung Gottes zusammen in die Ehe kommen solten / das sie dennoch vermittelst der vermeinten Seügungskrafft schuldig daran wäre das zwo so edle Seelen durch ihre Milch gleichsamb gezwungen worden / die heilige Liebe Gottes zuverlassen vnnd sich der fleischlichen zuergeben.

Jn solchen schwermütigen und betrübten Gedancken setzte sie sich nider / ihrer allerliebsten Frewlin jämmerlichen Klag ein Ende zuhören / aber kaum hat sie sich gesetzt / da stundt sie wider auff die jenige zutrösten die sie in solcher Anfechtung nit länger wissen konde / wiewol sie selbst eines bessern Trosts vonnöten war; sie wüschte die Thränen von ihren Augen / ihre Wehemütigkeit von deren zuverbergen / welche damahls ihre zarte Wangen ebenmässig mit heissen Zähern übernetzt hatte / und solche gleichfahls abzutrücknen eylete als sie die Basilia nur sittiglich an der Capellenthür anklopften höret; was bedeüt diß mein hertziges Frewlin sagte diese zur Lympida / das ich das sonst lustige Rosenfeld ewers zarten Angesichts mit einem gählingen Platzregen der Betrübtnus überschwämbt: und die helle Sterne ewer klaren Augen mit einen finstern Gewülck der Trawrigkeit überzogen sehe? ach! andwortet Lympida / als welche nicht liegen konde noch darzu gewohnet war / ich hab geweinet und weiß villeicht nicht recht warumb? ihr wist das ich Gott liebe und auffs allerhöchste Lieben solte; ich selbst aber weiß nicht / ob solche Liebe auch vollkommen / angenehm und possierlich sey oder nicht! ihr wist das aller Menschen Heil und Seeligkeit an der vollkommenen Liebe Gottes gelegen / und auser derselben alles eitel ist / warumb solte sich dan der Mensch nicht betrüben / wann er selbst zweyfflen muß und nicht weiß / ob solche seine schuldige Liebe rechtschaffen oder gefärbt: vollkommen oder zerteilt sey? in disem Spithal / meine Liebe Basilia / lige ich Kranck; darumb bekümmere ich mich nit unbillich; deswegen seüffze und weine ich: weil ich nemblich auß meiner schwachen zu Gott tragenden Liebe mich nicht versichern kan / das solche vollkommen / unzertheilt / auffrichtig und in summa also beschaffen / daß sie GOtt auch angenehm sey. Ob nun gleich die gottseelige Lympida in disen Worten die Wahrheit nicht gespart / so merckte die schlaue Basilia (weil sie nicht ein mehrers gebeichtet) doch leichtlich das sie ihre zu Proximo tragende Liebe noch zur Zeit verborgen wissen wollte / derowegen gedachte sie sich auch nichts von dem jenigen vernemmen zulassen was sie von der schamhafften Frewlin selbst gehöret / war aber gleichwol bedacht / die Lympida auff eben den jehnigen Schlag zutrösten / auff welchen sie ihres innersten Hertzens Anligen dunckeler Weise vorgebracht / derowegen sagte sie / alleredlest Frewlin / die Liebe Gottes ist kein arme gefangene / wirt auch gar nicht eingekärckert: sonder kan wol sich ihrer Freyheit gebrauchen vnd einen oder den andern Spatziergang thun / die eine oder die andere Creatur vmb Gottes Willen zulieben also lieben die heilige Mönche ihre Einödinen vmb Gottes Willen / weil sie in der selben Gott besser als in der Welt zudienen getrawen / also lieben die Eheleüthe einander vmb Gottes Willen / weil Gott das eine dem andern zum Ehegemahl zugefügt; also liebet ein Christ den andern vmb Gottes Willen / weil je einer von dem andern weiß das er Gottes Ebenbilde und durch den Tauff und das Blut Christi das ewig Leben zubesitzen fähig und bequem gemacht sey / also darff und soll ein Mensch das ander wegen seiner Tugenden vmb Gottes Willen lieben gleich wie ihm hingegen gebührt die Laster in dem verruchten zuhassen / solche Liebe nun zu den Creaturen die wir also lieben / schwächet vnd benimbt der Liebe Gottes gantz nichts sonder bringt sie vilmer zu ihrer allerhöchsten Vollkommenheit / sonderlich wann wir nicht an den Creaturen hangen bleiben sonder Gott zuvorderist über alle Dinge lieben / wan diß nicht wäre / wie wolten wir dann das Gebott Gottes halten / das da befilcht / du solst deinen Negsten lieben als dich selbst? oder wie wolten die Eheleüthe die Geschwister / item ein guter Freünd den andern sonst ohne Sündt lieben können? muß derowegen mein allerliebstes Frewlin so scrupulos nicht sein / dann ihr ist erlaubet alles zulieben / wan sie nur einig und allein die Sündt und Laster hasset.

