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Zwölftes Kapitel.

Auf dem großen Ball, der in Washington an jenem Abend stattfand, war Genofeva Kameron die glänzendste und gefeiertste Erscheinung. Selbst ihrem entzückten Gatten schien es, als habe er sie in solchem Liebreiz noch nie gesehen; ein natürlicher Witz, der bei ihr die Stelle ausgebreiteter Kenntnisse vertrat, würzte ihre Unterhaltung, und die Worte strömten ihr ungesucht von den Lippen. Manches bewundernde Auge weilte ungebührlich lange auf den fesselnden Zügen, bis Kameron ihr eifersüchtig scherzend zuflüsterte:

Gut, daß dies unser letzter Ball hier ist; ich bin nahe daran, den einen oder andern jener geschniegelten Herren auf Säbel oder Pistolen zu fordern.

Sie schauderte unwillkürlich; doch ließ sie sich nicht in ihrem Vergnügen stören. Den letzten Ball mußte sie noch nach Herzenslust genießen, denn morgen kehrten sie nach Hause zurück.

Das Versprechen, welches sich Doktor Molesworth von Kameron hatte geben lassen, war schuld an der Veränderung ihrer Pläne, in die sich die junge Frau übrigens ohne Murren gefügt hatte. Alle Anstalten zur Abreise waren getroffen, und die letzten Stunden ihres Aufenthalts in der Bundeshauptstadt verbrachte Genofeva in einem Freudenrausch, bei Tanz und Lustbarkeit.

Sie hatte ihr Hochzeitskleid an, das ihr vorzüglich stand. Als sie zufällig mit der Generalin F., einer freundlichen älteren Dame, im Ankleidezimmer zusammentraf, betrachtete diese ihr Kleid mit Wohlgefallen und rief: So reizend wie Sie, meine Liebe, versteht sich doch niemand zu kleiden; wirklich, außerordentlich geschmackvoll. Ich wüßte gern, bei welcher Schneiderin Sie Ihre Sachen arbeiten lassen; wollen Sie es mir nicht sagen?

Ein Rot des Unwillens flog über das Antlitz der jungen Frau. Die zudringliche Neugier der Frage schien sie zu verletzen; ihre Antwort war zwar höflich doch ausweichend: Sie sind sehr freundlich, mir Beifall zu spenden, lächelte sie, aber ich kann ein so wichtiges Geheimnis wirklich nicht verraten; ich habe Elfen und Feen in meinem Dienst, deren Wohnplatz niemand erfahren darf.

Der kleine an sich so unbedeutende Vorfall mochte Genofeva verstimmt haben. Nicht lange darauf äußerte sie den Wunsch, den Ball zu verlassen. – Am nächsten Morgen erfolgte die Abreise nach Neuyork. Sie hatten bereits die Hälfte der Fahrt hinter sich, als Frau Kameron, sich vorbeugend, ihres Mannes Arm berührte.

Walter, sage mir doch, flüsterte sie, was geschieht mit einem Menschen, der in solche Lage geraten ist wie jener Doktor – Doktor Molesworth, welcher gestern bei dir war; führt man ihn ins Gefängnis?

Kameron war erfreut über ihren Anteil an einem Ereignis, das ihn selbst in hohem Grade beschäftigte und erklärte ihr die Sachlage, so gut es die Umstände gestatten. Sie hörte ihm gelassen zu und bemerkte, als er geendet hatte, mit leisem Seufzer:

Er sah nicht aus als ob er schuldig wäre, meinst du nicht auch? Ich muß sagen, er tut mir leid. Damit sank sie ermüdet wieder in die Kissen zurück und erwähnte die Angelegenheit nicht weiter.

Die jungen Eheleute hätten am liebsten gleich ihre eigene Wohnung bezogen; diese war jedoch der verfrühten Heimkehr wegen noch nicht zu ihrem Empfang bereit. So führte denn Doktor Kameron nach ihrer Ankunft seine Gattin zuerst nach dem St. Nikolausplatz.

Noch am selben Tage, gegen 6 Uhr, sah sie sich in den Armen ihrer Mutter.

Welche Ueberraschung, liebes Kind, rief diese, ihr die Wange zum Kusse reichend, wie wird sich dein Vater freuen! Aber es war doch unrecht von dir, daß du die Zeit über kein Wort an uns geschrieben hast, und es ganz deinem Manne überließest, uns Nachricht zu geben. Du hast doch sonst nicht an Rheumatismus gelitten; ich denke, es war wohl mehr Bequemlichkeit oder ein Vorwand, um deines Mannes Güte auf die Probe zu stellen.

