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Achtzehntes Kapitel.

In der großen Welt war die merkwürdige Veränderung von Frau Kamerons äußerer Erscheinung natürlich nicht ohne Aufsehen geblieben. Man sprach allgemein darüber, teils um ihr zu schmeicheln, teils um sich in Vermutungen über die Ursache eines so seltsamen Vorfalls zu ergehen. Bei der großen Bewunderung, die ihre Schönheit hervorrief, fehlte es auch nicht an Neidern, die ihren Stolz tadelten und ihr Benehmen teils freier, teils weniger rücksichtsvoll fanden, als vor ihrer Verheiratung; schien sie doch manche ihrer alten Bekannten sogar völlig zu übersehen. Derartige Bemerkungen mochten wohl Genofeva zu Ohren gekommen sein, denn während die glänzenden Gesellschaften und rauschenden Vergnügungen sie zuerst entzückten, verlor sie mehr und mehr den Geschmack daran, und man sah sie oft mitten in der festlichen Menge halb verächtliche, halb ängstliche Blicke um sich werfen. Zugleich wurden auch ihre Wangen bleicher, und ihr Gesundheitszustand so schwankend, daß Doktor Kameron ihr größere Ruhe verordnete. Als nun aber bei dem abgeschlosseneren Leben ihre Mattigkeit und Schwermut nur wuchsen, fürchtete er, daß ein ernsteres Uebel zugrunde liegen möchte als der Rheumatismus, über den sie noch dann und wann klagte, und begann sie schärfer zu beobachten.

Das schien aber die Sache nur zu verschlimmern. Sie wich seinen Blicken aus und schrak oft bei dem geringsten Geräusch, dem Ton einer Klingel oder einer unerwarteten Anrede so heftig zusammen, daß ihm ihre nervöse Erregtheit ernstliche Sorge bereitete. –

Es war Abend. Das Paar kam eben von Genofevas Eltern zurück, bei denen es gespeist hatte, und Kameron bemerkte, daß sich seine Frau in der trüben Stimmung befand, die sie von jedem Besuch im Hause Gretorex mitbrachte. Das nahm ihn nicht wunder, denn die frostige Atmosphäre, die dort herrschte, fiel auch ihm stets von neuem auf. Er suchte sich zwar dem stolzen Eisenbahnkönig als Schwiegersohn so angenehm wie möglich zu machen, doch fühlte er Wohl, daß er weder in seinem Herzen noch in dem seiner aristokratischen Gattin eine Stätte besaß. Die beiden wechselten aber auch untereinander nie ein Zeichen von Zuneigung, und so war er es wohl zufrieden, ihre kühle Achtung zu besitzen und sein Glück in der Hingebung an seine Gattin zu suchen, welche jeden seiner Liebesbeweise mit rührendster Dankbarkeit erwiderte.

Die jungen Ehegatten saßen im Wohnzimmer, und Kameron sprach in heiterem Ton zu Genofeva, die er gern wieder lächeln sehen wollte. Sie aber schaute zerstreut auf die prächtige Gestalt im grauen Samtkleid mit Perlenschmuck in dem gegenüberhangenden Spiegel. Ihr Gatte folgte ihren Blicken und rief lachend:

Nicht wahr, eine stolze Erscheinung? Hättest du je gedacht, Genofeva, du würdest einmal eine berühmte Schönheit werden?

Sie erhob sich schnell und kniete an seiner Seite nieder. Bin ich hübsch, fragte sie, gefalle ich dir?

Nicht hübsch bist du, nein, von imponierender Schönheit, Ich liebe dich und staune über dich. Du bist so ganz anders –

Du liebst mich, Walter, flüsterte sie, wirklich mich – oder nur meine Schönheit? Würde dein Herz noch ebenso zärtlich für mich schlagen, wenn ich deinen Augen weniger wohlgefällig wäre? Besinne dich wohl, ehe du mir antwortest, es ist mir heiliger Ernst mit der Frage: Wie groß ist deine Liebe für mich?

Kameron fühlte sich durch ihren Blick noch mehr ergriffen, als durch ihre Worte.

Du bist mein Weib, sagte er, ich habe dich vor allen erwählt und würde dich auch jetzt einzig mir zum Eigentum erwählen. Ich liebe deine Schönheit – wie wäre das anders möglich – aber ich liebe auch, was diese Schönheit beseelt und belebt. Hätte ich nur die Wahl zwischen deiner reizenden Gestalt, hinter der sich ein kaltes, falsches Gemüt verbärge, und deinem Geist, deinem Herzen, deiner ganzen Natur in einem unschönen Körper, ich würde –

Was würdest du wählen? unterbrach sie ihn gespannt mit bebenden Lippen.