Hiermit wurde zwar die edle Lympida umb vil getröst / gleichwol aber das Feür so in jrem keüschen und unschuldigen Hertzen brandte / mit nichten gelöscht / sonder vilmehr angezündet und geschüret; sie bequembte sich von da an vil gedultiger under das Joch der Liebe als zuvor da sie noch vor eine Todtsündt hielte / wan sie derselben Flamme nit alles ernsts widerstünde! da sie noch alle ihre Kräffte abmergelte / das jenige auß ihrem Hertzen zuvertilgen / was so tieff eingewurtzelt: und in dergleichen Zuständt von vil taussenden vor ihr zuthun vergeblich understanden worden war; disen Vortel hatte sie noch vor andern thorrechten verliebten die sich bisweilen ihre Passion allerley übelständig Ding zubegehen verleiten lassen / wan sie ihr Leyden nicht erdulten: ihre Närrische Einfäll nicht auß dem Sinn schlagen und ihre hefftige Begirden nit bezwingen können oder wollen; das sie ihre Sach Gott zubefehlen: und sich mit Gedult in ihr Creütz vnd Anligen zuschicken wuste.

Die Liebe ist zwar an ihr selbst beschaffen wie sie etwan ein ehrlicher alter Teütscher Poet in folgenden Reymen beschriben:

Lieb ist ein solch gefährlich Gifft
Wart sie recht in das Hertze trifft /
Das sie brennet durch Marg vnd Bein
Wie der Donner durch Sthal vnd Stein /
Biß sie erlangt was sie erwöhlt
Oder sich selbst zu tode quält.

Aber gleich wol entrane vnsere Lympida vermittelst ihrer Gottes Forcht vnd sich angewöhnten gottseeligen Lebens der Würckung ihrer allzuhefftigen Anfechtung / weil sie denselben widerstunde / vnd vermittelst göttlicher Gnaden des angetrohten Todts / weil sie sich nach Gottes Willen gedultet; nichts destoweniger aber kame sie auch so leicht vnd gering nicht an / die vnüberwindliche Liebes Pfeil zuverschmertzen / sonder sie wurde genugsamb gewahr / das die Liebe in Wahrheit sey wie sie Petrarcha nennet / nemblich Una grata ferita, veneno che diletto, amaritudine dolce, supplicio giocondo, blanda morte, das ist / ein angenehme Wunde / ein lieblichs Gifft / ein süsse Bitterkeit / ein fröliche Marterung und Straff / ein sanffter Todt! so vorsichtig / so gedultig / so standthafftig in ihrer Gottseeligkeit / so behütsamb und grosmütig war sie nicht / das sie nicht mit jehnem verliebten Jüngling / wie abermahl erstangeregter unser Poet / nicht hette klagen können.