Frau Gretorex war in heiterster Stimmung, das frohe Ereignis hatte sie förmlich verjüngt. Jetzt trat sie einen Schritt zurück und betrachtete ihre Tochter mit einem Anflug von Neugier.

Nimm doch den Schleier ab, sagte sie, und komm ins Wohnzimmer; ich muß sehen, ob das, was der Doktor von der merkwürdigen Verwandlung deines Haares schreibt, wirklich wahr ist. In deinem Alter ist so etwas ja ganz unglaublich; du mußt recht unglückliche Flitterwochen verlebt haben.

Mit munterem zwanglosem Lachen, wie man es bei der feinen Weltdame sonst nicht gewohnt war, schritt sie dem jungen Paar voran, während Genofeva verstohlen einen scheuen Blick durch die weite Halle warf, bevor sie ihr folgte.

Erschrecken Sie nur nicht allzusehr! warnte Doktor Kameron, während die Mutter den Schleier von ihrer Tochter Haupt löste. Der Anblick, der sich ihr bot, war bezaubernd.

Wie wunderschön, rief Frau Gretorex mit stolzer Freude, wahrlich, der Kunstgriff deiner Eitelkeit ist dir vortrefflich gelungen. Du wußtest, das würde dich unwiderstehlich machen. Ich bin entzückt, mein Kind; gleich muß ich deinen Vater rufen.

Sie eilte fort, und Genofeva sank in einen Stuhl, sichtlich erleichtert und nicht ohne ein Gefühl froher Genugtuung. Lächelnd blickte ihr Gatte auf sie nieder.

Der Abend verlief nicht ganz so angenehm, als man nach diesem erfreulichen Anfang hatte erwarten sollen. So befriedigt auch Frau Gretorex über die äußere Erscheinung ihrer Tochter war, an ihrem Wesen fand sie mancherlei auszusetzen. Genofeva war ihr zu schweigsam, und wenn sie sprach, ging sie nicht auf die Interessen der Mutter ein. Sie erkundigte sich weder nach häuslichen Angelegenheiten, noch nach einigen wichtigen Veränderungen in betreff der Dienerschaft, die inzwischen stattgefunden hatten. Auch ließ die Nachricht, daß Klara Foote auf der Heimreise von Europa begriffen sei, sie vollkommen kalt. Ja, sie erklärte sogar, sie werde mit dieser früheren Jugendfreundin allen Umgang abbrechen, da ihr Dinge über Klara zu Ohren gekommen seien, die ihr durchaus mißfielen. Diese Aeußerung berührte Frau Gretorex sehr unangenehm, besonders da Genofeva über die Ursache dieses Bruchs der alten Freundschaft nichts Näheres mitteilen wollte. Schließlich forderte die Mutter sie auf, mit ihr in das Zimmer hinaufzugehen, das sie als Mädchen bewohnt hatte; dort sei noch alles so geblieben, wie sie es verlassen habe, damit sie selbst über ihre Besitztümer verfügen könne. Genofeva aber weigerte sich entschieden, diesem Wunsche Folge zu leisten.

Ich fühle mich wirklich heute abend zu ermüdet, sagte sie, es wird wohl Zeit haben bis ein andermal, wenn ich nicht gerade von einer langen Eisenbahnfahrt angegriffen bin.

Frau Gretorex war nicht an Widerspruch gewöhnt; sie sah verstimmt aus, und Genofeva, dies gewahrend, setzte mit jener gewinnenden Freundlichkeit hinzu, die selbst ihren Launen einen unwiderstehlichen Reiz verlieh: »Verzeih Mama, ich weiß wohl, mein Mann hat mich sehr verwöhnt und mir in allem den Willen getan. Das darf er künftig nicht mehr, sonst werde ich allzu selbstsüchtig. Hörst du wohl, Walter?«

Kameron lächelte ihr zu und vertiefte sich in ein Gespräch mit seinem Schwiegervater. Frau Gretorex schien besänftigt; sie erkundigte sich nach den Festlichkeiten, die sie in Washington mitgemacht hatten. Der gestörte Einklang war wieder hergestellt, aber der Besuch des oberen Zimmers unterblieb.

Das erste, was Genofeva am andern Morgen ihrem Gatten mitteilte, war der Wunsch, sofort ihre eigene Wohnung zu beziehen, selbst auf Kosten kleiner Unbequemlichkeiten. Kameron war damit einverstanden, und ohne auf die mancherlei Einwendungen zu achten, welche sich dagegen erhoben, setzte die junge Frau die Uebersiedlung noch am nämlichen Tage durch. Ihr Gatte konnte nicht umhin, sich geschmeichelt zu fühlen, daß sie seine alleinige Gesellschaft jeder andern vorzog, und Genofeva verließ mit freundlichem Abschied, aber anscheinend ohne Bedauern die Stätte ihres früheren Mädchenlebens.