Dein innerstes Selbst, dein Wesen, das weiß ich, Genofeva. Es übt einen unwiderstehlichen Zauber auf mich aus, dem ich mich willig hingebe. Du bist mir oft rätselhaft, aber deine ganze Persönlichkeit zieht mich an und fesselt mich weit mehr, als bloße Anmut und Schönheit es je vermöchte.

Bin ich dir ein Rätsel? flüsterte sie; der Tag wird kommen, der es löst, aber wirst du mich dann auch noch lieben?

Er lächelte sie vertrauensvoll an.

Würdest du mich noch lieben – sie schlug die Augen nieder – wenn du erführest, ich hätte etwas vor dir verborgen, was du wissen solltest, daß ich schon früher einmal geliebt, daß ich nicht sei, wofür du mich gehalten, als du mir deine Hand botest? Wenn nun mein Leben ein Geheimnis enthielte, wie das so mancher Frau, und obgleich mein Herz von jedem Vorwurf rein wäre, doch finstere, quälende Gedanken mir oft das Glück und den Frieden der Gegenwart trübten?

Genofeva! rief er aus, und ein harter Zug lagerte um seinen Mund; seine Miene war ernst: Birgt dein Leben ein solches Geheimnis? Hast du je einen andern geliebt?

Sie sah ängstlich zu ihm auf: Begehrst du eine Antwort auf die Frage? erwiderte sie.

Er blickte düster vor sich hin. Ihr Versprechen, ihm stets die Wahrheit zu sagen, war ihm eingefallen, und er zögerte. Wenn sie nun »ja« sagte – würde es sie beide glücklicher machen? Jetzt liebte sie ihn, sie waren Mann und Frau; schien es nicht unklug, längst vergangene Geschichten wieder aufzurühren? Was berechtigte ihn denn, zu glauben, er sei ihre erste und einzige Liebe gewesen? Hatte nicht Genofeva Gretorex ihre Freier nach Dutzenden gezählt und konnte nicht leicht einer derselben auch ihr Herz eine Zeitlang erwärmt haben? Nein, er wollte die Frage auf sich beruhen lassen. Seine Liebe zu ihr war zu groß.

Ich begehre nichts, erwiderte er; die Vergangenheit ist begraben und kümmert uns nicht mehr. Dein Herz gehört jetzt mir, und wer das echte Gold gefunden hat, vergißt, daß er sich einst an Schlacken ergötzen konnte.

Sie hörte nur zerstreut auf seine Worte und schien ihren eigenen Gedanken nachzuhängen.

In Büchern liest man von leidenschaftlicher Liebe, sprach sie sinnend, für welche ein Mann alles opfert, was es Schönes und Köstliches auf Erden gibt. Ist das im Leben auch so? Kennst du zum Beispiel einen Menschen, der ein wirklich wertvolles Besitztum hingeben würde um einer Frau willen, deren Glück von ihm allein abhängt?

Kannst du denken – begann er.

Sie unterbrach ihn mit fester Stimme: Lebt wohl ein Mann auf Erden, der freudig mit einer Frau Schmach und Schande teilen würde?

Du stellst seltsame Fragen, Genofeva, erwiderte er. Schande ist ein hartes Wort. Es gibt keine größere Qual für einen stolzen Mann, als die, seinen ehrenwerten Namen unter den Mitmenschen einzubüßen.

Es war, als habe ein eisiger Hauch über sie hingeweht. Ist euch Männern der gute Ruf, das äußere Ansehen vor der Welt von so unvergleichlichem Wert? fragte sie. Ein Weib vermag doch alles zu opfern für den Mann, den sie liebt.

Ein liebendes Weib ist ein Engel; wir Männer aber verlieren nie unsere menschliche Schwäche. Andere Verluste mögen uns tief verwunden, uns das Leben verbittern, aber wenn dem Mann sein Beruf, seine Arbeit bleibt, so kann er sich stets daran wieder emporrichten. Nimmt man ihm aber die Achtung seiner Nebenmenschen und damit die Möglichkeit einer gedeihlichen Wirksamkeit unter ihnen, so ist sein Lebensnerv durchschnitten. Er ist nur noch ein Schatten von dem, was er war, wenn er keinem mehr frei ins Gesicht zu sehen vermag.

Es entstand eine kurze Stille, die beiden drückend erschien.

Und doch weiß ich kaum, wer mehr zu bedauern wäre, murmelte Genofeva endlich, der Mann, dem so viel durch die Frau geraubt worden ist, oder die Frau, die solches Unglück über den Mann gebracht hat, den sie liebt.