Die Lieb mich sehr vnruhig macht
Jch weiß nicht ists Tag oder Nacht /
Kein Frid hab ich zu aller Frist
Vnd weiß doch selbst nit wie mir ist /
Ob ich daheim bin oder nicht
So hat die Lieb mich zugericht /
Bin ich schon mit dem Leib jetzt do
So ist mein Sinn doch anders wo /
Vnd wo ich nit bin mit dem Leib
Daselbsten ich am meisten bleib.

Also lebte nun die frome und unschuldige Lympida / sie lebte ohne Hoffnung einiger Gegenliebe und wolte mit einem Schatten der Hoffnung ein ungewisses hoffen / dise eingebildte Hoffnung stritte täglich ja stündtlich mit ihrer Vernunfft / die Liebe mit ihrer Gottes Forcht: die Begirden mit ihrem zarten Gewissen / sie thät was sie thun solte / und konde doch nicht erlangen / was sie wolte es war ihr ohnmüglich sich der Liebe zuentschlagen / so sahe sie hingegen aber auch keine Möglichkeit / das Verlangen ihrer keüschen Liebe zuerraichen / bisweilen dämpffte sie ihre Liebes Flammen vmb etwas / wan sie sich in ihrer Demut übte und darvor hielte / Proximus wäre nit allein vor sie zu hoch geborn / sonder sie wäre auch dessen aignen Tugent halber seiner nicht würdig / so bald sie ihn aber wider erblickte / welches zwar selten und nur bisweilen in der Kirch geschahe / so wurden ihre Flammen wider ernewert und erfrischt ja verdoppelt; solcher Gestalt und mit andern tausentfältigen Martern mer wurde die gute Lympida gepeinigt und täglich ja stündlich gequälet; also das sie auch von aussen den verliebten (die ihre Liebe verbergen und heimlich halten müssen) änlich zuwerden anfienge / als welche immer trawrig vnd betrübt herein tretten / stettig seüffzen / die Farbe verliehren / die Einsambkeit lieben und alle Frewde und Gesellschafft fliehen / dann diß ist einmahl gewiß / das sich die Liebe nit verbergen läst (ob sie gleich bey andern auch anders außbricht) massen der Poet sagt:

Quis (ENIM) benè celat amorem?
Eminet indicio prodita flamma suo

das ist

Die Lieb läst sich verbergen nicht
Sonder wie Fewrs Flamm ausbricht

Der ehrlichen Basilia / welche der Lympidæ thun / vnd wesen besser vnd genawer in acht nam als ander Leüthe / weil sie am besten ihrer Frewlin Anligen wuste / wurde hierdurch ihre Anfechtung doppelt / vnd was sie zum meisten kränckte / war das sie nicht erkühnen dörffte der Lympidæ zuoffenbaren / das sie die Ursach ihres Schwermuts wiste / vmb sie in ihrer Qual zutrösten; das Mittleyden aber das sie mit ihr hatte war so groß / das sie beynahe so vil Schmertz vnd Kummer litte als ihr verliebtes Frewlin selbsten / sie wünschte offt das es möglich sein könde die Liebes Flammen vor sie zugedulten / vnd wan sie der Sachen so nachgedacht / so masse sie ihr selbst die Schult zu und vermeinte das sie allein an der Lympidæ Jammer / Schmertz und Leyden die eintzige Ursach sey / zwar empfieng sie etwas Trosts vor sich / als sie merckte das ihre Milch und Seügung der Lympidæ dise Liebe nit eingepflantzt wie sie ihr etwan sorglich eingebildet hette / dann dise Frewlin hatte ihren Sohn Modestum ehemahlen auch gesehen / ja gar mit ihme da er sie als seine Mutter einsmahl besucht / geredet / und war doch von disen Flammen ohnberührt verbliben / also gedachte sie / hat Proximus die Lympidam ohne Zweiffel ehemahlen auch gesehen und hat dannoch seine Freyheit noch / kan also von deiner Milch nit herkommen / dan wan das wäre / so müsten alle Schwestern und Brüder so an einer Mutter gesogen / einander solcher gestalt lieben?


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