*

Als Kameron am zweiten Morgen nach ihrem Einzug sein Wohnzimmer betrat, sah er seine Frau mit ängstlich gespanntem Blick die Spalten der Zeitung überfliegen, wobei ihr die Hände vor nervöser Erregung zitterten.

Was hast du, Genofeva? fragte er; suchst du etwas Besonderes?

Sie ließ das Blatt sinken. O nein, entgegnete sie leichthin, ich vertrieb mir nur die Zeit. Ich sehe, du willst ausgehen?

Er zögerte noch einen Augenblick. Könnte ich dich nur fassen und verstehen, sagte er, mir ist oft, als seien wir meilenweit auseinander.

O nicht doch, nicht doch, flüsterte sie, ihn zärtlich mit den Armen umschlingend; wie kann ein Mann wie du sich mit solchen Einbildungen quälen? Und sie barg ihr Haupt an seiner Brust.

Tags darauf traf er sie wieder bei der Zeitung; diesmal sagte sie ihm, was sie suchte.

Ich finde keine Anzeige von Doktor Molesworths Verhaftung; wird so etwas nicht veröffentlicht?

Gewiß, ich habe mich selbst schon darüber gewundert. Im Hospital, wo ich den Fall behandle, den er neulich mit mir besprach, weiß man nichts von ihm; auch verlautet nicht, daß er sich in Haft befindet oder unter polizeilicher Aufsicht steht. Ich werde ihn einmal in seiner Wohnung aufsuchen.

Da würdest du ihm gewiß eine Freundlichkeit erweisen, meinte Genofeva.

So klingelte denn Doktor Kameron eines Morgens an Frau Olneys Wohnung, um sich nach Molesworth zu erkundigen. Es ward ihm bedeutet, der Doktor sei unwohl und nur für einige Patienten zu sprechen. Kameron schickte seine Karte hinein und wartete ungeduldig auf den Bescheid. Man bat ihn, einzutreten; der Doktor, hieß es, freue sich, ihn zu empfangen.

Kameron fand in dem düstern Zimmer seinen Kollegen auf dem Sofa liegen; nicht weit davon saß ein kleiner Mann von unscheinbarem Aeußern, in einen Leihbibliothekband vertieft.

Sobald sich die Tür hinter dem Dienstmädchen wieder geschlossen hatte, sprang Molesworth auf.

Sie bringen mir gewiß Nachrichten von unserer Patientin, rief er, wie ist ihr Befinden?

Gut, war die Antwort, aber die Wärterin schüttelt den Kopf bei jedem Tropfen Arznei, den sie ihr geben muß.

So schicken Sie die Wärterin fort und nehmen eine andere; unter solcher Torheit darf die Kur nicht leiden.

Kameron nickte zustimmend und warf einen neugierigen Blick auf seinen Gefährten.

Ich höre, daß Sie krank sind.

Ein grimmiges Lächeln flog über Molesworths Gesicht. Wie Sie sehen, habe ich einen Wärter, entgegnete er mit einem bedeutsamen Blick auf die stumme Gestalt im Winkel.

Teilnehmend fragte Kameron: Ist Aussicht vorhanden, daß Ihr Uebel bald gehoben sein wird?

Das läßt sich nicht bestimmen, erwiderte jener; noch fehlt es an der richtigen Diagnose.

Soll ich Ihnen ein Mittel verschreiben?

Ich danke.

Oder kann ich sonst etwas für Sie tun?

Nein – Sie nicht.

Er sprach es in sanftem Ton. Kameron betrachtete ihn mit aufrichtigem Anteil.

Mich freut, daß Sie sich doch leidlich wohl befinden, sagte er ernst, wir haben uns Sorge um Sie gemacht, meine Frau und ich.

Sehr freundlich von Ihrer Frau Gemahlin, erwiderte sein Kollege fast feierlich und sich tief verbeugend.

Kameron schritt der Türe zu.

Urteile ich recht, rief jener, ihm das Geleit gebend, so hat der Abend, der mich ins Verderben stürzte, Ihnen das schönste Lebensglück gebracht.

In Kamerons Augen leuchtete es hell auf. Ja, das ist wahr, erwiderte er.

Um Molesworths Lippen spielte ein Lächeln, das den andern seltsam berührte.

Ich wünsche Ihnen Glück, murmelte er. Dann schloß er leise die Tür zwischen ihnen.


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