Kameron schüttelte den Kopf.

Eine Frau, die etwas tun kann, was ihr Schande bereitet, wird schwerlich allzu zartfühlend um ihres Gatten willen sein.

Ich weiß nicht. Manche Tat scheint im Augenblick nicht ehrenrührig und führt doch zur Schande. Hätte eine Frau so etwas verübt und wäre sie verheiratet –

So müßte man ihren Gatten beklagen, fiel Kameron ein.

Sie nahm an seiner Seite Platz. Wenn ich nun etwas begangen hätte – ich setze den äußersten Fall – was mich in Schande zu stürzen drohte? Wäre deine Liebe stark genug, um mich dennoch nicht aufzugeben, sondern mir Trost und Stütze zu sein, wenn du wüßtest, daß ich nicht aus Bosheit, sondern nur aus jugendlichem Ungestüm gefehlt und keine Ahnung gehabt, wie sehr –; sie murmelte nur noch unverständliche Laute und starrte ihn erschreckt an, denn auf seine Stirn hatten sich zornige Falten gelegt.

Genofeva, rief er, in diesen Fragen birgt sich ein versteckter Sinn. Was haben sie zu bedeuten? Droht uns wirklich Schmach und Schande? Hast du etwas begangen – Sie schien plötzlich wie umgewandelt und lachte so hell und fröhlich auf, daß ihm seine eigenen Worte töricht und abgeschmackt erschienen. Ganz verdutzt schaute er sie an.

Verzeih, rief sie plötzlich wieder ernst werdend, ich wollte nur deine Liebe auf die Probe stellen; mir scheint, sie ist noch nicht tief und stark genug. Aber vielleicht verstehe ich die Männer nicht, ich habe bisher wenig über sie nachgedacht; auch wußte ich ja nicht, daß einmal all mein Glück davon abhängen würde, wie hoch ich in deiner Achtung stehe – in deiner, Walter, nicht in derjenigen der Welt.

Er blickte sie zärtlich an. Dies war echte Liebe und Hingebung, wie sie nur ein Weib empfindet. Er hätte den Saum ihres Kleides küssen mögen.

Bisher war ich ein Kind, fuhr sie fort, Wert und Wesen der Dinge waren mir unbekannt; ich beachtete nur die glänzende Schale, nicht den inneren Kern. Meine Seele lag noch im Schlummer, jetzt ist sie erwacht, ich kenne jetzt die Herzensbedürfnisse einer Frau, welche liebt und wieder geliebt wird; ich fühle mich glücklich und elend, stolz und gedemütigt zugleich. Scheint dir das Torheit und Unverstand? Ich mußte bisher so vieles in meinem Innern verschließen; mir ist's eine Wohltat, mich einmal frei auszusprechen.

Ihr Trübsinn schien verflogen; sie sah strahlend glücklich aus und so bestrickend, daß ihn die schöne Gegenwart alles übrige vergessen ließ; in liebender Umarmung zog er sie an sein Herz.

Jetzt stelle ich keine Fragen mehr, rief sie, und wenn das Unglück kommt –

Sie hielt plötzlich inne, Draußen ertönte die Klingel. Kameron erwachte wie aus einem Traum.

Ist es ein Besuch oder ein Patient? fragte er.

Die vordere Türe öffnete sich, und ein Herr trat ein, von einem sauber gekleideten Frauenzimmer gefolgt, das sich furchtsam an den Türen vorbeidrückte bis nach dem Sprechzimmer. Ehe Kameron sich dorthin begab, warf er noch einen Blick auf seine Frau, die liebreizend und lächelnd dastand.

Kaum aber hatte er erhobenen Hauptes das Zimmer verlassen und sah sie sich allein, so schwand jeder Schimmer von Frohsinn aus ihren Zügen; sie sank auf den Sessel und überließ sich einer zwar stummen, aber furchtbaren Verzweiflung. Bald jedoch raffte sie sich wieder empor und den Blick auf ihr Spiegelbild geheftet, rief sie entschlossen: Bin ich denn schön, so möge mir meine Schönheit helfen, mein Glück zu bewahren. Auch seine Seelenruhe hängt davon ab. Kein Preis ist dafür zu hoch, es muß gelingen; alles opfere ich, nur die Wahrheit nicht.

Auf einmal wurden schwere Schritte auf dem Teppich hörbar. Sie wandte sich um, und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Der Herr, in dessen Begleitung Doktor Kameron eintrat, war der Detektiv Gryce.


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